OGH 5Ob104/19h

OGH5Ob104/19h31.7.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj N*, geboren am *, und der mj N*, geboren am *, beide derzeit vertreten durch die väterlichen Großeltern K* und C*, ebenda, beide vertreten durch Dr. Alfred Boran, Rechtsanwalt in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der väterlichen Großeltern gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 13. Mai 2019, GZ 23 R 37/19g‑109, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E125713

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der Vater der Minderjährigen wurde mit Urteil vom 19. 10. 2018 schuldig erkannt, deren Mutter ermordet zu haben. Er wurde zu einer Freiheitsstrafe von 18 Jahren verurteilt und ist derzeit in Haft.

Das Erstgericht hatte ihm die Obsorge für seine Kinder bereits am 13. 4. 2018 entzogen und diese vorläufig den väterlichen Großeltern übertragen.

Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens sind die widerstreitenden Anträge auf Übertragung der alleinigen Obsorge für beide Kinder der väterlichen Großeltern einerseits und des mütterlichen Großvaters andererseits.

Das Erstgericht wies den Obsorgeantrag der väterlichen Großeltern ab und sprach aus, dass künftig dem Großvater mütterlicherseits die Obsorge für beide Kinder zukomme.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der väterlichen Großeltern nicht Folge und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs der väterlichen Großeltern zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

1.1 Die geltend gemachten Verfahrensmängel liegen – wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat – nicht vor. Grundsätzlich kann auch im Pflegschaftsverfahren ein vom Rekursgericht verneinter Mangel des außerstreitigen Verfahrens erster Instanz keinen Revisionsrekursgrund bilden, sofern eine Durchbrechung dieses Grundsatzes nicht aus Gründen des Kindeswohls erforderlich ist (RIS‑Justiz RS0050037 [T4]; RS0030748 [T18]). Die Voraussetzungen für eine derartige Ausnahme fehlen hier.

1.2 Aufgrund der ausführlichen und fundierten Stellungnahme der Familiengerichtshilfe samt aussagekräftiger Interaktionsanalyse verneinte das Rekursgericht den angeblich in der Nichteinholung eines kinderpsychiatrischen Sachverständigengutachtens liegenden Verfahrensmangel erster Instanz. Der Oberste Gerichtshof sprach bereits mehrfach aus, dass kein genereller Grundsatz besteht, dass das Pflegschaftsgericht im Obsorgeverfahren immer einen Sachverständigen beizuziehen hätte (vgl RS0006319 [T7]; 4 Ob 246/18g; 10 Ob 74/18g). Zwar ist die Stellungnahme eines Psychologen der Familiengerichtshilfe nicht einem Sachverständigengutachten im Sinn des § 351 ZPO gleichzusetzen, was im Einzelfall aber nicht ausschließt, dass eine derartige Stellungnahme im Zusammenhalt mit den anderen Beweismitteln eine ausreichende Entscheidungsgrundlage bildet (Beck in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG § 106a Rz 31; 10 Ob 74/18g). Die als erheblich angesehene Rechtsfrage ist daher bereits durch höchstgerichtliche Rechtsprechung geklärt.

1.3 Die Auffassung der Vorinstanzen, die fundierte Stellungnahme der Familiengerichtshilfe sei im Zusammenhang mit den anderen Beweismitteln ausreichende Entscheidungsgrundlage, sodass im Einzelfall kein weiteres Sachverständigengutachten erforderlich sei, ist im Hinblick auf das im Außerstreitverfahren bestehende Beweisaufnahmeermessen (6 Ob 149/06i; 6 Ob 217/18g; Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 31 Rz 11) als eine den Tatsacheninstanzen obliegende Frage (5 Ob 188/11z) vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbar (4 Ob 246/18g mwN; 10 Ob 74/18g).

2.1 Sekundäre Feststellungsmängel sind nicht zu erkennen. § 178 Abs 1 ABGB verpflichtet das Gericht im Fall, dass beide Elternteile, die mit der Obsorge für das Kind betraut waren, gestorben sind, ihr Aufenthalt seit mindestens 6 Monate unbekannt ist, die Verbindung mit ihnen nicht oder nur mit unverhältnismäßig großen Schwierigkeiten hergestellt werden kann oder ihnen die Obsorge ganz oder teilweise entzogen wurde, unter Beachtung des Wohles des Kindes zu entscheiden, ob und welches Großelternpaar (Großelternteil) oder Pflegeelternpaar (Pflegeelternteil) mit der Obsorge zu betrauen ist. Grundsätzlich ist die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, ob die Voraussetzungen für eine Obsorgeübertragung erfüllt sind, eine solche des Einzelfalls, der keine Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zukommt, wenn dabei auf das Kindeswohl ausreichend Bedacht genommen wird und leitende Grundsätze der Rechtsprechung nicht verletzt werden (RS0115719). Dies gilt auch für eine Entscheidung nach § 178 Abs 1 ABGB, die ebenfalls nur aufgrund der Umstände des konkreten Falls vorgenommen werden kann. Eine auch im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung des Rekursgerichts ist nicht zu erkennen.

2.2 Feststellungen zur Erziehungsfähigkeit des mütterlichen Großvaters hat das Erstgericht getroffen. Danach legt er ein feinfühliges, an den Bedürfnissen der Kinder orientiertes Verhalten an den Tag, nimmt ihre Signale wahr und orientiert sich daran. Er bietet den Kindern sicheren Rückhalt und ist derzeit psychisch stabil. Bei den Halbbrüdern der Kindesmutter hat er Rückhalt gefunden, nach der Ermordung seiner Tochter hat er gezeigt, dass er sich auch in Krisensituationen Hilfe holen kann. Dass die Kinder im Fall der Übersiedlung von den väterlichen Großeltern zum mütterlichen Großvater aufgrund des möglichen Verlusts von sozialen Bindungen irritiert und belastet werden könnten, stellte das Erstgericht fest. Festgestellt wurde auch, dass ein Wechsel der Betreuung der Kinder durch die Boje nicht zielführend wäre, der mütterliche Großvater diese Therapie aber ohnedies fortführen will. Dies reicht für die rechtliche Beurteilung aus, zumal sich aus dem Sachverhalt auch ergibt, dass die Kinder im Haushalt der väterlichen Großeltern nur ein eingeschränktes emotionales Repertoire zeigen, diese beiden sehr kontrollierend agieren und eine negative Haltung gegenüber der ermordeten Mutter der Kinder aufweisen. Wenn die Vorinstanzen aufgrund dieser Feststellungen davon ausgingen, dass mehr Argumente für einen Wechsel der Kinder zum Großvater mütterlicherseits als für einen Verbleib bei den Großeltern väterlicherseits sprechen, und im Wechsel aus dem gewohnten Umfeld ungeachtet der damit möglicherweise verbundenen Irritationen einen Ansatzpunkt sahen, um ihnen einen Neubeginn in unbelasteter Umgebung zu ermöglichen, haben sie den ihnen zukommenden Entscheidungsspielraum nicht überschritten.

3. Damit war der außerordentliche Revisionsrekurs zurückzuweisen, ohne dass dieser Beschluss einer weiteren Begründung bedürfte (§ 71 Abs 3 AußStrG).

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