OGH 10Ob80/19s

OGH10Ob80/19s18.2.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie durch die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Karl Schelling, Rechtsanwalt in Dornbirn, gegen die beklagte Partei S***** AG, *****, vertreten durch Grassner, Lenz, Thewanger & Partner, Rechtsanwälte in Linz, und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Karlberger und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Verbesserung (Streitwert 2 Mio EUR) und Feststellung (Streitwert 20.000 EUR) über die außerordentliche Revision und den Rekurs der klagenden Partei gegen das Teilurteil und den Aufhebungsbeschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 14. August 2019, GZ 4 R 57/19t‑163, mit dem das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 14. Dezember 2018, GZ 7 Cg 183/12z‑152, teils bestätigt, teils abgeändert und teils aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0100OB00080.19S.0218.000

 

Spruch:

I. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

II. Der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei und die Nebenintervenientin haben die Kosten ihrer Rekursbeantwortungen selbst zu tragen.

 

Begründung:

Im Rahmen der Errichtung eines Hochhauses mit einer Glasfassade beauftragte die klagende Partei mit Generalunternehmervertrag vom 23. 10. 2003 die beklagte Partei mit dem Teil „Generalunternehmer-Bau“ (einschließlich der Fassade). Ursprünglich war die Anbringung einer doppelschaligen Zweifachglasfassade vorgesehen, auf die sich auch die mit Bescheid der Baubehörde vom 23. 9. 2002 (unter Auflagen) erteilte Baubewilligung bezog. Für die Fassade war im Baubewilligungsbescheid der für Bauteile und Wärmeschutz angegebene Wärmedurchgangskoeffizient (U‑Wert) von 1,3 W/m2k antragsgemäß bewilligt worden. In der Folge entschloss sich die klagende Partei aber – vor allem aus ästhetischen Erwägungen und aus Kostengründen – für die Ausführung einer polyplanen Einfachglasfassade. Eine von dem von der klagenden Partei beauftragten Generalplaner veranlasste wärme-, diffusions- und schalltechnische Überprüfung der einzelnen Bauteile und Bauanschlüsse hatte zuvor ergeben, dass sich die wesentlichen bauphysikalischen Werte der Fassade nicht erheblich ändern, sondern den einschlägigen Normen und Vorschriften entsprechen und die Wärmedurchgangskoeffizienten (U-Werte) die Grenzwerte gemäß Vorarlberger Bautechnikverordnung (BTV) unterschreiten. Die klagende Partei nahm daher an, dass die polyplane Einfachfassade keine wesentliche genehmigungspflichtige Änderung darstelle. In bei der Baubehörde eingereichten mehrfachen Planänderungen wies sie deshalb nicht auf die Errichtung der polyplanen Einfachfassade hin.

Anfangs 2008 brachte der Geschäftsführer des in dem Gebäude betriebenen Hotels der klagenden Partei erstmals zur Kenntnis, dass unüblich hohe Betriebskosten auftreten.

Den Gegenstand des Verfahrens bildet die Frage, ob die vom ursprünglichen Auftrag abweichende Ausführung der Fassade (polyplan statt doppelschalig) den eingeklagten Austauschanspruch aus dem Titel des Schadenersatzes und die Feststellung der Haftung der beklagten Partei rechtfertigt.

Das Erstgericht wies die Begehren auf Leistung ab und gab den beiden auf Feststellung der Haftung der beklagten Partei für künftige Schäden mit der Einschränkung statt, dass die Haftung hinsichtlich der Zahlung von Schadenersatz jeweils (gemäß der Haftungsbeschränkung der ÖNORM B 2110) mit 814.450 EUR beschränkt ist.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei teilweise Folge. Den Berufungen der beklagten Partei und der Nebenintervenientin gab es in der Hauptsache Folge und bestätigte und änderte die Entscheidung des Erstgerichts dahingehend ab, dass es das Hauptbegehren auf Austausch der gesamten Außenwände und die beiden Feststellungsbegehren mit Teilurteil abwies. Hinsichtlich der Entscheidung über die eventualiter erhobenen Begehren auf Austausch der Fenstergläser und der Profile sowie auf Leistung von 2.000.000 EUR hob es das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige. Es ließ die Revision gegen das Teilurteil nicht zu, erklärte aber den Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss für zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob die in Punkt 5.47 (nunmehr Punkt 12.3.1) der ÖNORM B 2110 geregelten Haftungsbeschränkungen auch auf schadenersatzrechtliche Gewährleistungsansprüche anzuwenden seien.

In ihrer außerordentliche Revision wendet sich die klagende Partei gegen das Teilurteil, also die Abweisung des Hauptbegehrens und der beiden Feststellungsbegehren (Klagebegehren Pkte 1 und 4 sowie 5). Weiters erhebt die klagende Partei einen als „außerordentlichen Revisionrekurs“ bezeichneten Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss zum Eventualklagebegehren Pkt 2).

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Auch der Rekurs ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts – mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

I. Zur außerordentlichen Revision gegen das Teilurteil:

Strittig ist die Frage, ob die Einhaltung der gesetzlichen Werte auch Vertragsinhalt in Bezug auf die tatsächliche Ausführung der Fassade wurde. Die in diesem Zusammenhang geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und die Aktenwidrigkeit wurden geprüft; sie liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

Fragen der Vertragsauslegung sind regelmäßig nur nach den Umständen des konkreten Einzelfalls zu lösen und begründen daher, wenn das Berufungsgericht – wie hier – nicht von den Grundsätzen der §§ 914 f ABGB abgewichen ist und kein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt hat, nicht das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0042936; RS0042776).

Das Berufungsgericht ging davon aus, dass die beklagte Partei nicht zur Einhaltung des Werts von 0,78 W/m2k verpflichtet gewesen wäre. Dies sei auch nicht aus jener Bestimmung im Generalunternehmervertrag abzuleiten, die lautet „Der AN hat von sich aus darauf zu achten, dass im Rahmen der vereinbarten Vergütung sämtliche behördlichen Auflagen und sämtliche gesetzlichen Bestimmungen, einschließlich der Nebenbestimmungen und Verordnung und Ausführungsbestimmung eingehalten werden.“

Eine Unvertretbarkeit dieser Auslegung zeigt die Revisionswerberin nicht auf:

Ihr auch in der Revision vertretener Standpunkt läuft darauf hinaus, dass die vertragliche Verpflichtung der beklagten Partei, sämtliche Vorschriften des Vorarlberger Baugesetzes in der damals anzuwendenden Fassung sowie der Bautechnikverordnung Vorarlberg einzuhalten, auch die Überprüfung der materiellen Richtigkeit des Baubescheids bzw dessen Übereinstimmung mit den Vorgaben der BTV Vorarlberg beinhalten sollte. Nach Ansicht der Revisionswerberin hätte die beklagte Partei von sich aus „die Unrichtigkeit“ des Baubescheids erkennen und davon ausgehen müssen, dass für das Projekt nicht die in § 18 Abs 2 lit a BTV aufgezählten Baukennwerte maßgeblich seien, sondern der mittlere U-Wert von 0,78 W/m2k (§ 18 Abs 2 lit b BTV).

Eine solche Überprüfungsverpflichtung der beklagten Partei in Bezug auf den Baubescheid und dessen Übereinstimmung mit § 18 Abs 2 lit b der BTV (Einhaltung eines U‑Werts von 0,78 W/m2k) ist jedoch entsprechend den Ausführungen des Berufungsgerichts aus den vertraglichen Verpflichtungen nicht abzuleiten.

II. Zum Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss hinsichtlich des Eventualbegehrens Pkt 2 (Austausch der Gläser U-Wert 1,1 W/m 2 k. G‑Wert 0,32. Profile U‑Wert 1,5 W/m²k):

1. Entgegen der von der beklagten Partei und der Nebenintervenientin in deren Rekursbeantwortungen vertretenen Ansicht ist der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss nicht absolut unzulässig (RS0125396).

2. Die im Rechtskraftvorbehalt des Berufungsgerichts als erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO erachtete Rechtsfrage der Anwendung der Haftungshöchstbegrenzung nach der ÖNORM B 2110 auf Schadenersatzansprüche nach § 933a ABGB ist vom Obersten Gerichtshof nicht zu prüfen, weil die klagende Partei in ihrem Rekurs diese Frage nicht anspricht.

3. Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zeigt auch die klagende Partei mit ihren Rekursausführungen nicht auf:

3.1 Das Berufungsgericht gibt zutreffend die ständige Rechtsprechung wieder, nach der bei der Frage der Unverhältnismäßigkeit des Austauschaufwands nicht allein die Höhe der Behebungskosten ausschlaggebend ist, sondern vor allem auf die Wichtigkeit der Behebung des Mangels für den Übernehmer Bedacht zu nehmen ist. Stellt sich der Mangel nur als geringer Nachteil im Gebrauch dar, können schon verhältnismäßig geringe Behebungskosten unverhältnismäßig sein. Beeinträchtigt der Mangel den Gebrauch aber entscheidend, sind auch verhältnismäßig hohe Behebungskosten noch kein Grund, die Verbesserung abzulehnen (RS0022044).

3.2 Die klagende Partei wendet sich in ihrem Rekurs nicht gegen die Anwendung dieser Grundsätze der Rechtsprechung, sondern gegen den Auftrag an das Erstgericht, das Verfahren zum Austauschaufwand zu ergänzen und macht geltend, schon aus den bisher vorhandenen Feststellungen ergebe sich, dass der beklagten Partei der Beweis der Untunlichkeit und Unverhältnismäßigkeit des Austauschs nicht gelungen sei. Dem ist entgegenzuhalten, dass der Oberste Gerichtshof nicht Tatsacheninstanz ist, weshalb der Ansicht des Berufungsgerichts, der Sachverhalt sei zu diesem Einwand noch nicht genügend geklärt, grundsätzlich nicht entgegenzutreten ist. Ist die dem Aufhebungsbeschluss zugrunde liegende Rechtsansicht richtig, kann der Oberste Gerichtshof nicht überprüfen, ob die Verfahrensergänzung tatsächlich notwendig sei (RS0042179).

3.3 Den Parteien ist es zwar nicht verwehrt, in dem nach einem Aufhebungsbeschluss fortgesetzten Verfahren wieder grundsätzlich alle ihnen im erstinstanzlichen Verfahren bis dahin zustehenden Befugnisse wahrzunehmen, jedoch nur insoweit, als die aufhebende Instanz einen bestimmten Streitpunkt aufgrund des gegebenen Sachverhalts nicht bereits abschließend entschieden hat bzw dieser Streitpunkt als selbständig erledigt anzusehen ist (RS0042031 [T11]; RS0042411 [T10]).

3.4 Das Erstgericht hat zum Einwand der beklagten Partei, die Nichteinhaltung der U‑ bzw G‑Werte führe nicht zu den behaupteten Energiemehrkosten, (unbekämpft) festgestellt, dass während der Heizperiode ein höherer Energieverbrauch gegeben sei, als dies der Fall wäre, wenn die ursprünglich zweischalige Fassade mit den im Vertrag festgelegten Werten errichtet worden wäre. Während der Kühlperiode komme es hingegen zu einer Energieersparnis. Ob sich der höhere Energieverbrauch während der Heizperiode mit der Energieersparnis während der Kühlperiode aufhebe, könne nicht festgestellt werden.

3.5 Im Aufhebungsbeschluss ging das Berufungsgericht davon aus, dass über die Einwendung der beklagten Partei, die Nichteinhaltung der G- und U-Werte sei für den erhöhten Energiemehrverbrauch nicht kausal, endgültig abgesprochen sei und die klagende Partei zu diesem Themenkomplex kein weiteres Vorbringen erstatten dürfe. Ob ein Verfahrensergebnis im Aufhebungsbeschluss als abschließend erledigt anzusehen ist, ist zwangsläufig einzelfallabhängig und wirft regelmäßig keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf (RS0042031 [T20]). Inwiefern dennoch ein Abweichen von der ständigen Judikatur und ihren Grundsätzen gegeben sein soll, zeigt die Rekurswerberin in ihrem Rechtsmittel nicht auf.

3.6 Dass auch bei einem Schadenersatzanspruch nach § 933a ABGB, der auf Verbesserung gerichtet ist, der Nutzen des Geschädigten aus der um Jahre verlängerten Lebensdauer des Werks nach dem Prinzip „Neu für Alt“ in Abzug zu bringen ist, entspricht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RS0021942 [T11]). Ein Vorteilausgleich ist nur im Rahmen der Gewährleistung ausgeschlossen (RS0018699), im Schadenersatzrecht ist er aufgrund der dort gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise (RS0030206) hingegen vorzunehmen. Dringt die klagende Partei mit ihrem Ersatzanspruch lange nach Ablauf der Gewährleistungsfrist durch, erhält sie mehr als sie bei mangelfreier Werkausführung oder bei fristgerechter Geltendmachung des gewährleistungsrechtlichen Verbesserungsanspruchs erlangt hätte, nämlich den Nutzen einer um Jahre verlängerten Lebensdauer des Werks. Um diesen Vorteil wäre sie bereichert, würde kein Abzug „Neu für Alt“ erfolgen. Diese Rechtsprechung wurde auch zur Rechtslage nach dem GewRÄG fortgeschrieben (6 Ob 134/08m). Eine Harmonisierung bzw Angleichung der Rechtsinstitute von Gewährleistung und Schadenersatz in § 933a ABGB beschränkt sich allein auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Übernehmer bei einer Haftung dem Grunde nach Geldersatz wegen des Mangels selbst verlangen kann. Für beide Anspruchsgrundlagen bestehen aber weiterhin auch im Bereich des „Schadenersatzes statt Gewährleistung“ verschiedene Voraussetzungen und Rechtsfolgen, etwa hinsichtlich des Umfangs und der Art der Berechnung des Geldersatzes (2 Ob 99/18z mwN).

3.7 Mit dieser Rechtsprechung steht die Ansicht des Berufungsgerichts im Einklang, im Fall der Verhältnismäßigkeit des Austauschbegehrens werde ein Abzug „Neu für Alt“ zu prüfen sein, weil die allfällige Vornahme eines Austauschs erst viele Jahre nach Fertigstellung des Gebäudes erfolgen werde und die Glasfassade eine durchschnittliche Lebensdauer von (nur) 30 bis 50 Jahren aufweist.

4. Da auf die vom Berufungsgericht aufgezeigte Rechtsfrage zur Geltung der Haftungsbeschränkung der ÖNORM B 2110 auch auf Schadenersatzansprüche nach § 933a ABGB nicht einzugehen ist und auch vom Rekurswerber keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt wird, ist der Rekurs als unzulässig zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40, 50 ZPO. Die beklagte Partei und die Nebenintervenientin haben in ihrer Rekursbeantwortung nicht die Zurückweisung des Rekurses unter Hinweis auf den konkreten Zurückweisungsgrund (Nichtvorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO) beantragt. Ihr Antrag, den Rekurs als absolut unzulässig zurückzuweisen, dient nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung. Ein nach neuerer Rechtsprechung (RS0123222) grundsätzlich möglicher Zuspruch der Kosten der Rekursbeantwortung bei Zurückweisung des Rekurses kommt daher hier nicht in Betracht.

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