OGH 1Ob10/19f

OGH1Ob10/19f23.1.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M* W*, vertreten durch Mag. Petra Laback, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. Dr. A* W*, vertreten durch Dr. Michl Münzker, Rechtsanwalt in Wien, wegen 89.866,44 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. November 2018, GZ 16 R 70/18h‑22, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 22. März 2018, GZ 23 Cg 39/17z‑13, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E123888

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Das Berufungsgericht bestätigte die Abweisung des Schadenersatzbegehrens der Klägerin, die die beklagte Rechtsanwältin wegen fehlerhafter Rechtsvertretung im Prozess gegen ihren früheren Ehemann (ihr Schadenersatzbegehren wurde rechtskräftig abgewiesen) in Anspruch nimmt. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Klägerin gegen diese Entscheidung erhobene außerordentliche Revision zeigt keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf und ist deshalb nicht zulässig.

1. Das Berufungsgericht führte aus, warum die vom Erstgericht unterlassene Einvernahme der Klägerin und einer Zeugin seiner Ansicht nach keinen Verfahrensmangel begründe. Angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz, die das Berufungsgericht verneinte, können nach ständiger Rechtsprechung in der Revision nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden (RIS‑Justiz RS0042963). Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und damit der Revisionsgrund nach § 503 Z 2 ZPO könnte allenfalls dann vorliegen, wenn das Berufungsgericht infolge unrichtiger Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen oder sie mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hätte (RIS‑Justiz RS0040597 [T2 bis T4]; RS0043086 [T1, T5, T7, T8]). Einen solchen Mangel – und vor allem auch dessen Relevanz für das Verfahrensergebnis – zeigt die Klägerin nicht auf, wenn sie behauptet, die Personen hätten „zum gesamten Vorbringen einvernommen werden müssen, damit im Rahmen des vorzunehmenden hypothetischen Prozessverlaufes des Vorprozesses geprüft hätte werden können, ob die der Beklagten zur Last gelegten Versäumnisse vorliegen und den geltend gemachten Schaden verursacht haben“.

2. Die Auslegung des Prozessvorbringens ist eine Frage des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0042828; RS0044273 [T59]; vgl auch RS0113563) und bildet, soweit es sich – wie im vorliegenden Fall – um keine aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung handelt, regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0042828 [T23]).

Die Auffassung des Berufungsgerichts, dem erstmals in der Berufung erstatteten Vorbringen, die Beklagte hätte im Prozess vorbringen müssen, dass der Ex‑Gatte der Klägerin gegen seine Pflichten, Einwendungen gegen die Kündigung der Ehewohnung zu erheben und sein mangelndes Verschulden am Verzug wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten einzuwenden, verstoßen habe, stehe das Neuerungsverbot (§ 482 ZPO) entgegen, ist nicht korrekturbedürftig. Die Klägerin brachte dies weder ausdrücklich noch erkennbar vor, auch wenn sie dies unter Hinweis auf ein anderslautendes erstinstanzliches Vorbringen nunmehr behauptet.

3.1. Der Anspruch des Ehegatten, dem die Wohnung, über die der andere verfügungsberechtigt ist, zur Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses dient, darauf, dass der Verfügungsberechtigte alles unterlasse und vorkehre, damit der auf die Wohnung angewiesene Ehegatte diese nicht verliere (§ 97 ABGB), richtet sich grundsätzlich gegen den verfügungsberechtigten Ehegatten. Schuldhafte Verletzung dieser Pflicht kann Schadenersatzansprüche auslösen (RIS‑Justiz RS0005961). Der Wohnungserhaltungsanspruch des wohnbedürftigen Ehegatten ist gemäß § 97 Satz 2 ABGB ausgeschlossen, wenn der Wohnungsverlust „durch die Umstände erzwungen wird“, eine Erhaltung der Wohnung dem verfügungsberechtigten anderen Ehegatten also unzumutbar ist. Das Gesetz verlangt demnach (Argument: „erzwungen“) zwar eine gewisse Zwangslage des verfügungsberechtigten Ehegatten, die ihn zur Aufgabe der Wohnung nötigt; eine echte „Zwangslage“ im Sinne fehlender Alternativen ist aber nicht gefordert. Daher können auch wirtschaftliche Gründe (wie mangelnde finanzielle Leistungsfähigkeit) den verfügungsberechtigten Ehegatten zur Wohnungsaufgabe nötigen. Ob ihm dann im Einzelfall dennoch die Erhaltung der Wohnung zumutbar gewesen wäre, ist aufgrund einer Interessenabwägung zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0015115; 4 Ob 49/01m mwN).

3.2. Unstrittig ist, dass der Auszug des Ehemanns aus der Ehewohnung keine Eheverfehlung bildete, wurde doch die Ehe der Klägerin aus ihrem Alleinverschulden geschieden. Nach den getroffenen Feststellungen führte sie aufgrund einer einstweiligen Verfügung, mit der ihr einstweilig ein Unterhaltsbetrag von 477,56 EUR monatlich zuerkannt wurde, ab Februar 2012 Exekution gegen ihren früheren Ehemann. Am 21. 6. 2012 wurde sie von der Vermieterin verständigt, dass hinsichtlich der Ehewohnung, deren Mieter ihr Ehemann war, (seit Mai 2012) ein Mietzinsrückstand besteht und bei Nichtbegleichung ohne weitere Verständigung rechtliche Schritte eingeleitet werden. Mit Schreiben vom 2. 7. 2012 teilte ihr der Ehemann mit, dass er aufgrund der Pfändung seines Gehalts auf das Existenzminimum keine Mietzinszahlungen leisten könne. Aus dem Sachverhalt ergeben sich damit Anhaltspunkte, dass ihr Ehemann aufgrund seiner wirtschaftlichen Schwierigkeiten als Folge seiner Gehaltspfändung der Erhalt der Wohnung nicht mehr zumutbar gewesen sein könnte. Eine (konkrete) gegenteilige Behauptung stellt sie auch in ihrer Revision nicht auf.

3.3. Nach den getroffenen Feststellungen, die im Revisionsverfahren nicht mehr bekämpfbar sind, war die Klägerin zu dieser Zeit finanziell in der Lage, die Mietzinszahlungen für die (frühere) Ehewohnung, in der sie allein wohnte, zu leisten. Auch wenn sie an anderer Stelle ihre Leistungsfähigkeit in Abrede stellt, bringt sie in der Revision ausdrücklich vor, sie wäre bereit gewesen, zur Abwendung des Räumungsbegehrens bis zur Verhandlung die rückständigen Mieten zu bezahlen, was aber voraussetzt, dass sie diese Zahlungen auch leisten konnte.

Die Vorinstanzen führten dazu aus, die Klägerin habe angesichts der ihr bekannten Mietzinsrückstände ihre Schadensminderungspflicht verletzt. Ihr wäre es jedenfalls bis zur Einbringung der Mietzins‑ und Räumungsklage der Vermieterin gegen ihren Ehemann (und noch darüber hinaus bis zur Erlassung des Versäumungsurteils) möglich gewesen, den Mietzinsrückstand zu begleichen und die Räumung abzuwenden und sich in der Folge bei ihrem früheren Ehemann schadlos zu halten. Sie sei jedoch untätig und sorglos gegenüber dem drohenden Verlust ihrer Wohnung geblieben und habe damit Handlungen unterlassen, die von einem verständigen Durchschnittsmenschen gesetzt worden wären, um den drohenden Schaden abzuwenden. Ihr Schadenersatzbegehren im Vorprozess gegen ihren früheren Ehemann wäre daher (auch) aus diesem Grund nicht berechtigt gewesen.

Wenn die Beklagte dazu dem Berufungsgericht nur unkonkret vorhält, es hätte eine Verschuldensabwägung zu ihrem Verhalten und dem ihres Ehemannes vornehmen müssen, zeigt sie keine Fehlbeurteilung auf. Wenn sie behauptet, sie hätte im Zeitraum Juni/Juli 2012 nicht über die finanziellen Mittel zur Zahlung der Mietzinse verfügt, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt. Insgesamt vermag die Klägerin nicht aufzuzeigen, dass die Beurteilung des Berufungsgerichts korrekturbedürftig ist, zumal sie bis zuletzt nicht erklären kann, mit welchen finanziellen Mitteln der Ehemann in der Lage gewesen sein sollte, den Mietzinsrückstand zu begleichen und das Räumungsurteil abzuwenden.

4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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