European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E129151
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagenden Parteien sind schuldig, den beklagten Parteien die mit 958,58 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 159,76 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Die Kläger sind seit 10. 5. 1995 grundbücherliche Miteigentümer eines im Wesentlichen mit Fichten und vereinzelten Buchen bestandenen Grundstücks (in der Folge: Waldgrundstück), das an ein südlich gelegenes, im Wesentlichen aus Wiese bestehendes Grundstück grenzt (in der Folge: Wiesengrundstück), dessen grundbücherliche Miteigentümer die Beklagten seit 1991 waren (die Erstbeklagte übertrug ihren Miteigentumsanteil im Jahr 2017 während des Verfahrens erster Instanz an I*). Strittig ist im Verfahren auch im zweiten Rechtsgang (zum ersten vgl 10 Ob 73/17h), ob die Kläger in einem bestimmten Grenzbereich zwischen den beiden – nicht im Grenzkataster eingetragenen – Grundstücken („Waldrand“) in dem von ihnen begehrten Umfang Eigentum an Teilen des Grundstücks der Beklagten (so wie es sich nach den Mappengrenzen des Grundsteuerkatasters darstellt) durch Ersitzung erworben haben. Die Kläger begehren mit ihren Haupt‑ und Eventualbegehren die Feststellung des Eigentumserwerbs durch Ersitzung sowie die Einwilligung der Beklagten in die Einverleibung ihres Eigentums im Grundbuch. Hilfsweise begehren die Kläger die Feststellung, dass sie Eigentümer dieser Grundstücksteile sind.
Zur Situation nach den Plänen und zur historischen Entwicklung:
Die Grundstücke der Parteien sind im Grundsteuerkataster eingetragen und durch eine gerade verlaufende Grundsteuerkatastergrenze getrennt. Grund dafür ist, dass vor etwa 200 Jahren in „ganz Österreich“ von gewissen Grenzpunkten gerade Linien gezogen wurden, um vor allem im landwirtschaftlichen Bereich eine Grundlage für die Steuerbemessung zu haben. Waldverläufe, Bachgrenzen, usw wurden nur generalisiert, meist mit geraden Linien dargestellt. Abweichungen von diesen geraden Linien wurden aufgrund von wirtschaftlichen Überlegungen in der Natur nicht ermittelt.
Dem Erstkläger war bei Übernahme des Waldgrundstücks im Jahr 1995 bewusst, dass die Pläne eine gerade Linie zeigten. Der genaue Grenzverlauf war bei der Übernahme kein Thema. Die Beklagten ließen sich bei Erwerb des Wiesengrundstücks auf der Gemeinde Pläne zeigen. Dabei sahen sie die gerade Grenzlinie in den vorhandenen Plänen. Sie gingen beim Erwerb ihrer Liegenschaft von dieser Grenze aus.
Das Wiesengrundstück der Beklagten war im sogenannten Franziszeischen Kataster, der im 19. Jahrhundert angelegt wurde, noch als Wald ausgewiesen. Die Fläche wurde vor zumindest 70 bis 100 Jahren (vor 1940) gerodet. Sie stellt sich seitdem als Wiese innerhalb geschlossener Waldbestände dar.
An der Grenze des Waldgrundstücks der Kläger zum Wiesengrundstück der Beklagten bildete sich ein typischer Waldrand aus. In diesem finden sich neben Fichten auch einzelne – durchaus auch schon ältere – Laubbäume, und Baumstöcke aus früherer Nutzung.
Zur Bewirtschaftung der Grundstücke:
Auf dem Waldgrundstück der Kläger stockt – nach teilweisen Kahlschlägen in den Jahren 1963 und 1975 – ein etwa 40 bis 60 Jahre alter Fichtenbestand. Dieser wurde mehrmals durchforstet und befindet sich in einem guten Pflegezustand.
Der Vater des Erstklägers bewirtschaftete das Waldgrundstück, seit er es – gemeinsam mit seiner Frau – von seiner Mutter 1960 übernommen hat. Er war schon in den 1950er Jahren an Schlägerungsarbeiten beteiligt. Bei den Schlägerungsarbeiten in den Jahren 1963 und 1975 ging er davon aus, dass er sich im Rahmen seines Eigentums bewegt. Gewisse, durch Samenanflug gewachsene Bäume im Waldrandbereich zum Grundstück der Beklagten (Buchen und Eichen) ließ er aus nicht mehr feststellbaren Gründen stehen. Der Vater des Erstklägers forstete den kahlgeschlagenen Fichtenbestand wieder auf. Samen von Laubbäumen flogen auf beiden Seiten der Katastergrenze an. Der Vater des Erstklägers bewirtschaftete, soweit notwendig, auch dieses Waldstück. Bis zur Übernahme des Wiesengrundstücks durch die Beklagten steht nicht fest, dass Rechtsvorgänger der Beklagten Bewirtschaftungs‑ und Hegemaßnahmen am Baumbestand im Grenzbereich der beiden Grundstücke vornahmen. Der Vater des Erstklägers ging davon aus, redlicherweise eigenen Grund und Boden zu bewirtschaften. Seit der Übernahme des Waldgrundstücks im Jahr 1995 setzte der Erstkläger für sich und die Zweitklägerin die notwendigen Hege‑ und Pflegemaßnahmen so fort, wie sie sein Vater ausgeübt hatte. Nutzungseingriffe fanden nicht jährlich, sondern in größeren Zeitabständen oder bei Notwendigkeit (mechanische Einwirkungen, Wind, Schneedruck, Käferbefall) statt.
Die Beklagten begannen, sobald sie das Grundstück übernommen hatten, selbst Holz aus dem strittigen Grenzbereich zu entnehmen. Ab 1995 begannen sie zudem, Tiere zu halten. Sie errichteten einen Unterstand und einen Zaun im Nahbereich des Waldrands. Unterstand und Zaun wurden 2005 demontiert. Der Unterstand und die dort gehaltenen Tiere wären für den Erstkläger jedenfalls erkennbar gewesen.
Seit 1991 haben sowohl der Vater des Erstklägers und dann der Erstkläger selbst einerseits als auch die Beklagten andererseits, ohne die Frage des Grenzverlaufs zu problematisieren, Hege‑ und Pflegemaßnahmen in wenig intensiver Form sowie Nutzungsmaßnahmen wie Entnahme von Holz und Tierhaltung im Waldrandbereich zwischen den Grundstücken ausgeübt. Beide Seiten gingen davon aus, berechtigterweise ihr jeweiliges Eigentum zu nutzen. Es gab keine wechselseitigen Beschwerden und keine „Kollisionen“. Bis zum Jahr 2012 – Anlass waren andere gemeinsame Vermessungen der Parteien – war der exakte Grenzverlauf nie entscheidendes Thema.
Zur Situation in der Natur:
Es steht nicht fest, in welcher exakten räumlichen Ausdehnung der Vater des Klägers und der Kläger tatsächlich den Waldrand bewirtschaftet haben. Eine eindeutige, für jedermann sofort erkennbare Naturgrenze (wie ein Zaun, ein Steinwall, ein Graben oder eine völlig andere Bodenbeschaffenheit, zB Weg gegenüber Wiese) besteht nicht. Auch eine Grenze zwischen Wald‑ und Wiesenboden ist nicht augenfällig.
Das Erstgericht wies die Haupt‑ und Eventualbegehren der Kläger auf Feststellung des Eigentumserwerbs durch Ersitzung und Feststellung des Erwerbs von Eigentum, dies jeweils bis zu unterschiedlichen Grenzlinien auf dem Plan (richtig: ON 139) eines der vom Erstgericht beigezogenen Sachverständigen (Hauptbegehren: entlang der blau strichlierten Linie südlich der Bäume; Eventualbegehren: entlang der rot strichlierten Linie am äußeren Rand der Bäume), sowie das jeweilige Begehren auf Einwilligung in die Einverleibung des Eigentumsrechts an den jeweiligen Teilflächen mit Pkt 1. seiner Entscheidung ab.
Es setzte in Pkt 2. seiner Entscheidung den Grenzverlauf zwischen den Grundstücken der Parteien entlang der im bereits genannten Plan des Sachverständigen ON 139 schwarz strichlierten Linie („Grundgrenze aus DKM“) fest.
Zur Ersitzung sei Sachbesitz, und zwar Alleinbesitz erforderlich. Es müssten Handlungen gesetzt werden, die den Eigentümer von der Ausübung seines Rechts ausschließen. Im vorliegenden Fall sei entlang des Waldrands zwischen den Grundstücken keine Naturgrenze feststellbar, sodass die Mappengrenze maßgeblich sei, über die die Parteien bei Erwerb der Grundstücke jeweils in Kenntnis gewesen seien. Beide Parteien hätten den Waldrandbereich unabhängig voneinander genutzt, ohne dies wechselseitig zu beanstanden. Für eine von der Mappengrenze abweichende Grenzlinie fehle es an einem eindeutigen ruhigen Besitzstand einer der Streitteile. Eine Ersitzung von Eigentum vor Erwerb des Eigentums durch die Beklagten am Wiesengrundstück scheitere daran, dass jenseits der Mappengrenze nicht eindeutig bestimmt werden könne, bis wohin der Vater des Erstklägers den Wald gehegt und gepflegt habe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger teilweise Folge. Es bestätigte die Abweisung der Haupt‑ und Eventualbegehren durch das Erstgericht. Die Feststellung des Grenzverlaufs durch das Erstgericht in Pkt 2. dessen Entscheidung hob es hingegen ersatzlos auf.
Es fehle eine in der Natur ersichtliche Grenze. Die Ausmaße des Waldgrundstücks im strittigen Bereich seien nicht eindeutig erkennbar. Den Klägern sei es nicht gelungen zu beweisen, dass der Wald während der Ersitzungszeit stets bis zur „blau strichlierten“ Linie (nur dieser erste behauptete Grenzverlauf sei in der Berufung noch thematisiert worden) im Bewusstsein gepflegt worden wäre, dass es sich dabei um eine den Klägern gehörige Waldparzelle gehandelt hätte. Die Abweisung der Klage habe ohne Festsetzung der Grenze zu erfolgen, weil das Erstgericht nicht über die wahre Grenze zu entscheiden gehabt habe. Die Revision ließ das Berufungsgericht nachträglich zu, weil die Frage einer Naturgrenze zwar eine Tatsachenfrage sei, aber nach der Entscheidung 4 Ob 21/19w zwingend die Beiziehung eines Sachverständigen erforderlich wäre.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die von den Beklagten beantwortete Revision der Kläger, mit der diese die Stattgebung der Klage begehren.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch unzulässig. Die Zurückweisung der Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).
Zur behaupteten Naturgrenze:
Die Kläger machen geltend, dass die Vorinstanzen nur aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung davon ausgegangen seien, dass es keine Naturgrenze gäbe, weil zu hohe rechtliche Voraussetzungen an eine Naturgrenze angelegt worden seien. In zwei Sachverständigengutachten sei die Naturgrenze in aller Deutlichkeit bestätigt worden. Diese und auch viele andere Beweise dazu seien zu Unrecht nicht berücksichtigt worden. Das Vorhandensein einer Naturgrenze sei gemäß der Entscheidung 4 Ob 21/19w eine „Sachverständigenfrage“. Es komme dafür nicht auf die subjektive Erkennbarkeit einer solchen Grenze für das Gericht, sondern auf die objektive Erkennbarkeit an. Das Berufungsgericht habe zu Unrecht damit argumentiert, dass schon die verschiedenen Begehren der Kläger darauf hinwiesen, dass es keine Naturgrenze gebe: ein Klagebegehren dürfe nicht Gegenstand der Beweiswürdigung sein.
Für den Umfang des Eigentumserwerbs und damit für den Grenzverlauf ist nicht die Grundbuchsmappe, sondern der Wille der Parteien entscheidend, der sich vor allem in sichtbaren, „natürlichen Grenzen“ manifestieren kann (RS0049554 [T6]; RS0011236). Eine Naturgrenze können auffällige Gegebenheiten in der Natur, wie zB Felsen, Bäume, Berggipfel, Bergrücken, unterschiedliche Kulturgattungen, Schluchten usw bilden (RS0049554 [T3]). Die Frage, wo die natürliche Grenze verläuft, ist eine im Revisionsverfahren nicht mehr überprüfbare Frage der Würdigung aller Beweise einschließlich der Katastermappe und der Grundbuchsmappe, somit eine Frage der Feststellung von Tatsachen (6 Ob 230/98m; RS0049559 [T4]), wie dies die Revisionswerber auch selbst erkennen.
Nichts anderes ergibt sich aus der von den Revisionswerbern für ihren Standpunkt zitierten Entscheidung 4 Ob 21/19w, in der der Oberste Gerichtshof ausdrücklich festhielt, dass die Frage, wo eine natürliche Grenze konkret verläuft „eine Frage der Würdigung aller Beweise (zB Sachverständigengutachten, …)“ ist (Pkt 2.3 in 4 Ob 21/19w, Hervorhebung durch den Senat). Diese Frage kann vom Obersten Gerichtshof, der keine Tatsacheninstanz ist, nicht überprüft werden, sodass auf die diesbezüglichen Ausführungen der Revisionswerber nicht weiter einzugehen ist.
Da eine Naturgrenze nach den für den Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Feststellungen nicht vorhanden ist, zeigen die Kläger auch mit der Behauptung, sie hätten nach dem Übergabevertrag vom 30. 4. 1960 Eigentum bis zur Naturgrenze erworben, keine Korrekturbedürftigkeit der Entscheidung des Berufungsgerichts auf.
Der in diesem Zusammenhang behauptete Mangel des Verfahrens erster Instanz (Verstoß gegen das Überraschungsverbot) wurde bereits vom Berufungsgericht verneint, sodass er in der Revision nicht neuerlich aufgegriffen werden kann (RS0042963).
Zur behaupteten Ersitzung:
Die Kläger machen geltend, dass klar ersichtlich gewesen sei, dass sie bzw ihre Rechtsvorgänger das Grundstück bis zum Waldrand durchforstet hätten. Dies genüge bereits für die behauptete Ersitzung. Diese sei bereits abgeschlossen gewesen, bevor die Beklagten das Wiesengrundstück erworben hätten.
Die Behauptungs‑ und Beweislast für das Vorliegen der Ersitzungsvoraussetzungen trifft den Ersitzungsbesitzer (RS0034237), im konkreten Fall daher die Kläger. Durchforstungsarbeiten können zwar taugliche Besitzergreifungshandlungen darstellen (9 Ob 26/00i). Es steht aber entgegen den Ausführungen der Revisionswerber gerade nicht fest, in welchem bestimmt umgrenzten (RS0034276) Teilstück einer Liegenschaft die Kläger oder ihre Rechtsvorgänger durch Durchforstungsarbeiten Besitz ausübten. Es fehlt an einer in der Natur sichtbaren Grenze, und schon der Vater des Erstklägers ging nach den Feststellungen beim (teilweisen) Kahlschlag im Jahr 1963 davon aus, dass er redlicherweise eigenen Grund und Boden bewirtschaftete. Er ließ – damit in Übereinstimmung – trotz erfolgten Kahlschlags einzelne am Waldrand stockende Bäume (Buchen und Eichen) stehen, die auch heute Teil des Waldrands sind. Der Grund dafür ist zwar nicht feststellbar. Es steht jedoch fest, dass die gerade Grenzlinie aus dem Grundsteuerkataster in sämtlichen historischen Plänen – darunter auch in einem von den Klägern vorgelegten Plan aus dem Jahr 1963 (Blg ./I) – dargestellt ist. Eine Korrekturbedürftigkeit der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach es an den Voraussetzungen für die behauptete Ersitzung fehlt, zeigen die Revisionswerber daher nicht auf. Die Revision ist daher mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO, die Beklagten haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)