OGH 2Ob156/15b

OGH2Ob156/15b9.9.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei 1. Dr. Y***** D*****, 2. N***** D*****, beide *****, beide vertreten durch Mag. Markus Adam, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei P***** V*****, vertreten durch Mag. Barbara Seebacher, Rechtsanwältin in Wien, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 27. Mai 2015, GZ 39 R 155/15f‑11, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0020OB00156.15B.0909.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die zehnjährige Sperrfrist in § 30 Abs 3 Satz 2 MRG soll verhindern, dass ein durch Mietverträge belastetes Objekt eben wegen dieser Belastung günstig erworben und dann der bisherige Mieter durch eine Kündigung wegen Eigenbedarfs, den der Voreigentümer nicht hätte geltend machen können, „entfernt“ wird. Aufgrund dieses Regelungszwecks ist die Bestimmung teleologisch dahin zu reduzieren, dass die Sperrfrist dann nicht gilt, wenn schon der Rechtsvorgänger des Kündigenden wegen Eigenbedarfs hätte kündigen können (1 Ob 293/03z, SZ 2004/21; RIS‑Justiz RS0118679). Im vorliegenden Fall bestand eine solche Kündigungsmöglichkeit des Rechtsvorgängers allerdings nicht. Daher ist nicht erkennbar, aus welchen Gründen (auch) hier eine teleologische Reduktion der Zehnjahresfrist erfolgen sollte. Dass der Rechtsvorgänger der Kläger selbst mehr als zehn Jahre Eigentümer der vermieteten Wohnung gewesen war, reicht dafür nicht aus, weil dieser Umstand für den mit der Bestimmung verfolgten Regelungszweck unerheblich ist.

2. Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit der Zehnjahresfrist bestehen nicht.

2.1. Der Gleichheitsgrundsatz setzt zwar dem Gesetzgeber insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (VfSlg 14.039/1995, 16.407/2001, zuletzt etwa G 107/2013). Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber aber nicht verwehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (VfSlg 16.176/2001, 16.504/2002). Ob eine Regelung zweckmäßig ist und das Ergebnis in allen Fällen als befriedigend empfunden wird, kann nicht mit dem Maß des Gleichheitssatzes gemessen werden (VfSlg 14.301/1995, 15.980/2000 und 16.814/2003; zuletzt etwa G 107/2013).

Im konkreten Fall verfolgt der Gesetzgeber mit der Zehnjahresfrist ein nachvollziehbares Ziel (oben 1.). Die Frist ist sachlich begründbar, weil sie den Erwerb in Spekulationsabsicht verhindert. Der Erwerber ist dadurch nicht unverhältnismäßig benachteiligt, weil sich das aufrechte Mietverhältnis regelmäßig auf den von ihm zu zahlenden Preis auswirken wird. Der Gleichheitssatz ist daher nicht verletzt.

2.2. Die Zehnjahresfrist greift zwar ‑ als Teil einer Nutzungsregelung iSv Art 1 Abs 2 1. ZPMRK ( Grabenwarter / Pabel , EMRK 5 [2012] § 25 Rz 12; Öhlinger / Eberhardt , Verfassungsrecht 10 [2014] Rz 872) ‑ in das auch durch Art 5 StGG und Art 1 1. ZPMRK gewährleistete Eigentumsrecht des Erwerbers ein. Wie jede Eigentumsbeschränkung muss sie daher im öffentlichen Interesse liegen und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen ( Grabenwarter / Pabel , EMRK 5 § 25 Rz 21; Mayer / Kucsko‑Stadlmayer / Stöger , Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts 11 [2015] Rz 1486; VfGH G 107/2013 mwN) .

Diese Erfordernisse sind im vorliegenden Fall erfüllt: Die Frist liegt im öffentlichen Interesse, weil sie dem Erwerb von Mietgegenständen in Spekulationsabsicht entgegenwirkt und damit dem Mieterschutz dient. Sie ist nicht unverhältnismäßig, weil der Erwerber die Unmöglichkeit der Eigenbedarfskündigung kennt und bei seiner Kaufentscheidung berücksichtigen kann. Die durch die Frist eingeschränkte Nutzungsmöglichkeit wird sich daher auf den Preis auswirken. Die Regelung fügt sich damit in das System des mietrechtlichen Kündigungsschutzes, der als solcher nicht gegen das Grundrecht auf Eigentum verstößt (VfSlg 3980/1961; 5 Ob 542/77, EvBl 1977/255). Auch der EGMR betont in diesem Zusammenhang einen weiten Beurteilungsspielraum des staatlichen Gesetzgebers und tritt einem gesetzlichen Ausschluss von Eigenbedarfskündigungen nicht entgegen, wenn er bei Abschluss des Mietvertrags bekannt war (n° 41696/07, Ferreira v. Portugal , Rz 32, 34). Der Erwerb einer Liegenschaft in Kenntnis eines Mietvertrags ist in diesem Zusammenhang dem Abschluss eines Mietvertrags gleichzuhalten.

3. Aus diesen Gründen zeigt die Revision keine erhebliche Rechtsfrage auf. Sie ist daher zurückzuweisen

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