OGH 6Ob60/19w

OGH6Ob60/19w29.8.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B* Gesellschaft mbH & Co L* OG, *, vertreten durch MMag. Dr. Alexander Spunda, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei M*gesellschaft mbH, *, vertreten durch Mag. Dr. Otto Ranzenhofer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 23. Jänner 2019, GZ 38 R 256/18f‑35, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E126122

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

I. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

II. Der Antrag der beklagten Partei auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

I.1.1. Ob den Mieter, der vor Schluss der der Entscheidung des Gerichts erster Instanz unmittelbar vorangehenden Verhandlung den geschuldeten Betrag entrichtet, am Zahlungsrückstand ein grobes Verschulden trifft (§ 33 Abs 2 MRG), ist eine Frage, die von den Umständen des Einzelfalls abhängt (RS0042773 [T1]). Die Revision ist nur dann zulässig, wenn das Berufungsgericht den ihm bei der Beurteilung des groben Verschuldens eingeräumten Beurteilungsspielraum überschritten hat (RS0042773 [T2, T3]; jüngst 8 Ob 151/18s).

1.2. Grobes Verschulden setzt ein besonderes Maß an Sorglosigkeit voraus, sodass der Vorwurf berechtigt erscheint, der Mieter habe die Interessen des Vermieters aus Rechthaberei, Willkür, Leichtsinn oder Streitsucht verletzt (RS0069304). Für die Beurteilung der Frage, ob den Mieter an der verspäteten Zahlung des Mietzinses ein grobes Verschulden trifft, ist die Willensrichtung des Mieters, die zur Zahlungssäumnis führte, entscheidend (RS0069316 [T2, T11, T12, T14]). Dabei ist es auch zulässig, das Zahlungsverhalten des Mieters vor dem Räumungsprozess zu beurteilen (RS0069316 [T13]). Toleriert werden kann im Allgemeinen nur eine Verspätung von wenigen Tagen oder wegen vorübergehender Zahlungsschwierigkeiten; häufige Rückstände trotz Mahnung können nur ausnahmsweise nach den Besonderheiten des Einzelfalls eine sonst naheliegende grobe Fahrlässigkeit ausschließen (RS0070310). Zahlt der Mieter den Mietzins nicht, weil er wirtschaftliche Schwierigkeiten hat, so hat er auch zu beweisen, dass er die Schwierigkeiten nicht verschuldet hat (RS0069316 [T8]).

2.1. Das Berufungsgericht beurteilte die Säumnis der Beklagten als das Ergebnis vorübergehender wirtschaftlicher Schwierigkeiten, die dadurch ausgelöst wurden, dass in Folge der Scheidung der Geschäftsführerin der Beklagten und des nachehelichen Aufteilungsverfahrens Kreditsicherheiten, die der frühere Ehegatte der Geschäftsführerin zugunsten der Beklagten bestellt hatte, wegfielen, worauf mehrere Banken Kredite der Beklagten fällig stellten. Es ging weiters davon aus, dass die Zahlungsschwierigkeiten der Beklagten während des laufenden Verfahrens innerhalb von rund einem halben Jahr durch Einbringung eines Teils des Privatvermögens der Geschäftsführerin in die Beklagte und durch erfolgreiche Kreditverhandlungen der Beklagten mit anderen Banken behoben wurden.

2.2. Angesichts des schwer planbaren Ablaufs und Ergebnisses eines Scheidungs- und Aufteilungsverfahrens kam es zum Ergebnis, dass der Beklagten – der das Verhalten ihrer Geschäftsführerin zuzurechnen ist (siehe nur Hausmann in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht – MRG³ § 33 Rz 35) – nicht als grobes Verschulden angelastet werden könne, dass sich ihre Geschäftsführerin nicht bereits unmittelbar nach Einleitung des Scheidungsverfahrens um eine Umfinanzierung gekümmert habe.

3.1. Das Revisionsvorbringen, das Berufungsurteil lasse einheitliche Beurteilungsmaßstäbe vermissen, ist nicht geeignet, eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 2 ZPO darzutun. Das Berufungsgericht ist nicht von der ständigen Rechtsprechung abgegangen, wonach grobes Verschulden im Sinn des § 33 Abs 2 MRG stets ein besonderes Maß an Sorglosigkeit erfordert (vgl RS0069304). Es hat ein solches vielmehr aufgrund der Umstände des vorliegenden Einzelfalls vertretbar verneint.

3.2. Dass im Kalenderjahr vor den hier zu beurteilenden Mietzinsperioden bereits verspätete Zahlungen geleistet wurden, wurde von den Vorinstanzen in die Beurteilung der Willensrichtung der Beklagten einbezogen; isolierte Bedeutung kommt diesem Umstand aber – entgegen den Revisionsausführungen – nicht zu.

3.3. Schließlich wird in der außerordentlichen Revision auch nicht nachvollziehbar dargelegt, inwiefern in der Beurteilung des Berufungsgerichts eine unzulässige „Vermischung“ der „Sphären“ der Beklagten und der Geschäftsführerin liegen soll.

3.4. Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO wird in der außerordentlichen Revision der Klägerin damit nicht aufgezeigt.

II. Da eine Rechtsmittelbeantwortung nicht freigestellt war, dient die von der Beklagten eingebrachte Revisionsbeantwortung nicht der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung (§ 508a Abs 2 Satz 2 ZPO; 9 ObA 25/15i mwN).

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