OGH 1Ob61/19f

OGH1Ob61/19f30.4.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr.

 Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Parteien 1. mj M*****, und 2. I*****, beide *****, vertreten durch Dr. Astrid Wagner, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 40.370 EUR sA (Erstklägerin) bzw 32.255,11 EUR sA (Zweitklägerin) und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 26. Februar 2019, GZ 4 R 19/19w‑15, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 20. Dezember 2018, GZ 3 Cg 43/18g‑11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0010OB00061.19F.0430.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Erstklägerin, eine Schülerin eines Privatgymnasiums (mit Öffentlichkeitsrecht), verletzte sich während eines Schulschikurses, als sie unter Aufsicht einer Lehrerin auf einer „schwarzen Piste“ fuhr. Die Lehrerin hielt es weder ernstlich für möglich noch fand sie sich billigend damit ab, dass die Erstklägerin auf dieser Piste stürzen und sich verletzen könnte.

Beide Vorinstanzen wiesen übereinstimmend die auf das Amtshaftungsgesetz gestützten Ansprüche der verletzten Schülerin und ihrer Mutter auf Schmerzengeld (und auf Ersatz von Behandlungskosten und Verdienstentgang) sowie deren Begehren auf Feststellung der Haftung unter Hinweis auf das umfassende Haftungsprivileg nach § 333 iVm § 335 Abs 3 ASVG iVm § 175 Abs 4 und 5 ASVG ab.

Rechtliche Beurteilung

1. Die Klägerinnen behaupten in ihrer außerordentlichen Revision vor allem, das Ergebnis, dass nur bei Vorsatz gehaftet würde, sei höchst unbefriedigend und weder vom Willen des Gesetzgebers gedeckt noch rechtspolitisch erwünscht. Die Vorgangsweise der Lehrerin sei im vorliegenden Fall derart grob sorgfaltswidrig gewesen, dass eine „extensive Auslegung“ des § 175 Abs 4 ASVG iVm § 333 ASVG erfolgen hätte müssen.

Diese Ansicht widerspricht nicht nur dem klaren Gesetzeswortlaut, sondern auch der ständigen und gefestigten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach „Vorsatz“ im Sinne des § 333 ASVG „böse Absicht“ bedeutet und sich dieser Begriff auch nicht mit gröblichster Fahrlässigkeit gleichsetzen lässt (RS0085680). Vorsatz im Sinne dieser Gesetzesstelle ist daher nur gegeben, wenn der Schaden widerrechtlich mit Wissen und Willen verursacht worden ist (RS0085680 [T3]). Angesichts des Umstands, dass der Gesetzgeber für eine Haftung des Dienstgebers gegenüber dem Versicherten in § 333 Abs 1 ASVG als Voraussetzung die vorsätzliche Verursachung des Unfalls verlangt, es dagegen bei den Ersatzansprüchen für alle vom Sozialversicherungsträger zu gewährenden Leistungen (insoweit) aber ausreichen lässt, dass der Unfall „vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit“ verursacht wurde (§ 334 Abs 1 ASVG) und damit zwischen diesen beiden inneren Einstellungen unterscheidet, ist nicht verständlich, warum diese Auslegung dem „Willen des Gesetzgebers“ nicht entsprechen sollte.

Während die Vorinstanzen die Judikatur in ihren ausführlichen Entscheidungsbegründungen umfangreich zitierten, stützen sich die Klägerinnen allein auf rechtspolitische Erwägungen, ohne in ihrer Revision ein einziges Judikat, eine Lehrmeinung oder ein Literaturzitat in ihrem Sinne anzugeben. Es steht aber nur der Gesetzgebung, und nicht den Gerichten zu, die von den Klägerinnen als unbefriedigend empfundenen Gesetzesbestimmungen zu ändern und den Anwendungsbereich einer Bestimmung aufgrund von rechtspolitischen Erwägungen zu erweitern (vgl RS0008880; RS0009099; so zum Dienstgeberhaftungsprivileg nach § 333 ASVG bereits 2 Ob 131/11w).

2. Die Zweitklägerin meint zuletzt – wiederum ohne eine Entscheidung oder Lehrmeinung dafür ins Treffen führen zu können – die Haftungsbeschränkung des § 333 ASVG betreffe nicht den „mittelbaren Schaden“, den sie selbst durch die Verletzung ihrer Tochter erlitten habe, nämlich ihren Schockschaden, Verdienstentgang und die ihr erwachsenen Behandlungskosten der Tochter.

Die Haftungsbeschränkung nach § 333 ASVG umfasst nach ständiger Rechtsprechung alle Ersatzansprüche wegen Personenschäden, worunter alle Schäden verstanden werden, die durch eine Verletzung am Körper entstanden sind, und zwar ohne Rücksicht darauf, wie sie sich auswirken (8 ObA 107/04z; RS0031306; RS0085236; zu Verdienstentgang: 2 Ob 535/97v = RS0028584 [T6]; zu Behandlungskosten: 1 Ob 4/88; zu sonstigen Heilungskosten: 8 ObA 107/04z; Neumayr/Huber in Schwimann/Kodek , ABGB 4 § 333 ASVG Rz 14, 16 f) und gilt auch gegenüber den Hinterbliebenen oder nahen Angehörigen (s zum „Schockschaden“ 2 Ob 82/05f = RS0119931 = RS0028584 [T9] = RS0031306 [T8]). Dass solche Ansprüche eines nahen Angehörigen (im damaligen Anlassfall ua wegen Schmerzengeld und Verdienstentgang wegen des erlittenen Schocks [mit Krankheitswert] und Depressionen, die durch die tödliche Verletzung des Sohnes in der Schule verursacht worden waren) wegen des Haftungsprivilegs nach § 333 ASVG nicht in Betracht kommen, auch wenn sie auf das Amtshaftungsgesetz gestützt werden, hat der Oberste Gerichtshof bereits in seiner Entscheidung zu 1 Ob 259/08g ausgesprochen. Mit alldem setzt sich die Revision nicht auseinander.

3. Die Revision, in der insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage aufgeworfen wird, ist damit als nicht zulässig zurückzuweisen.

Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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