OGH 6Ob146/20v

OGH6Ob146/20v16.9.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden sowie die Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*, vertreten durch Hausberger ‑ Moritz - Schmidt Rechtsanwälte in Wörgl, gegen die beklagte Partei R* GmbH, *, vertreten durch Lüth & Mikuz Rechtsanwälte in Innsbruck, sowie der Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Parteien 1. Ing. A*, vertreten durch Dr. Anton Keuschnigg, Rechtsanwalt in Kitzbühel, 2. A*, vertreten durch Dr. Brüggl & Dr. Harasser, Rechtsanwälte in Kitzbühel, 3. J*, vertreten durch Dr. Robert Galler, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 122.520,72 EUR sA und Feststellung, über die außerordentlichen Revisionen beider Streitteile gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 23. April 2020, GZ 2 R 8/20y‑129, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E129370

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1. Im vorliegenden Fall ist noch die Rechtslage vor Inkrafttreten des Gewährleistungsrechts‑Änderungsgesetzes 2001 anzuwenden, weil die Verträge über den Kauf der Wohnungseigentumseinheiten vor dem 1. 1. 2002 abgeschlossen wurden (Art IV GewRÄG BGBl I 2001/48).

1.2. Nach der Rechtsprechung vor dem GewRÄG konnten Mangelbehebungskosten (Deckungskapital für Verbesserungskosten) auch aus dem Titel des Schadenersatzes gefordert werden, und zwar ohne, dass der Übernehmer dem Übergeber zuvor Gelegenheit zur Verbesserung hätte geben müssen (SZ 63/37; Reischauer in Rummel, ABGB³ § 932 Rz 20f).

1.3. Zutreffend hat bereits das Berufungsgericht ausgeführt, dass der Besteller wegen Mängeln des Werks auch noch nach Ablauf der Gewährleistungsfrist vom Unternehmer das Erfüllungsinteresse fordern kann, sofern die Mängel – wie im vorliegenden Fall – auf dessen rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten zurückzuführen sind (RS0021755).

2.1. Die dreijährige Verjährungsfrist für Schadenersatzansprüche nach § 1489 ABGB beginnt mit dem Zeitpunkt zu laufen, zu dem der Ersatzberechtigte sowohl den Schaden als auch den Ersatzpflichtigen soweit kennt, dass eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden kann (RS0034524).

2.2. Ob dies der Fall ist, stellt eine Frage des Einzelfalls dar.

2.3. Ob bzw inwieweit der Geschädigte allenfalls zur Einholung eines Sachverständigengutachtens verpflichtet war, hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab (6 Ob 194/05f).

2.4. Nach ständiger Rechtsprechung darf die Erkundigungspflicht nicht überspannt werden (RS0034327; vgl zuletzt 4 Ob 92/19m). Lediglich ausnahmsweise kann, sofern eine Verbesserung des Wissensstandes nur so möglich und dem Geschädigten das Kostenrisiko zumutbar ist, auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens als Erkundigungsobliegenheit des Geschädigten angesehen werden (RS0113916 [T4]; 4 Ob 92/19m mwN).

2.5. Eine generelle Pflicht zur Einholung eines Sachverständigengutachtens besteht jedenfalls nicht (vgl zB 7 Ob 96/10h [„ausnahmsweise“]). Wo die Grenzen einer allfälligen Erkundigungspflicht des Geschädigten liegen, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab (9 Ob 167/97t; RS0034440 [T18]).

2.6. Die Entscheidung 4 Ob 92/19m betraf einen sachkundigen Werkbesteller und lässt sich daher schon aus diesem Grund nicht auf den vorliegenden Fall übertragen.

2.7. Zudem ist darauf zu verweisen, dass die Beklagte als Gesamtrechtsnachfolgerin der seinerzeitigen Hausverwaltung auch für deren Versäumnisse einzustehen hätte. Zutreffend hat bereits das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass im vorliegenden Fall die Besonderheit besteht, dass von Beginn an bis zum 31. 12. 2014 eine Tochtergesellschaft der beklagten Partei Hausverwalterin der Wohnungseigentumsanlage und damit Vertreterin der klagenden Partei war. Die Hausverwalterin war daher verpflichtet, alle Maßnahmen, die zur Erhaltung und Verwaltung des gemeinsamen Guts dienen, zu besorgen. Dazu gehört auch die Überwachung des Erhaltungszustands eines Hauses und die Setzung geeigneter Maßnahmen zur Behebung bestehender Mängel.

2.8. Aufgrund des Umstands, dass im Jahr 2016 die damalige Hausverwalterin als übertragende Gesellschaft mit der beklagten Partei als übernehmende Gesellschaft verschmolzen wurde, hat daher die beklagte Partei für allfällige Versäumnisse der Hausverwaltung einzustehen. Dass bei einer Verschmelzung die übernehmende Gesellschaft in sämtliche Rechtspositionen der übertragenden Gesellschaft unabhängig davon, ob diese bekannt sind oder nicht, eintritt (§ 96 GmbHG iVm § 225a Abs 3 AktienG; vgl Kalss, Verschmelzung‑Spaltung‑Umwandlung² § 225a AktienG Rz 36 f), wird in der Revision nicht bestritten.

2.9. In der Auffassung des Berufungsgerichts, selbst wenn man im vorliegenden Fall annähme, dass die Mängel der Dachkonstruktion bei verpflichtend durchzuführenden Kontroll‑ und Wartungsarbeiten schon deutlich früher hätten erkannt werden können, hätte die Hausverwalterin ihre vertraglichen Pflichten gegenüber der klagenden Partei verletzt, sodass die Beklagte als deren Rechtsnachfolgerin für alle dadurch entstandenen Nachteile einstehen muss, ist keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken.

 

3.1. Nach ständiger Rechtsprechung ist dem Geschädigten ein schutzwürdiges Interesse auf alsbaldige Feststellung der Haftung des in Anspruch genommenen Ersatzpflichtigen für den geltend gemachten Schaden abzusprechen, wenn er die Höhe eines bereits eingetretenen und ihm dem Grunde nach bekannten Schadens durch naheliegende zweckmäßige Maßnahmen ermitteln kann und solche Maßnahmen vor Einbringung einer Leistungsklage jedenfalls ergriffen werden müssen, um einen bereits eingetretenen Schaden beziffern zu können (RS0118968; 6 Ob 92/15w). Dies kann im Einzelfall auch eine Verpflichtung zur Einholung eines Sachverständigengutachtens umfassen (vgl 9 Ob 31/12t; 6 Ob 92/15w).

3.2. In dem der Entscheidung 9 Ob 31/12t zugrundeliegenden Sachverhalt war der Geschädigten aber bereits mit Sicherheit bekannt, dass ein Schaden vorlag; auch standen verschiedene Schadensbehebungsvarianten mit unterschiedlichen Kosten im Raum. In der Entscheidung 4 Ob 51/20h lag dem Kläger, der Schadenersatz für Fahrzeugschäden begehrte, eine detaillierte Mängelliste der Tiroler Landesregierung vor. Auch in dem der Entscheidung 6 Ob 92/15w zugrundeliegenden Fall waren der Geschädigten die eingetretenen Schäden bereits bekannt. Damit unterscheidet sich der vorliegende Fall aber grundsätzlich von dem in den zitierten Entscheidungen beurteilten Sachverhalten. Wenn die Vorinstanzen davon ausgingen, dass im konkreten Fall noch keine ausreichenden Anhaltspunkte zur Einholung eines Sachverständigengutachtens vorlagen, sondern die Klägerin sich insoweit auf die Erhebung eines Feststellungsbegehrens beschränken konnte, ist darin keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken.

3.3. Nicht zu beanstanden ist auch die Auffassung des Berufungsgerichts, in der Änderung des Feststellungsbegehrens liege lediglich eine Präzisierung des ursprünglichen Begehrens. Mit den diesbezüglichen Revisionsausführungen zeigt die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf, zumal es sich bei der Auslegung von Prozessvorbringen regelmäßig um eine Frage des Einzelfalls und somit in der Regel um keine Rechtsfrage der von § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität handelt (vgl RS0042828).

4.1. Die Klägerin wendet sich in ihrer Revision gegen die ihrer Ansicht nach unberechtigte Vornahme eines Abzugs „neu für alt“. Die diesbezüglichen Entscheidungen der Vorinstanzen stehen jedoch im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung. Demnach ist auch bei einem Schadenersatzanspruch nach § 933a ABGB, der auf Verbesserung gerichtet ist, der Nutzen des Geschädigten aus der um Jahre verlängerten Lebensdauer des Werks nach dem Prinzip „neu für alt“ in Abzug zu bringen (RS0021942 [T11]; 10 Ob 80/19s). Ein Vorteilsausgleich ist nur im Rahmen der Gewährleistung ausgeschlossen (RS0018699), im Schadenersatzrecht hingegen aufgrund der dort gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise (RS0030206) vorzunehmen.

4.2. Im Übrigen entspricht dies – entgegen den Revisionsausführungen – auch der Rechtslage nach deutschem Recht. Demnach ist eine Vorteilsanrechnung dann gerechtfertigt, wenn sich der Mangel erst verhältnismäßig spät ausgewirkt hat und bis dahin keine Gebrauchsnachteile bestanden haben (BGHZ 91, 206, 217; Kurschel, Die Gewährleistung beim Werkvertrag 75 f). In diesem Fall könne es nach Treu und Glauben geboten sein, die mit der Nachbesserung erzielte längere Lebensdauer sowie den ersparten Erhaltungsaufwand als dem Besteller entstandene Vorteile auch finanziell zu berücksichtigen (BGH aaO).

4.3. Auch nach Schweizer Recht ist eine Vorteilsanrechnung gerechtfertigt, wenn die späte Vornahme der Verbesserungsarbeiten eine merklich längere Lebensdauer des Werks zur Folge hat (Koller, Vom Recht des Bauherrn auf Verbesserung des mangelhaften Werks, in: Aktuelle Probleme des privaten und öffentlichen Baurechts [1994] 118 f, der zutreffend darauf hinweist, dass hier vieles vom Einzelfall abhängt [aaO 117]).

4.4. Soweit sich die Klägerin gegen die Vornahme eines Abzugs „neu für alt“ beim Estrich mit der Begründung wendet, die „Lebensskala“ eines Estrichs sei „nach oben völlig offen“, ist ihr die Feststellung der Vorinstanzen entgegenzuhalten, wonach die durchschnittliche Nutzungsdauer zwischen 20 und 40 Jahren liegt. In Anbetracht dieser Feststellung ist nachvollziehbar, wenn die Vorinstanzen davon ausgingen, dass eine Neuerrichtung des Estrichs nach 30 Jahren zu einer Verlängerung von dessen ursprünglicher Lebensdauer führt.

5. Zusammenfassend gelingt es den Parteien daher nicht, Rechtsfragen der von § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität aufzuzeigen, sodass die Revisionen spruchgemäß zurückzuweisen waren.

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