European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00055.18V.0322.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Die Klägerin ist eine österreichische GmbH, die Schokoladewaren erzeugt und vertreibt. Die Beklagte ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in der Schweiz und erzeugt bzw vertreibt ebenfalls Schokoladewaren.
In einem anwaltlichen Abmahnschreiben vom November 2016 warf die Beklagte der Klägerin vor, dass diese durch den Verkauf von Schokolade-Rentieren in Großbritannien in die Rechte der Beklagten eingreife. Die Beklagte stelle seit 2004 in Großbritannien ihr berühmtes Gold-Rentier her und sei berechtigt, ihren Goodwill an der Aufmachung mit einer britischen „passing off-Klage“ zu schützen. Die Klägerin wurde aufgefordert, es in Großbritannien zu unterlassen, Schokolade-Rentiere mit einer ähnlichen Aufmachung herzustellen. Für den Fall der Weigerung wurde sie ersucht, der Beklagten den Namen und die Adresse der englischen Anwälte namhaft zu machen, die bevollmächtigt seien, die verfahrenseinleitenden Schriftsätze entgegenzunehmen.
Die Klägerin nimmt die Beklagte zum einem mit negativer Feststellungsklage – gerichtet auf die Feststellung, dass ihre Schokoladeware nicht in die Rechte der Beklagten eingreife – in Anspruch und begehrt zum anderen den Ersatz der ihr durch Einschaltung einer englischen Anwaltskanzlei entstandenen Kosten. Der Beklagten stünden die in Anspruch genommenen gewerblichen Schutzrechte nicht zu. Der Klägerin werde (in Großbritannien) eine einstweilige Verfügung angedroht, die ihr sämtliche Verkäufe des Produkts verbieten würde. Das englische Gericht würde Schadenersatz zusprechen und die Klägerin zur Rechnungslegung, Herausgabe der Produkte und zur Vernichtung verpflichten. Dazu kämen noch Kostenersatz und eine Veröffentlichungsandrohung. Selbst bei einem Obsiegen bestehe wegen des fehlenden Kostenersatzes die Gefahr eines erheblichen Schadens durch die drohende Klage in Großbritannien, wobei die Beklagte damit spekuliere, dass die Klägerin vom berechtigten Vertrieb ihres Produkts Abstand nehme, „womit weiterer Schaden in Österreich entsteht“. Da sich die unberechtigte Unterlassungsaufforderung „in Österreich auswirkt“, könne sich die Klägerin im Sinne der Ubiquitätstheorie auf Art 7 Nr 2 EuGVVO stützen.
Die Beklagte beantragte die Zurückweisung der Klage mangels inländischer Gerichtsbarkeit des angerufenen Gerichts. Ihre Unterlassungsansprüche würden sich nur auf Großbritannien beziehen, weshalb die Voraussetzungen für eine negative Feststellungsklage vor einem österreichischen Gericht nicht gegeben seien. Der Klägerin sei durch das Anwaltsschreiben in Österreich auch kein Schaden entstanden.
Das Erstgericht wies die Klage wegen internationaler Unzuständigkeit zurück.
Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
In ihrem dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs zeigt die Klägerin keine erhebliche Rechtsfrage auf.
1. Nach der – wegen des Sitzes der Beklagten in der Schweiz anzuwendenden – Bestimmung des Art 5 Z 3 LGVÜ II, die sich mit Art 7 Nr 2 EuGVVO inhaltlich deckt, umfasst der hier relevante Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, nach Wahl des Klägers sowohl den Erfolgsort (Ort, an dem der Schaden eingetreten ist), als auch den Handlungsort (Ort des dem Schaden zugrunde liegenden ursächlichen Geschehens; vgl EuGH Rs 21/76, Bier/Mines de Potasse, Slg 1976, 1735). Fallen beide Orte auseinander (Distanzdelikt), kann der Kläger zwischen dem Handlungsort und dem Erfolgsort als Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit wählen (RIS‑Justiz RS0109078 [T27] = 2 Ob 222/14g; vgl auch RIS‑Justiz RS0119142).
2.1 Der EuGH hat in seiner Entscheidung C‑133/11, Folien Fischer, zur gleichlautenden Bestimmung Art 5 Nr 3 EuGVVO alt ausgesprochen, dass auch eine negative Feststellungsklage mit dem Antrag festzustellen, dass keine Haftung aus einer unerlaubten Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, besteht, unter diese Bestimmung fällt. Wenn die Umstände, die bei einer negativen Feststellungsklage in Rede stehen, eine Anknüpfung an den Staat rechtfertigen können, in dem sich entweder das ursächliche Geschehen ereignet hat oder der Schaden eingetreten ist oder einzutreten droht, kann der Kläger den Beklagten an einem dieser Orte verklagen (Rz 39, 52). Dagegen darf sich ein Gericht, das im Staat des Gerichtsstands keinen der beiden Anknüpfungspunkte feststellen kann, nicht für zuständig erklären.
2.2 Mit den in der Entscheidung erwähnten „in Rede stehenden Umständen“ sind jene Anknüpfungspunkte gemeint, auf die sich das „mutmaßliche Opfer“ (vgl Rn 52) bei einer Unterlassungs- oder Schadenersatzklage berufen könnte (hier also die Beklagte bei der von ihr angedrohten „passing off-Klage“). Bei einer negativen Feststellungsklage muss es auch dem „potenziellen Schuldner“ (Rn 52, hier also der Klägerin) möglich sein, vor dem Gericht des Handlungs- oder des Erfolgsorts zu klagen, vor dem auch die vermeintlich Geschädigte klagen könnte. Demnach ist ungeachtet der konkreten Parteirollen zu prüfen, wo der Schädiger ursächlich gehandelt hat (Handlungsort) bzw der Schaden des Geschädigten eingetreten ist (Erfüllungsort).
2.3 Im Sinne dieser Rechtsprechung stellte der Senat in der Entscheidung 4 Ob 214/15x beim Handlungsort als Anküpfungspunkt für die Zuständigkeit der negativen Feststellungsklage darauf ab, wo der Begehungsort der (vom Beklagten) beanstandeten und relevanten Handlung des Klägers liegt.
2.4 Die vorliegende Konstellation ist davon geprägt, dass die Klägerin wegen ihrer Handlungen in Großbritannien bzw des der Beklagten dort entstandenen Schadens mit einer möglichen britischen passing off-Klage konfrontiert wird. Die Entscheidung der Vorinstanzen, die hier einen Handlungs- und Erfolgsort in Österreich verneint haben, hält sich im Rahmen der aufgezeigten Rechtsprechung und begründet keine erhebliche Rechtsfrage.
2.5 Mit dem Hinweis im Rechtsmittel, dass die Klägerin nur in Österreich direkt geschädigt werden konnte bzw ihr dort ein Schaden entstanden sei bzw drohe, kann die Zuständigkeit für eine negative Feststellungsklage im Sinne der aufgezeigten Rechtsprechung nicht begründet werden, weil nach dieser Judikatur – wegen der vertauschten Parteirollen (vgl C‑133/11, Folien Fischer Rn 43 f) – nur auf den (vermeintlichen) Schaden der Beklagten Bezug genommen werden kann. Aus der Entscheidung des EuGH ist abzuleiten, dass eine negative Feststellungsklage gerade nicht auf die Geltendmachung eines eigenen Schadens abzielt (vgl Rn 42 f, Rn 48 f).
3. Hinsichtlich allfälliger der Klägerin entstandener Vermögensschäden einer allenfalls unberechtigten Schutzrechtsverwarnung in Großbritannien hat das Rekursgericht im Rahmen gesicherter Rechtsprechung darauf abgestellt, dass bloße vermögensrechtliche Folgeschäden nicht zuständigkeitsbegründend sind (RIS‑Justiz RS0119142), sodass auch die Zurückweisung des Zahlungsbegehrens wegen des Ersatzes der zur Abwehr einer allenfalls unberechtigten Schutzrechtsverwarnung für den britischen Markt in Großbritannien angefallenen Rechtsverfolgungskosten die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht begründen kann, zumal nach der Rechtsprechung Art 5 Nr 3 LGVÜ II nicht auf Kosten des allgemeinen Gerichtsstands des Beklagten zu einem Klägergerichtsstand ausgedehnt werden darf (RIS‑Justiz RS0109737 [T2]). Zudem führt das Rechtsmittel auch nicht näher aus, weshalb dieser Schaden in Österreich eingetreten sein soll.
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