European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E128065
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Entscheidung aufgetragen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Der Kläger war bis 2015 Kommanditist mehrerer Kommanditgesellschaften, der Beklagte ist Geschäftsführer deren Komplementärgesellschaften. Für das Jahr 2015 reichte der Beklagte Steuererklärungen für die Kommanditgesellschaften nicht ein, woraufhin die Abgabenbehörde die Besteuerungsgrundlagen im Schätzungsweg ermittelte und entsprechende Bescheide über die Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO erließ. Diese hat der Kläger angefochten; eine Entscheidung des Bundesfinanzgerichts steht noch aus. Für die Jahre 2013 und 2014 reichte der Beklagte zwar Steuererklärungen für die Kommanditgesellschaften ein; es bestehen aber Meinungsverschiedenheiten zwischen den Streitteilen über die Richtigkeit dieser Erklärungen. Vereinbarungen darüber, wie die Abgabenerklärungen der Kommanditgesellschaften für diese Jahre zu erstellen gewesen wären, wurden von den Streitteilen anlässlich des Ausscheidens des Klägers nicht getroffen.
Die Vorinstanzen wiesen übereinstimmend das auf den Titel des Schadenersatzes gestützte Begehren des Klägers ab, festzustellen, dass der Beklagte ihm jeden Schaden zu ersetzen habe, den er als ehemaliger Kommanditist dadurch erleide, dass der Beklagte als Geschäftsführer der Komplementärgesellschaften dieser Kommanditgesellschaften die Abgabenerklärungen zur Feststellung der Einkünfte der Kommanditgesellschaften nicht, verspätet oder nicht richtig bei der Abgabenbehörde eingereicht oder seiner Verpflichtung nach der Bundesabgabenordnung, steuerliche Aufzeichnungen zu führen, nicht in gesetzlicher Weise entsprochen habe; auch das Eventualbegehren, festzustellen, dass der Beklagte an die Kommanditgesellschaften Schadenersatz in jener Höhe zu leisten habe, damit diese ihrerseits in der Lage seien, Schadenersatz an den Kläger zu leisten, wiesen die Vorinstanzen ab. Der Kläger müsse seine eigenen Ansprüche gegenüber den Kommanditgesellschaften geltend machen, der Beklagte sei passiv nicht legitimiert. Dieser habe sich dem Kläger gegenüber – entgegen dessen Behauptungen – auch nicht persönlich zur Schadloshaltung verpflichtet. Ansprüche der Kommanditgesellschaften gegen den Beklagten könne der Kläger ebenfalls nicht geltend machen; hinsichtlich seiner actio pro socio fehle es ihm an der Aktivlegitimation, weil er nicht mehr Kommanditist sei.
Das Berufungsgericht sprach darüber hinaus aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteigt und die ordentliche Revision nicht zulässig ist.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision ist zulässig; sie ist auch berechtigt.
1. Bei einer GmbH & Co KG ist der Geschäftsführer der Komplementärgesellschaft der Kommanditgesellschaft für die Führung ihrer Geschäfte mit der im § 25 Abs 1 GmbHG umschriebenen Sorgfalt unmittelbar verantwortlich (RS0059661). Nach der Entscheidung 6 Ob 171/15p (RWZ 2016/28 [Wenger] = GesRZ 2016, 281 [Schörghofer] = ÖBA 2017, 621/2380 [Dellinger]) ist für die Haftung des Geschäftsführers beachtlich, dass die Komplementär-GmbH rein formal als Zwischenglied „vorgeschoben“ wird, wenn sie außerhalb der Geschäftsführung für die Kommanditgesellschaft keine anderen Aufgaben wahrnimmt. Der GmbH‑Geschäftsführer wird in diesem Fall organschaftlich mittelbar beziehungsweise faktisch für die Kommanditgesellschaft tätig; seine wesentliche Tätigkeit wirkt sich direkt bei der Kommanditgesellschaft aus. Diese Entscheidung steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung, wonach der Geschäftsführer nur der Gesellschaft gegenüber haftet, eine Haftung des Geschäftsführers dem einzelnen Gesellschafter gegenüber im Gesetz jedoch nicht statuiert ist (RS0059432, RS0060031). Anspruch auf Schadenersatz hat somit nur die unmittelbar geschädigte Gesellschaft selbst (RS0059432 [T4]), Nachteile im Vermögen der Gesellschafter, die lediglich den Schaden der Gesellschaft reflektieren, gewähren dem Gesellschafter auf keinen Fall direkten deliktischen Schutz (RS0059432 [T2]). Für ein Abgehen von dieser Rechtsprechung besteht kein Anlass.
2. Allerdings hat sich der Kläger bereits im Verfahren erster Instanz unter anderem darauf berufen (AS 33, 37, 45), dass die Kommanditgesellschaften durch falsche (und wohl auch fehlende) Steuererklärungen weder mit einem Verspätungszuschlag des Finanzamts belastet würden noch das Risiko hätten, selbst eine Zahlungsverpflichtung für Steuern zu haben, die sie bei richtigen Steuererklärungen nicht hätten; die Rechtsfolgen von rechtswidrigen Handlungen des Geschäftsführers träfen aufgrund der besonderen Steuerrechtslage somit unmittelbar die Gesellschafter.
2.1. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass zwar der mittelbar Geschädigte – sofern nicht das Gesetz selbst Ausnahmen enthält – Schadenersatz nicht verlangen kann (RS0021473), Vermögensschäden aber dann zu ersetzen sind, wenn eine Ausuferung von vornherein ausgeschlossen ist. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn ein Schaden, der typischerweise bei einer ersatzberechtigten Person eintritt, aufgrund eines hinzutretenden Sachverhaltselementes atypischerweise bei einer anderen, prinzipiell nicht ersatzberechtigten Person eintritt, ohne dass es zu einer Veränderung des Schadensausmaßes kommt, wenn es sich also um eine reine Schadensverlagerung handelt (RS002638 [T7, T8, T9]; RS0022608). Voraussetzung ist, dass der unmittelbar Verletzte keinen Vermögensnachteil erlitt, weil im Schädigungszeitpunkt bereits ein Dritter aufgrund besonderer Rechtsbeziehungen zum Verletzten das wirtschaftliche Risiko der Rechtsgutsverletzung zu tragen hatte (https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&GZ=1Ob2201/96z&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True; 6 Ob 312/05h). Die Auffassung, dass eine bloße Schadensverlagerung den Schädiger nicht zu entlasten vermag, beruht auf dem Gedanken, dass der für den Eintritt des Schadens verantwortliche Schädiger nicht bloß deshalb von seiner Ersatzpflicht befreit werden dürfe, weil der Schaden aufgrund eines Rechtsverhältnisses nicht beim Verletzten, sondern bei einem Dritten eintritt (RS0022830).
2.2. Ein solcher Ausnahmefall einer Schadensverlagerung liegt hier vor:
Eine Personengesellschaft, die betriebliche Einkünfte erzielt, ist steuerlich gesehen eine sogenannte Mitunternehmerschaft. Sie ist zwar Gewinnermittlungssubjekt, aber – anders als die Kapitalgesellschaft – in ertragssteuerlicher Hinsicht nicht Steuersubjekt (VwGH RO 2015/15/0020 ua). Das bedeutet, dass der in einem Wirtschafts‑/Kalenderjahr erzielte Gewinn/Verlust nicht bei der Gesellschaft selbst besteuert wird, sondern unmittelbar bei ihren Gesellschaftern nach Maßgabe deren Beteiligungen (§ 21 Abs 2 Z 2, § 22 Z 3, § 23 Z 2 EStG 1988). Der Bescheid über die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung bildet die Grundlage für die Veranlagung der einzelnen Gesellschafter zur Einkommensteuer (§ 188 BAO). Bescheidbeschwerden gegen die Höhe des Gewinns bzw des Gewinnanteils können daher nur gegen den Feststellungsbescheid, nicht aber gegen die davon abgeleiteten Einkommensteuerbescheide der Gesellschafter erhoben werden (§ 252 Abs 1 BAO; vgl VwGH 2008/13/0074, 2004/13/0069 ua). Kommt deshalb der Geschäftsführer der Komplementärgesellschaft seiner Verpflichtung zur (fristgerechten) Abgabe von (richtigen) Ertragsteuererklärungen für die Kommanditgesellschaft nicht nach und kommt es deshalb (etwa infolge einer Gewinnermittlung der Abgabenbehörde durch Schätzung) zu einem unrichtigen Feststellungsbescheid nach § 188 BAO, so wirkt sich diese überhöhte Gewinnfeststellung nicht im Vermögen der Kommanditgesellschaft, die kein Steuersubjekt ist, sondern im Vermögen deren Gesellschafter aus, denen aufgrund der überhöhten Gewinnfeststellung zu hohe Einkommensteuern vorgeschrieben werden.
2.3. Nach § 246 Abs 2 BAO ist zur Einbringung einer Bescheidbeschwerde gegen Feststellungsbescheide jeder befugt, gegen den diese Bescheide wirken. Gemäß § 191 Abs 3 letzter Satz BAO wirken Feststellungsbescheide gegen alle, denen Einkünfte zugerechnet bzw nicht zugerechnet werden. Daher sind auch gegen einen an eine Kommanditgesellschaft gerichteten Feststellungsbescheid nach § 188 BAO nicht nur die Kommanditgesellschaft selbst, sondern überdies jeder Komplementär und jeder Kommanditist beschwerdebefugt (vgl VwGH 2007/16/0084; Richtlinien des Bundesministeriums für Finanzen zur Feststellung von Einkünften [§ 188 BAO] Punkt 11.2.1). Dies ändert aber nichts daran, dass die grundsätzliche Verpflichtung, Ertragsteuererklärungen für die Personengesellschaft einzureichen, den Geschäftsführer trifft. Nimmt deshalb der Gesellschafter der Personengesellschaft sein Rechtsmittelrecht nicht wahr und erleidet er letztlich den dargestellten Schaden (zu hohe Einkommensteuerverpflichtung), so würde seine Unterlassung (allenfalls) ein Mitverschulden im Sinn des § 1304 ABGB darstellen; zu einer gänzlichen Entlastung des Geschäftsführers wird dies im Regelfall jedoch nicht führen. Im Übrigen ist zu beachten, dass der Personengesellschafter einen Schaden etwa auch dadurch erleiden kann, dass er sich im Rechtsmittelverfahren eines Steuerberaters bedient, dessen Kosten ihm im Abgabenverfahren nicht ersetzt werden. Die Einwendung des Beklagten im Verfahren erster Instanz, dem Kläger fehle es im Hinblick auf dessen eigene Rechtsmittelbefugnis am Feststellungsinteresse, geht somit ins Leere.
2.4. Damit vermag der erkennende Senat die Auffassung der Vorinstanzen, der Beklagte sei für die gegen ihn erhobenen eigenen Ansprüche des Klägers (Hauptbegehren) passiv nicht legitimiert, nicht zu teilen.
3. Der Kläger stützt seine Ansprüche auch auf eine zwischen den Streitteilen am 6. 2. 2013 getroffene Vereinbarung; darin soll sich unter anderem der Beklagte gegenüber dem Geschäftsführer einer weiteren Gesellschaft zur Schadloshaltung im Fall einer persönlichen Inanspruchnahme für nicht einbehaltene Kapitalertragsteuerbeträge aus Anlass einer Gewinnbeteiligung der Kommanditgesellschaften verpflichtet haben. Darauf braucht im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen nicht mehr näher eingegangen zu werden. Lediglich der Vollständigkeit halber ist aber darauf hinzuweisen, dass diese Anspruchsgrundlage schon allein daran scheitern müsste, dass der Kläger zwar dieser in der Vereinbarung genannte Geschäftsführer ist, sein Feststellungsbegehren aber auf seine Stellung als ehemaliger Kommanditist stützt.
4. Im Zusammenhang mit dem Eventualbegehren meint der Kläger, er sei auch als ehemaliger Gesellschafter berechtigt, die Klage zugunsten der Kommanditgesellschaften zu erheben, „steh[e] die actio pro socio doch auch gegen ehemalige Gesellschafter zu“.
4.1. Als „actio pro socio“ wird der Fall bezeichnet, dass ein Gesellschafter Ansprüche der Gesellschaft gegen einen anderen Gesellschafter im eigenen Namen geltend macht und dabei Leistung an die Gesellschaft begehrt (vgl 6 Ob 58/00y; RS0061635). Dadurch soll es einem einzelnen Gesellschafter, der sich zu einer Leistung an die Gesellschaft verpflichtet hat, ermöglicht werden, auch die übrigen Gesellschafter zu zwingen, ihrerseits die vereinbarte Leistung zu erbringen (RS0062137 [T6]). Dieses in Literatur und Rechtsprechung bereits seit längerem anerkannte Rechtsinstitut wurde mit der GesbR-Reform in § 1188 ABGB positiviert (vgl ErläutRV 270 BlgNR 25. GP 14). Wegen der subsidiären Anwendbarkeit des Rechts der GesbR ist die Bestimmung auch im Bereich der eingetragenen Personengesellschaften beachtlich (Schauer in Straube/Ratka/Rauter, UGB Ihttps://rdb.manz.at/document/1146_6_ugb_p0108?execution=e1s3 § 108 [Stand 1. 7. 2018, rdb.at] Rz 38).
4.2. Nach der Rechtsprechung kann „jeder einzelne Gesellschafter“, auch der von der Geschäftsführung und Vertretung ausgeschlossene, demnach auch ein Kommanditist, die actio pro socio erheben (1 Ob 590/80; 6 Ob 58/00y). Maßgeblich ist dabei die Gesellschaftereigenschaft im Zeitpunkt der Geltendmachung (U. Torggler in Straube/Ratka/Rauter, UGB Ihttps://rdb.manz.at/document/1146_ugb_1_p108?execution=e1s3 § 108 Rz 33 [Fassung 1. 8. 2013 bis 30. 6. 2018] unter Hinweis auf Geßler in Schlegelberger4 § 109 Rz 4; ebenso Jabornegg/Artmann, UGB³ § 108 Rz 11). Dies überzeugt, kann doch ein bereits ausgeschiedener Gesellschafter von einer Leistung des Beklagten an die Gesellschaft nicht mehr profitieren, sodass in diesem Fall ein Bedarf für die actio pro socio gar nicht besteht. Für seine gegenteilige Ansicht, eine actio pro socio müsse auch einem bereits ausgeschiedenen Gesellschafter zustehen, vermag der Kläger in seiner außerordentlichen Revision weder eine nähere Begründung noch Belegstellen ins Treffen führen.
5. Der Beklagte hat sich im Verfahren erster Instanz auf „nicht aufgelöste, unterschiedliche steuerliche Beurteilungsansichten“ der Streitteile berufen, welche zu den (angeblich) unrichtigen Steuererklärungen für 2013 und 2014 sowie zur Nichtabgabe der Steuererklärungen für 2015 geführt haben sollen, und hat damit (zumindest schlüssig) auch die Möglichkeit eines Schadenseintritts beim Kläger bestritten. Aufgrund der von ihnen vertretenen Rechtsansicht haben sich die Vorinstanzen, die das Verfahren auf das „Abklären der passiv[en] bzw aktiven Legitimationsthemen“ einschränkten (AS 92), mit diesen Einwendungen nicht auseinander gesetzt, weshalb mit einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen vorzugehen war.
6. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz gründet sich auf § 41 ZPO, jene über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens auf §§ 41, 50 ZPO.
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