OGH 6Ob198/18p

OGH6Ob198/18p21.11.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden, durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny sowie durch die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. M***** K*****, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei V*****, vertreten durch Lansky, Ganzger & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung, Widerruf und Veröffentlichung des Widerrufs, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. August 2018, GZ 2 R 57/18v‑16, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0060OB00198.18P.1121.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die Ermittlung des Bedeutungsinhalts einer Äußerung ist im Allgemeinen eine Rechtsfrage, die von den näheren Umständen des Einzelfalls, insbesondere aber von der konkreten Formulierung in ihrem Zusammenhang abhängt (RIS‑Justiz RS0031883 [T6]). Wie eine Äußerung im Einzelfall zu verstehen ist, hängt so sehr von den Umständen des konkreten Falls ab, dass dieser Frage keine darüber hinausgehende Bedeutung zukommt und sie daher keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO bildet (RIS‑Justiz RS0031883 [T28]). Auch ob eine andere Beurteilung der festgestellten Äußerung vertretbar ist, hat keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung und bildet demnach keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0107768).

Im Licht dieser Rechtsprechung hat der Revisionswerber keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt:

2.1. Entgegen der Behauptung in der Revision ist das Berufungsgericht nicht von Feststellungen des Erstgerichts abgegangen: Die Ausführung des Berufungsgerichts, über den Kläger werde im Artikel nichts Unrichtiges ausgesagt, bezieht sich nur auf das Eventualbegehren, die in der Revision zitierte Passage aus dem Ersturteil hingegen auf das Hauptbegehren. Zum Eventualbegehren hat aber auch das Erstgericht ausgeführt, es handle sich bei der Namensnennung des Klägers im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren der WKStA zu Vorgängen rund um den Ö***** um eine wahre Tatsachenbehauptung.

2.2. Wahr sind weiters die in der Revision relevierten Darstellungen, wonach strafbehördliche Ermittlungen rund um den Ö***** stattfinden, in deren Zuge eine Gruppe („Seilschaft“) aus dem Ministeriumsumfeld auftaucht, deren Personen bis heute in wichtigen Positionen sitzen.

Im Artikel wird kein konkreter strafrechtlich relevanter Vorwurf gegen den Kläger erhoben, zumal sich allfällige Vorwürfe auf einen „Herrn X“ beziehen und zudem ausdrücklich „betont“ wird, (ua) gegen den Kläger werde nicht ermittelt, gegen ihn bestehe kein strafrechtlicher Vorwurf.

Bei diesem Hinweis handelt es sich nicht um den oftmals am Ende eines Artikels angebrachten „floskelhaften“ Hinweis auf die Unschuldsvermutung (vgl 4 Ob 64/10f).

3. Die im Artikel gestellte Frage, ob hier ein Mitglied einer seit mehr als 15 Jahren bestehenden Seilschaft das andere kontrolliert, ist nicht Gegenstand des Klagebegehrens. Anschließend wird die Frage einer wirtschaftlichen Verbindung zwischen dem Kläger und „Herrn X“ aufgeworfen, ohne dass dabei jedoch ein konkreter strafrechtlich relevanter Vorwurf erhoben wird; schließlich wird berichtet, dass der Kläger eine „geschäftliche Beziehung“ zu einem namentlich genannten Dritten verneint.

Der Leser gewinnt hier nicht den Eindruck, der Kläger selbst wäre in eine gesetzwidrige Auftragsvergabe oder anderes strafbares Verhalten verwickelt oder hätte sich dabei bereichert.

Die Funktion der Presse in einer demokratischen Gesellschaft ist es insbesondere, politische Vorgänge kritisch zu beleuchten und verschiedene Positionen zu wesentlichen Vorgängen wiederzugeben; der Presse muss es dabei möglich sein, ihre vitale Rolle eines „public watchdog“ in einer demokratischen Gesellschaft zu erfüllen (RIS‑Justiz RS0123667). Für Einschränkungen politischer Äußerungen oder Diskussionen in Angelegenheiten des öffentlichen Interesses billigt der EGMR den Vertragsstaaten nur einen sehr engen Beurteilungsspielraum zu (RIS‑Justiz RS0123667 [T5]).

Im Licht dieser Rechtsprechung ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, die inkriminierte Berichterstattung nicht zu verbieten, nicht korrekturbedürftig.

4. Unter dem Begriff „Seilschaft“ wird im Allgemeinen eine Gruppe von Personen verstanden, die (im politischen oder wirtschaftlichen Bereich) zusammenarbeiten und sich gegenseitig begünstigen (vgl Duden-Wörterbuch). Dies impliziert entgegen der offenbaren Ansicht des Revisionswerbers nicht zwangsläufig die gemeinsame Begehung von gerichtlich strafbaren Handlungen.

5. Der Kläger stützt das Klagebegehren überdies auf sein aus § 16 ABGB abgeleitetes Recht auf Namensanonymität.

5.1. Ein allgemeines Recht, den „Gebrauch“ des Namens eines anderen im geschäftlichen Verkehr, soweit dies durch bloße Namensnennung geschieht zu unterlassen, besteht nicht; die allfällige Rechtswidrigkeit einer solchen Namensnennung ergibt sich erst aus dem Inhalt der damit verbundenen Aussage (RIS‑Justiz RS0009319). Der Namensträger hat somit kein uneingeschränktes Recht zu entscheiden, ob sein Name in der Öffentlichkeit genannt werden darf (RIS‑Justiz RS0109217 [T3]). Dies beruht auf der Überlegung, dass eine Überspannung des Schutzes der Persönlichkeitsrechte zu einer unerträglichen Einschränkung der Interessen anderer und jener der Allgemeinheit führen würde (vgl RIS‑Justiz RS0008990). Die bloße Namensnennung berührt mangels Identitäts- oder Zuordnungsverwirrung auch nicht das Namensrecht, sondern das allgemeine Persönlichkeitsrecht (RIS‑Justiz RS0109217 [T2]).

5.2. Der Gebrauch des Namens verstößt allerdings gegen § 16 ABGB, wenn die Namensnennung in einer schutzwürdige Interessen des Genannten beeinträchtigenden Weise erfolgt (RIS‑Justiz RS0009319 [T1]). Eine Verletzung liegt regelmäßig vor, wenn über den Namensträger etwas Unrichtiges ausgesagt wird, das sein Ansehen und seinen guten Ruf beeinträchtigt, ihn bloßstellt oder lächerlich macht (RIS‑Justiz RS0009319 [T10]). Hat der Betroffene nicht zugestimmt und besteht weder ein gesetzliches Verbot noch eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung, hängt die Frage der Rechtswidrigkeit der Namensnennung von einer vorzunehmenden Interessenabwägung ab (RIS‑Justiz RS0009319 [T3]). Soweit sich die Rechtswidrigkeit der Namensnennung nicht aus der verwerflichen Typizität des Aussageinhalts ergibt, folgt sie aus dem Missverhältnis zum Informationszweck (RIS‑Justiz RS0009319 [T4]). Ob die Aussage schutzwürdige Interessen des Genannten beeinträchtigt, hängt von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0009319 [T2]).

5.3. Diese Grundsätze werden auch als „Recht auf Namensanonymität“ bezeichnet (vgl RIS‑Justiz RS0009003 [T3]): Das Recht auf Namensanonymität leitet sich dabei aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ab (RIS‑Justiz RS0008998). Dabei ist der Schutz der Privatsphäre auf der einen Seite mit dem Informationsinteresse der Allgemeinheit und dem Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit auf der anderen Seite abzuwägen: Das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit wird dabei zur Verneinung der Rechtswidrigkeit einer Namensnennung führen, wenn der Namensträger selbst sachlichen Anlass zur Nennung gegeben hat (RIS‑Justiz RS0009003 [T3]). Mit dem Kriterium des Setzens eines sachlichen Anlasses sind die im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien jedoch keineswegs für alle denkbaren Fallkonstellationen abschließend umschrieben (RIS‑Justiz RS0008998 [T4]). Daher kann aus dem Umstand, dass der Genannte selbst keinen sachlichen Anlass für die Nennung seines Namens gesetzt hat, noch nicht zwingend auf die Unzulässigkeit der Namensnennung geschlossen werden (6 Ob 266/06w ErwGr 3.6.). Vielmehr ist eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen (vgl RIS‑Justiz RS0008998 [T5]). Dabei ist auch die öffentliche Aufgabe der Medien als „public watchdog“ zu berücksichtigen; ein Missverhältnis zwischen Namensnennung und Informationszweck liegt jedoch etwa bei der Namensnennung in reinen Sensationsberichten vor oder wenn willkürlich Unbeteiligte durch Namensnennung unverschuldet in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geraten (6 Ob 266/06w ErwGr 3.5.). Ob tatsächlich ein sachlicher Anlass gegeben war, ist ebenso Einzelfallbeurteilung wie das Ergebnis der Interessenabwägung (RIS‑Justiz RS0009003 [T3]).

5.4. Der Kläger ist Leiter einer im öffentlichen Blickpunkt stehenden Organisation. Es besteht daher durchaus ein Interesse der Öffentlichkeit, über Umstände der beruflichen Vergangenheit des Klägers informiert zu werden.

Das Ergebnis der Vorinstanzen, wonach im vorliegenden Fall das öffentliche Interesse an der Berichterstattung das Interesse des Klägers an der Wahrung seiner Privatsphäre überwiege, ist somit nicht korrekturbedürftig.

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