OGH 1Ob293/03z

OGH1Ob293/03z10.2.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef M*****, vertreten durch Dr. Christoph Haidlen, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Hifzi A*****, vertreten durch Mag. Sebastian Ruckensteiner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Aufkündigung (Streitwert 3.052 EUR) sA infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 22. Juli 2003, GZ 1 R 329/03v-10, womit das Urteil des Bezirksgerichts Silz vom 24. April 2003, GZ 2 C 281/02y-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 333,12 EUR (darin 55,52 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu zahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte ist Mieter des "materiellen Anteils I" (umfasst das gesamte Erdgeschoss eines Einfamilienhauses) einer Liegenschaft. Grundbücherlicher Eigentümer dieses materiellen Anteils ist der Vater des Klägers, der allerdings unter anderem diesen Anteil dem Kläger mit Übergabsvertrag vom 3. 12. 2002 schenkte. Der Kläger ist Eigentümer einer 78 m2 großen Dreizimmerwohnung, in welcher sein 20-jähriger Sohn ein Kinderzimmer bewohnt. Dieser Sohn beabsichtigt, in den vom Beklagten gemieteten "materiellen Anteil I" einzuziehen, um dort gemeinsam mit seiner Freundin einen eigenen Hausstand zu gründen.

Der Kläger kündigte dem Beklagten dessen gemieteten "materiellen Anteil I" am 3. 12. 2002 auf und begehrte die Übergabe des Bestandgegenstands. Als Kündigungsgrund machte er Eigenbedarf gemäß § 30 Abs 2 Z 8 MRG geltend: Sein Sohn benötige das Mietobjekt, um einen eigenen Hausstand zu gründen.

Der Beklagte wendete ein, dass der Vater des Klägers Eigentümer des aufgekündigten Objekts und Vertragspartner des Beklagten sei. Da der Vermieter gemeinsam mit seiner Ehegattin in einem Haus wohne, sei Eigenbedarf nicht gegeben. Die Aufkündigung sei gemäß § 30 Abs 3 zweiter Satz MRG unzulässig. Der Sohn des Klägers hätte die Möglichkeit, anderweitig Wohnung zu nehmen.

Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung für rechtswirksam und den Beklagten schuldig, das Mietobjekt zu räumen. Der Kläger sei aufgrund des Übergabsvertrags vom 3. 12. 2002 auf Vermieterseite in den Bestandvertrag eingetreten. Ein "materieller Anteil" sei einem Einfamilienhaus bzw einer Eigentumswohnung gleichzustellen. Die 10-jährige Sperrfrist des § 30 Abs 3 MRG komme nicht zum Tragen; einerseits wolle diese Bestimmung einen hier nicht vorliegenden Spekulationskauf verhindern und andererseits hätte auch der Vater des Klägers wegen Eigenbedarfs - zugunsten seines Enkels - kündigen können. Der dringende Eigenbedarf des Sohnes des Klägers sei jedenfalls gegeben.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es stellte - als "unstrittig" - fest, dass der Übergang von Besitz, Genuss und Risiko am "materiellen Anteil I" bereits am 1. 10. 2002 stattgefunden habe; ab diesem Zeitpunkt habe der Kläger sämtliche Steuern, Gebühren und Abgaben im Zusammenhang mit der Liegenschaft tragen müssen.

In rechtlicher Hinsicht führte es aus, dass der Kläger zur Kündigung legitimiert sei, zumal er bereits den physischen Besitz und die Verwaltung der Liegenschaft erhalten habe und in den von seinem Vater geschlossenen Bestandvertrag eingetreten sei. Am Haus, in dem sich die vom Beklagten gemietete Wohnung befinde, sei "materielles Eigentum" begründet; auf im Stockwerkseigentum stehende Wohnungen seien die Regelungen über Eigentumswohnungen anzuwenden, weshalb im Falle einer Kündigung wegen dringenden Eigenbedarfs keine Interessenabwägung stattfinde. Sowohl der Kläger wie auch dessen Vater seien unbestrittenermaßen berechtigt bzw berechtigt gewesen, Eigenbedarf an der Wohnung für den Sohn bzw Enkel geltend zu machen. Der Sohn des Klägers wolle einen eigenen Hausstand gründen, verfüge über keine andere Wohnmöglichkeit als im aufgekündigten Objekt, und daher das dringende Wohnbedürfnis im Sinne des § 30 Abs 2 Z 8 MRG zu bejahen. Für das Bestandobjekt gelte die Beschränkung des § 30 Abs 3 Satz 2 MRG. Nach dem Willen des Gesetzgebers entfalte diese Bestimmung den Schutz des Mieters vor Spekulationskäufen. Es solle verhindert werden, dass ein Mieter wegen Eigenbedarfs, den der Voreigentümer nicht hätte geltend machen können, gekündigt werden könnte. Im vorliegenden Fall hätte der Vater des Klägers - ebenso wie dieser - Eigenbedarf nach § 30 Abs 2 Z 8 MRG geltend machen können, sodass der Mieter durch den Wechsel in der Person des Bestandgebers nicht schlechter gestellt und damit nicht schutzwürdig sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Beklagten ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Vorweg ist klarzustellen, dass der Beklagte die Legitimation des Klägers zur Aufkündigung im Revisionsverfahren nicht mehr in Zweifel zieht. Sein im Verfahren erster und auch zweiter Instanz erhobener Einwand, lediglich der grundbücherliche Eigentümer sei zur Aufkündigung berechtigt, bedarf daher keiner weiteren Prüfung. Dies gilt auch für die vom Berufungsgericht ergänzend getroffene, vom Revisionswerber nicht bekämpfte Feststellung, Besitz, Genuss und Risiko am "materiellen Anteil I" seien bereits am 1. 10. 2002 übergegangen.

Wie dem Beklagten zugestanden werden muss, ist es keinesfalls unstrittig, dass auch der Vater des Klägers - als grundbücherlicher Eigentümer der Liegenschaft - berechtigt gewesen wäre, Eigenbedarf an der Wohnung für sein Enkelkind geltend zu machen. Die Annahme der Unstrittigkeit dieser Frage ist zwar aktenwidrig, hat aber keinerlei Auswirkungen auf den Verfahrensausgang, zumal die Prüfung der aufgezeigten Rechtsfrage - wie noch zu zeigen sein wird - ergibt, dass der Vater des Klägers vor Abschluss des Übergabsvertrags tatsächlich berechtigt gewesen wäre, diesen Eigenbedarf zu relevieren.

Gemäß § 30 Abs 3 Satz 2 MRG kann der Vermieter, der das Miethaus (hier: "materieller Anteil I") durch Rechtsgeschäft unter Lebenden erworben hat, aus dem Grund des Abs 2 Z 8 (Eigenbedarf) nur kündigen, wenn zwischen dem Zeitpunkt der Erwerbung und dem Kündigungstermin mindestens 10 Jahre liegen. Dass diese Kündigungsbeschränkung auf Eigentumswohnungen und auch auf Stockwerkseigentum an Wohnungen anzuwenden ist, ist unstrittig und entspricht ständiger Rechtsprechung; die nach § 30 Abs 2 Z 8 MRG grundsätzlich erforderliche Interessenabwägung entfällt (WoBl 2003, 138; WoBl 2003, 333).

Die Bestimmung des § 30 Abs 3 Satz 2 MRG soll verhindern, dass ein durch Mietverträge belastetes Objekt eben wegen dieser Belastung günstig erworben und dann der bisherige Mieter durch Kündigung wegen Eigenbedarfs, den der Voreigentümer nicht hätte geltend machen können, "entfernt" wird (WoBl 2003, 138; EvBl 2000/13, jeweils mit (insoweit) zustimmender Glosse von Prader in WoBl 2003, 140 bzw WoBl 2000, 48; Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht, Rz 68 zu § 30 MRG; Dirnbacher, MRG 2000 "neu", 312). Dass die zitierte Gesetzesbestimmung der Verhinderung von Spekulationskäufen dient, ergibt sich schon aus den Materialien zum Mietrechtsänderungsgesetz (500 BlgNR 11. GP 19; siehe WoBl 2003, 138). Nun ist in Ansehung des Klägers, der die Liegenschaft durch Rechtsgeschäft unter Lebenden erworben hat, die 10-jährige Sperrfrist keinesfalls abgelaufen. Dass bei Aufkündigung durch seinen Vater die Sperrfrist gewahrt wäre, bezweifelt der Beklagte nicht. Zu prüfen ist daher, ob die Zeit des Rechtsvorgängers des Klägers im Eigentum an der Liegenschaft - ebenso wie bei Universalsukzession zugunsten des Klägers - zu berücksichtigen ist. Dies ist, stellt man den Zweck des Gesetzes, die Verhinderung der Verletzung des Schutzes der Mieter vor Spekulationskäufen in Rechnung, zu bejahen (WoBl 2003, 138; Hausmann/Vonkilch aaO). § 30 Abs 3 Satz 2 MRG ist aus diesen Erwägungen entgegen seinem keine Einschränkung enthaltenden Wortlaut nach dem erkennbaren Sinn und Zweck dahin teleologisch zu reduzieren, dass die 10-jährige Sperrfrist dann nicht gilt, wenn der Rechtsvorgänger des Kündigenden bereits die Kündigung wegen Eigenbedarfs hätte geltend machen können.

Der Beklagte bestreitet im Revisionsverfahren nicht, dass der Sohn des Klägers - auch in Hinsicht auf seinen Großvater Verwandter in absteigender Linie - das Mietobjekt dringend benötigt und insoweit Eigenbedarf im Sinne des § 30 Abs 2 Z 8 MRG gegeben ist. Er führt lediglich ins Treffen, es hätte nicht "ohne Weiteres" angenommen werden dürfen, dass der Vater des Klägers Eigenbedarf hätte geltend machen können. Dabei übersieht er, dass eine Interessenabwägung - wie er selbst richtig erkannte (siehe S 1 des Protokolls vom 25. 2. 2003) - im vorliegenden Fall entfällt und daher nur zu prüfen ist, ob der Vater des Klägers die gemieteten Wohnräume für sein Enkelkind dringend benötigt hätte. Davon ist aber auszugehen, weil der Sohn des Klägers über keine andere ausreichende Wohnmöglichkeit verfügt und auch der Einwand, der Vater des Klägers hätte seinem Enkelkind allenfalls ein anderes Wohnobjekt zur Verfügung stellen können, nicht zielführend ist. Nach wie vor gilt nämlich im bürgerlichen Recht der im § 354 ABGB verankerte Grundsatz der freien Verfügbarkeit über das Eigentum, der nur dort eine Einschränkung erfährt, wo im Gesetz - etwa durch Kündigungsbeschränkungen des MRG - eine Ausnahme angeordnet wird. Ein Vermieter kann - außer bei gebotener Interessenabwägung - nicht darauf verwiesen werden, er könne und müsse daher auch ein ganz bestimmtes anderes, in seinem Eigentum befindliches Wohnobjekt zur Befriedigung des dringenden Wohnbedarfs eines Deszendenten zur Verfügung stellen (vgl MietSlg 50.440; 50.444/17). Die Prüfung der vom Beklagten relevierten Frage, ob der Vater des Klägers nicht auch ein anderes Mietobjekt hätte zur Verfügung stellen können, kann daher unterbleiben.

Der Revision ist ein Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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