OGH 11Os63/13v

OGH11Os63/13v28.5.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Mai 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kurzthaler als Schriftführer, in der Strafsache gegen Dr. Wolfgang K***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1, Abs 2 zweiter Fall StGB, AZ 15 Hv 192/10m des Landesgerichts Klagenfurt, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss dieses Gerichts als Schöffengericht vom 8. Februar 2013 sowie gegen die Begründung der Verfügung vom 9. Jänner 2013, GZ 15 Hv 176/12m‑222, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler, und der Verteidiger Mag. Obergantschnig, Univ.‑Prof. Dr. Soyer, Dr. Lenzhofer sowie Mag. Nemec zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 8. Februar 2013, AZ 15 Hv 192/10m, mit dem der Antrag der Staatsanwaltschaft Klagenfurt auf gemeinsame Führung der Verfahren AZ 15 Hv 192/10m und AZ 15 Hv 176/12m vor dem für das Verfahren AZ 15 Hv 192/10m des Landesgerichts Klagenfurt zuständigen Schöffensenat abgewiesen wurde, sowie die Begründung der verfahrensleitenden Verfügung des Landesgerichts Klagenfurt vom 9. Jänner 2013, GZ 15 Hv 176/12m‑222, verletzen § 37 Abs 3 erster Halbsatz StPO.

Text

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Klagenfurt brachte am 6. Dezember 2012 beim Landesgericht Klagenfurt zu AZ 15 Hv 176/12m Anklage gegen Dr. Wolfgang K***** und andere Angeklagte in Richtung des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1, Abs 2 zweiter Fall StGB und weitere strafbare Handlungen (Taten ab dem 30. Juni 2006; Faktenkomplex „HLH Vorzugsaktien mit Nebenvereinbarungen“) ein. Die Anklage wurde rechtswirksam.

Zeitgleich war beim Landesgericht Klagenfurt zu AZ 15 Hv 192/10m gegen Dr. Wolfgang K***** und andere (nicht mit den Mitangeklagten im erstgenannten Verfahren idente) Angeklagte ein Strafverfahren wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1, Abs 2 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen (im zweiten Rechtsgang) anhängig. Dieses Verfahren betrifft Taten zumindest ab dem 29. August 2005 im Faktenkomplex „S***** AG“.

Zu AZ 15 Hv 176/12m des Landesgerichts Klagenfurt beantragte die Staatsanwaltschaft Klagenfurt am 3. Jänner 2013, dieses Verfahren dem für das Verfahren AZ 15 Hv 192/10m des Landesgerichts Klagenfurt zuständigen Vorsitzenden zur Verbindung gemäß § 37 Abs 3 StPO wegen ‑ über Dr. Wolfgang K***** begründeter ‑ subjektiver Konnexität vorzulegen (ON 220).

Mit als Beschluss bezeichneter Verfügung des Landesgerichts Klagenfurt vom 9. Jänner 2013, GZ 15 Hv 176/12m‑222, wurde dieser Antrag abgewiesen; und zwar überwiegend mit angeblich einer Verfahrensverbindung entgegenstehenden Argumenten: Mangels „gleichzeitiger Anklage“, wegen des fehlenden engen sachlichen Zusammenhangs der beiden Verfahren und wegen nicht gegebener „materiell‑rechtlicher Nachteile“ für die Staatsanwaltschaft durch die gesonderte Verfahrensführung. Eine Verbindung sei auch „aus prozessökonomischer Sicht nicht zweckmäßig, da … die Hauptverhandlung im Verfahren AZ 15 Hv 192/10m des Landesgerichts Klagenfurt bereits am 21. Jänner 2013 anberaumt“ war und eine gemeinsame Führung zu einem erhöhten Zeitaufwand führen würde. Im Übrigen habe „der Gesetzgeber ‑ nach seinen klaren Formulierungen in den §§ 36 Abs 3 und 37 StPO ‑ zum Ausdruck gebracht, dass eine gemeinsame Verfahrensführung durch dasselbe Gericht zu erfolgen hat, ohne Regelungen dafür zu treffen, dass eine gemeinsame Verhandlung durch denselben Richter durchzuführen wäre“. Dies sei letztendlich eine Frage der Geschäftsverteilung.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtete sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Klagenfurt vom 17. Jänner 2013, die das Oberlandesgericht Graz mit Beschluss vom 19. Februar 2013, AZ 9 Bs 55/13a, mit der Begründung zurückwies, dass es sich bei der bekämpften Entscheidung des Landesgerichts Klagenfurt um eine nicht gesondert bekämpfbare prozessleitende Verfügung handle (GZ 15 Hv 176/12m‑227 des Landesgerichts Klagenfurt).

In der im Verfahren AZ 15 Hv 192/10m des Landesgerichts Klagenfurt geführten Hauptverhandlung stellte der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft Klagenfurt am 21. Jänner 2013 den Antrag auf Vereinigung dieses Verfahrens mit dem gegen Dr. K***** und andere Angeklagte zu AZ 15 Hv 176/12m des Landesgerichts Klagenfurt anhängigen Verfahren gemäß § 37 Abs 3 StPO wegen subjektiver Konnexität und begehrte die Beschlussfassung durch den Senat (ON 356 Protokollseite 4). Am 8. Februar 2013, dem letzten Tag der Hauptverhandlung zu AZ 15 Hv 192/10m des Landesgerichts Klagenfurt, wies das Schöffengericht diesen Antrag wegen Entscheidungsreife des ihm vorliegenden Falls sowie mit der weiteren Begründung ab, dass eine gemeinsame Führung unzweckmäßig und unbillig wäre, weil das Verfahren AZ 15 Hv 176/12m des Landesgerichts Klagenfurt fünf Angeklagte und einen Aktenumfang von mehr als 100 Aktenbänden umfasse und die subjektive Konnexität nur beim Angeklagten Dr. K***** gegeben sei. Am selben Tag wurde ein ‑ bisher nicht rechtskräftiges ‑ schuldig sprechendes Urteil unter anderem gegen Dr. K***** gefällt.

Der Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 8. Februar 2013, AZ 15 Hv 192/10m, mit dem der Antrag der Staatsanwaltschaft auf gemeinsame Führung mit dem Verfahren AZ 15 Hv 176/12m des Landesgerichts Klagenfurt abgewiesen wurde, und die Begründung der Verfügung des Landesgerichts Klagenfurt vom 9. Jänner 2013, GZ 15 Hv 176/12m‑222, verletzen ‑ wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt ‑ das Gesetz:

Gemäß § 37 Abs 3 erster Teilsatz StPO sind Strafverfahren zu verbinden, sofern zu dem Zeitpunkt, in dem die (zu einem weiteren Hauptverfahren führende) Anklage rechtswirksam wird, bereits ein Hauptverfahren gegen den Angeklagten anhängig ist.

Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen ist die Verbindung der Verfahren zwingend (zur Zulässigkeit von Ausscheidungen s § 36 Abs 4 StPO). Dem Gericht (und somit auch dem einzelnen Richter innerhalb eines Gerichts) kommt bei der Verbindung kein Ermessensspielraum zu. Unterbleibt die Verfahrensverbindung entgegen § 37 Abs 3 StPO, wird folglich das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art 83 Abs 2 B‑VG) verletzt (Oshidari, WK‑StPO § 37 Rz 10).

Vorliegend war zum Zeitpunkt der Rechtswirksamkeit der Anklage gegen Dr. Wolfgang K***** und andere Angeklagte wegen des Faktenkomplexes „HLH Vorzugsaktien mit Nebenvereinbarungen“, AZ 15 Hv 176/12m des Landesgerichts Klagenfurt, das frühere Straftaten umfassende (§ 37 Abs 2 zweiter Satz StPO) Hauptverfahren AZ 15 Hv 192/10m des Landesgerichts Klagenfurt gegen Dr. Wolfgang K***** und andere Angeklagte wegen des Faktenkomplexes „S***** AG“ anhängig. Das Verfahren AZ 15 Hv 176/12m des Landesgerichts Klagenfurt wäre daher zufolge der über die Person des in beiden Verfahren angeklagten Dr. K***** gegebenen subjektiven Konnexität entsprechend dem Antrag der Staatsanwaltschaft Klagenfurt vom 21. Jänner 2013 mit dem im zweiten Rechtsgang anhängigen Verfahren AZ 15 Hv 192/10m des Landesgerichts Klagenfurt zu verbinden gewesen. Für das gesamte weitere Verfahren wäre dadurch das für das letztgenannte, die älteren Straftaten betreffende (§ 37 Abs 2 zweiter Satz StPO) Verfahren zuständige Schöffengericht zuständig geworden. Es hätte allerdings zur Vermeidung von Verzögerungen eine Trennung der Verfahren verfügt werden dürfen (Fabrizy, StPO11 § 37 Rz 9, § 27 Rz 3), ohne dadurch jedoch die einmal durch Verbindung gesetzlich begründete Zuständigkeit verändern zu können.

Der die Verfahrensverbindung ablehnende Beschluss des Schöffensenats vom 8. Februar 2013, AZ 15 Hv 192/10m des Landesgerichts Klagenfurt, und die die vorliegende subjektive Konnexität übergehende Begründung der Verfügung des Landesgerichts Klagenfurt vom 9. Jänner 2013, GZ 15 Hv 176/12m‑222, widersprechen somit § 37 Abs 3 StPO.

Da ein konkreter Nachteil aus der festgestellten Gesetzesverletzung für die Angeklagten im Verfahren AZ 15 Hv 176/12m vor Beginn der Hauptverhandlung nicht auszumachen ist, hatte die von der Generalprokuratur angeregte Maßnahme nach § 292 letzter Satz StPO zu unterbleiben.

Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass durch ein gesetzwidriges Vorgehen die Zuständigkeitsnormen nicht unterlaufen werden dürfen (12 Ns 67/08m). Allfälligen prozess‑ und gerichtsökonomischen Gesichtspunkten könnte nur auf gesetzliche Weise durch den Personalsenat (Art 87 Abs 3 B‑VG) Rechnung getragen werden.

Gerade wegen der letztgenannten Verfassungsbestimmung sieht der Oberste Gerichtshof keinen Anlass, § 37 Abs 3 StPO beim Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig anzufechten.

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