European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0110OS00017.19P.0528.000
Spruch:
Der Beschwerde wird durch ersatzlose Aufhebung des angefochtenen Beschlusses Folge gegeben.
Mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird der Angeklagte hierauf verwiesen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Freispruch und einen Schuldspruch des Mohamed M***** enthält, wurde Ali K***** des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er am 2. Oktober 2017 in G***** Mohamed M***** vorsätzlich am Körper verletzt, indem er diesen mit den Fäusten und einer Fahrradkette schlug und ihm so eine Schädelprellung, Schwellungen und Hautrötungen unterhalb des rechten Auges sowie im Bereich der rechten Stirn zufügte.
Nach Verkündung des Urteils am 10. Oktober 2018 meldete der Angeklagte K***** nach Rücksprache mit der Substitutin seines Verfahrenshilfeverteidigers Dr. Peter S***** (vgl Bestellungsbeschluss vom 19. April 2018 und Bestellungsbescheid vom 25. April 2018, ON 11 und ON 1 S 4) Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an (ON 16 S 7).
Diesem Verteidiger wurde die Urteilsausfertigung samt Protokoll der Hauptverhandlung „zur Ausführung des angemeldeten Rechtsmittels binnen vier Wochen“ am 13. November 2018 per ERV zugestellt (ON 1 S 6 Anhang).
Am 14. November 2018 wurde das Landesgericht für Strafsachen Graz von der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer per Fax davon in Kenntnis gesetzt, dass am 14. November 2018 nun Dr. Michael A***** – „über Ersuchen“ der Rechtsanwaltskanzlei des ursprünglich bestellten Verfahrenshilfeverteidigers vom 2. November 2018 – zum Verteidiger des K***** bestellt wurde (ON 22), wobei diesem Ersuchen und der daraufhin erfolgten Umbestellung (laut Ergebnis einer auf Anregung der Generalprokuratur erfolgten Erhebung durch den Obersten Gerichtshof) eine schwere Erkrankung des ersten Verfahrenshilfeverteidigers Dr. S***** zu Grunde lag.
Am 16. November 2018 wurde die Urteilsausfertigung samt Protokoll der Hauptverhandlung auch dem neuen Verfahrenshilfeverteidiger „zur Ausführung des angemeldeten Rechtsmittels binnen vier Wochen“ zugestellt (Verfügung vom 15. November 2018; ON 1 S 6 Anhang und ON 22).
Dieser brachte daraufhin im Namen des Angeklagten K***** am 12. Dezember 2018 die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 9 lit a und lit b sowie 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung ein (ON 23).
Mit Beschluss vom 2. Jänner 2019 wies das Landesgericht für Strafsachen Graz die Nichtigkeitsbeschwerde des Ali K***** gemäß § 285a Z 2 StPO mit der Begründung als unzulässig zurück, dass die Neuzustellung des Urteils aufgrund des Verteidigerwechsels keinen Einfluss auf den Lauf der Frist zur Ausführung der angemeldeten Nichtigkeitsbeschwerde gehabt habe und diese daher bereits „am 10. Dezember 2018“ (richtig: am 11. Dezember 2018) abgelaufen sei (ON 24).
Gegen diesen, dem Genannten am 4. Jänner 2019 zugestellten Beschluss (ON 24 Anhang) richtet sich die – am 16. Jänner 2019 (rechtzeitig) eingebrachte und unter neuerlichem Anschluss der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung wegen Strafe mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verbundene – Beschwerde des Angeklagten K***** (ON 25).
Rechtliche Beurteilung
Grundsätzlich wird die mit der ordnungsgemäßen Zustellung der Urteilsabschrift an einen Verteidiger in Lauf gesetzte Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde durch kein nachfolgendes Ereignis, wie etwa einen Wechsel in der Person des Verteidigers oder Beigebung eines Verfahreshilfeverteidigers, unterbrochen oder verlängert; dies auch nicht durch unrichtige Belehrung des Verfahrenshilfeverteidigers über die zur Rechtsmittelausführung zur Verfügung stehende Zeitspanne oder durch wiederholte Zustellung der Urteilsabschrift (RIS‑Justiz RS0096301 [T1], RS0111615).
Diese aus § 63 Abs 2 StPO abgeleitete Rechtsfolge ist jedoch bei einem Wechsel in der Person des (bereits vor Zustellung der Urteilsabschrift beigegebenen) Verfahrenshilfeverteidigers dann nicht anwendbar, wenn der gemäß § 45 Abs 1 RAO von der Rechtsanwaltskammer zunächst bestellte Rechtsanwalt von Amts wegen oder über Antrag aus einem der Gründe des § 45 Abs 4 RAO, somit wegen Befangenheit, Tod, Verlust der Berechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft oder Verzicht darauf, enthoben und ein anderer Rechtsanwalt zum Verfahrenshelfer bestellt wird.
Dass dem neuen Verfahrenshelfer nicht die gesamte gesetzlich vorgesehene Frist zur Ausführung eines Rechtsmittels auch tatsächlich zur Verfügung stünde, wäre in einer derartigen Konstellation unbillig (vgl 12 Os 16/90).
(Nur) In einem solchen Fall sind daher die bis dahin erfolgten Zustellungen an den ursprünglich bestellten Verfahrenshilfeverteidiger unwirksam und an den neu bestellten Verteidiger neuerlich vorzunehmen, sodass der Fristenlauf für Letzteren mit der (neuerlichen) Zustellung des Urteils an ihn neu beginnt (Soyer/Schuhmann, WK-StPO § 63 Rz 17, 22; RIS‑Justiz RS0072335, RS0111614; vgl auch 13 Os 109/07i; 11 Os 147/98 [= EvBl 1999/121]; 12 Os 16/90). Dies gilt auch, wenn die Gründe des § 45 Abs 4 RAO erst nach Bestellung eines Verfahrenshilfe- oder Amtsverteidigers, aber – wie vorliegend – noch vor Ablauf der durch Zustellung ausgelösten Frist eintreten und eine Umbestellung durch die Rechtsanwaltskammer bewirken (RIS‑Justiz RS0072335 [T1]). Eine Umbestellung aus anderen als den in § 45 Abs 4 RAO genannten Gründen ist hingegen grundsätzlich ohne Einfluss auf den Fristenlauf (Haißl in Schmölzer/Mühlbacher, StPO 1 § 63 Rz 7; RIS‑Justiz RS0072335 [T2]).
Eine Umbestellung eines Verfahrenshilfeverteidigers aufgrund dessen schwerer Erkrankung ist jedoch einer Umbestellung aus einem der in § 45 Abs 4 RAO genannten Gründe gleichzuhalten, weil dieser auch in einem solchen Fall nicht in der Lage ist, die ihm übertragene Aufgabe zu erfüllen. Demnach ist § 45 Abs 4 RAO per analogiam auch auf den hier vorliegenden Fall anzuwenden.
Die fallaktuell am 16. November 2018 erfolgte Neuzustellung des Urteils an den ersatzweise neu bestellten Verfahrenshilfeverteidiger löste demzufolge eine neue (bis 14. Dezember 2018 reichende) Rechtsmittelfrist aus, sodass die am 12. Dezember 2018 eingebrachte Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung – dem vorliegenden Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 2. Jänner 2019 zuwider – rechtzeitig ist.
Der gegen diesen Beschluss gerichteten Beschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Generalprokuratur – Folge zu geben und der genannte Beschluss ersatzlos aufzuheben. Mit seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, auf den – mangels Fristversäumnis – inhaltlich nicht mehr einzugehen ist, war der Angeklagte K***** hierauf zu verweisen (vgl 14 Os 92/08y).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde:
Der vom Angeklagten K***** darin erblickte Widerspruch (Z 5 dritter Fall), dass der Ausspruch gemäß § 260 Abs 1 Z 1 StPO zu I./2./ von Schlägen „mit den Fäusten und einer Fahrradkette“ (US 2), die auf ihn bezogenen Feststellungen auf US 4 von Schlägen „mit einem Fahrradschloss“ und lediglich von „Schlägen“ ausgehen, betrifft keine entscheidende Tatsache (RIS‑Justiz RS0106268). Das Vorbringen der Mängelrüge geht damit ins Leere.
Mit der Betonung der leugnenden, als „keineswegs verwunderlich“ bezeichneten Verantwortung des Angeklagten K*****, dem Hinweis, dass er zuerst Anzeige erstattet habe, sowie mit dem Vorwurf, das Erstgericht habe den unterschiedlichen Zeitpunkt der Anzeigeerstattung durch die beiden Angeklagten, die objektivierten Verletzungen des Angeklagten K*****, die zeitlichen Abweichungen zwischen den Angaben des Angeklagten M***** und jenen auf der Ambulanzkarte, die Abnahme und Rückgabe der Bauchtasche des K***** „durch andere Angehörige derselben Migrationsgruppe“ sowie den Umstand verkannt, dass nicht geklärt werden konnte, von wem der Angriff ausging, von wem das Fahrradschloss stammt und ob eine Notwehrsituation vorlag, und habe weiters übersehen, dass bei der Untersuchung des M***** lediglich eine Prellung des Kopfes diagnostiziert worden sei, übt die Beschwerde lediglich – außerhalb der Anfechtungskategorien der Z 5a – Beweiswürdigungskritik nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren gesetzlich nicht vorgesehenen Berufung wegen Schuld. Sie ist somit nicht geeignet, erhebliche Bedenken im Sinne des vom Beschwerdeführer angesprochenen, jedoch ausschließlich auf unerträgliche Feststellungen abzielenden Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs 1 Z 5a StPO aufzuzeigen (vgl RIS‑Justiz RS0118780).
Sowohl die Rechts- (Z 9 lit a und lit b) als auch die Subsumtionsrüge (Z 10) verfehlen ihre gesetzmäßige Darstellung.
So geht der Einwand fehlender Feststellungen zur Zufügung der Verletzungen mittels einer Fahrradschlosskette durch den Angeklagten K***** (Z 9 lit a) prozessordnungswidrig nicht von der Gesamtheit der ausdrücklich ein wechselseitiges aufeinander Einschlagen beider Angeklagter mit einem Fahrradschloss konstatierenden Urteilsannahmen aus (vgl US 4; RIS-Justiz RS0099810).
Zudem legt die Rüge – ebenso prozessordnungswidrig (RIS-Justiz RS0116565) – nicht dar, in welcher Hinsicht das Fehlen von Feststellungen zur Frage, von wem „der ursprüngliche Angriff ausgegangen ist“, der rechtlichen Unterstellung des vorliegenden – in einem wechselseitigen aufeinander Einschlagen im Zuge einer sich aus einem verbalen Streit entwickelten tätlichen Auseinandersetzung bestehenden (US 4) – Tatgeschehens unter das Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB entgegenstehen sollte (vgl RIS-Justiz RS0088726, RS0089431).
Mit der weiteren Behauptung, der Angeklagte K***** habe lediglich einen Angriff des Angeklagten M***** abgewehrt, weshalb eine Notwehrsituation im Sinn des § 3 Abs 1 StGB vorgelegen sei (Z 9 lit b), ergänzt die Rüge das konstatierte Tatgeschehen durch eigenständige Sachverhaltsannahmen; sie argumentiert damit einmal mehr nicht auf der Basis des Urteilssachverhalts (RIS‑Justiz RS0099810).
Der in diesem Zusammenhang weiters vorgebrachte Hinweis auf die Verantwortung des Angeklagten K***** reduziert sich im Ergebnis auf den Versuch, die Urteilsfestellungen durch beweiswürdigende Erwägungen zu bekämpfen (vgl RIS‑Justiz RS0099810 [T10]).
Die – eine Unterstellung der Tat unter § 83 Abs 2 StGB anstrebende – Subsumtionsrüge (Z 10) missachtet abermals die gebotene Orientierung am Urteilssachverhalt, indem sie einen Rechtsfehler mangels Feststellung eines bedingten Verletzungsvorsatzes behauptet, hiebei jedoch die entsprechenden Konstatierungen schlicht ignoriert (US 4). Mit dem weiteren in diesem Zusammenhang erstatteten Vorbringen, der Geschehensablauf deute darauf hin, dass beim Angeklagten K***** kein Verletzungsvorsatz vorhanden gewesen sei, versucht die Rüge ein weiters Mal unzulässig, die Sachverhaltsannahmen des Erstgerichts beweiswürdigend zu bekämpfen (RIS‑Justiz RS0099810 [T10]).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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