OGH 14Os108/19t

OGH14Os108/19t3.12.2019

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. Dezember 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel in Gegenwart der Schriftführerin Jäger in der Strafsache gegen Adil S***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB idF BGBl I 1998/153 und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 25. Juni 2019, GZ 37 Hv 108/18s-43, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0140OS00108.19T.1203.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Adil S***** mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB idF BGBl I 1998/153 (A/I und II) sowie jeweils mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (B) und der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach § 208 Abs 1 StGB (C) schuldig erkannt.

Danach hat er von Ende 1999 bis zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2003 in N***** und W*****

(A) außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen

I) in oftmals wiederholten Angriffen an seiner zu Beginn des Tatzeitraums etwa siebenjährigen Nichte Sy***** H***** vorgenommen, indem er sie an der Scheide sowie „im Brust- und Bauchbereich“ intensiv betastete und – nachdem er sie und sich selbst ausgezogen hatte – sein Glied bis zum Samenerguss zwischen ihren Beinen rieb;

II) in zwei Angriffen von der genannten Unmündigen an sich vornehmen lassen, indem diese über seine Aufforderung seinen entblößten Penis mit ihren Händen stimulierte,

wobei die unter A/I und II beschriebenen Handlungen eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine schwere Störung der emotionalen Entwicklung, die zu einer Störung der Persönlichkeits- und weiblichen Identitätsentwicklung mit einer sexuellen Funktionsstörung führte, zur Folge hatten;

(B) durch die unter A/I und II angeführten Taten mit einer minderjährigen Person, die zu den Tatzeitpunkten seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von dieser an sich vornehmen lassen;

(C) Handlungen, die geeignet sind, die sittliche, seelische oder gesundheitliche Entwicklung von Personen unter 16 Jahren zu gefährden, vor der zu A/I und II genannten Unmündigen vorgenommen, um sich dadurch geschlechtlich zu erregen, indem er ihr wiederholt pornografisches Filmmaterial vorführte und sie dabei beobachtete.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht.

Mit der Kritik, das Erstgericht habe die Feststellungen zum Tatgeschehen primär auf die für glaubwürdig erachteten Angaben des Opfers gestützt, dabei aber unberücksichtigt gelassen, dass diese Zeugin einerseits behauptete, die sexuellen Übergriffe hätten (wie auch im Urteil festgestellt) mit Eintreffen der Ehefrau des Angeklagten in Österreich (am 18. März 2003) abrupt geendet, andererseits aber von sexuellem Missbrauch im Lieferauto des Unternehmens berichtet, bei welchem der Angeklagte (nach einem von ihm vorgelegten Versicherungsdatenauszug) erst ab 15. September 2003 beschäftigt war, bezieht sich die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) ebensowenig auf eine entscheidende Tatsache (RIS‑Justiz RS0117499) wie mit dem Vorwurf des Unterbleibens einer Erörterung von – (angeblich) gegen die konstatierte Häufigkeit („oftmals“; US 4 f) der zu A/I angelasteten sexuellen Missbrauchshandlungen sprechenden – Passagen aus der Aussage des Zeugen Sy***** H*****.

Denn die damit angesprochenen Schuldsprüche A und B umfassen jeweils eine gleichartige Verbrechensmenge nur pauschal individualisierter Taten (zum Begriff Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 33), weshalb der mit dem Vorbringen inhaltlich angestrebte Wegfall einzelner sexueller Übergriffe ohne Auswirkungen auf den Schuldspruch und die Subsumtion wäre (RIS-Justiz RS0116736).

Unter dem Aspekt der Sache nach unternommener Infragestellung der vom Erstgericht – mit ausführlicher Begründung (US 6 ff) – bejahten Glaubwürdigkeit des Opfers ist das Vorbringen gleichfalls nicht berechtigt, weil der Bezugspunkt des – grundsätzlich zulässigen – Einwands der

Unvollständigkeit bei der Beurteilung der Überzeugungskraft von Aussagen ausschließlich in den Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen besteht (RIS‑Justiz RS0119422 [T4]).

Davon abgesehen haben sich die Tatrichter mit dem ins Treffen geführten Versicherungsdatenauszug auseinandergesetzt und ausgeführt, aus welchen Gründen sie diesen nicht für geeignet erachteten, Zweifel an der Verlässlichkeit der Depositionen der Zeugin Sy***** H***** zu wecken (US 10).

In diesem Zusammenhang behauptete Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) liegt dann vor, wenn das Urteil den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (RIS-Justiz RS0099431 [T1]). Ein solches

Fehlzitat spricht die Beschwerde nicht an. Indem sie aus dem Versicherungsdatenauszug andere Schlüsse zieht als das Erstgericht, erschöpft sie sich vielmehr in einer in dieser Form unzulässigen Beweiswürdigungskritik nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

Bleibt anzumerken:

In Fällen, in denen – wie hier zu A/I und II (US 4 f) – mehrere gleichartige sexuelle Übergriffe nach § 207 Abs 1 StGB für eine der Folgen nach § 207 Abs 3 StGB ursächlich geworden sind, darf die Erfolgsqualifikation – wie das Erstgericht ohnehin richtig ausgeführt hat (US 15) – nur bei einer dieser Taten angelastet werden (RIS-Justiz RS0120828).

Die (dennoch erfolgte) rechtliche Annahme mehrerer nach Abs 3 erster Fall StGB qualifizierter Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB erweist sich daher als verfehlt.

Vielmehr wäre der Angeklagte (zu A) eines Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB idF BGBl I 1998/153 sowie – auf Grundlage des (im Fall der Realkonkurrenz) für jede Tat gesondert vorzunehmenden Günstigkeitsvergleichs (RIS‑Justiz RS0089011 [T4]) – mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idgF schuldig zu sprechen gewesen, weil diese Bestimmung (im hier anzuwendenden Grundtatbestand) nicht ungünstiger ist als die zur Tatzeit geltende.

Dementsprechend wäre aufgrund des Verbots der Kombination unterschiedlicher Rechtsschichten im Fall der Idealkonkurrenz (RIS-Justiz RS0119085 [T4, T5], RS0112939 [T9]) zu B – neben den bestehend bleibenden (mehreren) Vergehen nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (idgF) – auch ein mit dem Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB idF BGBl I 1998/153 idealkonkurrierend verwirklichtes Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses § 212 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 zu unterstellen gewesen.

Zu amtswegiger Wahrnehmung (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) dieser Rechtsfehler (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) sah sich der Oberste Gerichtshof nicht veranlasst, weil unrichtige Subsumtion den Angeklagten nicht ohne weiteres im Sinn des § 290 StPO konkret benachteiligt (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 22 ff), das Erstgericht – soweit hier wesentlich – nur das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen mit mehreren Vergehen als erschwerend wertete (US 17) und das Oberlandesgericht diese Umstände – aufgrund der Klarstellung – ohne Bindung an die verfehlte rechtliche Unterstellung bei der Entscheidung über die vom Angeklagten gegen den Sanktionsausspruch erhobene Berufung berücksichtigen kann (RIS-Justiz RS0118870).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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