OGH 1Ob63/20a

OGH1Ob63/20a28.4.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V***** GmbH, *****, vertreten durch die KWR Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH, Wien, gegen die beklagte Partei Z*****, d.d., *****, Slowenien, vertreten durch die ScherbaumSeebacher Rechtsanwälte GmbH, Graz, wegen Feststellung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 18. November 2019, GZ 6 R 22/19f‑65, in der Fassung des Ergänzungsbeschlusses vom 12. März 2020, mit dem der als Urteil formulierte Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 31. Juli 2019, GZ 29 Cg 70/15k‑60, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00063.20A.0428.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die klagende österreichische GmbH begehrt die Feststellung, dass der beklagten slowenischen Aktiengesellschaft im Zusammenhang mit einem bestimmten Hochwasserereignis an einem im Sprengel des Erstgerichts gelegenen Fluss keine Ansprüche – aus welchem Rechtsgrund auch immer – zustehen. Sie erhob weiters ein ebenfalls auf Feststellung gerichtetes Eventualbegehren, nicht zum (Rück‑)Ersatz von Entschädigungszahlungen und von der Beklagten als Versicherer [an Dritte] erbrachten Leistungen im Zusammenhang mit diesem Hochwasserereignis verpflichtet zu sein.

Das Erstgericht wies über Einrede der Beklagten sowohl das Haupt‑ als auch das Eventualbegehren mangels internationaler Zuständigkeit zurück.

Das Rekursgericht änderte die erstinstanzliche Entscheidung dahin ab, dass es die Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit verwarf. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands hinsichtlich des Haupt- und des Eventualbegehrens jeweils 30.000 EUR übersteige, und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

In ihrem dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs zeigt die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO auf.

1. Nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012, der gleichlautend mit Art 5 Nr 3 EuGVVO ist, umfasst der hier relevante Ort, an dem „das schädigende Ereignis eingetreten ist“, nach Wahl des Klägers sowohl den Erfolgsort (Ort, an dem der Schaden eingetreten ist) als auch den Handlungsort (Ort des dem Schaden zugrunde liegenden ursächlichen Geschehens). Fallen beide Orte auseinander (Distanzdelikt), kann der Kläger zwischen dem Handlungsort und dem Erfolgsort als Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit wählen (RIS‑Justiz RS0109078 [T27, T35]; 4 Ob 214/15x; 4 Ob 55/18v = ÖBl‑LS 2018/32, 282 [ Hinger ], jeweils mwN; vgl auch RS0119142).

2.1. Der EuGH hat in seinem Urteil C‑133/11 (Folien Fischer und Fofitec, ECLI:EU:C:2012:664, Rn 55 [zu Art 5 Nr 3 EuGVVO]) ausgesprochen, dass auch eine negative Feststellungsklage mit dem Antrag festzustellen, dass keine Haftung aus einer unerlaubten Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, besteht, unter den hier anzuwendenden Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 fällt. Eine Klage, die auf die Feststellung, dass der Beklagte für einen Schaden haftet, und auf seine Verurteilung zur Zahlung von Schadenersatz gerichtet ist, und eine von dem entsprechenden Beklagten erhobene Klage auf Feststellung, dass er für diesen Schaden nicht haftet, betreffen denselben Anspruch (Rn 49 unter Verweis auf Urteil Tatry, C‑406/92, Slg 1994, I‑5439, Rn 45 [zu Art 21 des Brüsseler Übereinkommens]; ebenso Urteil Nipponkoa Insurance, C‑452/12, ECLI:EU:C:2013:858, Rn 42). Wenn die Umstände, die bei einer negativen Feststellungsklage in Rede stehen, eine Anknüpfung an den Staat rechtfertigen können, in dem sich entweder das ursächliche Geschehen ereignet hat oder der Schaden eingetreten ist oder einzutreten droht, kann der Kläger den Beklagten an einem dieser Orte verklagen (Rn 52).

2.2. Bei einer negativen Feststellungsklage muss es dem „potentiellen Schuldner“ (EuGH C‑133/11, Rn 52), hier also der Klägerin, möglich sein, vor dem Gericht des Handlungs- oder des Erfolgsorts zu klagen, vor dem auch der vermeintlich Geschädigte klagen könnte. Demnach ist ungeachtet der konkreten Parteienrollen zu prüfen, wo der angebliche Schädiger nach den Behauptungen des Gegners ursächlich gehandelt hat (Handlungsort) bzw der Schaden eingetreten ist (Erfolgsort).

2.3. Im Sinne dieser Rechtsprechung stellte der Oberste Gerichtshof beim Handlungsort als Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit bei der negativen Feststellungsklage darauf ab, wo der Begehungsort der (von der Beklagten) beanstandeten und relevanten Handlung der Klägerin liegt (4 Ob 214/15x; 4 Ob 55/18v).

2.4. Die österreichische Klägerin betreibt entlang eines im Sprengel des Erstgerichts liegenden Flusses Wasserkraftwerke. Im November 2012 kam es entlang dieses Flusses zu einem Niederschlags‑ und Hochwasserereignis. Die Beklagte ist ein slowenisches Versicherungsunternehmen. Im Juni 2015 forderte sie die Klägerin zur Zahlung von insgesamt 6.963.378,15 EUR auf und begründete dies damit, sie habe aus bestehenden Vermögensversicherungsverträgen Versicherungsnehmern Entschädigungen in diesem Umfang für durch den Kraftwerksbetrieb der Klägerin im Zusammenhang mit dem Hochwasser im November 2012 entstandene Schäden ausbezahlt. Sie stützt sich auf eine Legalzession.

Der Handlungsort, somit der „Ort des dem Schaden zugrunde liegenden ursächlichen Geschehens“ im Sinn des Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012, liegt im Sprengel des Erstgerichts. Die Entscheidung des Rekursgerichts, das für die von der Klägerin erhobene negative Feststellungsklage über das Nichtbestehen ihrer Haftung den Handlungsort im Sprengel des österreichischen Erstgerichts bejahte, hält sich im Rahmen der aufgezeigten Rechtsprechung und hängt nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage ab. Dass negative Feststellungsklagen vom Anwendungsbereich des Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 erfasst sind, ist durch die Rechtsprechung des EuGH ausreichend geklärt; es bedarf daher keiner neuerlichen Vorlage zur Vorabentscheidung. Die von der Beklagten zitierte Literatur und ausländische Rechtsprechung ist durch die Judikatur des EuGH überholt. Inwiefern die Erwägungsgründe 16 (zum Ziel, zu verhindern, dass die Gegenpartei vor einem Gericht eines Mitgliedstaats verklagt werden kann, mit dem sie vernünftigerweise nicht rechnen konnte) und 21 (zur Rechtshängigkeit) der EuGVVO 2012 der vorgenommenen Auslegung des Art 7 Nr 2 leg cit diamentral entgegenstehen sollten, vermag die Revisionsrekurswerberin nicht schlüssig aufzuzeigen. Ihre Behauptung, durch die Einbringung der negativen Feststellungsklage würde ihre später in Slowenien erhobene Schadenersatzklage torpediert und ihr ein für sie nachteiliger Gerichtsstand aufgezwungen, begründet sie nicht näher. Dass die Klägerin die negative Feststellungsklage etwa in prozessverschleppender Absicht bei einem notorisch langsamen Gericht in Österreich erhoben hätte, um ihre nachfolgende Schadenersatzklage bei einem slowenischen Gericht zu unterbinden, argumentiert sie (zutreffend) nicht.

3. Die Klage wurde am 22. 7. 2015 bei Gericht eingebracht, die von der Beklagten in Slowenien erhobene Leistungsklage am 14. 8. 2015.

Nach Art 29 Abs 1 EuGVVO 2012 setzt das später angerufene Gericht unbeschadet des Art 31 Abs 2 leg cit ([hier nicht vorliegende] ausschließliche Zuständigkeit) das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht, wenn bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht werden. Nach Art 32 Abs 1 lit a EuGVVO 2012 gilt ein Gericht für die Zwecke dieses Abschnitts zu dem Zeitpunkt als angerufen, zu dem das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück bei Gericht eingereicht worden ist, vorausgesetzt, dass der Kläger es in der Folge nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um die Zustellung des Schriftstücks an den Beklagten zu bewirken.

Für Verfahren in Österreich kommt es auf das Anhängigmachen bei Gericht an. Dieser Zeitpunkt ist allerdings nur dann relevant, wenn das Verfahren in weiterer Folge bis zur Zustellung gehörig fortgesetzt wird (Klauser/Kodek, JN‑ZPO18 Art 32 EuGVVO 2012 Anm 1; Garber in Mayr, Europäisches Zivilverfahrensrecht [2017] Rz 3.737). Welche konkreten Maßnahmen der Kläger zur Bewirkung der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks an den Beklagten zu setzen hat, richtet sich nach innerstaatlichem Recht (Garber aaO Rz 3.739; Klauser/Kodek aaO Anm 3). Das Rekursgericht ging ohne Fehlbeurteilung davon aus, für den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit sei die Einbringung der Klage, die den Anforderungen der ZPO entsprechend erfolgte, beim Erstgericht am 22. 7. 2015 maßgebend. Eine Verpflichtung, bei Zustellung in das europäische Ausland Übersetzungen beizufügen, bestehe nicht. Nach Art 8 Abs 1 EuZVO 2007 stehe es dem Empfänger frei, in der Sprache des Übermittlungsstaats abgefasste Schriftstücke entgegenzunehmen. Den nach der – vom Erstgericht erkennbar als berechtigt gewerteten (vgl dazu 4 Ob 183/09d = RS0125604) – verweigerten Annahme der Klage, die zunächst nur in deutscher Sprache übermittelt wurde, erteilten Aufträgen des Gerichts habe die Klägerin entsprochen. Sie habe den aufgetragenen Kostenvorschuss für die zu erwartenden Gebühren für die Übersetzung der Klage und des Auftrags zur Klagebeantwortung in die slowenische Sprache fristgerecht erlegt und auch – wie aufgetragen – die angeschlossenen Beilagen in die slowenische Sprache übersetzen lassen. Die Klägerin habe daher alle ihr obliegenden Maßnahmen gesetzt, um die Zustellung der ordnungsgemäß eingebrachten Klage an die Beklagte zu bewirken. Auf den Zeitpunkt der Zustellung der Klage samt Übersetzung und den Beginn der Frist zur Klagebeantwortung komme es bei der Beurteilung der Frage der (europäischen) Rechtshängigkeit nicht an. Die österreichische Klage gehe der am 14. 8. 2015 beim zuständigen slowenischen Kreisgericht eingebrachten Klage zeitlich vor; das Erstgericht sei das zuerst angerufene Gericht im Sinn des Art 29 Abs 1, 32 Abs 1 lit a EuGVVO. Diese Beurteilung ist nicht zu beanstanden.

Entgegen der nicht näher begründeten Ansicht der Beklagten bestand für die Klägerin bei der Klagseinbringung keine Verpflichtung, eine Übersetzung beizuschließen; es besteht auch kein Anlass zur Annahme, die bereits eingetretene Gerichtsanhängigkeit sei „rückwirkend wieder weggefallen“, weil die Klägerin die Übersetzung erst „auf amtswegiges Betreiben des Gerichts hin“ beigeschafft habe. Vielmehr hat nach Art 5 Abs 1 EuZVO 2007 die Übermittlungsstelle (Art 2 Abs 1 EuZVO 2007: für österreichische Ersuchen das jeweilige Prozessgericht; Sengstschmid in Mayr, Europäisches Zivilverfahrensrecht [2017] Rz 14.65) einen Kläger davon in Kenntnis zu setzen, dass der Empfänger die Annahme des Schriftstücks verweigern darf, wenn es nicht in einer der in Art 8 genannten Sprachen abgefasst ist. Nach Art 8 Abs 1 EuZVO 2007 darf der Empfänger die Annahme eines Schriftstücks verweigern, das nicht in einer am Ort der Zustellung geltenden Amtssprache oder in einer Sprache, die der Empfänger versteht, abgefasst ist. Gemäß Art 8 Abs 3 EuZVO 2007 kann im Fall der Verweigerung der Annahme die Zustellung dadurch bewirkt werden, dass dem Empfänger im Einklang mit dieser Verordnung das Dokument zusammen mit einer Übersetzung des Schriftstücks in eine der in Absatz 1 leg cit vorgesehenen Sprachen zugestellt wird. Damit geht die EuZVO 2007 selbst davon aus, dass in einem ersten Schritt die Übermittlung eines gerichtlichen Schriftstücks in der Amtssprache des Übermittlungsstaats ausreicht, wobei der Empfänger die Annahme allerdings aus den in Art 8 Abs 1 EuZVO 2007 genannten Gründen verweigern darf. Dass die Klage keiner Übersetzung in die slowenische Sprache anlässlich des ersten Zustellungsversuchs bedurfte und dies keine Säumnis im Sinn des Art 32 Abs 1 lit a EuGVVO 2012 begründete, ergibt sich eindeutig aus den unionsrechtlichen Bestimmungen, sodass es der von der Beklagten angeregten Vorabentscheidung durch den EuGH nicht bedarf.

4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

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