OGH 2Ob92/20y

OGH2Ob92/20y17.9.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M* S*, vertreten durch Dr. Heimo Jilek und Dr. Martin Sommer, Rechtsanwälte in Leoben, gegen die beklagten Parteien 1. DI J* P*, und 2. S* T*, beide vertreten durch MMag. Johannes Pfeifer, Rechtsanwalt in Liezen, wegen Feststellung (Streitwert: 12.891,93 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Berufungsgericht vom 20. Februar 2020, GZ 1 R 93/18w‑26, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Liezen vom 8. März 2018, GZ 18 C 76/16g-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E129726

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und dem Berufungsgericht wird eine neuerliche Entscheidung über die Berufung der beklagten Parteien aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die am * 1967 verstorbene B* P* (Erblasserin) hinterließ ihren Sohn J* P* und ihre Tochter, die Klägerin. Die Beklagten sind die Adoptivkinder und Rechtsnachfolger des Sohnes.

[2] Am 4. 4. 1967 verfasste die Erblasserin ein Testament mit (auszugsweise) folgendem Inhalt:

„[...] 

2. Zu meinem Erben setze ich meinen Sohn Herrn J* P*, Bäckermeister und Konditor in * ein.

3. Für den Fall, dass mein Erbe ohne Hinterlassung leiblicher ehelicher Nachkommen versterben sollte, bestimme ich meine Tochter Frau M* S*, Hausfrau in *, als Nacherbin [ein], wobei ich ausdrücklich bestimme, dass diese Nacherbschaft für den Fall ihres Vortodes auf ihre Erben übergeht.“

[3] Im Verlassenschaftsverfahren nach der Erblasserin schlossen die Klägerin und ihr Bruder ein Erbübereinkommen, in dem vereinbart wurde, dass sich die Nacherbschaft insgesamt auf die nunmehr klagsgegenständlichen Liegenschaften bzw Liegenschaftsanteile erstreckt.

[4] Mit Einantwortungsurkunde vom 19. 5. 1970 wurde dem Sohn aufgrund des Testaments vom 4. 4. 1967 der gesamte Nachlass mit der Rechtswohltat des Inventars, jedoch mit der Beschränkung der von der Erblasserin in diesem Testament zugunsten der Klägerin angeordneten Nacherbschaft unter Hinweis auf das abgeschlossene Erbübereinkommen eingeantwortet.

[5] Der Sohn adoptierte gemeinsam mit seiner Ehefrau in den Jahren 1973 und 1975 die Beklagten jeweils kurz nach deren Geburt. Er verstarb am * 2015 ohne Hinterlassung leiblicher Nachkommen.

[6] Die Klägerin begehrte die Feststellung, dass ob der Liegenschaft EZ * KG * sowie ob einem 3/4‑Anteil an der Liegenschaft EZ * KG *, die Nacherbschaft zugunsten der Klägerin eingetreten sei. Da der Vorerbe keine leiblichen ehelichen Kinder hinterlassen habe, sei der Nacherbfall zu ihren Gunsten eingetreten, was von den Beklagten bestritten werde.

[7] Die Beklagten wendeten ein, die Möglichkeit einer Adoption sei anlässlich der Errichtung des Testaments von der Erblasserin in keiner Weise in Betracht gezogen worden, ansonsten hätte sie eine entsprechende Klausel in ihr Testament aufgenommen. Aus den Umständen der Testamentserrichtung ergebe sich zweifelsfrei, dass nach dem hypothetischen Willen der Erblasserin die gegenständlichen Grundstücke nach dem Ableben ihres Sohnes auf die beiden Beklagten übergehen sollten, zumal diese mit dem von den Beklagten weiter betriebenen, bisher im Familienbesitz befindlichen Kaffeehaus eine wirtschaftliche Einheit bildeten. Die Erblasserin sei auch einem Motivirrtum unterlegen, weil sie in Kenntnis der zukünftigen Entwicklungen dem Übergang der klagsgegenständlichen Grundstücke auf die Beklagten zugestimmt hätte, anstelle diese Grundstücke an ihre Tochter zu vererben. Eine Differenzierung zwischen adoptierten und leiblichen Kindern sei diskriminierend und verletze den Gleichheitsgrundsatz und die Art 8 und 14 EMRK. Die Klägerin habe sämtliche gegenständlichen Grundstücke bereits vor Klagseinbringung an ihre Söhne übergeben und sei daher nicht klagslegitimiert.

[8] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf noch folgende (großteils bekämpfte) Feststellungen:

[9] Als die Erblasserin vor einem Notar in Leoben dieses Testament errichtete, war es ihr damaliger ausdrücklicher Wille, dass die Nacherbschaft für den Fall des Todes ihres Sohnes ohne Hinterlassung leiblicher ehelicher Nachkommen zur Anwendung kommt. Aufgrund einer Erkrankung ihres Sohnes in jungen Jahren war die Erblasserin nicht sicher, ob dieser tatsächlich zeugungsfähig war. Die Erblasserin fürchtete überdies aufgrund des vorangegangenen Verlassenschaftsverfahrens nach ihrem verstorbenen Vater, dass „familienfremde“ Personen (ungerechtfertigt) zu Vermögen aus ihrer Verlassenschaft kommen.

[10] Das Berufungsgericht änderte im ersten Rechtsgang das erstinstanzliche Urteil im klagsabweisenden Sinn ab. Eine letztwillige Differenzierung von Wahl‑ und Adoptivkindern widerspreche dem Gleichheitsgrundsatz und Art 14 EMRK. Die strittige Testamentsklausel diskriminiere die Beklagten und sei daher rechtsunwirksam.

[11] Der dagegen gerichteten Revision der Klägerin gab der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 25. 7. 2019, AZ 2 Ob 15/19y, Folge. Er gelangte zu der Beurteilung, dass das Testament der Erblasserin keine sittenwidrige Differenzierung zwischen adoptierten und leiblichen Kindern enthält.

[12] Aufgrund seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht war das Berufungsgericht auf die übrigen in der Berufung geltend gemachten Rechtsmittelgründe nicht eingegangen. Insbesondere hatte es die Tatsachenrüge nicht behandelt, mit der die Beklagten die Feststellungen zum Willen der Erblasserin sowie zum Motiv der Erblasserin für die von ihr verfügte Nacherbschaft bekämpft hatten. Daher wurde das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und diesem eine neuerliche Entscheidung über die Berufung der Beklagten aufgetragen.

[13] Im nunmehrigen zweiten Rechtsgang hielt das Berufungsgerichtdie geltend gemachte Aktenwidrigkeit sowie die Mängel- und die Beweisrüge für unberechtigt und gab der Berufung der Beklagten in Bindung an die Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofs nicht Folge. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

[14] Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird die neuerliche Aufhebung des Berufungsurteils und die Zurückverweisung der Rechtssache an das Berufungsgericht beantragt.

[15] Die Klägerin beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

[16] Die Revision ist im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.

[17] Die Beklagten machen geltend, einzelne vom Berufungsgericht übernommene Feststellungen des Erstgerichts seien aktenwidrig. Das Berufungsverfahren sei mangelhaft, weil eine nachvollziehbare Begründung der Erledigung der Beweisrüge fehle. Es mangle an jeglichen Erwägungen, die sich mit den Kernargumenten der Beweisrüge inhaltlich befassen würden. Der Einwand der fehlenden aktiven Klagslegitimation, der unrichtigen bzw fehlenden ergänzenden Auslegung des Testaments unter Beachtung des hypothetischen Willens der Erblasserin und jener des Motivirrtums seien bisher noch nicht behandelt worden und würden aufrechterhalten.

Rechtliche Beurteilung

[18] Hiezu wurde erwogen:

[19] 1. Der erkennende Senat hat bereits im ersten Rechtsgang klargestellt, dass bei Alleinerben eine Anrechnung auf den Erbteil schon begrifflich nicht in Betracht kommt (2 Ob 15/19y [ErwGr 5.4]). Auf die damit im Zusammenhang stehenden Ausführungen der Beklagten zu einer angeblichen Aktenwidrigkeit betreffend den seinerzeitigen Eintritt der Volljährigkeit der Klägerin muss daher schon deshalb nicht eingegangen werden (RS0043265).

[20] 2. Das Berufungsverfahren ist wegen fehlender inhaltlicher Auseinandersetzung mit der Beweisrüge mangelhaft:

[21] 2.1 Das Berufungsgericht ist zwar nicht verpflichtet, sich im Rahmen der Überprüfung der vom Erstgericht getroffenen Sachverhaltsfeststellungen mit jedem einzelnen Beweisergebnis oder mit jedem einzelnen Argument des Berufungswerbers auseinanderzusetzen (RS0043162; vgl auch RS0122301). Befasst sich das Berufungsgericht mit der Beweisrüge aber nicht oder nur so mangelhaft, dass keine nachvollziehbaren Überlegungen über die Beweiswürdigung angestellt und im Urteil festgehalten sind, liegt der Revisionsgrund des § 503 Z 2 ZPO vor (RS0043371 [T13]; RS0043027 [T3]; vgl RS0043150).

[22] 2.2 Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Beweisrüge der Beklagten beschränken sich auf den Verweis auf die freie Beweiswürdigung des Erstgerichts und auf den bloßen Hinweis, dass die Darlegung der zwingenden Unrichtigkeit der bekämpften Feststellungen oder bedeutend überzeugenderer Ergebnisse für die begehrten Ersatzfeststellungen nicht gelungen sei. Eine inhaltliche Befassung mit den von den Beklagten angeführten Argumenten unterblieb zur Gänze. Damit ist das Berufungsverfahren mangelhaft geblieben.

[23] 2.3 Dies führt zur neuerlichen Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht. Im fortgesetzten Verfahren wird sich das Berufungsgericht entsprechend dem Auftrag im Aufhebungsbeschluss des Obersten Gerichtshofs vom 25. 7. 2019, AZ 2 Ob 15/19y, mit der Beweisrüge der Beklagten inhaltlich auseinanderzusetzen haben. Dazu zählt auch die Prüfung, ob der Inhalt des Verlassenschaftsakts nach dem verstorbenen Vater der Erblasserin geeignet war, die Glaubwürdigkeit der Aussagen der Klägerin und ihres Ehemannes zu erschüttern, denen das Erstgericht im Wesentlichen gefolgt ist.

[24] 4. Hinsichtlich der von den Beklagten „aufrecht erhaltenen“ Einwendungen wird auf die diesbezüglichen Ausführungen des erkennenden Senats im ersten Rechtsgang verwiesen (2 Ob 15/19y [ErwGr 1.3 und 5.2]).

[25] 5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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