European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130073
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss des Berufungsgerichts wird aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 926,36 EUR (darin 154,40 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist aufgrund eines Übergabevertrags vom 9. 5. 2016 Wohnungseigentümerin der aufgekündigten Wohnung. Der Übergeber, bei dem es sich um einen Onkel der Klägerin handelte, hatte sich das Fruchtgenussrecht an der Wohnung vorbehalten, das bis zu seinem Ableben am 17. 11. 2016 aufrecht blieb.
Die Beklagte ist seit 1. 12. 1998 aufgrund eines mit dem Onkel der Klägerin als damaligem Wohnungseigentümer geschlossenen Vertrags Mieterin der Wohnung.
Am 25. 10. 2019 brachte die Klägerin die gerichtliche Aufkündigung des Mietobjekts aus den Gründen des § 30 Abs 2 Z 8 MRG wegen Eigenbedarfs für ihren Sohn ein. Die Beklagte machte unter anderem den zeitlichen Ausschluß der Kündigungsbefugnis gemäß § 30 Abs 3 Satz 2 MRG geltend.
Das Erstgericht hob die gerichtliche Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren wegen Nichteinhaltung der Frist gemäß § 30 Abs 3 MRG ab.
Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Klägerin Folge, hob die Entscheidung auf und trug dem Erstgericht die ergänzende Verhandlung über die Einwendungen der Beklagten und neuerliche Entscheidung auf. Die Klägerin sei nicht schon durch den Übergabevertrag, sondern letztlich erst durch Erlöschen des Fruchtgenussrechts ihres Onkels in die Vermieterstellung gelangt. Dieser Fall sei mit einer Schenkung auf den Todesfall zu vergleichen. Bei einem Erwerb von Todes wegen könne sich der Erwerber die Besitzzeit seines Rechtsvorgängers zur Gänze anrechnen lassen. Außerdem gelte die Sperrfrist nach der Rechtsprechung nicht mehr, wenn bereits der Rechtsvorgänger des Kündigenden die Wartefrist gemäß § 30 Abs 3 MRG erfüllt gehabt hätte. Dies sei nach der Ansicht des Berufungsgerichts auch dann der Fall, wenn er den konkret behaupteten Eigenbedarf selbst nicht geltend machen hätte können.
Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil das Berufungsgericht einerseits bei der Anrechnung der Wartefrist des Voreigentümers von höchstgerichtlicher Rechtsprechung abgewichen sei und es andererseits eine erhebliche Rechtsfrage bilde, ob der Eintritt des Eigentümers in die Vermieterstellung des verstorbenen Fruchtnießers wie ein Erwerb von Todes wegen zu behandeln sei.
Der dagegen erhobene, von der Klägerin beantwortete Rekurs der Beklagten ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig und auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Gemäß § 30 Abs 3 Satz 2 MRG kann der Vermieter, der das Miethaus (hier: die Eigentumswohnung) durch Rechtsgeschäft unter Lebenden erworben hat, aus dem Grund des Abs 2 Z 8 leg cit nur kündigen, wenn zwischen dem Zeitpunkt der Erwerbung und dem Kündigungstermin mindestens 10 Jahre liegen.
Zweck dieser Beschränkung ist es, zu verhindern, dass ein durch Mietverträge belastetes Objekt eben wegen dieser Belastung günstig erworben und dann der bisherige Mieter durch Kündigung wegen eines Eigenbedarfs, den der Voreigentümer selbst nicht hätte geltend machen können, „entfernt“ wird (RIS‑Justiz RS0118679; 1 Ob 293/03z; 2 Ob 156/15b).
2. Die Sperrfrist nach § 30 Abs 3 Satz 2 MRG ist nach ständiger Rechtsprechung in teleologischer Reduktion des Gesetzeswortlauts nicht anzuwenden, wenn bereits der Rechtsvorgänger des Kündigenden den angemeldeten Eigenbedarf hätte geltend machen können (RIS‑Justiz RS0118679; 1 Ob 293/03z immolex 2005/45 [Iby] = wobl 2005/40 [Prader] = MietSlg 56.380). In einem solchen Fall spielt der Vermieterwechsel für die Kündigungsmöglichkeit keine Rolle und scheidet die Annahme eines Spekulationskaufs aus (vgl 2 Ob 202/99s; RS0112376).
Aus diesem Grund genügt es, wie das Berufungsgericht ohnedies erkannt hat, nach der ständigen Rechtsprechung gerade nicht, dass der Rechtsvorgänger der klagenden Partei selbst mehr als zehn Jahre Eigentümer des Mietobjekts gewesen war, weil dieser Umstand für den mit der Bestimmung verfolgten Regelungszweck unerheblich ist (2 Ob 156/15b). Es ist erforderlich, dass er auch den konkret in der Kündigung behaupteten Eigenbedarf selbst geltend machen könnte, wenn er das Mietobjekt nicht veräußert hätte.
3. Der Oberste Gerichtshof sieht keinen Anlass, von dieser ständigen Rechtsprechung abzuweichen. Mit der vom Berufungsgericht vertretenen Rechtsansicht wäre die Sperrfrist des § 30 Abs 3 Satz 2 MRG nach Ablauf einer einmaligen Behaltefrist von zehn Jahren überhaupt nicht mehr anwendbar und dem Spekulationsschutz der Boden entzogen.
Der Onkel der Klägerin stand zu seinem Großneffen, dessen Wohnbedarf als Kündigungsgrund geltend gemacht wird, nicht in einem gemäß § 30 Abs 2 Z 8 MRG erforderlichen Verwandtschaftsverhältnis in absteigender Linie. Die Klägerin kann ihr Begehren daher nicht mit Erfolg auf ein schon bei ihrem Rechtsvorgänger vorhandenes Kündigungsrecht stützen.
4. Davon ausgehend bedarf auch die vom Berufungsgericht für sein Ergebnis ins Treffen geführte Alternativbegründung einer Überprüfung.
Nach der zutreffend wiedergegebenen ständigen Rechtsprechung ist der Vermieter im Fall seines Erwerbs von Todes wegen berechtigt, sich die reine Besitzzeit seines Vormannes auf die Sperrfrist nach § 30 Abs 3 Satz 2 MRG anrechnen zu lassen (RS0070789 = 6 Ob 542/91). Diese Interpretation trägt im Fall des Erben der Universalsukzession Rechnung, andererseits dem Umstand, dass ein Erwerb von Todes wegen als schicksalhaft veranlasstes Ereignis per se auch nicht unter der gesetzlichen Spekulationsvermutung steht.
5. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Klägerin nicht durch den Erwerb des Wohnungseigentums, sondern erst durch das Ableben des Fruchtgenussberechtigten in die Vermieterstellung eingetreten wäre. Diese Rechtsansicht findet im unstrittigen Sachverhalt jedoch keine Grundlage. Der aufgekündigte Mietvertrag wurde im Jahre 1998 zwischen der Beklagten und dem Onkel der Klägerin in dessen seinerzeitiger Eigenschaft als Eigentümer geschlossen. Als rechtsgeschäftliche Erwerberin der betroffenen Wohnung ist die Klägerin gemäß § 2 Abs 1 MRG bereits durch den Eigentumsübergang in den mit dem Voreigentümer geschlossenen Hauptmietvertrag eingetreten (RS0021133).
Die Einräumung des Fruchtgenussrechts an den Übergeber konnte keine Wirkung zu Lasten Dritter entfalten und die Rechtsstellung der Beklagten als Hauptmieterin, die ihre Rechte unmittelbar vom Wohnungseigentümer ableiten kann, insoweit nicht beeinträchtigen.
Soweit das Berufungsgericht demgegenüber von einem unveränderten Weiterbestand des Mietverhältnisses zum bloßen Fruchtnießer ausgeht, steht dem nicht nur der Gesetzeswortlaut und der unstrittige Wortlaut des Übergabsvertrags entgegen, sondern auch der Umstand, dass der Fruchtnießer eines einzelnen Wohnungseigentümers nach der herrschenden Rechtsprechung kein Haupt-, sondern nur ein Untermietverhältnis begründen kann (5 Ob 221/18p = immolex 2019/33 [krit: Böhm/Prader]).
6. Maßgeblich für den Eintritt der Klägerin in die Vermieterstellung bleibt im vorliegenden Verfahren daher ihr Eigentumserwerb aufgrund des unter Lebenden geschlossenen Übergabsvertrags vom 9. 5. 2016. Da die Sperrfrist gemäß § 30 Abs 3 Satz 2 MRG seit diesem Erwerb noch nicht abgelaufen ist, war dem Rekurs der Beklagten Folge zu geben und in der Sache die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO.
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