OGH 6Ob17/20y

OGH6Ob17/20y20.2.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** F*****, vertreten durch Jeannée Rechtsanwalt GmbH in Wien, wider die beklagte Partei Dr. W***** G*****, vertreten durch Summer Schertler Stieger Kaufmann Droop Lerch Rechtsanwälte GmbH in Bregenz, wegen 22.908,83 EUR sA und Feststellung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 9. Oktober 2019, GZ 4 R 90/19w‑85, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 27. März 2019, GZ 9 Cg 54/15y‑79, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0060OB00017.20Y.0220.000

 

Spruch:

 

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und es wird in der Sache selbst wie folgt erkannt:

„1. Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger binnen 14 Tagen 22.908,83 EUR samt 4 % Zinsen aus 17.908,83 EUR seit 23. 5. 2012 und aus 5.000 EUR seit 8. 5. 2015 zu zahlen wird abgewiesen.

2. Das Klagebegehren, es werde mit Wirksamkeit zwischen den Streitteilen festgestellt, dass die beklagte Partei gegenüber der klagenden Partei für alle zukünftigen Schäden, insbesondere Spät- und Dauerfolgen, resultierend aus der mangelhaften medizinischen Aufklärung und/oder des Diagnose-/Behandlungsfehlers im Mai 2012 (Folgen aus der unterbliebenen/nicht sichergestellten Information des Klägers über die Notwendigkeit der Besprechung des Befundes aus der radiologischen Untersuchung MR Institut ***** vom 23. 5. 2012 und die Notwendigkeit einer weiteren diagnostischen Abklärung in diesem Zusammenhang) hafte, wird abgewiesen.“

Über sämtliche Kosten des Verfahrens hat das Erstgericht zu entscheiden.

 

Entscheidungsgründe:

Der 1981 geborene Kläger suchte am 4. 5. 2012 erstmals die Praxis des beklagten praktischen Arztes auf, weil er sich am Morgen kraftlos fühlte, Kopfschmerzen hatte und Unwohlsein und Schwindel verspürte. Der Beklagte trug in seiner Karteikarte als Diagnose „Cephalea“ ein und hielt fest, dass der Kläger sich „immer angeschlagen fühle“. Um den Zustand des Klägers weiter abzuklären, veranlasste der Beklagte ein großes Blutbild und überwies den Kläger an ein MR-Institut zu einer MRT‑Untersuchung des Kopfes. Diese wurde am 23. 5. 2012 durchgeführt. Im darüber ausgestellten Befund wurde das Vorliegen einer Geschwulst (Gliom) als eine abzuklärende Möglichkeit dargestellt. Im MR‑Institut wurde dem Kläger das Untersuchungsergebnis und der Befund nicht durch einen Arzt erörtert. Der Kläger holte die MRT‑Bilder samt schriftlichem Befund einige Tage nach der Untersuchung persönlich ab und brachte die Unterlagen selbst direkt in die Ordination des Beklagten. Dabei schaute er sich weder die übernommenen Bilder noch den Befund an. Ob und was in der Ordination des Beklagten bei Überbringen der radiologischen Untersuchungsergebnisse hinsichtlich einer Besprechung des Befunds zwischen Arzt und Patienten geredet oder vereinbart wurde, steht nicht fest.

Der Beklagte schaute sich den radiologischen Befund an und gelangte zum Ergebnis, dass dieser mit dem Patienten zu besprechen sei. Am 26. 5. 2012 wurde von der Praxis des Beklagten zunächst versucht, den Kläger telefonisch über jene Mobiltelefonnummer zu erreichen, die dieser bei seiner ersten Konsultation hinterlassen hatte. Ein Kontakt auf diesem Weg kam nicht zustande. Ob der Beklagte oder seine Mitarbeiter weitere Versuche unternahmen, den Kläger telefonisch zu erreichen, steht nicht fest. Allerdings wurde per Post eine nicht eingeschriebene Benachrichtigung an den Kläger geschickt, deren genauer Wortlaut nicht bekannt ist. Es ist möglich, dass lediglich ein Standardtext verschickt wurde, der sich darauf beschränkte, der Kläger möge sich zwecks Befundbesprechung in der Ordination melden. Ob diese Benachrichtigung den Kläger erreichte, steht nicht fest.

Der Kläger meldete sich in der Folge nicht in der Ordination des Beklagten. Weitere Bemühungen, den Kläger zu erreichen, wurden nicht gesetzt, auch nicht, nachdem erkennbar werden musste, dass der Kläger sich nicht meldet.

Nachdem der Kläger die beiden Termine beim Beklagten und die Untersuchungstermine im MR-Institut sowie beim Internisten wahrgenommen hatte, war er wieder ohne Beschwerden. Er suchte daher die Praxis des Beklagten nicht mehr auf und nahm auch sonst keine ärztliche Hilfe in Anspruch.

Ungefähr ab August oder September 2014 bemerkte der Kläger beim Fußballspielen ein verschwommenes Sehen am linken Auge bzw Doppelbilder beim Blick nach links. Dieses Beschwerdebild entspricht neurologisch einer Schädigung des VI. Hirnnervs (Abducensparese).

Ab Jänner 2015 suchte der Kläger deswegen einen Augenarzt auf. Aufgrund der weiteren folgenden Untersuchungen wurde im März 2015 beim Kläger ein Hirnstammgliom diagnostiziert.

Der radiologische Befund vom 23. 5. 2012 hätte eine weitere fachärztliche Abklärung durch einen neuroonkologisch versierten Facharzt für Neurologie oder für Neurochirurgie erfordert. Eine solche Vorstellung beim Facharzt war zwingend geboten, jedoch nicht äußerst dringend vorzunehmen, sondern wäre innerhalb eines Zeitraums von rund drei Monaten vorzusehen gewesen.

Im Rückblick betrachtet ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die Erkrankung (Gliom) bereits im Juni 2012 vorhanden und bei weiterer medizinischer Abklärung bereits in einem früheren Stadium diagnostizierbar war.

Nachträglich betrachtet lässt sich nicht mit ausreichender Sicherheit feststellen, ob sich der Kläger bei gleichem histologischen Befund und gleichzeitig gegebener Rückbildung der Beschwerden im Jahr 2012 für eine Behandlung entschieden hätte.

Es ist möglich, dass durch engmaschige Beobachtung der Entwicklung des Tumors und frühere Therapie das später aufgetretene neurologische Defizit nicht oder in milderer Form aufgetreten wäre. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem gleichen oder zu einem günstigeren Verlauf hinsichtlich der neurologischen Defizite gekommen wäre, liegt bei jeweils 50 %.

Im Falle einer früheren Diagnose wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit die gleiche Behandlungsempfehlung abgegeben worden und dieselbe Behandlung erfolgt.

Die Verzögerung der Diagnose und der Behandlung des Tumors zwischen 2012 und 2014 hat sich möglicherweise ungünstig auf die Behandlungsergebnisse und Behandlungschancen des Klägers ausgewirkt. Allerdings kann aus medizinischer Sicht nicht entschieden werden, ob und welcher konkrete gesundheitliche Nachteil dem Kläger tatsächlich entstanden ist.

Der Kläger begehrt vom Beklagten die Zahlung von 22.908,83 EUR sA an Schmerzengeld (20.000 EUR), Verdienstentgang (769,55 EUR), Kosten einer Spezialbrille (459 EUR), Kosten der Spitalsaufenthalte, Untersuchungen sowie Fahrtkosten (1.402,70 EUR) sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten für alle künftigen Schäden des Klägers, insbesondere Spät- und Dauerfolgen, resultierend aus der unterbliebenen/nicht sichergestellten Information des Klägers über die Notwendigkeit der Besprechung des Befunds aus der radiologischen Untersuchung im MR-Institut ***** vom 23. 5. 2012 und die Notwendigkeit einer weiteren diagnostischen Abklärung in diesem Zusammenhang. Er brachte vor, er sei vom Beklagten vom Ergebnis der Untersuchung im MR-Institut nicht informiert worden, und insbesondere nicht, dass dieser Befund einer näheren neurologisch oder neurochirurgischen Abklärung bedurft hätte. Diese Unterlassung des Beklagten habe zu der verspäteten Behandlung des Hirnstammglioms und dadurch zu einer massiven körperlichen Schädigung des Klägers geführt, weil der Tumor bei tatsächlichem Behandlungsbeginn bereits weit fortgeschritten gewesen sei. Bei frühzeitiger Behandlung hätte ein anderes Therapieregime erfolgen können oder hätten zumindest zwischenzeitlich eingetretene Schäden vermieden oder minimiert werden können. Die endgültigen Folgen der verspäteten Behandlung seien aktuell nicht abschätzbar.

Der Beklagte wendete ein, er habe seine ärztlichen Aufklärungspflichten nicht verletzt und die Behandlung des Klägers sachgerecht durchgeführt. Eine Besprechung der Ergebnisse der MRT‑Untersuchung habe nicht stattfinden können, da der Kläger sich entgegen der getroffenen Vereinbarung weder beim Beklagten gemeldet noch auf Anrufe und Schreiben des Beklagten reagiert habe. Das Schreiben des Beklagten stelle ein übliches Vorgehen dar, es sei nicht üblich, in solchen Standardschreiben eine Diagnose aufzunehmen. Sie enthielten ausschließlich die Aufforderung mit dem behandelnden Arzt Kontakt aufzunehmen. Die durch den Beklagten veranlasste telefonische Kontaktaufnahme mit dem Kläger sowie das Zusenden des Standardbriefs seien ausreichend gewesen. Eine allenfalls beim Kläger eingetretene Gesundheitsstörung sei nicht auf das Verhalten des Beklagten zurückzuführen. Beim Kläger wäre auch bei einer früheren Diagnosestellung kein günstigerer Verlauf zu erwarten gewesen.

Das Erstgericht wies das Zahlungsbegehren ab, gab dem Feststellungsbegehren statt und behielt sich die Kostenentscheidung vor. Es traf ua die schon wiedergegebenen Feststellungen und meinte in rechtlicher Hinsicht, die Versuche des Beklagten, nach Einsicht in den MRT‑Befund mit dem Kläger zwecks Besprechung Kontakt aufzunehmen, seien nicht ausreichend gewesen. Das Fehlen einer Rückmeldung des Klägers hätte den Beklagten veranlassen müssen, weitere Maßnahmen zu ergreifen, um zu prüfen und sicherzustellen, dass den Patienten eine der medizinischen Situation entsprechende ausreichende Information und Anleitung erreicht habe. Es wäre dem Beklagten möglich gewesen, die Information mittels eingeschriebenem Brief zu wiederholen oder weitere Versuche zu unternehmen, den Kläger telefonisch zu erreichen, bis dieser sich gemeldet oder zu erkennen gegeben hätte, dass ihn die Information erreicht habe. Das unterbliebene Sicherstellen der Information des Patienten über die Notwendigkeit weiterführender Untersuchungen sei als ärztlicher Behandlungsfehler im weiteren Sinn zu werten. Dem Kläger sei aber der Nachweis eines gesundheitlichen Nachteils als Schaden nicht gelungen, weshalb das Zahlungsbegehren nicht zu Recht bestehe. Hinsichtlich des Feststellungsbegehrens genüge für das dafür nötige rechtliche Interesse aber bereits der Umstand, dass eine künftige Auswirkung des Behandlungsfehlers nicht ausgeschlossen werden könne, weshalb das Feststellungsbegehren zu Recht bestehe.

Das Berufungsgericht hob über die Berufungen beider Parteien das Urteil des Erstgerichts auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es ließ den Rekurs gegen seinen Aufhebungsbeschluss an den Obersten Gerichtshof zu. Dem Beklagten sei ein Behandlungsfehler (im weiteren Sinn) in der vom Erstgericht angenommenen Art anzulasten. Bei Konkurrenz zwischen einem Haftungsgrund aus einem ärztlichen Behandlungsfehler und einem vom Geschädigten zu vertretenden Zufall (Krankheitsschicksal) liege alternative Kausalität vor. Ausgehend von dem aus § 1302 ABGB ableitbaren Grundprinzip der Anerkennung möglicher Verursachung als Zurechnungselement und dem aus § 1304 ABGB gewonnenen Grundgedanken des Prinzips der Schadensteilung habe es zu einer Aufteilung des Schadens zu kommen, und zwar mangels näherer Bestimmbarkeit im Verhältnis 1 : 1. Zur Frage, ob und in welchem Ausmaß der Beklagte hafte, bedürfe es aber noch weiterer Feststellungen insbesondere zum hypothetischen Krankheitsverlauf und dazu, welche Vorgangsweise der Kläger bei entsprechender ärztlicher Beratung und Aufklärung im Jahre 2012 gewählt hätte. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei im Hinblick auf die teilweise divergierenden höchstgerichtlichen Entscheidungen zur Frage der Haftung für Behandlungsfehler bei alternativer Kausalität (RS0090872 einerseits und RS0022562 andererseits) zulässig.

Gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs des Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der gänzlichen Klageabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in der Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Der Rekurs ist zulässig und berechtigt.

Der Rekurswerber macht geltend, dem Kläger sei der von ihm zu erbringende Kausalitätsbeweis nicht gelungen. Dem Beklagten sei kein Behandlungsfehler anzulasten, er habe vielmehr lege artis gehandelt. Sollte man dennoch eine Aufklärungspflichtverletzung durch den Beklagten annehmen, treffe den Kläger ein erhebliches bzw überwiegendes Mitverschulden.

Der Rekursgegner bestreitet die dargestellte Rechtsauffassung des Rekurswerbers und meint, dieser hätte beweisen müssen, dass sein Fehler für den Schaden nicht kausal gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu wurde erwogen:

1. Die ärztliche Aufklärungspflicht umfasst die Pflicht, den Patienten über mögliche Gefahren und schädliche Folgen einer Behandlung oder ihrer Unterlassung zu unterrichten. Aufklärungspflichten und Belehrungspflichten bestehen nicht nur dann, wenn die Einwilligung des Patienten zur Durchführung einer ärztlichen Heilbehandlung erreicht werden soll, sondern auch dann, wenn dem Patienten eine sachgerechte Entscheidung zu ermöglichen ist, ob er eine (weitere) ärztliche Behandlung unterlassen kann. Wenn der Arzt erkennt, dass bestimmte ärztliche Maßnahmen erforderlich sind, dann hat er den Patienten auf deren Notwendigkeit und die Risken ihrer Unterlassung hinzuweisen (RS0026578 [T4]; RS0026413 [T5]). Der Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht, die grundsätzlich anzunehmen ist, ist Frage des Einzelfalls. Der Arzt muss nicht auf alle nur denkbaren Folgen der Behandlung hinweisen (RS0026529).

2. Im Sinn dieser Rechtsprechung war der Beklagte verpflichtet, nach dem Studium des radiologischen Befunds den Kläger auf die indizierte weitere fachärztliche Abklärung durch einen Neurologen hinzuweisen.

Anders als die Vorinstanzen ist jedoch der erkennende Senat der Ansicht, dass die Bemühungen des Beklagten, mit dem Kläger Kontakt aufzunehmen, ausreichend waren: Der Beklagte beließ es nicht nur bei einem Versuch, sondern setzte (zumindest) zwei Versuche auf jeweils verschiedene Art (Telefon, Post). Es ist bekannt (§ 269 ZPO), dass auch im Jahr 2012 Mobiltelefone schon die Eigenschaft hatten, empfangene, aber nicht entgegengenommene Anrufe mit der Telefonnummer des Anrufers zu speichern, was einen späteren Rückruf des Angerufenen ermöglicht. Von der Praxis des Beklagten wurde gerade bei der vom Kläger hinterlassenen Mobiltelefonnummer angerufen. Bei einer allfälligen Änderung der Telefonnummer wäre es am Kläger gelegen, diese Änderung dem Beklagten mitzuteilen (vgl die Wertung von § 8 ZustG). Auch wenn beim postalischen Versuch der Kontaktaufnahme nur ein Standardtext mit der Aufforderung, sich zwecks Befundbesprechung in der Ordination zu melden, verwendet worden sein sollte, wäre ein solcher Text ausreichend gewesen. Denn eine bloß schriftliche Aufklärung hätte ohnehin nicht genügt, ist doch das unmittelbare persönliche Aufklärungsgespräch erforderlich, um eine entsprechende Aufklärung des Patienten zu bewirken (vgl RS0102906 [T3]). Schließlich ist auf die den Patienten grundsätzlich treffende Eigenverantwortung zu verweisen (vgl 8 Ob 1570/91 = RS0026529 [T8]; 5 Ob 165/05h = RS0026413 [T5]), die im Fall des Bemühens des Arztes um Kontaktaufnahme mit dem Patienten bedeutet, diese Kontaktaufnahme auch durch die erörterten zumutbaren Handlungen zu ermöglichen (hier etwa Rückruf am Mobiltelefon bzw Bekanntgabe einer geänderten Mobiltelefonnummer).

3. Unmittelbar vergleichbare Sachverhalte konnten in der oberstgerichtlichen Rechtsprechung nicht gefunden werden.

4.1. In der bereits zitierten Entscheidung 5 Ob 165/05h wurde eine (Mit-)Haftung des beklagten Arztes wegen mangelhafter Aufklärung bejaht: Dort erkannte der beklagte Gynäkologe bei einer Ultraschalluntersuchung der schwangeren Erstklägerin eine auffällige Menge an Fruchtwasser sowie ein auffälliges Größen‑(Miss‑)verhältnis zwischen Thorax und Bauchraum. Er reagierte auf diese Auffälligkeiten derart, dass er der Erstklägerin eine Überweisung in die Risikoambulanz der Landesklinik schrieb, ihr übergab und ihr beim Hinausgehen aus dem Ordinationsraum in das Sekretariat noch wörtlich sagte: „Sie gehen mir jetzt in die Risikoambulanz!“

Der Beklagte wies dabei die Erstklägerin weder auf die Möglichkeit einer chromosomalen Fehlentwicklung des Fötus noch darauf hin, dass die von ihm angeordnete Untersuchung dazu diente, festzustellen, ob die Gefahr besteht, dass sie ein geistig und körperlich behindertes Kind zur Welt bringen wird. Diese Gefahr realisierte sich in der Folge.

4.2. Von diesem Fall unterscheidet sich der vorliegende maßgeblich dadurch, dass dort der Beklagte in unmittelbarem Kontakt mit der Erstklägerin die Möglichkeit gehabt hätte, ihr nicht nur das Aufsuchen der Risikoambulanz nahezulegen, sondern gleichzeitig den Grund für diese Empfehlung näher darzulegen. Die Unterlassung eben dieser Aufklärung sah der 5. Senat als haftungsbegründend an.

Im vorliegenden Fall hatte der Beklagte diese Möglichkeit, im unmittelbaren Gespräch dem Kläger seine Aufklärung über weitere notwendige fachärztliche Abklärungen zu geben, aber gerade nicht, sondern scheiterte schon davor bei seinen Versuchen, mit dem Kläger zwecks Herbeiführung dieses unmittelbaren Kontakts einen Termin in seiner Ordination zu vereinbaren.

Insoweit sich somit der Sachverhalt im vorliegenden Fall von demjenigen der Entscheidung 5 Ob 165/05h entscheidungswesentlich unterscheidet, muss auf die im Schrifttum geäußerten Bedenken an dieser Entscheidung (hier: über den Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht) nicht eingegangen werden (vgl etwa Wilhelm, ecolex 2006, 625; Merckens, AnwBl 2007, 237 [239 f]; Stärker, FamZ 2007, 4; B. Steininger, JBl 2007, 198 [199]; F. Wallner, RdM 2017, 212).

5. Da nach dem Gesagten die Versuche des Beklagten, mit dem Kläger zwecks Besprechung des radiologischen Befunds Kontakt aufzunehmen, ausreichend waren, fällt ihm kein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten zur Last, weshalb die auf Schadenersatz aus Verschulden gegründeten Ansprüche des Klägers nicht zu Recht bestehen. Die Sache ist daher spruchreif im Sinn der Klageabweisung.

6. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 3 ZPO.

Stichworte