OGH 11Os45/20g

OGH11Os45/20g8.5.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. Mai 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger als weitere Richter in der Strafsache gegen Adam S***** wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 611 Hv 2/20h (vormals AZ 316 HR 80/20i) des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 6. April 2020, AZ 21 Bs 82/20t (ON 41 der Hv‑Akten), nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019 zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0110OS00045.20G.0508.000

 

Spruch:

 

Adam S***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

 

Gründe:

In dem von der Staatsanwaltschaft Wien gegen Adam S***** wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und der Verbrechen der terroristischen Straftaten nach § 278c Abs 2 iVm Abs 1 Z 1 (§§ 15, 75) StGB geführten Ermittlungsverfahren wurde mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 15. März 2020 (ON 35) über den Beschuldigten die Untersuchungshaft gemäß § 173 Abs 6 StPO mit der Begründung verhängt, dass die Haftgründe der Flucht- und Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 1, Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a und b StPO nicht auszuschließen seien.

Mit Anklageschrift vom 25. März 2020 (ON 39) legte die Staatsanwaltschaft S***** als das Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB, die Verbrechen terroristischer Straftaten nach „§ 278 Abs 1 Z 1“ (§§ 15, 75 StGB) und die Verbrechen der Ausbildung für terroristische Zwecke nach § 278e Abs 1 StGB beurteilte Handlungen zur Last. Über den dagegen erhobenen Einspruch des Angeklagten wurde noch nicht entschieden (AZ 21 Bs 106/20x des Oberlandesgerichts Wien).

Der gegen den Beschluss ON 35 vom Angeklagten erhobenen Beschwerde (ON 36) gab das Oberlandesgericht Wien mit dem angefochtenen Beschluss vom 6. April 2020, AZ 21 Bs 82/20t (ON 41), nicht Folge und setzte die Untersuchungshaft gemäß § 173 Abs 6 StPO wegen nicht auszuschließender Flucht- (§ 173 Abs 2 Z 1 StPO) und Tatbegehungsgefahr (§ 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO) fort.

Dabei erachtete es S***** als dringend verdächtig, sich im Zeitraum von 2011 bis September 2013 in der Russischen Föderation durch drei im Beschluss näher bezeichnete Beteiligungshandlungen als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung beteiligt zu haben und „im Zuge dieser Tathandlungen im Bezirk Atschchoi‑Martan in Tschetschenien Angehörige der russischen Sicherheitskräfte zu töten zumindest versucht zu haben“ (ON 41 S 3).

In rechtlicher Hinsicht bejahte das Oberlandesgericht dabei den dringenden Tatverdacht in Richtung des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB sowie – mangels dringenden Verdachts eines auf die terroristische Eignung (vgl Plöchl in WK2 StGB § 278c Rz 6 ff, 26) und die terroristische Zielrichtung (vgl Plöchl in WK2 StGB § 278c Rz 12 ff, 26) gerichteten Vorsatzes (ON 41 S 6) und insoweit abweichend vom Erstgericht – der Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB. Fluchtgefahr und Tatbegehungsgefahr könnten laut Oberlandesgericht aus im Beschluss näher dargelegten Gründen „nicht mit hinreichender Sicherheit“ bzw „letztlich nicht gänzlich“ ausgeschlossen werden (ON 41 S 7 f). Die Substituierung der Haft durch gelindere Mittel sei nicht möglich (ON 41 S 8).

 

Rechtliche Beurteilung

Gegen die Annahme des – vom Beschwerdegericht aufgrund der Anwendung des § 173 Abs 6 StPO als hafttragend erachteten – dringenden Tatverdachts in Ansehung der Verbrechen des Mordes richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten, die diesbezüglich (zusammengefasst) fehlende inländische Gerichtsbarkeit – als objektive Bedingung der Strafbarkeit (RIS-Justiz RS0132763; Salimi in WK2 StGB Vor §§ 62–67 Rz 17) – behauptet.

Erfüllt eine im Ausland begangene Tat eine der Bedingungen des § 64 Abs 1 StGB, gelten für ihre strafrechtliche Beurteilung die österreichischen Strafgesetze uneingeschränkt. Daher ist bei echter Idealkonkurrenz zusätzlich zu jener Subsumtionsbestimmung, die die Voraussetzungen des § 64 StGB erfüllt, eine weitere unabhängig davon anwendbar, ob sie selbst diesen Kriterien entspricht (15 Os 86/17m = RIS-Justiz RS0131654, RS0092169 [T1]; Fabrizy, StGB13 § 64 Rz 1; vgl auch EvBl‑LS 2018/47, 282 [mit Anm Ratz]; gegenteilig noch 14 Os 160/09z).

Nach den Sachverhaltsannahmen des Beschwerdegerichts steht S*****, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation mit gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich (ON 41 S 8), im dringenden Verdacht, sich in der Russischen Föderation (ua) an mehreren bewaffneten Kampfhandlungen unter Verwendung von Schusswaffen gegen Soldaten der Russischen Föderation aktiv beteiligt zu haben, wobei er in dem Wissen und Wollen handelte, dadurch die terroristische Vereinigung „Emirat Kaukasus“ und ihre strafbaren Handlungen und Ziele zu fördern (ON 41 S 2 f, 5), womit unmissverständlich eine Beteiligungshandlung iSd § 278b Abs 2 (iVm § 278 Abs 3 dritter Fall) StGB angesprochen wird (vgl 12 Os 146/14h).

„Im Zuge der ... geschilderten Tathandlungen“, nämlich der Teilnahme an aktiven Kampfhandlungen (ON 41 S 3, 5) bzw „derartigen Scharmützeln“, die durchwegs im Waldgebiet stattfanden, in dem der Angeklagte lebte, und die sich „gegen russische Soldaten und Sicherheitskräfte“ richteten (ON 41 S 6), hatte S***** nach der (vom Oberlandesgericht für dringend erachteten) Verdachtslage „Angehörige der russischen Sicherheitskräfte“ durch Schüsse zu töten versucht (ON 41 S 3, 5 f).

Das Beschwerdegericht ging demnach erkennbar davon aus, dass die Schussabgaben (mit Tötungsvorsatz) auf die russischen Sicherheitskräfte im Rahmen der – als Beteiligung an der terroristischen Vereinigung auf sonstige Weise (§ 278b Abs 2 iVm § 278 Abs 3 dritter Fall StGB) – erfassten Kampfhandlungen, somit in Tateinheit erfolgten. Diesfalls liegt – wie im Falle der Begehung einer terroristischen Straftat (§ 278c StGB) durch ein Mitglied der terroristischen Vereinigung – echte (Ideal-)Konkurrenz vor (vgl Plöchl in WK2 StGB § 278b Rz 21; Fabrizy, StGB13 § 278b Rz 5).

Da folglich nach den Sachverhaltsannahmen im Beschluss die – per se keiner der Fallgruppen des § 64 Abs 1 StGB zu unterstellenden – Verbrechen des Mordes in Idealkonkurrenz mit dem gemäß § 64 Abs 1 Z 9 lit b StGB der inländischen Gerichtsbarkeit unterliegenden Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB begangen wurden, gelten für die strafrechtliche Beurteilung der hier in Rede stehenden Taten die österreichischen Gesetze uneingeschränkt (abermals RIS‑Justiz RS0131654), sodass auch deren Subsumtion als die Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB in Betracht kommt. Das Oberlandesgericht ging daher zutreffend von inländischer Gerichtsbarkeit aus.

Die Grundrechtsbeschwerde war somit in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, aber entgegen der dazu erstatteten Äußerung der Verteidigung abzuweisen.

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