OGH 2Ob11/19k

OGH2Ob11/19k17.12.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. M***** H*****, und 2. I***** H*****, vertreten durch Dr. Georg Lugert, Rechtsanwalt in St. Pölten, wider die beklagte Partei N***** Versicherung AG, *****, vertreten durch Mag. Thomas Lechner, Rechtsanwalt in Wien, wegen 5.986,16 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 24. Oktober 2018, GZ 21 R 208/18y‑35, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Zwischenurteil des Bezirksgerichts Neulengbach vom 16. Juli 2018, GZ 2 C 302/17g‑31, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0020OB00011.19K.1217.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil zu lauten hat:

„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, den klagenden Parteien 5.986,16 EUR samt 4 % Zinsen seit 1. 11. 2016 zu bezahlen, wird abgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 3.004,87 EUR (darin enthalten 396,09 EUR USt und 628,10 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 1.475,42 EUR (darin enthalten 114,82 EUR USt und 886,50 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Kläger wohnen in einem Einfamilienhaus. Den Strom für ihre Liegenschaft beziehen sie von der EVN. Am 12. 9. 2016 stieß H***** S***** mit einem von ihm gehaltenen und bei der Beklagten haftpflichtversicherten Traktorgespann gegen den unmittelbar vor der Liegenschaft der Kläger situierten Kabelverteilerschrank der EVN. Dieser Kabelverteilerschrank versorgt außer dem Grundstück der Kläger noch zwei benachbarte Grundstücke mit Strom. Der Anhänger des Traktors touchierte den Verteilerschrank, wodurch dieser aus seiner Sockelverankerung gerissen wurde. Die auf der rechten Seite liegenden Kabel wurden dabei herausgezogen, sodass sich der Nullleiter aus der Kabelklemmung löste und riss. Es kam zu einer sogenannten Nullleiterunterbrechung und in weiterer Folge zu einer Überspannung im Wohnhaus der Kläger.

Unmittelbar nach dem Vorfall beim Kabelverteilerschrank flackerte im Haus der Kläger kurz das Licht und erlosch sofort danach. Zudem roch es verbrannt. Der Erstkläger wollte den Fehlerstromschutzschalter (FI‑Schalter) wieder hoch drücken, was ihm allerdings erst nach der Reparatur des Verteilerschranks gelang. Durch den Vorfall wurden diverse elektronische Geräte der Kläger, nämlich der Trockner, der Kühlschrank, ein Receiver, die Mikrowelle, das Radio, der Sensor der Außenlampe sowie die Heizung beschädigt.

Die Kläger begehren von der Beklagten die Zahlung von 5.986,16 EUR sA. Der in der Zerstörung der Elektrogeräte liegende Schaden sei als ersatzfähiger unmittelbarer Sachschaden zu qualifizieren, weil er eine unmittelbare Folgewirkung der Beschädigung des Verteilerschranks darstelle. Es handle sich um einen geradezu typischen Schaden, wenn ein Verteilerschrank umgefahren werde. Der Traktorlenker habe den Schaden zumindest fahrlässig verursacht und in das Recht der Kläger eingegriffen, auf Basis des Strombezugsvertrags Strom von der EVN zu beziehen.

Die Beklagte wendete ein, der Schaden sei nicht durch den Unfall und dessen mechanische Einwirkung entstanden, sondern vielmehr durch die dadurch ausgelöste elektrische Einwirkung, welche zu einer Überspannung geführt habe. Es liege somit ein nicht ersatzfähiger mittelbarer Schaden vor. Dieser Folgeschaden habe sich nicht in der Rechtssphäre des unmittelbaren Geschädigten, der EVN, ereignet, sondern in der Sphäre der davon verschiedenen Kläger. Nach dem gewöhnlichen Verlauf der Geschehnisse sei nicht damit zu rechnen gewesen, dass der Nullleiter abreiße und es zu einer Überspannung komme.

Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, der Klageanspruch bestehe dem Grunde nach zu Recht. Es traf – soweit wesentlich – die wiedergegebenen Feststellungen und führte rechtlich aus, es liege nicht außerhalb der allgemeinen menschlichen Erfahrung, dass es zu Beschädigungen bei den Stromabnehmern kommen könne, wenn man mit einem Fahrzeug gegen einen Verteilerschrank fahre. Mit dieser unmittelbaren Folgewirkung könne nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge gerechnet werden. Der eingeklagte Schaden sei somit ein ersatzfähiger unmittelbarer Schaden. Der beklagte Haftpflichtversicherer müsse für das rechtswidrige und schuldhafte Verhalten des Traktorlenkers einstehen.

Das Berufungsgericht bestätigte das Zwischenurteil des Erstgerichts. Der Lenker habe gegen § 7 Abs 1 StVO verstoßen. Es liege eine typische Kettenreaktion vor, die mit vielen anderen Situationen vergleichbar sei, in denen Lehre und Judikatur Folgeschäden dem Schutzzweck der StVO unterstellten. So würden bei Auffahrunfällen, in denen es zu keinem direkten Kontakt des vordersten Fahrzeugs mit dem zuletzt auffahrenden komme, bei entsprechendem Fehlverhalten Ersatzansprüche anerkannt. Die Entscheidung 8 Ob 49/72, in der in einer vergleichbaren Konstellation der Schadenersatzanspruch bejaht worden sei, sei zwar nicht auf ungeteilte Zustimmung gestoßen. In anderen oberstgerichtlichen Entscheidungen seien aber jeweils unterschiedliche Fallkonstellationen vorgelegen, weshalb nur die Entscheidungen 8 Ob 49/72 und 2 Ob 177/77 einander zu widersprechen schienen. Im vorliegenden Fall sei die Gefahr der Uferlosigkeit der Haftung nicht gegeben. Verteilerkästen versorgten bekanntlich im Regelfall – wie auch hier – nur wenige Haushalte mit Strom. Durch Beschädigungen der Verteilerkästen könnten Überspannungen auftreten und diese wiederum Endgeräte zerstören.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision unter Hinweis auf die „nicht völlig eindeutige“ höchstgerichtliche Judikatur zu.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Klageabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Kläger beantragen in der Revisionsbeantwortung, die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der oberstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen ist; sie ist auch berechtigt.

Die Revisionswerberin macht geltend, der Schaden sei nicht vom Schutzzweck der Norm, die das Einhalten einer Fahrlinie derart gebiete, dass Beschädigungen von fremdem Eigentum nicht eintreten könnten, umfasst. Hier spiele die Frage der Abgrenzung des unmittelbaren Schadens vom mittelbaren Schaden eine zentrale Rolle. Die rechtliche Beurteilung könne nicht davon abhängen, ob im Einzelfall viele oder nur wenige Haushalte an den beschädigten Verteilerkasten angeschlossen seien. Der klagsgegenständliche Schaden als Folgeschaden habe sich nicht in der Rechtssphäre des unmittelbar Geschädigten (EVN als Eigentümer des Kabelverteilerschranks) ereignet.

Hierzu wurde erwogen:

Den Klägern ist zwar zuzugestehen, dass der Oberste Gerichtshof in der vereinzelt gebliebenen Entscheidung 8 Ob 49/72 = EvBl 1972/296 = JBl 1973, 581 bei gleichgelagertem Sachverhalt den Schaden an den beschädigten Elektrogeräten für ersatzfähig erkannt hat.

In der Folge wurde diese Entscheidung jedoch mehrfach ausdrücklich abgelehnt (1 Ob 176/72 = EvBl 1972/297 = JBl 1973, 579; 6 Ob 9/73 = EvBl 1973/174; 2 Ob 177/77 ZVR 1979/93

= EvBl 1979/22 = RZ 1978/31).

In den sogenannten „Stromkabelfällen“ ist ständige Rechtsprechung, dass – jedenfalls in außervertraglichen Verhältnissen – die Schäden, die durch die infolge der Beschädigung einer Stromleitung verursachte Unterbrechung der Stromzufuhr oder Überspannung entstanden sind, zumindest dann nicht ersatzfähig sind, wenn die unmittelbar beschädigte Stromleitung oder – wie hier – der unmittelbar beschädigte Kabelverteilerschrank nicht im Eigentum dessen steht, dessen Sachen als Folge dieser unmittelbaren Beschädigung beschädigt werden (8 Ob 119/75 = JBl 1976, 210; 2 Ob 151/76 SZ 49/96; 2 Ob 177/77 ZVR 1979/93

= EvBl 1979/22 = RZ 1978/31; 2 Ob 190/78 = RS0022632 [T2]; vgl auch 1 Ob 176/72 = EvBl 1972/297 = JBl 1973, 579; 1 Ob 761/76 SZ 50/34; 7 Ob 550/82 RZ 1982/68; 8 Ob 10/85 SZ 58/128 = ZVR 1986/37; RS0022584; speziell zu Kabelbeschädigungen: RS0022591; RS0022620; RS0022632).

Nach dieser – insoweit eindeutigen – Rechtsprechung, von der abzugehen der erkennende Senat keinen Anlass sieht, ist auch der den Klägern an ihren Elektrogeräten entstandene Schaden nicht ersatzfähig, weshalb das Klagebegehren nicht zu Recht besteht. Ungeachtet dessen, dass die Vorinstanzen mit Zwischenurteil nur über den Grund des Anspruchs abgesprochen haben, ist das Klagebegehren mit Endurteil abzuweisen (RS0040791; RS0036749; RS0040826).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Parteien haben vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz dem Gericht kein Kostenverzeichnis übergeben. Nach herrschender Auffassung zweitinstanzlicher Gerichte (OLG Wien 2 R 110/11b; OLG Graz 6 Rs 54/18k ua) und der Lehre ( M. Bydlinski in Fasching/Konecny , ZPO 3 § 54 Rz 2; Obermaier , Kostenhandbuch 3 Rz 1.57, jeweils mwN), der sich der erkennende Senat anschließt, regelt § 54 Abs 1 ZPO nur den spätesten Zeitpunkt der Verzeichnung der Kosten. Jede frühere Verzeichnung ist und bleibt wirksam. Demnach sind der beklagten Partei die in ihren Schriftsätzen verzeichneten Kosten grundsätzlich zuzusprechen. Der Schriftsatz ON 11 war als nicht zweckentsprechend (vgl den Beschluss des Erstgerichts vom 29. 5. 2017, ON 12) nicht zu honorieren. Die Zeugenbekanntgabe ON 13 war als bloße Anzeige nach TP 1 zu honorieren. Im Revisionsverfahren beträgt der Einheitssatz nur 60 % (§ 23 Abs 3 RATG).

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