OGH 8Ob115/18x

OGH8Ob115/18x24.9.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj C*, vertreten durch das Land Kärnten als Kinder- und Jugendhilfeträger *, gegen die Mutter Ch*, vertreten durch Dr. Christian Puswald, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, als Verfahrenshelfer, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs der Mutter gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 13. Juni 2018, GZ 4 R 146/18i‑69, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 3. Mai 2018, GZ 2 Pu 53/13f‑61, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E123099

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Pflegschaftssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

 

Begründung:

Die mj C* entstammt der im Jahr 2002 in Ägypten geschlossenen und im Jahr 2017 in Österreich geschiedenen Ehe zwischen Ch* (Mutter) und H* (Vater). Die Eltern leben seit Anfang 2013 getrennt. Die Mutter ist ägyptische Staatsangehörige. Die Tochter lebt beim Vater, dem die alleinige Obsorge zusteht.

Die durch den Kinder- und Jugendhilfeträger vertretene Tochter beantragte, die Mutter ab 1. 4. 2013 zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags von 200 EUR zu verpflichten. Die Mutter habe freien Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt. Da sie sich seit 2005 in Österreich befinde und hier auch gearbeitet habe, könne im Sinne der Anspannungstheorie davon ausgegangen werden, dass sie ein monatliches Nettoeinkommen von 1.000 EUR zuzüglich Sonderzahlungen erzielen könnte, womit sie in der Lage wäre, den beantragten Unterhaltsbeitrag zu leisten.

Die Mutter erwiderte, sie sei unverschuldet nicht in der Lage, einen Unterhaltsbeitrag zu leisten. Sie habe im Februar 2013 Österreich verlassen, weil der Vater sie regelmäßig misshandelt habe. Sie sei zu ihrer eigenen Familie nach Ägypten zurückgekehrt, um dort Schutz zu suchen. Der Vater habe aber nicht aufgehört, sie zu tyrannisieren, und ihr unter anderem damit gedroht, es würden sie erhebliche Geldstrafen und Gefängnis erwarten, sollte sie nach Österreich zurückkommen. Für sie sei es wegen ihrer schlechten Deutschkenntnisse und ihrer gesundheitlichen Probleme äußerst schwierig, einen Job zu finden. Während aufrechter Ehe sei sie vom Vater daran gehindert worden, einem Beruf nachzugehen oder einen Deutschkurs zu absolvieren. Seit ihrer Rückkehr nach Österreich 2015 sei sie daher nur kurzzeitigen und zumeist befristeten Gelegenheitsarbeitsverhältnissen nachgegangen. Vom 30. 4. 2016 bis 13. 8. 2016 und auch zuletzt sei sie in Ägypten gewesen, um ihre schwer kranke Mutter zu pflegen. Das Einkommensniveau in Ägypten sei deutlich niedriger als in Österreich.

Das Erstgericht verpflichtete die Mutter, der Tochter einen Unterhaltsrückstand von 12.200 EUR vom 1. 5. 2013 bis 31. 5. 2018 zu zahlen und setzte den von der Mutter ab 1. 6. 2018 zu leistenden monatlichen Unterhalt mit 200 EUR fest. Das Einkommen der Mutter bliebe hinter dem Einkommen zurück, das man aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit (unter Berücksichtigung ihrer gesundheitlichen Einschränkungen) und der Arbeitsmarktlage erwarten könnte, sodass sie auf das von ihr tatsächlich erzielbare Einkommen (von über 1.000 EUR monatlich) anzuspannen sei.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es gehöre zur Obliegenheit eines Unterhaltsschuldners, die erforderlichen Sprachkenntnisse zu erwerben, um sich auf dem Arbeitsmarkt durchsetzen zu können. Dass die Mutter – wie sie behaupte – nur unzureichend Deutsch spreche, müsse angesichts der Tatsache, dass sie seit 2005 in Österreich studiere [Amerikanistik und Anglistik] und somit zwölf Jahre Zeit gehabt habe, die Landessprache ausreichend gut zu erlernen, aus anspannungsrechtlichen Gründen ihr zur Last fallen. Die Mutter habe als einzigen triftigen Grund für ihre Heimataufenthalte in Ägypten die Pflege ihrer alten und kranken Eltern ins Treffen geführt. Es möge durchaus einer moralischen Pflicht entsprechen, seine kranken Eltern zu pflegen, jedoch würde eine pflichtbewusste und sorgsame Mutter in einem solchen Fall ihr Kind nicht unversorgt in dessen Heimatstaat zurücklassen. Zwar dürfe die Mutter für die Zeit ihres Aufenthalts in Ägypten nicht auf ein in Österreich erzielbares Einkommen angespannt werden, dies sei jedoch gar nicht erforderlich. Die Mutter habe niemals behauptet, ihr eigener Unterhalt sei in ihrer Heimat nicht gedeckt. Angesichts ihrer sichergestellten Versorgung habe sie in Ägypten daher lediglich jenen Unterhalt zu verdienen, den ihre Tochter zu deren angemessener Bedarfsdeckung in Österreich benötige und der den (bescheidenen) Verhältnissen der Mutter entspreche. Dass es der Mutter nicht möglich wäre, in Ägypten neben der Pflege ihrer Eltern durch eine Teilzeitbeschäftigung monatlich 200 EUR zu erwerben, habe sie im Verfahren nicht behauptet. Auf jeden Fall sei von einer guten Mutter zu verlangen, den Unterhalt ihres Kindes auch für Zeiten der Ortsabwesenheit und der Pflege der eigenen Eltern sicherzustellen.

Nachträglich ließ das Rekursgericht den Revisionsrekurs gegen seine Entscheidung zu, weil die Frage, ob die Mutter im Zeitraum ihrer Aufenthalte in Ägypten auf ein dort erzielbares Einkommen aus einer Vollbeschäftigung, oder bloß auf den dem Kind in Österreich zustehenden Geldunterhaltsbetrag aus einer Teilzeitbeschäftigung oder gar nicht anzuspannen sei, – letztlich auch aus dem Blickwinkel der Einzelfallgerechtigkeit – für die Rechtssicherheit von erheblicher Bedeutung sei.

Rechtliche Beurteilung

Der von der Tochter nicht beantwortete Revisionsrekurs der Mutter ist zulässig und im Sinne des gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1.1 Eine Anspannung auf tatsächlich nicht erzieltes Einkommen darf (nur) dann erfolgen, wenn den Unterhaltsschuldner ein Verschulden daran trifft, dass er keine oder keine die Unterhaltspflichten deckende Erwerbstätigkeit ausübt (RIS‑Justiz RS0047495). Das Verschulden kann in vorsätzlicher Unterhaltsflucht bestehen, es genügt aber auch (leicht) fahrlässige Herbeiführung des Einkommensmangels durch Außerachtlassung pflichtgemäßer zumutbarer Einkommensbemühungen (RIS‑Justiz RS0047495 [T24]). Maßstab hierfür ist stets das Verhalten eines pflichtbewussten, rechtstreuen Elternteils in der Situation des Unterhaltsschuldners (RIS‑Justiz RS0047421).

1.2 Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass einem unterhaltspflichtigen Elternteil ausländischer Herkunft – mag er auch zwischenzeitig die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten haben – nicht verwehrt werden könne, nach Scheidung der in Österreich geschlossenen Ehe (oder Auflösung der Lebensgemeinschaft) wieder in sein Heimatland zurückzukehren, um dorteiner Beschäftigung nachzugehen (1 Ob 23/02t; 1 Ob 130/04f). Zieht der Unterhaltspflichtige aus berücksichtigungswürdigen Motiven – und nicht etwa zur Umgehung der Unterhaltspflicht – ins Ausland, so darf ihm ein solcher Entschluss nicht zum Nachteil gereichen; dann ist der Unterhaltsbemessung das vom Unterhaltspflichtigen im Ausland erzielte oder erzielbare Einkommen zu Grunde zu legen (RIS‑Justiz RS0119326; RS0047599; Kolmasch, Anspannung des Unterhaltsschuldners bei Auslandsbeziehungen, Zak 2006, 150). Dabei ist nicht maßgeblich, ob sich die zu beurteilende Entscheidung des Unterhaltspflichtigen in rückschauender Betrachtung als bestmöglich erweist, vielmehr ist allein bedeutsam, ob sie nach den jeweils gegebenen konkreten Umständen im Entscheidungszeitpunkt als vertretbar anzuerkennen ist (RIS‑Justiz RS0047495 [T12]).

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen fehlen Feststellungen dazu, wann und aus welchen Beweggründen die Mutter in den letzten Jahren in Ägypten aufhältig war bzw ob sie derzeit dort wohnhaft ist, um abschließend beurteilen zu können, ob sie auf ein in Österreich oder aber (zumindest teilweise) nur auf ein in Ägypten erzielbares Einkommen anzuspannen ist.

3.1 Ungeachtet dieser Erwägungen ist der Sachverhalt noch in anderer Hinsicht ergänzungsbedürftig: Die Mutter beanstandet als Mangelhaftigkeit des zweitinstanzlichen Verfahrens, dass das Rekursgericht ihrer Beweisrüge, sie verfüge tatsächlich nicht über die vom berufskundlichen Sachverständigen bloß aufgrund vorgelegter Zertifikate unterstellten Kenntnisse der deutschen Sprache (B1 Niveau), entgegnet hat, ihr sei anzulasten, die deutsche Sprache nicht ausreichend gut erlernt zu haben.

3.2 Zutreffend ist zwar, dass allgemein zur Obliegenheit, sich dauernd und intensiv um einen Arbeitsplatz zu bemühen, auch die Pflicht gehört, die erforderlichen Sprachkenntnisse zu erwerben, um sich auf dem Arbeitsmarkt behaupten zu können. Ohne besonders rücksichtswürdige Umstände, etwa im Hinblick auf die intellektuellen Fähigkeiten, sind bei einem mehrjährigen Aufenthalt im Gastland ausreichende Sprachkenntnisse zu erwarten, um sich auch im Arbeitsleben verständigen zu können (8 Ob 8/12b).

3.3 Hier hat die Mutter allerdings vorgebracht, sie sei während aufrechter Ehe vom Vater daran gehindert worden, regelmäßig Sprachkurse zu besuchen. Zwischen 1. 4. 2013 bis 31. 12. 2017 soll sie lediglich 24 von insgesamt 57 Monaten in Österreich aufhältig gewesen sein. Da Feststellungen dazu fehlen, dass und aus welchen Gründen es die Mutter verabsäumt hat, die deutsche Sprache in einem für eine Erwerbstätigkeit im Inland erforderlichen Ausmaß zu erlernen, entbehrt die Schlussfolgerung des Rekursgerichts, allfällige ungenügende Deutschkenntnisse der Mutter gereichten ihr im Sinne des Anspannungsgrundsatzes jedenfalls zum Vorwurf, einer Tatsachengrundlage.

4. Aufgrund sekundärer Feststellungsmängel waren die Entscheidungen der Vorinstanzen in Stattgebung des Revisionsrekurses aufzuheben. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren nach entsprechenden Erhebungen Feststellungen zu den tatsächlichen Deutschkenntnissen der Mutter und den Ursachen allfälliger diesbezüglicher Defizite sowie zur Dauer ihrer Aufenthalte in ihrem Heimatland und deren Motiven zu treffen haben, um danach neuerlich zu beurteilen, ob und wenn ja, auf welchen Unterhalt sie anzuspannen ist.

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