European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E129137
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie wie folgt lauten:
„Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, die rechtswidrigen und unnatürlichen Wasserableitungen auf dem süd‑westlichen Eck des Grundstücks Nr *, beim dort befindlichen Drainage‑Rohr, inneliegend in EZ *, auf die Grundstücke Nr * der klagenden Partei, inneliegend in EZ *, zu unterlassen. “
Die beklagten Parteien sind schuldig, den klagenden Parteien die mit 9.966,63 EUR (darin 951,79 EUR USt und 4.255,90 Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Kläger (als Unterlieger) sind Hälfteeigentümer einer Liegenschaft, die an einem Hang unterhalb einer Liegenschaft gelegen ist, die zu einem Drittel dem Erstbeklagten und zu zwei Dritteln der Zweitbeklagten (als Oberlieger) gehört.
Schon seit langer Zeit sind die Grundstücke der Streitteile sumpfig und schwer. Natürliches Wasser, das der Hangneigung von oben her folgt, entwässert über das Grundstück der Kläger in den Weichselbach/Graben. Auch Dachwasser vom Haus der Beklagten entwässerte im südwestlichen Eck frei über das Grundstück der Kläger in diesen natürlichen Ablauf. Die Beklagten beabsichtigten eine Stützmauer an der südlichen und westlichen Grundstücksgrenze zu den Klägern hin zu errichten, um der dortigen Nässe entgegenzuwirken.
Im Auftrag der Beklagten errichtete die Nebenintervenientin an der gemeinsamen Grundstücksgrenze mit baubehördlicher Genehmigung eine Stützmauer, die bewirkt, dass Oberflächenwasser (aber auch Dachwasser vom Haus der Beklagten), das bisher dem natürlichen Verlauf folgend vom höher gelegenen Grundstück der Beklagten über das der Kläger floss, in die Kanalisation oder auf das eigene Grundstück abgeleitet wird. Ca 1,2 m nördlich der südwestlichen Ecke der Stützmauer mündet etwa in Bodenhöhe ein Drainagerohr auf das Grundstück der Kläger. Dabei handelt es sich um eine für die Bauarbeiten erforderliche provisorische Ableitung des Dachwassers aus dem Fallrohr, das früher ungehindert auf das Grundstück der Kläger in den dortigen Graben floss. Nach Fertigstellung der Stützmauer wurde das Fallrohr an den Regenwasserkanal angeschlossen (der zum öffentlichen Gut hinführt), sodass nunmehr kein Dachwasser mehr über dieses Drainagerohr fließt. Nach der Errichtung des Ablaufs für das Dachwasser kommt aus dem Drainageablauf nur mehr Hangwasser (das ist Oberflächenwasser, das hangabwärts fließt und sich hinter der Stützmauer sammelt). Das Bauvorhaben war nicht der Auslöser für den Wassereintritt. Vor Errichtung der Stützmauer und des provisorischen Drainagerohrs ist dieses Wasser einfach ungehindert über das Grundstück der Kläger in den Graben/Bach gelaufen. Der Auslauf von Wasser aus diesem Rohr ist nur mehr minimal und beträgt etwa 5 % des früher insgesamt auf das Grundstück der Kläger fließenden Wassers. Das Drainagerohr entspricht nicht der genehmigten Bauplanung. Ein Verschließen des Rohrs würde das Hangwasser hinter der Stützmauer aufstauen lassen und den Boden unter den Hausfundamenten aufweichen, wodurch Setzungen am Haus der Beklagten nicht ausgeschlossen werden können; auch könnte sich die Mauer im Lauf der Zeit schief stellen.
Die Kläger begehren wie aus dem Spruch ersichtlich.
Die Beklagten brachten vor, durch das Bauvorhaben komme es zu keiner unzulässigen Wasserableitung auf das Grundstück der Kläger. Durch die Errichtung der Stützmauer sei ein positiver Effekt eingetreten.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren als rechtsmissbräuchlich ab. Die Kläger profitierten von der Stützmauer in erheblichem Umfang, weil durch diese Änderung nur mehr minimale Wassermengen auf ihr Grundstück gelangten, was ihnen zum Vorteil gereiche. Kein vernünftiger Mensch könne die erheblich verbesserte Wassersituation auf dem Grundstück der Kläger als nennenswerten Nachteil ansehen.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Durch das Drainagerohr erfolge zwar eine zufolge § 364 Abs 2 Satz 2 ABGB unzulässige direkte Zuleitung. Die Beklagten hätten sich in erster Instanz aber vertretbar auf Schikane berufen, indem sie eine Verbesserung der Situation für die Kläger behauptet hätten. Es liege auch Rechtsmissbrauch vor, weil sich die Situation für die Kläger verbessert habe, während eine Verschließung des Drainagerohrs zu erheblichen Nachteilen für die Beklagten und ihre Bauwerke entstehen würde.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Entscheidungsgegenstand 5.000 EUR, aber nicht 30.000 EUR übersteige und ließ die ordentliche Revision zur Frage der richtigen Anwendung der Rechtsfigur des Rechtsmissbrauchs zu.
In ihrer ordentlichen Revision beantragen die Kläger die Klagsstattgebung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagten beantragen, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig; sie ist auch berechtigt.
Die Kläger führen ins Treffen, die Beklagten hätten in erster Instanz der nach § 364 Abs 2 Satz 2 ABGB unzulässigen direkten Zuleitung keinen Schikaneeinwand entgegengesetzt. Selbst wenn ein solcher vorläge, hätte eine Interessensabwägung zu ihren Gunsten erfolgen müssen.
Dazu wurde erwogen:
1.1. Eine „unmittelbare Zuleitung“ ist nach § 364 Abs 2 Satz 2 ABGB ohne besonderen Rechtstitel unter allen Umständen unzulässig, auch wenn sie von einer behördlich genehmigten Anlage iSd § 364a ABGB ausgeht (RIS‑Justiz RS0010528). Eine solche unmittelbare Zuleitung liegt dann vor, wenn sie durch eine „Veranstaltung“ des Nachbarn bewirkt wird, die für eine Einwirkung gerade in der Richtung auf das Nachbargrundstück hin ursächlich ist (RS0010635), wie insbesondere die Zuleitung von Ab‑ oder Niederschlagswässern durch Rohre oder Rinnen (https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Justiz&GZ=2Ob11/05i&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True&ResultFunctionToken=4a286bc5-01a2-440a-8891-d3862541d921&Dokumentnummer=JJT_20050203_OGH0002_0020OB00011_05I0000_000 ). Der Begriff „Veranstaltung“ soll zum Ausdruck bringen, dass Auswirkungen der natürlichen Beschaffenheit des Nachbargrundstücks hinzunehmen sind (RS0010635 [T12]), nicht jedoch Änderungen der natürlichen Gegebenheiten, wodurch Immissionen auf das Nachbargrundstück bewirkt werden (RS0010635 [T26]), wie etwa eine wesentliche Veränderung der natürlichen Abflussverhältnisse durch ein Bauwerk (vgl RS0010635 [T22]). Derartiges ist ohne besonderen Rechtstitel unter allen Umständen unzulässig (RS0010635 [T2, T6, T15]; RS0010528; RS0115462; RS0010683; vgl RS0117337; RS0010551).
1.2. Mag auch durch das Drainagerohr insgesamt weniger Wasser auf die Liegenschaft der Kläger geleitet werden als zuvor nach dem natürlichen Wasserlauf, so wurde dieser doch unzweifelhaft deutlich verändert und auf das Drainagerohr konzentriert.
Bereits das Berufungsgericht hat daher zutreffend erkannt, dass in der baulichen Umgestaltung auf der Liegenschaft der Beklagten mit der Ableitung von Wasser durch ein neu errichtetes Drainagerohr eine grundsätzlich unzulässige „unmittelbare Zuleitung“ iSd § 364 Abs 2 Satz 2 ABGB liegt.
1.3. Ob das Klagebegehren berechtigt ist, hängt daher davon ab, ob die Auffassung der Vorinstanzen, den Klägern sei Rechtsmissbrauch vorzuwerfen, stichhältig ist.
2.1. Missbräuchliche Rechtsausübung liegt nicht nur dann vor, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen Grund der Rechtsausübung bildet, sondern nach jüngerer Rechtsprechung auch dann, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des Anderen ein ganz krasses Missverhältnis besteht (https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0026265&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ). Dabei geben im Allgemeinen selbst relativ geringe Zweifel am Rechtsmissbrauch zu Gunsten des Rechtsausübenden den Ausschlag, weil diesem grundsätzlich zugestanden werden muss, dass er innerhalb der Schranken des ihm eingeräumten Rechts handelt (RS0026265 [T29]; vgl RS0026271 [T26]). Besteht ein begründetes Interesse des Rechtsausübenden, einen seinem Recht entsprechenden Zustand herzustellen oder beizubehalten, ist die Rechtsausübung selbst dann nicht missbräuchlich, wenn der sein Recht Ausübende unter anderem die Absicht verfolgt, mit der Rechtsausübung dem anderen Schaden zuzufügen (RS0026271).
2.2. Beweispflichtig für die Schikane bzw den Rechtsmissbrauch ist derjenige, der sich auf diese Beschränkungen des ausgeübten Rechts beruft (RS0026205; RS0026265 [T5]).
3.1. Schikane sowie Rechtsmissbrauch sind zwar nur über entsprechenden Einwand aufzugreifen, können aber auch schlüssig durch ein entsprechendes Tatsachenvorbringen geltend gemacht werden (vgl RS0016447 [T2, T4], RS0016519).
3.2. Ob im Hinblick auf den Inhalt der Prozessbehauptungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist, ist grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung keine erhebliche Bedeutung zukommt. Auch ob das bisher erstattete Vorbringen so weit spezifiziert ist, dass es als Anspruchsgrundlage hinreicht, beziehungsweise wie weit ein bestimmtes Vorbringen einer Konkretisierung zugänglich ist, ist eine Frage des Einzelfalls (RS0042828; vgl RS0113563) Gegenteiliges gilt im Interesse der Wahrung der Rechtssicherheit, wenn eine grobe Fehlbeurteilung vorliegt, die Auslegung des Parteivorbringens mit seinem Wortlaut unvereinbar ist oder gegen die Denkgesetze verstieße (RS0042828 [T11, T15]).
3.3. Nach ständiger Rechtsprechung wird eine Rechtssache unrichtig beurteilt, wenn der Entscheidung unzulässige überschießende Feststellungen zugrunde gelegt werden (RS0040318 [T2]; RS0036933 [T10, T11, T12]; RS0037972 [T11]; RS0112213 [T1, T4]). Das Gericht darf grundsätzlich die bei einer Beweisaufnahme hervorgekommenen Umstände nur soweit berücksichtigen, als sie im Parteivorbringen Deckung finden. Darüber hinausgehende „überschießende“ Feststellungen dürfen nur dann berücksichtigt werden, wenn sie sich im Rahmen des geltend gemachten Klagsgrundes oder der erhobenen Einwendungen halten (RS0037972 [T9]; RS0036933 [T7]).
4.1. Vom Berufungsgericht für das Vorliegen eines Schikane‑ bzw Rechtsmissbrauchseinwands ins Treffen geführte Passagen des erstinstanzlichen Beklagtenvorbringens, die Stützmauererrichtung habe die Situation für die Kläger verbessert, wurden gleichzeitig mit der Behauptung erstattet, eine direkte Zuleitung von Wasser auf das Grundstück der Kläger finde nicht statt bzw entziehe sich der Kenntnis der Beklagten. Im Zusammenhang mit der Erörterung des Sachverständigengutachtens, das die sehr wohl vorhandene, konsens- (und nach dem Gutachten auch bauordnungs‑)widrige sowie gegenüber dem Zustand vor der Bauführung durch die Beklagten jedenfalls veränderte Zuleitung durch das verbliebene Drainagerohr dokumentiert hatte, wurden auch mögliche Auswirkungen der Verschließung des Drainagerohrs für das Grundstück der Beklagten dargelegt. Dennoch erstatteten die Beklagten keinerlei konkretes Vorbringen etwa zum Ausmaß der durch die Zuleitung erfolgenden Beeinträchtigung der Kläger oder zu einer Interessenabwägung in Bezug auf die Auswirkungen einer Verschließung des Drainagerohrs auf die Liegenschaft der Beklagten, obwohl dies leicht möglich gewesen wäre; diesbezügliche Behauptungen wurden erstmals in der Berufungsbeantwortung aufgestellt.
4.2. Der erkennende Senat vermag sich daher der Beurteilung des Berufungsgerichts nicht anzuschließen, die Beklagten hätten schon in erster Instanz hinreichendes Vorbringen zum Vorliegen von Rechtsmissbrauch durch die Kläger erstattet.
Die vom Berufungsgericht der Entscheidung zugrunde gelegten Feststellungen zur Interessenabwägung sind vom Beklagtenvorbringen nicht gedeckt und überschießend.
Eine Interessenabwägung hat mangels zu berücksichtigenden Schikaneeinwands der Beklagten in erster Instanz zu unterbleiben.
5. Daraus folgt zusammengefasst, dass der von den Klägern erhobene Unterlassungsanspruch gegen die in der konkreten Form und Intensität erst durch die Errichtung des Bauwerks auf der Liegenschaft der Beklagten erfolgte unmittelbare Wasserzuleitung berechtigt ist.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher im Sinne einer Klagsstattgebung abzuändern.
6. Die Kostenentscheidung stützt sich für das erstinstanzliche Verfahren auf § 41 iVm § 54 Abs 1a ZPO, im Übrigen auf §§ 50, 41 ZPO.
Die Beklagten erhoben keine Einwendungen gegen die Verzeichnung der erstinstanzlichen Kosten durch die Kläger. Deren Einwendungen gegen die Kostenverzeichnung der Beklagten sind gemäß § 54 Abs 1a letzter Satz ZPO in der – bereits seit 1. 1. 2011 anzuwendenden – Fassung BGBl I 2010/111 nicht zu honorieren. Sachverständigengebühren waren nur in der tatsächlich bestimmten Höhe von insgesamt 2.433 EUR zuzusprechen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)