OGH 7Ob205/18z

OGH7Ob205/18z31.10.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. M***** B*****, vertreten durch Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei H***** AG, *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 9.583,17 EUR sA, infolge der Revisionen der klagenden und beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 3. Mai 2018, GZ 50 R 8/18k‑13, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 2. November 2017, GZ 2 C 156/17f‑7, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00205.18Z.1031.000

 

Spruch:

Das Verfahren 7 Ob 205/18z wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien (GZ 13 C 738/17z‑12 [13 C 8/18y, 13 C 21/18k, 13 C 2/18s]) vom 12. Juli 2018, Rechtssache C‑479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua , unterbrochen.

Nach Ergehen dieser Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.

 

Begründung:

Die Klägerin stellte am 22. 12. 2005 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten einen Antrag auf Abschluss eines Lebensversicherungsvertrags (Pensionsversicherung mit Gewinnbeteiligung). Die Klägerin wurde wie folgt auf ihr Rücktrittsrecht hingewiesen:

„Die [...] weist darauf hin, dass der Antragsteller binnen zwei Wochen vom Vertrag zurücktreten kann. Der Rücktritt bedarf zu seiner Rechtswirksamkeit der Schriftform; es genügt, wenn die Erklärung innerhalb dieser Frist abgesendet wird. Die Rücktrittsfrist beginnt erst nach Ausfolgung der Polizze zu laufen und erlischt spätestens einen Monat nach Zugang der Polizze.“

Die Rechtsvorgängerin der Beklagten nahm den Antrag an. Vereinbart war der 1. 12. 2005 als Versicherungsbeginn, eine Versicherungsdauer von zehn Jahren und das Versicherungsende mit 1. 12. 2015 sowie ein garantierter Rechnungszins in Höhe von 2,75 % auf die Sparprämie.

Die Klägerin bezahlte in den Jahren 2005 bis 2011 die vereinbarten Jahresprämien von 6.000 EUR. Mit 1. 1. 2012 wurde der Versicherungsvertrag auf Wunsch der Klägerin prämienfrei gestellt. Insgesamt bezahlte sie 36.500 EUR an Prämien.

Mit Schreiben vom 23. 9. 2015 informierte die Beklagte die Klägerin darüber, dass die Aufschubdauer des Versicherungsvertrags am 1. 12. 2015 endet. Die Klägerin kündigte darauf die Lebensversicherung per 1. 12. 2015 und erhielt von der Beklagten einen Betrag von 37.818 EUR ausbezahlt.

Mit Schreiben vom 3. 11. 2016 erklärte die Klägerin ihren Rücktritt vom Versicherungsvertrag gemäß § 165a VersG, den die Beklagte als verspätet zurückwies.

Die Klägerin begehrt nunmehr die Zahlung von 9.583,17 EUR sA. Aufgrund der Ausübung ihres– unbefristeten – Rücktrittsrechts habe sie die Prämien rechtsgrundlos geleistet. Ihr bereicherungsrechtlicher Rückforderungsanspruch umfasse nicht nur die Rückzahlung dieser Prämien, sondern auch ein Vergütungsentgelt von (pauschaliert) 4 % Zinsen ab Zahlung der jeweiligen Prämie. Für diesen Vorteil, den der Bereicherungsschuldner durch die überlassene Geldsumme gehabt habe, gelte die 30‑jährige Verjährungsfrist. Nach Abzug der Auszahlungssumme ergebe sich ihr Klagsanspruch an noch offenen Vergütungszinsen.

Die Beklagte bestreitet das Klagebegehren. Bei einem regulär abgelaufenen – vollständig erfüllten – Vertrag sei ein Rücktritt nicht mehr möglich. Ein allfälliges Rücktrittsrecht sei verjährt. Selbst im Fall eines– wirksamen – Rücktritts hätte die Klägerin nur Anspruch auf den Rückkaufswert gemäß § 176 VersVG. Mehr als drei Jahre rückwirkend wären Verzugszinsen verjährt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von 2.544 EUR sA statt, das auf Zahlung weiterer 7.039 EUR sA gerichtete Begehren wies es ab.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil teilweise dahingehend ab, dass es dem Klagebegehren im Umfang von 132,64 EUR sA stattgab und das Mehrbegehren in Höhe von 9.450,53 EUR sA abwies. Es ließ die ordentliche Revision zu, weil es an höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu den Fragen fehle, welche Folgen eine mangelhafte Aufklärung über die Formerfordernisse einer Rücktrittserklärung nach dem VersVG auslöse sowie ob der Versicherer im Zuge einer allfälligen bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung auch die Versicherungssteuer rückzuerstatten habe.

Dagegen richten sich die Revisionen der Klägerin und der Beklagten, jeweils mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, der Revision der Beklagten keine Folge zu geben.

Die Beklagte begehrt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Das Revisionsverfahren ist zu unterbrechen:

In seinem Vorabentscheidungsersuchen vom 12. Juli 2018, GZ 13 C 738/17z‑12, legte das Bezirksgericht für Handelssachen Wien zu mehreren zum Teil vergleichbaren Sachverhalten dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor (Rechtssache C‑479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua ).

„1. Sind Art 15 Abs 1 der Richtlinie 90/619/EWG in Verbindung mit Art 31 der Richtlinie 92/96/EWG bzw Art 35 Abs 1 in Verbindung mit Art 36 Abs 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw Art 185 Abs 1 in Verbindung mit Art 186 Abs 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass – im Falle fehlender nationaler Regelungen über die Wirkungen einer fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss – die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts nicht zu laufen beginnt, wenn das Versicherungsunternehmen in der Belehrung angibt, dass die Ausübung des Rücktritts in schriftlicher Form zu erfolgen hat, obwohl der Rücktritt nach nationalem Recht formfrei möglich ist?

2. ( Für den Fall der Bejahung der ersten Frage):

Ist Art 15 Abs 1 der Richtlinie 90/619/EWG i n Verbindung mit Art 31 der Richtlinie 92/96/EWG dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach im Falle einer unterlassenen oder fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts zu jenem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in dem der Versicherungsnehmer – auf welchem Weg auch immer – von seinem Rücktrittsrecht Kenntnis erlangt hat?

3. Ist Art 35 Abs 1 i n Verbindung mit Art 36 Abs 1 der Richtlinie 2002/83/EG dahin auszulegen, dass – im Falle fehlender nationaler Regelungen über die Wirkungen einer unterlassenen oder fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss – das Recht des Versicherungsnehmers auf Rücktritt vom Vertrag spätestens erlischt, nachdem ihm aufgrund seiner Kündigung des Vertrags der Rückkaufswert ausbezahlt wurde und damit die Vertragspartner die sich aus dem Vertrag ergebenden Pflichten vollständig erfüllt haben?

4. (Für den Fall der Bejahung der ersten und/oder der Verneinung der dritten Frage):

Sind Art 15 Abs  1 der Richtlinie 90/619/EWG bzw Art 35 Abs 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw Art 186 Abs 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach dem Versicherungsnehmer im Fall der Ausübung seines Rücktrittsrechts der Rückkaufswert (der nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik berechnete Zeitwert der Versicherung) zu erstatten ist?

5. (Für den Fall, dass die vierte Frage zu behandeln war und bejaht wurde):

Sind Art 15 Abs 1 der Richtlinie 90/619/EWG bzw Art 35 Abs 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw Art 186 Abs 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach im Falle der Ausübung des Rücktrittsrechts der Anspruch auf eine pauschale Verzinsung der rückerstatteten Prämien wegen Verjährung auf jenen Anteil beschränkt werden kann, der den Zeitraum der letzten drei Jahre vor Klagserhebung umfasst?“

Die Beantwortung insbesondere der Fragen 1, 3 bis 5 ist auch für das vorliegende Verfahren maßgeblich, in dem die Auslegung der im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geltenden (7 Ob 107/15h) Bestimmungen des Art 35 Abs 1 iVm Art 36 Abs 1 der Richtlinie 2002/83/EG im Zusammenhalt mit den nationalen Regelungen des § 5b VersVG (idF BGBl I 2004/131), des § 165a VersVG (idF BGBl I 2004/62), des § 176 VersVG (idF BGBl I 2004/131) sowie des § 9a VAG (idF BGBl 1996/447) geboten ist.

Da der Oberste Gerichtshof auch in Rechtssachen, in denen er nicht unmittelbar Anlassgericht ist, von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszugehen und diese auch für andere als die unmittelbaren Anlassfälle anzuwenden hat, ist das vorliegende Verfahren aus prozessökonomischen Gründen zu unterbrechen (RIS‑Justiz RS0110583 mwH).

Stichworte