European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00144.18D.0926.000
Spruch:
Das Verfahren 7 Ob 144/18d wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien (GZ 13 C 738/17z‑12 [13 C 8/18y, 13 C 21/18k, 13 C 2/18s]) vom 12. Juli 2018, Rechtssache C‑479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua , unterbrochen.
Nach Ergehen dieser Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.
Begründung:
Die Klägerin schloss mit der Beklagten einen Vertrag über eine Lebensversicherung mit der Laufzeit 1. 6. 1998 bis 1. 6. 2016. Eine Belehrung über das Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG unterblieb. Vor der Prämienfreistellung des Vertrags mit 1. 6. 2002 zahlte die Klägerin insgesamt 21.224,83 EUR an Prämien. Nach Auslaufen des Vertrags am 1. 6. 2016 erhielt die Klägerin den Auszahlungsbetrag von 25.732,59 EUR. Mit Schreiben vom 1. 6. 2017 erklärte sie gegenüber der Beklagten den Rücktritt vom Vertrag gemäß § 165a VersVG.
Die Klägerin begehrt nunmehr die Zahlung von 9.156,57 EUR sA. Aufgrund der Ausübung ihres– unbefristeten – Rücktrittrechts habe sie die Prämien rechtsgrundlos geleistet. Ihr bereicherungsrechtlicher Rückforderungsanspruch umfasse nicht nur die Rückzahlung dieser Prämien, sondern auch ein Vergütungsentgelt von (pauschaliert) 4 % Zinsen ab Zahlung der jeweiligen Prämie. Für diesen Vorteil, den der Bereicherungsschuldner durch die überlassene Geldsumme gehabt habe, gelte die 30‑jährige Verjährungsfrist. Nach Abzug der Auszahlungssumme ergebe sich ihr Klagsanspruch an noch offenen Vergütungszinsen.
Die Beklagte bestreitet das Klagebegehren. Bei einem regulär abgelaufenen – vollständig erfüllten – Vertrag sei ein Rücktritt nicht mehr möglich. Ein allfälliges Rücktrittsrecht sei verjährt. Selbst im Falle eines– wirksamen – Rücktritts hätte die Klägerin nur Anspruch auf den Rückkaufswert gemäß § 176 VersVG. Mehr als drei Jahre rückwirkend wären Vergütungszinsen verjährt.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es ließ die ordentliche Revision zu. Die Entscheidung über die Verjährung der Vergütungszinsen stehe zwar mit der oberstgerichtlichen Judikatur in Einklang, es seien jedoch zahlreiche Verfahren zu dieser Frage anhängig.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte begehrt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.
Das Revisionsverfahren ist zu unterbrechen:
Rechtliche Beurteilung
In seinem Vorabentscheidungsersuchen vom 12. Juli 2018, GZ 13 C 738/17z-12 [13 C 8/18y, 13 C 21/18k, 13 C 2/18s], legte das Bezirksgericht für Handelssachen Wien zu einem vergleichbaren Sachverhalt dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor (Rechtssache C‑479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua):
„ 1. Sind Art 15 Abs 1 der Richtlinie 90/619/EWG in Verbindung mit Art 31 der Richtlinie 92/96/EWG bzw Art 35 Abs 1 in Verbindung mit Art 36 Abs 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw Art 185 Abs 1 in Verbindung mit Art 186 Abs 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass – im Falle fehlender nationaler Regelungen über die Wirkungen einer fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss – die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts nicht zu laufen beginnt, wenn das Versicherungsunternehmen in der Belehrung angibt, dass die Ausübung des Rücktritts in schriftlicher Form zu erfolgen hat, obwohl der Rücktritt nach nationalem Recht formfrei möglich ist?
2. (für den Fall der Bejahung der ersten Frage):
Ist Art 15 Abs 1 der Richtlinie 90/619/EWG in Verbindung mit Art 31 der Richtlinie 92/96/EWG dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach im Falle einer unterlassenen oder fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts zu jenem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in dem der Versicherungsnehmer – auf welchem Weg auch immer – von seinem Rücktrittsrecht Kenntnis erlangt hat?
3. Ist Art 35 Abs 1 in Verbindung mit Art 36 Abs 1 der Richtlinie 2002/83/EG dahin auszulegen, dass – im Falle fehlender nationaler Regelungen über die Wirkungen einer unterlassenen oder fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss – das Recht des Versicherungsnehmers auf Rücktritt vom Vertrag spätestens erlischt, nachdem ihm aufgrund seiner Kündigung des Vertrages der Rückkaufswert ausbezahlt wurde und damit die Vertragspartner die sich aus dem Vertrag ergebenden Pflichten vollständig erfüllt haben?
4. ( für den Fall der Bejahung der ersten und/oder der Verneinung der dritten Frage):
Sind Art 15 Abs 1 der Richtlinie 90/619/EWG bzw Art 35 Abs 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw Art 186 Abs 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach dem Versicherungsnehmer im Fall der Ausübung seines Rücktrittsrechts der Rückkaufswert (der nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik berechnete Zeitwert der Versicherung) zu erstatten ist?
5. ( für den Fall, dass die vierte Frage zu behandeln war und bejaht wurde):
Sind Art 15 Abs 1 der Richtlinie 90/619/EWG bzw Art 35 Abs 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw Art 186 Abs 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach im Falle der Ausübung des Rücktrittsrechts der Anspruch auf eine pauschale Verzinsung der rückerstatteten Prämien wegen Verjährung auf jenen Teil beschränkt werden kann, der den Zeitraum der letzten drei Jahre vor Klagseinbringung umfasst? “
Die Beantwortung insbesondere der Fragen 3 bis 5 ist auch für das vorliegende Verfahren maßgeblich, in dem die Auslegung der im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geltenden (7 Ob 107/15h) Bestimmungen des Art 15 Abs 1 der Richtlinie 90/619/EWG in der durch die Richtlinie 92/96/EWG geänderten Fassung und Art 31 Abs 1 und 4 der Richtlinie 92/96/EWG im Zusammenhalt mit § 165a VersVG (idF BGBl I Nr 6/1997) und § 176 VersVG (idF BGBl Nr 509/1994) sowie § 9a VAG (idF BGBl Nr 447/1996) geboten ist.
Da der Oberste Gerichtshof auch in Rechtssachen, in denen er nicht unmittelbar Anlassfallgericht ist, von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszugehen und diese auch für andere als die unmittelbaren Anlassfälle anzuwenden hat, ist das vorliegende Verfahren aus prozessökonomischen Gründen zu unterbrechen (RIS‑Justiz RS0110583 mwN).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)