European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0110NS00003.19H.0226.000
Spruch:
Für die Durchführung des Strafverfahrens ist das Bezirksgericht Bregenz zuständig.
Gründe:
Mit beim Bezirksgericht Bregenz eingebrachtem Strafantrag vom 8. Oktober 2018 (ON 3 in AZ 6 U 265/18g des genannten Gerichts) legte die Staatsanwaltschaft Mirjana R*****eine als Vergehen des Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB beurteilte Tat zur Last, die diese am 21. September 2018 im Sprengel jenes Gerichts begangen haben soll. Am 12. Oktober 2018 verfügte dieses die Eintragung der Akten in den Geschäftskalender („Kal 31. 10. 2018“) zwecks Überwachung des Eintritts der Rechtskraft eines (Abwesenheits-)Urteils, mit dem die (selbe) Angeklagte am 26. September 2018 zu AZ 6 U 188/18h des Bezirksgerichts Bregenz einer zuvor begangenen, weiteren strafbaren Handlung schuldig erkannt worden war (ON 1 S 1 iVm ON 4 in AZ 6 U 265/18g des Bezirksgerichts Bregenz).
Derselben Angeklagten wird mit beim Bezirksgericht Favoriten eingebrachtem Strafantrag vom 15. November 2018 (ON 3 in AZ 32 U 180/18a des genannten Gerichts) ein am 9. November 2018 im Sprengel jenes Gerichts gesetztes, als Vergehen des Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB beurteiltes Verhalten angelastet. Am 23. November 2018 verfügte das Bezirksgericht Favoriten, die Akten dem Bezirksgericht Bregenz „zur gemeinsamen Führung mit 6 U 265/18g gem. §§ 37, 38 StPO“ zu übermitteln; am 6. Dezember 2018 langten sie dort ein (ON 1 S 1 in AZ 32 U 180/18a des Bezirksgerichts Favoriten).
Mit Blick auf die (unterdessen eingetretene) Rechtskraft des Abwesenheitsurteils hatte die Staatsanwaltschaft inzwischen (am 4. Dezember 2018) erklärt, von der beim Bezirksgericht Bregenz eingebrachten Anklage („adGd § 192 StPO“) gemäß § 227 Abs 1 (iVm § 447) StPO zurückzutreten. Am 11. Dezember 2018 beschloss das Bezirksgericht Bregenz die Einstellung des betreffenden Verfahrens (ON 1 S 1 verso in AZ 6 U 265/18g des Bezirksgerichts Bregenz).
Gleichzeitig (mit Verfügung ebenfalls vom 11. Dezember 2018) retournierte es die Akten AZ 32 U 180/18a des Bezirksgerichts Favoriten diesem Gericht mit dem Hinweis, dass die „Einbeziehung“ dieses Verfahrens in das zu AZ 6 U 265/18g des Bezirksgerichts Bregenz registrierte Verfahren infolge dessen Einstellung „nicht mehr möglich“ sei (ON 1 S 1 verso in AZ 32 U 180/18a des Bezirksgerichts Favoriten).
Nach neuerlicher Übermittlung durch das Bezirksgericht Favoriten „zur Erwirkung einer Entscheidung im Kompetenzkonflikt nach § 38 letzter Satz StPO“ verfügte das Bezirksgericht Bregenz die Vorlage der Akten an das Landesgericht Feldkirch – das sie dem Obersten Gerichtshof weiterleitete – „zur Entscheidung über den Kompetenzkonflikt bzw Vorlage an die übergeordnete Instanz“ (ON 1 S 3 in AZ 32 U 180/18a des Bezirksgerichts Favoriten).
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
Vorweg sei die – im hier vorliegenden Fall der Überweisung an ein anderes Gericht zwecks Verfahrensverbindung nach § 37 Abs 3 StPO (und im Verfahren vor dem Bezirksgericht auch sonst sowohl bei der Vorprüfung des Strafantrags als auch nach dessen Rechtswirksamkeit zur Wahrnehmung örtlicher Unzuständigkeit) anzuwendende (Oshidari, WK-StPO § 38 Rz 2 und § 37 Rz 7/2; RIS-Justiz RS0123445; 11 Ns 29/18f, EvBl 2018, 1022) – Bestimmung des § 38 StPO in Erinnerung gerufen: Danach hat ein Gericht, dem ein anderes Gericht bei diesem eingebrachte Anträge, Einsprüche und Beschwerden zuständigkeitshalber überwiesen hat, (nicht rückzumitteln, sondern sogleich) die Entscheidung des gemeinsam übergeordneten Gerichts zu erwirken, wenn es seine Zuständigkeit bezweifelt (§ 38 erster und letzter Satz StPO). Das den (im Sprengel verschiedener Oberlandesgerichte gelegenen) Bezirksgerichten Favoriten und Bregenz gemeinsam übergeordnete Gericht ist der Oberste Gerichtshof, dem die Akten daher vom Bezirksgericht Bregenz – ohne vorangehende Rückmittlung an das (überweisende) Bezirksgericht Favoriten (und neuerliche Übermittlung durch dieses) und ohne Befassung des Landesgerichts Feldkirch – unmittelbar vorzulegen gewesen wären (vgl 13 Ns 34/13y ua; Oshidari, WK-StPO § 38 Rz 13 und 18).
Gemäß § 37 Abs 3 erster Halbsatz StPO sind die Verfahren zu verbinden, sofern zu dem Zeitpunkt, zu dem die Anklage rechtswirksam wird, ein (weiteres) Hauptverfahren (soweit hier relevant:) gegen den Angeklagten anhängig ist.
Die Verbindung zweier (im Sinn dieser Bestimmung) konnexer Hauptverfahren setzt voraus, dass
1. beide Anklagen rechtswirksam (RIS-Justiz RS0123444, RS0123445 [T7]) und
2. beide Verfahren (weiterhin) anhängig – also noch nicht beendet (§ 1 Abs 2 letzter Satz StPO) – sind (vgl 15 Ns 38/09w und Oshidari, WK-StPO § 37 Rz 7/4 zur zeitlichen Zäsur der Urteilsfällung erster Instanz; 13 Ns 31/14h zu endgültiger beschlussförmiger Einstellung); außerdem darf sich
3. keines der beiden Verfahren im Stadium vorläufigen Rücktritts von der Verfolgung befinden (§ 37 Abs 3 iVm § 37 Abs 2 vierter Satz StPO; RIS-Justiz RS0126517 [T2]; dazu Oshidari, WK-StPO § 37 Rz 7/4).
Liegen diese Voraussetzungen vor, ist die Verbindung zwingend (RIS-Justiz RS0128876; näher Oshidari, WK-StPO § 37 Rz 10). Sie tritt freilich keineswegs ex lege ein, sondern ist vom (für die Verfahrensverbindung und die Führung des verbundenen Verfahrens gemäß § 37 Abs 3 StPO zuständigen) Gericht – mittels prozessleitender Verfügung (§ 35 Abs 2 zweiter Fall StPO; RIS-Justiz RS0130527) – vorzunehmen (arg: „sind […] zu verbinden“; Oshidari, WK-StPO § 37 Rz 7 und 7/2; aM Nimmervoll, Strafverfahren2 Kap IV Rz 37, der – anders als 12 Ns 67/08m, auf welche Entscheidung er sich beruft – die gesetzliche Pflicht zur Verfahrensverbindung mit dieser selbst gleichsetzt).
Davon unberührt bleibt zwar die Zulässigkeit nachfolgender (Wieder-)Ausscheidung eines der (zunächst zwingend zu verbindenden) Verfahren aus Gründen der Prozessökonomie (vgl § 36 Abs 4 StPO). Eine solche Vorgangsweise jedoch würde – im Gegenstand (wie auch in der Regel) – an der durch Konnexität nach § 37 Abs 3 StPO (einmal) begründeten Zuständigkeit für das wieder ausgeschiedene Verfahren nichts ändern. Denn keine der in § 36 Abs 4 StPO normierten Ausnahmen (Ausscheidung eines Verfahrens wegen einer allgemeinen strafbaren Handlung durch ein Gericht mit Sonderzuständigkeit oder eines in die sachliche Zuständigkeit des Bezirksgerichts ressortierenden Verfahrens durch ein Landesgericht) käme hier zum Tragen.
In solchen Fällen – somit grundsätzlich – gilt: Wird eines der beiden (mit jeweils rechtswirksamer Anklage zugleich anhängigen) konnexen Hauptverfahren beendet, ohne dass die (nach § 37 Abs 3 StPO gebotene) Verfahrensverbindung verfügt wurde, ist für das andere, (allein) anhängig verbliebene Verfahren jenes Gericht örtlich zuständig, in dessen Kompetenz die Verbindung und gemeinsame Verfahrensführung gefallen wäre (vgl 12 Ns 67/08m; 12 Ns 36/10f; 11 Os 63/13v, EvBl 2013, 786; 13 Ns 31/14h; 15 Ns 56/16b; 15 Ns 88/17k; Oshidari, WK‑StPO § 37 Rz 10).
Das Unterbleiben der (nach § 37 Abs 3 StPO gebotenen) Verfahrensverbindung ist – wie mit Blick auf die Stellungnahme der Generalprokuratur festgehalten sei – dabei nur insoweit rechtsfehlerhaft (vgl § 23 Abs 1 StPO), als für das betreffende Gericht die Zuständigkeit nach § 37 Abs 3 StPO begründenden Tatumstände aktenkundig waren (vgl 13 Os 64/09z, RIS-Justiz RS0125225; 13 Os 126/18f). Besteht doch keine gesetzliche Pflicht des Gerichts, nach allfälligen weiteren – zum bei ihm selbst anhängigen Verfahren in dem von § 37 Abs 3 StPO geforderten Konnexitätsverhältnis stehenden – anhängigen Hauptverfahren (erst) zu forschen. An den (von der Aktenkundigkeit in den betroffenen Verfahren unabhängigen) Rechtsfolgen des Unterbleibens rechtzeitiger Verfahrensverbindung trotz – objektiven – Vorliegens ihrer Voraussetzungen (vgl 15 Ns 56/16b) ändert dies freilich nichts.
Die Zuständigkeit des Gerichts zur Verfahrensverbindung und zur Führung des verbundenen Verfahrens (§ 37 Abs 3 erster Halbsatz StPO) bestimmt sich nach § 37 Abs 2 StPO mit der Maßgabe, dass das Verfahren im – hier mangels Eingreifens eines der darin normierten vorrangigen Anknüpfungspunkte vorliegenden – Fall des § 37 Abs 2 zweiter Satz StPO dem Gericht zukommt, bei dem die Anklage zuerst rechtswirksam geworden ist (§ 37 Abs 3 zweiter Halbsatz StPO).
Im bezirksgerichtlichen Verfahren wird die Rechtswirksamkeit der Anklage durch den positiven (ie die Prozessvoraussetzungen bejahenden) Ausgang einer amtswegigen Vorprüfung des Strafantrags bewirkt, der sich in der (das Hauptverfahren einleitenden – vgl § 4 Abs 2 StPO) Anordnung der Hauptverhandlung (§ 450 StPO) manifestiert. Diese „Anordnung“ kann darin bestehen, dass das Bezirksgericht die Hauptverhandlung (erstmalig) „ausschreibt“ (vgl § 221 Abs 1 StPO). Werden aber – ohne dass zunächst die Hauptverhandlung „ausgeschrieben“ wird – sonstige Verfügungen getroffen oder Beschlüsse gefasst, die das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen (§ 450 erster Satz StPO; § 451 Abs 2 StPO; örtliche Zuständigkeit nach § 36 Abs 3, Abs 5; § 37 Abs 1, Abs 2 StPO) nicht infrage stellen, ist bereits die erste solche Entscheidung des Gerichts als „Anordnung“ der Hauptverhandlung aufzufassen. Denn solche Verfügungen und Beschlüsse bringen (ebenfalls) zum Ausdruck, dass das Gericht zuvor die Prozessvoraussetzungen – isoliert, also noch ohne Rücksicht auf eine erst danach gebotene Verfahrensverbindung (§ 37 Abs 3 StPO) – für das betreffende Hauptverfahren bejaht hat (11 Ns 29/18f, EvBl 2018, 1022; 11 Ns 35/18p; 11 Os 148/18a; RIS-Justiz RS0132157).
Vorliegend wurden gegen ein und dieselbe Angeklagte nacheinander zwei verschiedene Strafanträge eingebracht. Zuerst rechtswirksam wurde jener beim Bezirksgericht Bregenz, als dieses Gericht am 12. Oktober 2018 (im dargestellten Sinn) die Hauptverhandlung anordnete (§ 450 StPO), indem es die Eintragung der Akten in den Geschäftskalender (zu dem genannten Zweck) verfügte. Der andere Strafantrag wurde – nachfolgend – beim Bezirksgericht Favoriten rechtswirksam, als dieses Gericht am 23. November 2018 die Hauptverhandlung anordnete (§ 450 StPO – RIS-Justiz RS0132157 [T1]), indem es „sein“ Verfahren – iSd § 37 Abs 3 StPO – dem Bezirksgericht Bregenz zur Verbindung mit dem dort anhängigen Hauptverfahren überwies. Zu diesem Zeitpunkt war das Verfahren beim Bezirksgericht Bregenz (weiterhin) „anhängig“; ein vorläufiger Rücktritt von der Verfolgung iSd § 37 Abs 2 vierter Satz StPO bestand nicht.
Daraus folgt, dass die Voraussetzungen für die Verbindung beider Verfahren (§ 37 Abs 3 erster Halbsatz StPO) vorlagen und das Bezirksgericht Bregenz – kraft Zuvorkommens – gemäß § 37 Abs 3 zweiter Halbsatz StPO für die Verfahrensverbindung und Führung des verbundenen Verfahrens zuständig war.
Die gemäß § 37 Abs 3 StPO (einmal) begründete Zuständigkeit des Bezirksgerichts Bregenz wurde – nach dem oben Gesagten – durch die (eine Verbindung zum gegenwärtigen Zeitpunkt hindernde) zwischenzeitliche Beendigung des Verfahrens über den (beim Bezirksgericht Bregenz eingebrachten) Strafantrag vom 8. Oktober 2018 nicht verändert.
Daher ist – wie schon die Generalprokuratur zutreffend ausführte – das Bezirksgericht Bregenz zur Führung des (verbleibenden) Verfahrens über den (beim Bezirksgericht Favoriten eingebrachten) Strafantrag vom 15. November 2018 zuständig.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)