OGH 11Os32/19v

OGH11Os32/19v28.5.2019

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Mai 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Setz‑Hummel als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Korner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Kurt B***** und Charlotte S***** wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1, Abs 3 zweiter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der beiden Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 20. November 2018, GZ 37 Hv 124/16s‑110, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0110OS00032.19V.0528.000

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Kurt B***** wird zurückgewiesen.

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Charlotte S***** wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im diese Angeklagte betreffenden Schuldspruch und demgemäß im diese Angeklagte betreffenden Strafausspruch sowie im diese Angeklagte betreffenden Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung des Kurt B***** werden die Akten vorerst dem Landesgericht Wiener Neustadt übermittelt, das entsprechende Kopien dem Oberlandesgericht Wien vorzulegen haben wird.

Dem Angeklagten Kurt B***** fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Die Angeklagte Charlotte S***** wird mit ihrer Berufung auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch unbekämpft gebliebene Freisprüche beider Angeklagter von gleichartigen Vorwürfen enthält, wurden Kurt B***** und Charlotte S***** jeweils des Vergehens der Untreue nach § 153 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB schuldig erkannt.

Danach „haben/hat in G*****, O***** und anderen Orten Österreichs die ihnen jeweils eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, wissentlich missbraucht, indem sie in unvertretbarer Weise gegen solche Regeln verstießen, die dem Vermögensschutz des wirtschaftlich Berechtigten dienten, und dadurch die nachgenannten Gesellschaften am Vermögen geschädigt, und zwar

I) die B***** KG

1) der für die Firmenkonten zeichnungsberechtigte und mit einer Generalvollmacht ausgestattete Kurt B*****

h) im Oktober 2012 [um] 1.496 Euro, indem er eine private Reise nach Rom mit Firmengelder bezahlte,

2) der für die Firmenkonten zeichnungsberechtigte und mit einer Generalvollmacht ausgestattete Kurt B***** sowie Charlotte S***** als Komplementärin und als für die Firmenkasse Verantwortliche im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB),

a) im Zeitraum von 13. Dezember 2011 bis 25. Juni 2013 in nicht feststellbarer, 5.000 Euro übersteigender, nicht jedoch 300.000 Euro übersteigender Höhe, indem sie Beträge aufgrund von tatsächlich nicht erbrachten bzw werthaltigen Mehrleistungen auf Basis des Companionvertrages an das Unternehmen 'Die Agentur B*****' e.U. überwiesen;

II) die B***** GesmbH,

1) Kurt B***** als Prokurist alleine

a) im Zeitraum 30. September 2013 bis 20. Juni 2014 in Höhe von 2.600 Euro, indem er die Kosten für den Kurs zur Erlangung der Lenkerberechtigung seiner Stieftochter sowie für eine von ihm absolvierte Mentaltrainerausbildung vom Firmenkonto überwies;

e) am 11. Dezember 2013 in Höhe von 525,84 Euro, indem er die Kosten für private Planungs‑ und Konstruktionsarbeiten vom Firmenkonto überwies;

2) Kurt B***** als Prokurist und Charlotte S***** als für die Firmenkasse und die Kassabücher Verantwortliche im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB)

a) im Zeitraum von 7. August 2013 bis 28. Juli 2014 in nicht feststellbarer, 5.000 Euro übersteigender, nicht jedoch 300.000 Euro übersteigender Höhe, indem sie Beträge aufgrund von tatsächlich nicht erbrachten bzw werthaltigen Mehrleistungen auf Basis des Companionsvertrages an das Unternehmen 'Die Agentur B*****' e.U. überwiesen;

wobei Kurt B***** und Charlotte S***** durch die Tat einen insgesamt 5.000 Euro übersteigenden Schaden herbeiführten.“

 

Gegen den Schuldspruch richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 9 [lit] a, 9 [lit] b und 10a StPO gestützte, gemeinsam ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde der beiden Angeklagten.

 

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Kurt B*****:

Der gegen die Schuldspruchpunkte I/1/h und II/1/a und e gerichteten Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider haben die Tatrichter die Feststellungen zum fehlenden Einverständnis des Markus T***** als Kommanditist der B***** KG und als Gesellschafter der B***** GmbH zur Kostenübernahme durch diese Gesellschaften (US 7, 9 f) keineswegs nicht, sondern im Einklang mit den Gesetzen folgerichtigen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen unter anderem mit der Art der verrechneten Leistungen und der diesbezüglich für glaubwürdig befundenen Aussage des genannten Zeugen (US 21 f) zureichend begründet (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 444, 450; RIS‑Justiz RS0118317 [T3], RS0099455).

Entgegen der weiteren Kritik ist der Schluss von einem gezeigten Verhalten auf ein zugrunde liegendes Wollen oder Wissen rechtsstaatlich vertretbar (RIS‑Justiz RS0116882, RS0098671). Im Übrigen hat der Schöffensenat die Konstatierungen zur subjektiven Tatseite im Gegenstand ohnedies nicht nur aus dem objektiven Geschehensablauf abgeleitet, sondern zusätzlich auf die mangelnde Absprache mit den Mitgesellschaftern sowie das Fehlen von Werthaltigkeit oder überhaupt von Leistungen und die Position des Angeklagten in den Unternehmen gestützt (US 22 f).

Mit dem Gutachten des beigezogenen Sachverständigen haben sich die Tatrichter eingehend auseinandergesetzt (US 13 ff), wobei sie dem Einwand von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider dem Gebot zu bestimmter, aber gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend nicht verhalten waren, dessen vollständigen Inhalt wie überhaupt sämtliche Verfahrensergebnisse im Einzelnen zu erörtern und darauf zu untersuchen, wie weit sie für oder gegen diese oder jene Geschehensvariante sprechen (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 428; RIS‑Justiz RS0098377, RS0106295 [T1, T2], RS0106642 [T1, T2]).

Soweit die gegen die Schuldspruchpunkte I/2/a und II/2/a gerichtete Rechtsrüge (Z 9 [lit] a) moniert, das Verrechnen von Mehrleistungen entspreche keinem gesetzlichen Tatbild, vernachlässigt sie prozessordnungswidrig (vgl RIS‑Justiz RS0099810) die tatrichterlichen Konstatierungen, wonach der (hinsichtlich der Konten der B***** Gesellschaften zeichnungsberechtigte [US 7, 9]) (Erst‑)Angeklagte mit tatbestandsessentiellem Vorsatz (US 12) die Bezahlung von Rechnungen der „Agentur B*****“ e.U. veranlasste, obwohl diesen keine tatsächlich erbrachten oder werthaltigen Leistungen gegenüberstanden (US 9, 21). Einer expliziten Erörterung des vom Sachverständigen „ersichtlich“ gemachten „Unterschied[s] zwischen Honorar/brutto, Honorar/netto, Bruttogehalt und Nettogehalt“ und der Höhe der von Markus T***** bezogenen Gelder bedurfte es in diesem Zusammenhang entgegen dem weiteren Vorbringen (der Sache nach Z 5 zweiter Fall) nicht (vgl RIS‑Justiz RS0118316; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 409, 421, 428).

Mit der Behauptung, die vom Schuldspruchpunkt I/1/h umfasste Tat wäre verjährt, weil sie „erst am 20. 11. 2018 angeklagt“ wurde, leitet die Rechtsrüge (Z 9 [lit] b) weder methodengerecht aus dem Gesetz ab, weshalb es für den Eintritt der Verjährung allein auf den Zeitpunkt der Anklageerhebung ankommen sollte (vgl § 58 [insbesondere Abs 3] StGB), noch inwiefern bei festgestellter kontinuierlicher nachfolgender Tatbegehung bis 28. Juli 2014 (II/2/a) die Verjährungsfrist ablaufen konnte (§ 58 Abs 2 StGB – vgl Marek in WK2 StGB § 58 Rz 6 f).

Die Darstellung einer Diversionsrüge (Z 10a) ist – unter Beachtung der Notwendigkeit des kumulativen Vorliegens der Voraussetzungen nach § 198 StPO – auf der Basis der Urteilsfeststellungen methodisch korrekt zu entwickeln (RIS‑Justiz RS0124801). Mit dem bloßen Einwand, es wären „die Voraussetzungen für eine Einstellung gemäß § 191 StPO oder jedenfalls für eine diversionelle Erledigung gegeben“ gewesen, wird die Rüge diesen Anfechtungskriterien nicht gerecht.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Kurt B***** war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über dessen Berufung folgt (§ 285i StPO).

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Charlotte S*****:

Die Tathandlung (des Sonderdelikts) der Untreue liegt in einer missbräuchlichen Vornahme oder Unterlassung eines Rechtsgeschäfts oder einer sonstigen Rechtshandlung (wie hier über die Konten der Unternehmen verfügte Zahlungsanweisungen durch den Angeklagten Kurt B*****– RIS‑Justiz RS0095943 [T2, T4]) als Ausübung der dem Machthaber eingeräumten Befugnis. Ein rein faktisches Handeln zum Nachteil des Machtgebers ohne rechtlichen Charakter kommt als Tathandlung der Untreue (selbst wenn es durch einen Machthaber erfolgt) nicht in Betracht (RIS‑Justiz RS0094733, RS0094545 [T8, T9]; vgl Kirchbacher in WK2 StGB § 153 Rz 20, 24 f; McAllister in Preuschl/Wess, Wirtschaftsstrafrecht § 153 Rz 23 ff; N. Huber in Kert/Kodek, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht Rz 4.62 f; Marek/Jerabek, Korruption und Amtsmissbrauch11 § 302 [§ 153] Rz 67 f).

Zutreffend zeigt die Rechtsrüge (Z 9 [lit] a) auf, dass dem Urteil Feststellungen zu einer Befugnis der (Zweit-)Angeklagten, über das Vermögen der in Rede stehenden geschädigten Unternehmen zu verfügen, ebenso wenig zu entnehmen sind wie Konstatierungen dazu, welches Rechtsgeschäft oder welche Rechtshandlung die Angeklagte befugnismissbräuchlich vorgenommen oder unterlassen (RIS‑Justiz RS0094733) haben soll.

Das (entsprechend dem Referat der entscheidenden Tatsachen – § 270 Abs 2 Z 4 StPO) konstatierte Handeln der Angeklagten als jeweils „für die Firmenkassa Verantwortliche“ (vgl RIS‑Justiz RS0094545 [T1]) und ihre Verantwortlichkeit „für die Buchhaltung vor Steuerberatung und damit auch für die Erfassung der Rechnungen der Agentur B***** e.U.“ (US 21; völlig undifferenziert US 9 und 24) umschreibt gerade keine Rechtshandlungen. Dass die Angeklagte diese faktischen Tätigkeiten im Wissen um den (zumindest bedingt) vorsätzlichen Fehlgebrauch der Befugnis (= Missbrauch) des Angeklagten Kurt B***** vorgenommen und sich solcherart an der Untreue des Genannten als (zeichnungsberechtigtem) Machthaber (Intraneus) der B***** KG und der B***** GmbH beteiligt hätte (RIS‑Justiz RS0103984 [T8], RS0108964 [T6, T7]), ist dem Urteil – worauf die Rüge gleichfalls hinweist – ebenso nicht zu entnehmen (vgl nämlich US 12).

Dieses Feststellungsdefizit erfordert die Aufhebung des Charlotte S***** betreffenden Schuldspruchs einschließlich des sie betreffenden Strafausspruchs und des diese Angeklagte betreffenden Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche samt Rückverweisung der Sache an das Landesgericht Wiener Neustadt (§§ 285e StPO, 288 Abs 2 Z 3 letzter Satz StPO), dem das Hauptverfahren als Einzelrichter zukommt (§ 31 Abs 4 Z 1 StPO). Darauf war diese Angeklagte mit ihrer Berufung zu verweisen.

 

Die den Angeklagten Kurt B***** betreffende Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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