OGH 5Nc28/19s

OGH5Nc28/19s29.11.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj M*****, geboren am *****, Vater R*****, vertreten durch Prof. Dr. Georg Zanger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Obsorge, über den Delegierungsantrag der Mutter E*****, vertreten durch Mag. Britta Schönhart‑Loinig, Rechtsanwältin in Wien, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0050NC00028.19S.1129.000

 

Spruch:

Der Antrag auf Delegierung der Pflegschaftssache vom Bezirksgericht Gänserndorf an das Bezirksgericht Villach wird abgewiesen.

Der Antrag des Vaters auf Zuspruch auf Kosten für seine Äußerung zum Delegierungsantrag wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Eltern des achtjährigen Minderjährigen wurden mit Urteil des Bezirksgerichts Gänserndorf vom 26. 2. 2019 aus gleichteiligem Verschulden geschieden. Der Vater ist österreichischer Staatsbürger, die Mutter US‑Staatsangehörige, der Minderjährige ist Doppelstaatsbürger. Die häusliche Gemeinschaft der Eltern ist seit August 2018 aufgehoben. Die Mutter war mit dem Minderjährigen in ein Frauenhaus gezogen. Bereits am 7. 8. 2018 beantragte der Vater die Übertragung der alleinigen Obsorge an ihn, die Mutter sprach sich dagegen aus und beantragte am 29. 8. 2018 ihrerseits die alleinige Obsorge. Seit damals ist das Bezirksgericht Gänserndorf mit diesem mittlerweile hoch eskalierten Obsorgestreit regelmäßig und intensiv befasst, der Prozessstoff umfasst bereits zwei Aktenbände. Eine Entscheidung über die Obsorge ist noch ausständig. Über das Kontaktrecht schlossen die Eltern anlässlich einer Tagsatzung vor dem Pflegschaftsrichter zunächst am 26. 2. 2019 einen Vergleich, der den Vater berechtigte, seinen Sohn an Samstagen der geraden Kalenderwochen um 9:00 Uhr am jeweiligen Wohnsitz der Mutter abzuholen und ihn um 18:00 Uhr dorthin zurückzubringen. Auch der väterliche Großvater beantragte ein periodisches Kontaktrecht zu seinem Enkel. Anlässlich einer Tagsatzung vor dem Pflegschaftsrichter am 3. 7. 2019 vereinbarten die Eltern ein Ferialkontaktrecht für Tage im August und September 2019, teils bereits mit Übernachtung, und periodische Kontakte des Vaters mit dem Minderjährigen jeweils an den Wochenenden der ungeraden Kalenderwochen in der Zeit von Samstag 9:00 Uhr bis Sonntag 18:00 Uhr, überdies Skypekontakte an jedem Mittwoch um 18:00 Uhr. Seit August 2019 lebt die Mutter mit dem Minderjährigen in Velden. Über den Antrag des Vaters auf Ausdehnung des periodischen Kontaktrechts bereits von Freitag 17:00 Uhr weg wurde bislang noch nicht entschieden, außerdem hat der Vater mittlerweile am 26. 9. 2019 Ferialkontaktrechte für die Weihnachtsferien 2019 und Semesterferien 2020 begehrt.

Die Mutter beantragte in ihrem an den Obersten Gerichtshof gerichteten Antrag am 15. 7. 2019 die Delegierung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Villach nach § 31 Abs 1 JN. Sie sei mit dem Minderjährigen nach Velden am Wörthersee übersiedelt, weil sie bei einer internationalen Schule eine Anstellung gefunden habe. Dort werde der Minderjährige ab September 2019 die Volksschule besuchen. Die Befundaufnahme durch die zu bestellende Sachverständige und die Erhebungen des Jugendhilfeträgers werden im Sprengel des Bezirksgerichts Villach erfolgen, wo Mutter und Sohn nunmehr ihren gewöhnlichen Aufenthalt hätten. Verhandlungstermine in Villach wahrnehmen zu können, diene der Verfahrensbeschleunigung, zumal mit der langen An‑ bzw Abreise zu Terminen nach Gänserndorf erheblicher Zeitverlust samt Betreuungsnotwendigkeit für den Minderjährigen und erhebliche Kosten verbunden seien. Für den Vater, der ohnedies jedes zweite Wochenende nach Velden anreise, sei dies organisatorisch und zeitlich gut zu bewältigen. Da der Mittelpunkt der Lebensführung des Kindes nunmehr in Velden liege und offene Anträge nicht gegen eine Zuständigkeitsübertragung sprächen, sei das Bezirksgericht Villach besser in der Lage, die pflegschaftsgerichtlichen Agenden zu besorgen.

Der Vater sprach sich gegen die Delegierung aus. Der zukünftige gewöhnliche Aufenthalt des Minderjährigen hänge vom Ausgang des beim Bezirksgericht Gänserndorf anhängigen Verfahrens ab, das seit August 2018 intensiv mit den zugrunde liegenden Umständen befasst sei, bereits Sachverständigengutachten und Stellungnahmen des Jugendamts eingeholt und anlässlich von Tagsatzungen vergleichsweise Einigungen zum Kontaktrecht initiiert habe. Da sich das vereinbarte Kontaktrecht auf das Wochenende beschränke, sei eine organisatorische Verbindung mit Verhandlungsterminen nur schwer möglich.

Das Bezirksgericht Gänserndorf – das den Antrag in einen solchen nach § 111 JN umdeutete – wies den Antrag ab. Es verwies darauf, dass das Gericht zur Frage der Obsorge bereits umfangreiche Erhebungen gepflogen und weitere in Auftrag gegeben habe. Dem Gericht sei das Familiengefüge, insbesondere die Eltern, seit langem auch im Zusammenhang mit deren Scheidung bekannt. Die Beauftragung eines in Kärnten ansässigen Sachverständigen sei in Aussicht genommen. Die Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes des Kindes sei durch das Bezirksgericht Gänserndorf wirksamer gestaltbar als durch das Bezirksgericht Villach, das die Familie überhaupt noch nicht kenne. Über den hauptsächlichen Aufenthalt des Kindes sei bislang noch nicht endgültig abgesprochen.

Über Rekurs der Mutter gegen diesen Beschluss hob das Landesgericht Korneuburg diesen Beschluss als nichtig auf und trug dem Erstgericht die geschäftsordnungsmäßige Behandlung des Delegierungsantrags auf. Die Mutter habe nicht die Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 JN, sondern die Delegierung der Außerstreitsache nach § 31 Abs 1 JN begehrt, die Entscheidung darüber komme – da es sich um eine Delegierung aus einem Oberlandesgerichtssprengel an den anderen handle – dem Obersten Gerichtshof zu.

Das Bezirksgericht Gänserndorf legte die Akten daraufhin dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über den Delegierungsantrag vor.

Rechtliche Beurteilung

Der Delegierungsantrag der Mutter ist nicht berechtigt.

1. Gemäß § 31 Abs 1 JN kann aus Gründen der Zweckmäßigkeit auf Antrag einer Partei auch im außerstreitigen Verfahren anstelle des zuständigen Gerichts ein anderes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung bestimmt werden (RIS‑Justiz RS0046292). Das gilt auch für das Pflegschaftsverfahren (2 Ob 141/15x; 8 Ob 136/15f). Nach ständiger Rechtsprechung soll grundsätzlich eine Delegierung nur den Ausnahmefall bilden und keinesfalls durch eine großzügige Handhabung der Delegierungsmöglichkeiten eine faktische Durchbrechung der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung hervorgerufen werden (RS0046441).

2. Die Beurteilung der Delegierung nach § 31 JN hat sich auf die Frage der Zweckmäßigkeit aus den Gesichtspunkten der Verfahrensbeschleunigung, Kostenverringerung und Erleichterung des Gerichtszugangs für die Beteiligten sowie der Amtstätigkeit zu beschränken (RS0046333; 2 Ob 141/15x). Im Pflegschaftsverfahren ist überdies als ausschlaggebendes Kriterium – wie im Fall der Zuständigkeitsübertragung nach § 111 JN – das Wohl des Kindes zu berücksichtigen (RS0046319; 8 Ob 136/15f). An sich wird nach der Rechtsprechung der pflegschaftsgerichtliche Schutz in der Regel am Besten durch das Gericht gewährleistet, in dessen Sprengel sich das Kind gewöhnlich aufhält (RS0047300). Entscheidend dafür ist der Mittelpunkt der Lebensführung des Kindes im Sinn eines stabilen Aufenthalts; auf die polizeiliche Meldung des Kindes kommt es dabei nicht an. Steht der Lebensmittelpunkt des Kindes hingegen noch nicht endgültig fest, wird auch die Übertragung nach § 111 JN als unzweckmäßig erachtet (vgl 8 Nc 26/19v mwN). Offene Anträge sprechen im Allgemeinen nicht gegen eine Zuständigkeitsübertragung nach § 111 JN, es sei denn, dem übertragenden Gericht kommt für die ausstehende Entscheidung besondere Sachkenntnis zu (8 Ob 136/15v; 8 Nc 44/15k).

3. Hier ist die Mutter mit dem Minderjährigen zwar im August 2019 nach Velden übersiedelt und der Minderjährige geht dort zur Schule. Die Frage der (alleinigen) Obsorge und auch des vorwiegenden Aufenthalts des Minderjährigen bei Mutter oder Vater ist aber nach wie vor strittig, sodass nach der zutreffenden Auffassung des vorlegenden Gerichts letztlich auch die Frage, ob der Minderjährige dauerhaft in Velden bei der Mutter bleiben wird, vom Ergebnis der noch ausständigen Obsorgeentscheidung abhängt. Dazu kommt der ebenfalls vom vorlegenden Gericht genannte Umstand der umfassenden Sachkenntnis des dort zuständigen Richters vom Familiensystem; das delegierte Bezirksgericht Villach müsste sich in den mittlerweile bereits umfangreichen Pflegschaftsakt erst einarbeiten. Darüber hinaus hat das Bezirksgericht Gänserndorf bereits für 26. 11. 2019 zu den vom Vater beantragten Kontakten zu Weihnachten und in den Semesterferien 2020 eine Tagsatzung anberaumt und Erhebungen durch das Land Kärnten veranlasst. Die Bestellung einer Kärntner Sachverständigen ist in Aussicht genommen. Dass in diesem Verfahrensstadium die Delegierung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Villach dem Kindeswohl besser entsprechen würde als die Weiterführung des Obsorge- und Kontaktrechtsverfahrens durch den bisher zuständigen Richter des Bezirksgerichts Gänserndorf, ist ebensowenig zu erkennen wie eine dadurch erzielbare Verfahrensbeschleunigung und Erleichterung des Gerichtszugangs für sämtliche Beteiligte. Der Umstand, dass der Minderjährige derzeit im Sprengel des Bezirksgerichts Villach wohnt und für die Mutter seine Betreuung bei Terminen am Bezirksgericht Villach leichter zu organisieren wäre als beim Bezirksgericht Gänserndorf, reicht daher für eine Bejahung der Zweckmäßigkeit iSd § 31 Abs 1 JN nicht aus.

4. Der Delegierungsantrag war daher abzuweisen.

5. Da das Obsorge‑ und Kontaktrechtsverfahren keinen Kostenersatz kennt (§ 107 Abs 5 AußStrG), war der Antrag des Vaters auf Zuspruch von Kosten für die Äußerung zum Delegierungsantrag zurückzuweisen.

Stichworte