OGH 8ObA82/20x

OGH8ObA82/20x23.11.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Stelzer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Thomas Kallab (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei P***** S*****, vertreten durch die Niedermayr Rechtsanwalt GmbH in Steyr, gegen die beklagte Partei Stadt *****, vertreten durch Mag. Gerhard Eigner, Rechtsanwalt in Wels, wegen (restlich) Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 7. Mai 2020, GZ 11 Ra 18/20a‑31, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 16. Jänner 2020, GZ 16 Cga 5/19i‑27, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBA00082.20X.1123.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Zwischen dem Kläger und der beklagten Stadt wurde mit Dienstvertrag vom 13. 3. 2013 ein am 1. 4. 2013 beginnendes Vertragsbedienstetenverhältnis begründet. Dieses unterliegt der – nicht im Landesgesetzblatt oder einem anderen Verlautbarungsblatt, etwa jenem der Beklagten kundgemachten – Vertragsbedienstetenordnung (VBO Beilage ./2) der Beklagten als Vertragsschablone, die folgende Bestimmungen enthält:

§ 35 Abs 4 VBO:

„Eine entgegen den Vorschriften des § 40 ausgesprochene Entlassung gilt als Kündigung, wenn der angeführte Auflösungsgrund zwar keinen Entlassungs-, wohl aber einen Kündigungsgrund im Sinne des § 37 darstellt; liegt auch kein Kündigungsgrund vor, so ist die ausgesprochene Entlassung rechtsunwirksam.“

§ 37 Abs 2 lit f VBO:

„Ein Grund, der den Dienstgeber nach Ablauf der im Abs 1 genannten Frist zur Kündigung berechtigt, liegt insbesondere vor, […] wenn es sich erweist, dass das gegenwärtige oder frühere Verhalten des Vertragsbediensteten dem Ansehen oder den Interessen des Dienstes abträglich ist, sofern nicht eine Entlassung infrage kommt.“

§ 40 Abs 2 lit b VBO:

„Ein wichtiger Grund, der den Dienstgeber zur vorzeitigen Auflösung des Dienstverhältnisses (Entlassung) berechtigt, liegt insbesondere vor, […] wenn der Vertragsbedienstete sich einer besonders schweren Verletzung der Dienstpflichten oder einer Handlung oder einer Unterlassung schuldig macht, die ihn des Vertrauens des Dienstgebers unwürdig erscheinen lässt, insbesondere wenn er sich Tätlichkeiten oder erhebliche Ehrverletzungen gegen Vorgesetzte oder Mitbedienstete zuschulden kommen lässt oder wenn er sich in seiner dienstlichen Tätigkeit oder im Zusammenhang damit von dritten Personen Vorteile zuwenden lässt.“

Der Kläger wurde von der Beklagten mit Schreiben vom 15. 12. 2017 entlassen.

Im vor dem Erstgericht zu AZ 14 Cga 89/17z geführten Vorprozess klagte der Kläger die Beklagte auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der vorzeitigen Auflösung des Dienstverhältnisses gemäß § 40 VBO sowie dessen ununterbrochenen aufrechten Bestehens. Das klagsabweisende Ersturteil wurde vom Berufungsgericht mit Urteil vom 28. 11. 2018, AZ 11 Ra 61/18x, dahin abgeändert, dass festgestellt wurde, „dass das Dienstverhältnis der klagenden Partei zur beklagten Partei über den 15. 12. 2017 hinaus aufrecht ist“. Wesentliche Begründung des Berufungsgerichts war, dass der Kläger die von der Beklagten geltend gemachten Entlassungstatbestände des § 40 Abs 2 lit b VBO nicht verwirklicht habe und alternativ heranzuziehende Kündigungstatbestände von der Beklagten nicht behauptet worden seien.

Mit Schreiben vom 20. 12. 2018 teilte die Beklagte unter Bezugnahme auf das Urteil vom 28. 11. 2018 dem Kläger vorbehaltlich des Ausgangs des Revisionsverfahrens „aus Gründen der (prozessualen) Vorsicht“ mit, die am 15. 12. 2017 ausgesprochene Entlassung gemäß § 35 Abs 4 VBO als Kündigung anzusehen und dass sein Dienstverhältnis daher als gekündigt gelte, sodass es gemäß § 38 Abs 1 VBO unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist von drei Monaten mit Ablauf des 31. 3. 2018 beendet worden sei.

Die von der Beklagten gegen das Berufungsurteil vom 28. 11. 2018 erhobene außerordentliche Revision wurde vom Obersten Gerichtshof mit Beschluss vom 26. 2. 2019, 8 ObA 2/19f, zurückgewiesen.

Im nunmehrigen Prozess begehrte der Kläger mit seiner bei Gericht am 21. 1. 2019 eingebrachten und in den Tagsatzungen vom 25. 4. 2019 und 16. 1. 2020 geänderten Klage, die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses zur Beklagten mit Schreiben der Beklagten vom 20. 12. 2018 „bzw entsprechend der Erklärung laut diesem Schreiben, die Entlassung vom 15. 12. 2017 bzw das diesbezügliche Schreiben sei als Kündigung des Arbeitsverhältnisses aufzufassen“, für rechtsunwirksam zu erklären. Hilfsweise begehrte er festzustellen, dass entgegen der mit Schreiben vom 20. 12. 2018 durch die Beklagte ihm gegenüber ausgesprochenen Kündigung seines Dienstverhältnisses „bzw der in diesem Schreiben enthaltenen Erklärung, die Entlassung vom 15. 12. 2017 sei als Kündigung des Dienstverhältnisses zu werten,“ das Dienstverhältnis jedenfalls auch über den 31. 3. 2018 hinaus aufrecht sei. Hierzu wiederum in eventu wurde begehrt festzustellen, dass das Dienstverhältnis über den 31. 3. 2018 hinaus weiterhin aufrecht sei. Sein Dienstverhältnis sei nach wie vor aufrecht; weil die Beklagte dies bestreite habe er ein Feststellungsinteresse iSd § 228 ZPO.

Die Beklagte beantragte in Hinsicht auf die hilfsweise erhobenen Feststellungsbegehren die Abweisung der Klage mit der wesentlichen Begründung, das dem Kläger bereits im Vorprozess zur Last gelegte Verhalten erfülle jedenfalls den Kündigungstatbestand ua nach § 37 Abs 2 lit f VBO, weshalb – wie auch von der Beklagten mit Schreiben vom 20. 12. 2018 festgehalten – die in § 35 Abs 4 VBO vorgesehene Konversion der am 15. 12. 2017 ausgesprochenen Entlassung in eine Kündigung greife.

Das Erstgericht wies die Klage zur Gänze ab. Es stellte – zusätzlich zum unstrittigen, aus den Akten ersichtlichen Gang des Vorprozesses – den dem Kläger als Entlassungsgrund vorgeworfenen Sachverhalt fest. Rechtlich vertrat es die Ansicht, dass im jetzigen Prozess zu klären sei, ob das Dienstverhältnis des Klägers zur Beklagten durch eine Umdeutung der Entlassung in eine Kündigung zum 31. 3. 2018 zu diesem Termin beendet worden sei. Dies sei im Vorprozess noch kein Thema gewesen, sodass diesbezüglich keine entschiedene Rechtssache vorliege. Die Abweisung der hilfsweise erhobenen Feststellungsbegehren begründete das Erstgericht damit, dass der Kläger durch den festgestellten, ihm zur Last gelegten Sachverhalt den Kündigungstatbestand nach § 37 Abs 2 lit f VBO verwirklicht habe. Das Entlassungsschreiben sei nach § 35 Abs 4 VBO in eine Kündigung zum 31. 3. 2018 umzudeuten, sodass das Dienstverhältnis mit Ablauf dieses Tages geendet habe.

Das Berufungsgericht bestätigte – in Rechtskraft erwachsen – die Abweisung des Hauptbegehrens und änderte das Ersturteil hinsichtlich des ersten Eventualbegehrens im klagsstattgebenden Sinne ab. Die Beklagte hätte sich bereits im Vorprozess auf alternativ heranzuziehende Kündigungstatbestände zur Darlegung einer Konversion (Umdeutung) der Entlassung vom 15. 12. 2017 in eine Kündigung zum 31. 3. 2018 im Sinn des § 35 Abs 4 VBO berufen und ein Vorbringen dazu erstatten müssen. Nur so hätte zeitnah geklärt werden können, ob das Dienstverhältnis zwischen den Streitteilen weiterhin aufrecht ist. Da dies nicht fristgerecht erfolgt sei, sei im Vorprozess infolge Verneinung des Vorliegens des von der Beklagten behaupteten Entlassungstatbestands (Vertrauensunwürdigkeit) der Klage auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses über den 15. 12. 2017 hinaus stattgegeben worden. Damit sei über die Wirksamkeit der Beendigungserklärung vom 15. 12. 2017 zur Gänze abgesprochen worden. Die von der Beklagten mit ihrem Schreiben vom 20. 12. 2018 erfolgte „Klarstellung“ sei als untauglicher Versuch der Beklagten zu werten, ihr Versäumnis im Vorprozess nachzuholen. Dem Kläger sei ein rechtliches Interesse daran zuzubilligen, dass gegenüber der Beklagten die Unwirksamkeit des mit ihrem Schreiben vom 20. 12. 2018 angestrebten Sanierungsversuchs, mit dem eine Vertragsbeendigung zum 31. 3. 2018 angestrebt werde, festgestellt werde. Genau dies sei vom ersten Eventualbegehren umfasst, weshalb dieses berechtigt sei.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, die zu beurteilende Konstellation einer geltend gemachten Konversion sei noch nicht Gegenstand einer höchstgerichtlichen Entscheidung gewesen.

In der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Revision begründet die Beklagte die Zulässigkeit der Revision ergänzend damit, die Frage einer Konversion im Sinn des § 30 Abs 3 VBG oder gleichlautender landesgesetzlicher Bestimmungen in den jeweiligen Vertragsbedienstetengesetzen sei bisher nur dann Gegenstand höchstgerichtlicher Rechtsprechung gewesen, wenn bereits im Entlassungsverfahren die Konversion in eine Kündigung zu behandeln gewesen sei. Ebenfalls noch nicht Gegenstand höchstgerichtlicher Rechtsprechung sei die Frage gewesen, in wie weit die Konversion im Entlassungsverfahren von Amts wegen zu berücksichtigen oder vom Dienstgeber einzuwenden sei, sodass auch aus diesem Grund die ordentliche Revision berechtigt sei.

Der Kläger erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Der Oberste Gerichtshof führte in seinem im Vorprozess ergangenen Beschluss vom 26. 2. 2019, 8 ObA 2/19f, unter anderem Folgendes aus:

„Im Übrigen wäre es an der Beklagten gelegen gewesen, nicht nur – was sie tat – die Existenz der Entlassungsvorschrift des § 40 ihrer VBO, sondern auch jene der Kündigungsvorschrift des § 37 ihrer VBO zu behaupten und zu beweisen. Der Grundsatz, dass das in einem anderen Staatsgebiet geltende Recht und Sonderrecht ('Gewohnheitsrechte, Privilegien und Statuten') des Beweises insofern bedürfen, als sie dem Gericht unbekannt sind (§ 271 Abs 1 ZPO), gilt auch für inländisches Sonderrecht, wie Gewohnheitsrechte, Privilegien und Statuten, weil diese meistens nicht allgemein zugänglich und nicht in amtlichen Publikationsorganen veröffentlicht sind ( Fasching , Zivilprozessrecht 2 Rz 836; Rechberger in Fasching/Konecny , Zivilprozessgesetze 3 § 271 ZPO Rz 12; ders in Rechberger , ZPO 4 § 271 Rz 6). Dies gilt jedenfalls auch für Vertragsschablonen als 'lex contractus' (RIS‑Justiz RS0081830; RS0109458). Die VBO der Beklagten wurde offenbar auch nicht in deren Amtsblatt oder einem sonstigen Publikationsorgan kundgemacht, sondern nur den Verträgen zugrunde gelegt.“

Die Bindungswirkung des Urteils des Vorprozesses besteht nach ständiger Rechtsprechung, wenn das Klagebegehren im Folgeprozess auf dem selben Anspruch beruht, auch hinsichtlich von Einwendungen, die schon im Vorprozess hätten erhoben werden können und die dort für die Entscheidung wesentlich gewesen wären (RS0107338 [T5]). Durch die Rechtskraft eines Urteils ist der Beklagte mit allen vor Schluss der mündlichen Verhandlung entstandenen Einwendungen präkludiert (vgl RS0106966). Worüber im Vorprozess als Hauptfrage bzw Hauptgegenstand entschieden wurde, ist jeweils im Einzelfall konkret zu prüfen. Dabei kommt es auf den Gegenstand der spruchmäßigen Entscheidung an (vgl RS0127052 [T5]).

Der in Rechtskraft erwachsene Spruch des Berufungsurteils vom 28. 11. 2018 im Vorprozess lautet auf Feststellung, „dass das Dienstverhältnis der klagenden Partei zur beklagten Partei über den 15. 12. 2017 hinaus aufrecht ist“. Zu klären war im Vorprozess die Frage, ob das Entlassungsschreiben vom 15. 12. 2017 zu einer Beendigung des Dienstverhältnisses führte. Auch das Schreiben vom 20. 12. 2018 nimmt darauf Bezug. Der aufrechte Bestand des Dienstverhältnisses wurde auf Basis der von der Beklagten im Vorprozess einzig eingewendeten Entlassung bejaht (Schluss der mündlichen Streitverhandlung 29. 6. 2018). Hätte die Beklagte bereits im Vorprozess eingewendet, dass, sollte keine Entlassung vorliegen, das Entlassungsschreiben wegen § 35 Abs 4 iVm § 37 Abs 2 lit f ihrer VBO jedenfalls ein Kündigungsschreiben darstelle, hätte dies bereits im Vorprozess – unter der Annahme, dass der Kläger mit dem ihm vorgeworfenen Verhalten zwar keinen Entlassungsgrund, sehr wohl aber den Kündigungsgrund des § 37 Abs 2 lit f VBO setzte – dazu geführt, dass das Bestehen des Dienstverhältnisses lediglich bis 31. 3. 2018 (Zeitpunkt des Wirksamwerdens des in eine Kündigung umgedeuteten Entlassungsschreibens) festgestellt worden wäre. Damit wäre die Konversion ein tauglicher Grund zur – zumindest teilweisen – Abwehr des bereits im Vorprozess erhobenen Feststellungsbegehrens gewesen. Es ist damit jedenfalls vertretbar, wenn das Berufungsgericht annimmt, die Beklagte sei aufgrund des Streitgegenstands im Vorprozess von der Berufung auf eine Konversion nach § 35 Abs 4 ihrer VBO präkludiert.

Wenn die Beklagte meint, sie hätte die Konversion im Vorprozess nicht einwenden müssen, sei diese doch von Amts wegen wahrzunehmen gewesen, so setzt sie sich in Widerspruch zu dem auch sie bindenden Beschluss des Obersten Gerichtshofs im Vorprozess. Ihre VBO stellt gerade kein Gesetz dar, sondern steht nur als Vertragsschablone in Verwendung, was eine amtswegige Wahrnehmung ihrer Bestimmungen, sofern sich die Parteien auf diese nicht rechtzeitig berufen haben, ausschließt.

Der Hinweis der Beklagten darauf, dass sie im Vorprozess in erster und zweiter Instanz nicht qualifiziert vertreten war, verfängt nicht. Der Vorprozess ist rechtskräftig beendet.

Wenn die Revisionswerberin damit argumentiert, dass die gegenständliche Klage in unmittelbarem Zusammenhang zur Beendigung des Dienstverhältnisses mit 31. 3. 2018 hätte erhoben werden müssen, so übersieht sie, dass wesentlich für das hier vom Berufungsgericht bejahte Feststellungsinteresse gerade der Umstand ist, dass sie trotz des – damals noch laufenden – Vorprozesses mit ihrem Schreiben vom 20. 12. 2018 „klarstellte“, dass die am 15. 12. 2017 ausgesprochene Entlassung als Kündigung anzusehen sei.

Das Berufungsurteil erweist sich weder als korrekturbedürftig, noch ist eine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung ersichtlich. Die Revision ist mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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