OGH 11Os78/18g

OGH11Os78/18g16.10.2018

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Oktober 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Ertl, LL.M., als Schriftführer in der Strafsache gegen K*****und D***** wegen des Verbrechens der Zwangsheirat nach §§ 15, 106a Abs 1, Abs 3 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 29. März 2018, GZ 51 Hv 57/17z‑28a, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0110OS00078.18G.1016.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Freispruch der Angeklagten enthält, wurden K*****und D***** jeweils des Verbrechens der Zwangsheirat nach §§ 15, 106a Abs 1, Abs 3 StGB schuldig erkannt.

Danach haben sie ab zumindest Mai 2017 in W***** ihre Tochter Ko***** durch Drohung mit dem Abbruch der familiären Kontakte, indem sie zu ihr sagten, dass sie sie nicht mehr unterstützen bzw nicht mehr sehen würden, zur Eheschließung mit V***** zu nötigen versucht, wobei die Tat am 26. Mai 2017 einen Selbstmordversuch der genötigten Person zur Folge hatte.

 

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richten sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und 9 lit b StPO gestützten, gemeinsam ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten.

Als Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) kritisiert die Mängelrüge, aus der Formulierung der „offenkundig auf der inneren Tatseite erfolgten“ erstgerichtlichen Annahme, wonach die Eltern „wussten, dass der angekündigte Abbruch des Kontaktes ein geeignetes Druckmittel ist, Ko***** dazu zu bringen, der Eheschließung mit dem ihr nahezu völlig unbekannten V***** zuzustimmen“ (US 10 f) gehe nicht unzweifelhaft hervor, ob die „entscheidende Tatsache der Eignung der Drohung“ (auch) in objektiver Hinsicht festgestellt worden sei. Sie übersieht, dass die Frage der Besorgniseignung Gegenstand der rechtlichen Beurteilung ist (vgl RIS‑Justiz RS0092448, RS0092160), womit es einer solchen Konstatierung gar nicht bedurfte. Insofern liegt auch der diesbezüglich behauptete „Feststellungsmangel“ (Z 9 lit a; gemeint: Rechtsfehler mangels Feststellungen, RIS‑Justiz RS0119884; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 605) nicht vor.

Weshalb der als übergangen reklamierte (Z 5 zweiter Fall) Umstand, dass Ko***** (vor und nach der offiziellen Verlobung bis zu deren Auflösung, also zu einem Zeitpunkt, zu welchem sich diese nach den Urteilsannahmen „ihrem Schicksal ergeben“ hatte [US 10]), einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit V***** gehabt haben soll, der inkriminierten Nötigung zur Eheschließung erörterungbedürftig entgegenstehen sollte (RIS‑Justiz RS0098646), legt die Mängelrüge nicht plausibel dar.

Die Kritik der Rechtsmittelwerber an der Konstatierung, sie hätten im Zuge des dem Fenstersprung ihrer Tochter vorangehenden Gesprächs ihre Drohung mit dem Abbruch familiärer Kontakte „ausdrücklich klargestellt“ (US 9), geht schon deshalb fehl, weil mit dieser Wendung– bei verständiger Lesart des Urteils in seiner Gesamtheit – der Beschwerdeargumentation zuwider nicht die Form der Drohung, sondern deren Ernstlichkeit zum Ausdruck gebracht werden sollte. Durch selektives Betonen einzelner, teilweise aus dem Zusammenhang gerissener Passagen der Aussagen der Zeugen Mag. Barbara S*****, Bernhard M***** und Elisabeth H***** und der Behauptung, aus diesen lasse sich die bekämpfte Annahme ebensowenig ableiten wie aus einem vom Opfer an diese gerichteten Schreiben (ON 2 S 43), wird ein Begründungsmangel (Z 5 vierter Fall) nicht prozessordnungskonform zur Darstellung gebracht (RIS‑Justiz RS0116504). Entgegen dem Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) konnten die Tatrichter dabei die Depositionen der Zeugin Christa P***** unberücksichtigt lassen, weil diese bloß angab (ON 28 S 26), „da jetzt nicht so Genaues sagen“ zu können (vgl RIS-Justiz RS0118316).

Einzig unter Hinweis darauf, dass die Verlobung später aufgelöst wurde und die Tochter nun (wieder) bei den Eltern wohnt (US 10), leitet die Rechtsrüge (Z 9 lit b) das Vorliegen freiwilligen Rücktritts vom Versuch (§ 16 StGB) ab. Sie verabsäumt es jedoch, deutlich und bestimmt aufzuzeigen (vgl RIS-Justiz RS0090229 [T2]), weshalb die Angeklagten – unter Berücksichtigung des ursprünglichen Tatplans (vgl Hager/Massauer WK² StGB §§ 15, 16 Rz 127 ff) – infolge des sie schockierenden (US 10) drastischen Widerstands ihrer Tochter und dem damit einhergehenden Risiko ungewollter weiterer schwerwiegender Folgen bei Fortführung ihres Unternehmens, sondern aufgrund anderer – von den Beschwerdeführern gar nicht genannter – ausschließlich autonomer Motive freiwillig von der weiteren Tatausführung Abstand genommen hätten. Hinreichende Indizien für die Annahme eines freiwillig gesetzten „contrarius actus“ im Sinn einer durch die Eltern veranlassten Auflösung der (nach dem Selbstmordversuch bekräftigten) Verlobung werden durch die zitierten Zeugenaussagen, wonach diese den Grund hiefür wissen müssten, V***** die Entscheidung von ihnen erfahren habe und sie zu ihm gesagt hätten, er solle ihre Tochter nicht mehr treffen sowie, dass die Verlobung auf deren Wunsch aufgelöst worden sei und sie erzählt habe, der Geschlechtsverkehr mit V***** vor der Verlobung sei zu Hause ein großes Problem gewesen, nicht dargetan.

Die bloße Mutmaßung der Subsumtionsrüge (Z 10; nominell auch Z 5 zweiter Fall), wonach das Opfer „auch aus dem Fenster gesprungen wäre, wenn die Eltern lediglich nicht damit einverstanden gewesen wären, dass sie den G***** [ihren langjährigen, aber geheimgehaltenen Freund] heiratet“, geht nicht von den Urteilsannahmen zur (alleinigen) Kausalität der von ihr verlangten Eheschließung mit V***** (US 9 f; 11) für den Selbstmordversuch aus. Solcherart entziehen sich die Ausführungen zu einem Feststellungsmangel in Bezug auf ein derartiges „rechtmäßiges Alternativverhalten“ einer inhaltlichen Erwiderung (RIS‑Justiz RS0118580 [T14]).

Soweit die Beschwerdeführer ihr Begehren auf Ausschaltung der Qualifikation des § 106a Abs 3 StGB auf den auf die Tatmittel der Gewalt und der gefährlichen Drohung beschränkten Wortlaut des § 106 Abs 2 StGB stützen (Z 10, nominell Z 9 lit a), erklären sie nicht, inwiefern diese Auslegung der vom Gesetz ausdrücklich angeordneten „sinngemäßen“ Anwendung Rechnung tragen sollte (Schwaighofer in WK² StGB § 106a Rz 20; vgl hingegen § 107 Abs 3 StGB) und verfehlen solcherart den vom Gesetz geforderten Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0116565).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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