European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0130OS00126.18F.1219.000
Spruch:
Das Urteil des Bezirksgerichts Favoriten vom 27. Februar 2018, GZ 21 U 27/18w‑12, verletzt, soweit der Schuldspruch auch eine von Aleksandra D***** am 29. Dezember 2017 in V***** zum Nachteil von H***** begangene Tat umfasst, den aus § 491 Abs 8 StPO abzuleitenden Grundsatz der Sperrwirkung von Strafverfügungen.
Dieses Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird im Schuldspruch betreffend die Tat vom 29. Dezember 2017 ersatzlos und in der zum Schuldspruch gebildeten Subsumtionseinheit, demgemäß auch im Strafausspruch, aufgehoben und es wird in der Sache selbst erkannt:
Aleksandra D***** wird (unter Neubildung der Subsumtionseinheit) für das ihr weiter zur Last liegende Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB unter Bedachtnahme gemäß § 31 Abs 1 StGB auf die Strafverfügung des Bezirksgerichts Mödling vom 6. Februar 2018, GZ 6 U 26/18d‑7, nach § 127 StGB zu einer Zusatzgeldstrafe von
20 Tagessätzen zu je 4 Euro ,
für den Fall der Uneinbringlichkeit zu 10 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt.
Gründe:
Zu AZ 105 BAZ 1262/16z führte die Staatsanwaltschaft Wien unter anderem gegen Aleksandra D***** ein Ermittlungsverfahren wegen des dem Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB subsumierten Verdachts, sie habe am 9. November 2016 in W***** mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz Gewahrsamsträgern der Unternehmen S***** und N***** Waren im Wert von insgesamt 37,71 Euro weggenommen und wegzunehmen versucht (§ 15 StGB).
Am 1. Februar 2017 trat die Staatsanwaltschaft Wien von der Verfolgung der D***** nach § 203 Abs 1 StPO unter Bestimmung einer Probezeit von zwei Jahren zurück (ON 3b in AZ 21 U 27/18w des Bezirksgerichts Favoriten).
Am 29. Jänner 2018 brachte die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt zu AZ 52 BAZ 31/18z beim Bezirksgericht Mödling einen Strafantrag gegen D***** wegen des Verdachts ein, diese habe am 29. Dezember 2017 in V***** mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz versucht, Gewahrsamsträgern von H***** Waren im Wert von 25,98 Euro wegzunehmen.
Das Bezirksgericht Mödling erkannte D***** mit Strafverfügung vom 6. Februar 2018, GZ 6 U 26/18d‑7, wegen dieses Vorwurfs des Vergehens des Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB schuldig und verurteilte sie zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 4 Euro (im Fall der Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 15 Tagen). Nach mündlicher Rechtsbelehrung verzichtete D***** am selben Tag auf die Erhebung eines Einspruchs. Der Staatsanwaltschaft wurde diese Strafverfügung am 15. Februar 2018 zugestellt. Sie gab hiezu am 27. Februar 2018 einen Rechtsmittelverzicht ab, der bei Gericht am 7. März 2018 einlangte (ON 1 S 2 in AZ 6 U 26/18d des Bezirksgerichts Mödling).
Bereits am 1. Februar 2018 hatte die Staatsanwaltschaft Wien, die von der Einbringung des Strafantrags durch die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt durch Übermittlung desselben verständigt worden war, ihr Verfahren zu AZ 105 BAZ 1262/16z gemäß § 205 Abs 2 Z 3 StPO fortgesetzt und beim Bezirksgericht Favoriten einen Strafantrag wegen der von D***** präsumtiv am 9. November 2016 begangenen Straftaten eingebracht (ON 7 in AZ 21 U 27/18w des Bezirksgerichts Favoriten). Dabei wies sie auf das Verfahren AZ 52 BAZ 31/18z der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt hin (ON 1 S 4 und ON 6 in AZ 21 U 27/18w des Bezirksgerichts Favoriten).
Das Bezirksgericht Favoriten erkannte D***** mit (gekürzt ausgefertigtem) Urteil vom 27. Februar 2018, GZ 21 U 27/18w‑12, des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB schuldig und verurteilte sie hiefür zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 4 Euro (zu 20 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe für den Fall der Uneinbringlichkeit). Der Schuldspruch umfasste nicht nur die im oben bezeichneten Strafantrag der Staatsanwaltschaft Wien inkriminierten Taten, sondern (neuerlich) auch die mit der Strafverfügung des Bezirksgerichts Mödling vom 6. Februar 2018, GZ 6 U 26/18d‑7, abgeurteilte Tat vom 29. Dezember 2017.
Rechtliche Beurteilung
Dieses Urteil des Bezirksgerichts Favoriten steht – wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (§ 23 StPO) im Ergebnis zutreffend ausführt – mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Schon vor Eintritt der formellen Rechtskraft entfalten Strafverfügungen ab ihrer Erlassung (wie Urteile ab deren Verkündung) Sperrwirkung dahingehend, dass die neuerliche Verfolgung wegen der abgeurteilten Straftat durch das die Strafverfügung erlassende oder ein anderes Gericht (vorläufig) unzulässig ist. Die Behebung oder Abänderung einer solchen Entscheidung kann grundsätzlich nur noch im Anfechtungsweg erfolgen (RIS‑Justiz RS0101040; Lewisch in WK‑StPO Vor §§ 352–363 Rz 32, 34, 36 und 40 f).
Eine Hauptverhandlung ist in Betreff eines mit Strafverfügung abgeurteilten Vorwurfs nur im Fall eines zulässigen Einspruchs anzuordnen. Wird ein Einspruch nicht erhoben oder ein solcher zurückgewiesen, so steht die Strafverfügung einem rechtskräftigen Urteil gleich (§ 491 Abs 8 und 9 StPO).
Vorliegend war die Strafverfügung am 27. Februar 2018 zwar noch nicht gegenüber allen Anfechtungsberechtigten (formell) rechtskräftig, stellte jedoch bereits ein (vorerst temporäres) Verfolgungshindernis hinsichtlich der in ihr abgeurteilten Straftat dar.
Der Umstand der Einbringung eines Strafantrags gegen D***** beim Bezirksgericht Mödling wegen der von ihr am 29. Dezember 2017 in V***** begangenen Tat war im Verfahren AZ 21 U 27/18w des Bezirksgerichts Favoriten aktenkundig (ON 1 S 4 und ON 6). Dessen Urteil ist daher, soweit dieses D***** auch wegen der von der Strafverfügung des Bezirksgerichts Mödling erfassten Straftat schuldig erkannte, ohne dass zuvor das Bestehen des (temporären) Verfolgungshindernisses abgeklärt wurde, in einem mangelhaften Verfahren zustande gekommen (vgl 13 Os 64/09z; Ratz , WK‑StPO § 292 Rz 17).
Da eine der Verurteilten nachteilige Wirkung dieser Gesetzesverletzung nicht auszuschließen ist, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).
Bei der Strafneubemessung wertete der Oberste Gerichtshof die Tatwiederholung (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) erschwerend, den bisher ordentlichen Lebenswandel, den Umstand, dass es beim Versuch geblieben ist und das reumütige Geständnis (§ 34 Abs 1 Z 1, 2 und 17 StGB) mildernd. Davon ausgehend war unter Berücksichtigung des § 40 StGB die im Spruch ersichtliche Zusatzgeldstrafe (§ 31 Abs 1 StGB) schuldangemessen.
Die Höhe des Tagessatzes ergibt sich mit Blick auf § 19 Abs 2 zweiter Satz StGB schon aus dem Verschlechterungsverbot (§ 292 iVm § 290 Abs 2 StPO).
Vom aufgehobenen Urteil rechtslogisch abhängige Entscheidungen und Verfügungen gelten damit ebenfalls als beseitigt (RIS‑Justiz RS0100444).
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