OGH 7Ob40/19m

OGH7Ob40/19m28.8.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D***** W*****, vertreten durch Dr. Norbert Nowak, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei D***** AG *****, vertreten durch Jarolim Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 6.131,49 EUR sA, infolge der Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 3. Dezember 2018, GZ 50 R 113/18a‑15, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 7. Juni 2018, GZ 8 C 383/17g‑11, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00040.19M.0828.000

 

Spruch:

Das Verfahren 7 Ob 40/19m wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen vom 12. Juli 2018 des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien (GZ 13 C 738/17z‑12 [13 C 8/18y, 13 C 21/18k und 13 C 2/18s]), Rechtssache C‑479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua, unterbrochen.

Nach Ergehen dieser Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.

 

Begründung:

Die Klägerin, schloss zu privaten Zwecken als Versicherungsnehmerin beim beklagten Versicherer einen Vertrag über eine fondsgebundene Lebensversicherung ab und zwar beginnend ab dem 1. 8. 2001 mit einer Vertragslaufzeit von 20 Jahren. Der Versicherungsantrag enthielt einen Hinweis auf das Rücktrittsrecht nach § 3 KSchG dahin, dass „dieser Rücktritt bis zum Zustandekommen des Vertrages oder danach binnen einer Woche erklärt werden (kann); der Rücktritt bedarf zu seiner Rechtswirksamkeit der Schriftform …“.

Die Informationsbroschüre mit dem Hinweis auf das Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG idF BGBl I 1997/6, wonach „Versicherungsnehmer ohne weitere Voraussetzungen berechtigt (sind), binnen zweier Wochen nach dem Zustandekommen des Vertrages – das ist in der Regel der Zugang der Versicherungsurkunde – von diesem zurückzutreten. ...“, war dem Versicherungsantrag nicht angeschlossen.

Im Jahr 2008 wurde der Versicherungsvertrag prämienfrei gestellt. Die Klägerin erklärte mit anwaltlichem Schreiben vom 18. 10. 2017 unter Berufung auf § 165a VersVG ihren Rücktritt vom Versicherungsvertrag. Die Beklagte wies die Rücktrittserklärung der Klägerin zurück.

Die Klägerin begehrt mit der nunmehrigen Klage von der Beklagten die Zahlung von 6.131,49 EUR(= insgesamt geleistete Prämien von 6.177,27 EUR abzüglich Risikokosten von 45,78 EUR) sowie kapitalisierte Zinsen von 3.119,21 EUR jeweils sA. Der Vertragsrücktritt sei zulässig gewesen, weil die Klägerin nicht über ihr Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG idF BGBl I 1997/6 belehrt worden sei. Infolge dieses Rücktritts stehe ihr die Rückabwicklung der Leistungen ex tunc einschließlich kapitalisierter Zinsen iHv 4 % Zinsen ab Einzahlung der jeweiligen Prämie zu.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und erwiderte, die Klägerin sei gesetzeskonform aufgeklärt worden. Der Rücktritt sei verfristet erhoben worden und das Rücktrittsrecht jedenfalls verjährt. Der von der Klägerin angesetzte Rückabwicklungswert sei nicht nachvollziehbar.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung im Umfang des Zuspruchs von 6.131,49 EUR sA und wies das Mehrbegehren ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil sich der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 7 Ob 107/15h mit den bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen eines Rücktritts nach § 165a VersVG nicht im Detail befasst habe. Ob eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung zu erfolgen habe oder dem Versicherungsnehmer auch bei einem Rücktritt nach § 165a VersVG nur ein Anspruch auf Auszahlung des Rückkaufswerts gemäß § 176 VersVG zukomme, sei eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO.

Gegen diese Entscheidung (gemeint: gegen deren klagestattgebenden Teil) richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der gänzlichen Klageabweisung. Hilfsweise stellt sie auch einen Aufhebungsantrag. Sie macht als erhebliche Rechtsfrage geltend, dass zur Rechtsfolge der Ausübung eines zeitlich unbefristeten Rücktrittsrecht gemäß § 165a VersVG, ob nämlich die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung in Form der Rückzahlung der einbezahlten Prämien oder die Auszahlung des Rückkaufswerts gemäß § 176 VersVG vorzunehmen sei, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle. Der Oberste Gerichtshof habe bislang auch noch nicht entschieden, ob einem „ewigen“ Rücktrittsrecht gemäß § 165a VersVG verjährungsrechtliche Bestimmungen (etwa § 1487 ABGB analog) entgegenstehen könnten.

Die Klägerin erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise dieser nicht Folge zu geben.

Das Revisionsverfahren ist zu unterbrechen:

Rechtliche Beurteilung

In seinem Vorabentscheidungsersuchen vom 12. Juli 2018, GZ 13 C 738/17z‑12, legte das Bezirksgericht für Handelssachen Wien zu mehreren zum Teil vergleichbaren Sachverhalten dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor (Rechtssache C‑479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua):

1. Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG in Verbindung mit Art. 31 der Richtlinie 92/96/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 185 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass – im Falle fehlender nationaler Regelungen über die Wirkungen einer fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss – die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts nicht zu laufen beginnt, wenn das Versicherungsunternehmen in der Belehrung angibt, dass die Ausübung des Rücktritts in schriftlicher Form zu erfolgen hat, obwohl der Rücktritt nach nationalem Recht formfrei möglich ist?

2. (für den Fall der Bejahung der ersten Frage):

Ist Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG in Verbindung mit Art. 31 der Richtlinie 92/96/EWG dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach im Falle einer unterlassenen oder fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts zu jenem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in dem der Versicherungsnehmer – auf welchem Weg auch immer – von seinem Rücktrittsrecht Kenntnis erlangt hat?

3. Ist Art. 35 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG dahin auszulegen, dass – im Falle fehlender nationaler Regelungen über die Wirkungen einer unterlassenen oder fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss – das Recht des Versicherungsnehmers auf Rücktritt vom Vertrag spätestens erlischt, nachdem ihm auf Grund seiner Kündigung des Vertrages der Rückkaufswert ausbezahlt wurde und damit die Vertragspartner die sich aus dem Vertrag ergebenden Pflichten vollständig erfüllt haben?

4. (für den Fall der Bejahung der ersten und/oder der Verneinung der dritten Frage):

Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach dem Versicherungsnehmer im Falle der Ausübung seines Rücktrittsrechts der Rückkaufswert (der nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik berechnete Zeitwert der Versicherung) zu erstatten ist?

5. (für den Fall, dass die vierte Frage zu behandeln war und bejaht wurde):

Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach im Falle der Ausübung des Rücktrittsrechts der Anspruch auf eine pauschale Verzinsung der rückerstatteten Prämien wegen Verjährung auf jenen Anteil beschränkt werden kann, der den Zeitraum der letzten drei Jahre vor Klagserhebung umfasst?“

Die Beantwortung der Frage 4. ist auch für das vorliegende Verfahren relevant (vgl 7 Ob 205/18z; 7 Ob 124/18p; 7 Ob 144/18d).

Da der Oberste Gerichtshof auch in Rechtssachen, in denen er nicht unmittelbar Anlassfallgericht ist, von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszugehen und diese auch für andere als die unmittelbaren Anlassfälle anzuwenden hat, ist das vorliegende Verfahren aus prozessökonomischen Gründen zu unterbrechen (RS0110583 mwN).

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