OGH 6Ob127/19y

OGH6Ob127/19y24.10.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. K*****, vertreten durch Mag. Wolfgang Kleinhappel, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Stadtgemeinde E*****, vertreten durch Ehrenhöfer & Häusler Rechtsanwälte GmbH in Wiener Neustadt, wegen Unterlassung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 5. April 2019, GZ 19 R 83/18v‑31, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Wiener Neustadt vom 30. Mai 2018, GZ 8 C 182/17p‑26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0060OB00127.19Y.1024.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit 1.961,82 EUR (darin 326,97 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die ordentliche Revision nicht zulässig:

1. Das Berufungsgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob die für eine vorbeugende Unterlassungsklage erforderliche Erstbegehungsgefahr in Bezug auf Tätigkeiten von Gebietskörperschaften im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung eine formelle Willensbildung (hier: einen Gemeinderatsbeschluss) voraussetzt oder ob bereits informelle Absichtserklärungen nicht entscheidungsbefugter Organe die Voraussetzung einer unmittelbaren und konkreten Gefahr erfüllen können. Mit dieser Rechtsfrage setzt sich der Kläger in seiner Revision allerdings konkret nicht auseinander, sondern fragt selbst, warum die ordentliche Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO zu dieser Rechtsfrage überhaupt zugelassen worden sei.

2. Es gelingt dem Kläger aber auch sonst nicht, eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufzuzeigen.

2.1. Das Berufungsgericht hat die Abweisung des Begehrens des Klägers, der seit 2007 Eigentümer einer Parzelle des an einem Badesee liegenden Erholungszentrums H***** (EHZ) ist, die beklagte Stadtgemeinde möge es unterlassen, anderen Personen als jenen, die per 16. 2. 2016 Eigentümer oder Pächter oder deren Nachfolger oder diesen zuzurechnende Personen des EHZ waren, die Benützung des Sees und der Badeplätze innerhalb des umzäunten Areals des EHZ zu gestatten, mangels Erstbegehungsgefahr bestätigt. Die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen setze zum einen entweder rechtsgeschäftliche Unterlassungspflichten oder rechtswidrige Eingriffe in geschützte Rechtsgüter voraus, zum anderen aber auch Wiederholungsgefahr. Ein vorbeugender Unterlassungsanspruch werde nur bejaht, wenn ein Eingriff in eine fremde Rechtssphäre unmittelbar und konkret droht. Unter der konkreten Besorgnis einer drohenden Rechtsverletzung seien greifbare Anhaltspunkte für ein künftiges rechtswidriges Verhalten zu verstehen. Ein solches sei hier aber zu verneinen:

Die geplante Erweiterung des EHZ existiere derzeit nur als Entwurf. Weder sei geklärt, ob allfällige Parzellen in Bestand gegeben oder verkauft werden sollen, noch gebe es überhaupt einen entsprechenden Beschluss des Gemeinderats der beklagten Stadtgemeinde. Es handle sich derzeit lediglich um eine Vorstellung deren Bürgermeisters, die sich noch in der Planungsphase befindet. Zwar sei der Gemeinderat der Beklagten in der Vergangenheit den Vorstellungen des Bürgermeisters immer gefolgt. Daraus lasse sich aber nicht zwingend ableiten, dass dies auch in Zukunft immer der Fall sein werde. Nicht nur als Folge demokratischer Willensbildung der Bevölkerung im Rahmen von Wahlen, sondern auch als Konsequenz von Meinungsänderungen der Mitglieder der entscheidenden Organe oder deren Zusammensetzung sei der tatsächliche Einfluss einzelner Organe einer Gebietskörperschaft mit einer grundsätzlichen Unabwägbarkeit behaftet. Diese dem Wesen einer Demokratie immanente Unsicherheit zukünftiger Entwicklungen habe zur Folge, dass die politische Lage und auch die faktischen Machtverhältnisse in einer Gemeinde starken Veränderungen unterworfen sein können. Da bisher kein Gemeinderatsbeschluss zur Erweiterung des EHZ vorliegt, sei die Wahrscheinlichkeit des Projekts zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht in einem Ausmaß determiniert, das eine vorbeugende Unterlassungsklage rechtfertigen könnte.

2.2. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass die Beurteilung des Vorliegens der Erstbegehungsgefahr regelmäßig nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalls erfolgen kann und daher schon grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zu begründen vermag (vgl dazu etwa 10 Ob 23/07s; 9 Ob 54/08v; 4 Ob 98/17s). Eine ausführliche Begründung für diese Rechtsprechung enthält die Entscheidung 10 Ob 23/07s:

Die vorbeugende Unterlassungsklage soll einer drohenden Rechtsverletzung begegnen. Sie ist somit eine Form des präventiven Rechtsschutzes und daher nur unter besonderen zusätzlich hinzutretenden Voraussetzungen (dringendes „Rechtsschutzbedürfnis“) zulässig. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist daher allgemeine Voraussetzung einer vorbeugenden Unterlassungsklage die konkrete Besorgnis einer drohenden Rechtsverletzung (RS0010479, RS0012061). In der Judikatur wurden die Voraussetzungen für eine vorbeugende Unterlassungsklage auch dahin umschrieben, dass die bloße Drohung einer Rechtsverletzung eine solche Klage grundsätzlich nur dann rechtfertigt, wenn ein dringendes „Rechtsschutzbedürfnis“ des Bedrohten dies verlangt, weil das Abwarten einer Rechtsverletzung zu einer nicht wieder gut zu machenden Schädigung führen würde (SZ 33/130 ua - zuletzt 1 Ob 5/06a JBl 2006, 580; RS0009357). In der Entscheidung 1 Ob 5/06a (JBl 2006, 580) hat der Oberste Gerichtshof näher dargelegt, dass die Rechtsprechung insofern von einer Interessenabwägung ausgehe, als einerseits eine „unübersehbare Zahl vielleicht überflüssiger Prozesse“ zu vermeiden sei, anderseits aber den Bedrohten bei einem „dringenden Rechtsschutzbedürfnis“ (im materiellrechtlichen Sinn) auch präventiv das Instrument der Unterlassungsklage zur Verfügung stehen solle. Dabei sei schon die drohende Gefährdung der Rechtsgüter der Ehre oder des wirtschaftlichen Rufes ausreichend. Umso mehr müsse dies gelten, wenn die (höherwertigen) Rechtsgüter des Lebens oder der Gesundheit bedroht seien. Bei der Beurteilung der Frage, ob nach den Umständen des Einzelfalls die ernste Besorgnis einer Gefährdung vorliege, seien deren Eintrittswahrscheinlichkeit, das Ausmaß der zu erwartenden Rechtsgutverletzung und die Bedeutung des bedrohten Rechtsguts im Sinne eines beweglichen Systems zu berücksichtigen […] Die Prognose, ob (gerade noch) eine ernst zu nehmende Gefahr künftiger Rechtsverletzungen vorliege, werde bei singulären Sachverhalten mangels einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO vielfach nicht revisibel sein. Auch in der Judikatur wurde bereits mehrfach ausgesprochen, dass die Frage des Vorliegens der Voraussetzungen für eine vorbeugende Unterlassungsklage immer anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu prüfen ist (7 Ob 4/05x; ÖBl 2002/71, 302; 6 Ob 13/01g ua). Dabei ist das Verhalten des Beklagten und nicht die Reaktion des Klägers maßgebend (ÖBl 2002/71, 302). Wegen dieser Einzelfallbezogenheit der Verletzungs- oder Erstbegehungsgefahr als Anspruchsvoraussetzung einer vorbeugenden Unterlassungsklage kann darin ein Grund für die Freistellung der Revisionsbeantwortung nicht erblickt werden, es sei denn dem Berufungsgericht wäre eine Fehlbeurteilung unterlaufen, die aus Gründen der Rechtssicherheit einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte.

2.3. Eine solche Fehlbeurteilung ist (auch) hier nicht zu erkennen:

Wenn es auch nicht jedenfalls darauf ankommen mag, ob bereits ein Gemeinderatsbeschluss für das konkrete Vorhaben vorliegt, so hat doch das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass sich das Erweiterungsprojekt der beklagten Stadtgemeinde betreffend das EHZ, durch welches der Kläger eine Wertminderung seiner Parzelle, Nutzungseinschränkungen hinsichtlich der gemeinsamen Badeparzellen und eine Verschlechterung der Wasserqualität des Sees infolge dessen erhöhter Nutzung durch weitere Nutzer befürchtet, noch im Planungsstadium nach den Vorstellungen des Bürgermeisters der Beklagten befindet und sich auch aus der Vergangenheit nicht zwingend ableiten lässt, dass der Gemeinderat – dessen Willensbildung infolge demokratischer Entwicklungen und veränderbarer Zusammensetzung nicht prognostizierbar ist – in der Zukunft nach den Vorstellungen des derzeitigen Bürgermeisters handeln wird. Zusätzlich spricht für diese Auffassung, dass das Informationsschreiben des Bürgermeisters über die geplante Erweiterung bereits vom April 2016 stammt und insbesondere noch keine Umwidmung der Parzellen als „Bauland‑Wohngebiet“ stattgefunden hat (laut festgestelltem Sachverhalt ist dies nur geplant). Darüber hinaus sind auch die übrigen Rahmenbedingungen für den möglichen Eingriff noch sehr vage, so etwa die Ankündigung, dass den zukünftigen Eigentümern oder Pächtern der neuen Parzellen die Nutzung der bestehenden Badeplätze untersagt und diesen nur ein eigener, neuer Platz zugewiesen werden soll. Und schließlich gab es auch in der Vergangenheit letztlich doch nicht umgesetzte Erweiterungsvorhaben. So sollten in den 1970iger-Jahren ein Bad, ein Café, ein Restaurant und eine Sauna im EHZ gebaut und Apartmenthäuser errichtet werden, welche Vorhaben aber nie umgesetzt wurden.

3. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat in der Revisionsbeantwortung (in gerade noch ausreichendem Maß) auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Der Schriftsatz ist daher als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen.

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