OGH 1Ob23/02t

OGH1Ob23/02t26.2.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Dominik B*****, geboren am *****, und des mj Christopher B*****, geboren am *****, infolge Revisionsrekurses des Vaters Titusz P*****, vertreten durch Mag. Dr. Géza Simonfay, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 29. August 2001, GZ 45 R 482/01t-19, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Hernals vom 1. August 2001, GZ 1 P 52/01w-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die im Umfang der Verpflichtung des Vaters zur Zahlung eines monatlichen Unterhalts von S 1.500 je Kind ab 1. 2. 2001 und der Abweisung des Mehrbegehrens von monatlich S 500 je Kind als nicht in Beschwerde gezogen unberührt bleiben, werden in dem eine höhere Unterhaltsverpflichtung festlegenden Teil (weitere S 1.500 monatlich je Kind) aufgehoben; dem Erstgericht wird insoweit die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Die Mutter beantragte, den Vater ab 1. 2. 2001 zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags von S 3.500 je Kind zu verpflichten. Der Vater verdiene als selbständiger Fotograf in Budapest zumindest S 23.500 (monatlich) netto, sei überdies Geschäftsführer einer Werbeagentur, an der er zu 40 % beteiligt sei, und erziele durch Vermietung seines Fotostudios an andere Fotoagenturen weitere Einnahmen. Er verfüge schließlich auch über zwei Wohnungen in Budapest.

Der Vater wendete ein, er betreibe gemeinsam mit seiner Mutter lediglich ein Fotostudio und erziele aus dieser Beteiligung monatlich S 5.000. Sein Geschäftsführergehalt bezifferte er mit monatlich S 2.000, die Beteiligung an einer Werbeagentur existiere nicht mehr. Er verfüge nur über eine etwa 100 m2 große Eigentumswohnung. Zur Zahlung eines monatlichen Unterhalts von S 1.500 ab 1. 2. 2001 erklärte er sich ausdrücklich bereit.

Das Erstgericht setzte den vom Vater ab 1. 2. 2001 zu leistenden monatlichen Unterhalt mit S 3.000 je Kind fest und wies das Mehrbegehren im Betrag von monatlich S 500 je Kind - unangefochten - ab. Der Vater, ein in Budapest geborener österreichischer Staatsbürger, habe nur für diese beiden Kinder zu sorgen. Er habe ursprünglich vier Jahre hindurch als Standfotograf in einem Filmstudio in Budapest gearbeitet, dann habe er sich in Österreich als Fotograf selbständig gemacht. Nunmehr betreibe er in Budapest ein modern ausgestattetes Fotostudio mit digitaler Bildverarbeitung. Als unselbständiger Fotograf oder in verwandten Berufsbereichen könnte er - in Österreich - bis zu S 17.500 (monatlich) verdienen. Grundsätzlich habe er auf Grund seiner guten Qualifikation und seines Berufsbildes als selbständiger Fotograf bessere Beschäftigungs- und Verdienstchancen. Es stehe ihm zu, seine Berufstätigkeit im Ausland frei zu wählen, doch dürfe dadurch nicht der Unterhalt seiner Kinder geschmälert oder gefährdet werden. Soweit er trotz besserer sozialer Absicherung in Österreich seine Arbeitsstätte ins Ausland verlegt habe, dürfe er die damit verbundenen Nachteile nicht auf seine Kinder abwälzen. Er betreibe ein renommiertes, modernst ausgestattetes Fotostudio und lebe in sehr guten Verhältnissen. Die Angaben über ein Monatseinkommen von S 7.000 seien unglaubwürdig. Es könne aber die Feststellung des tatsächlichen Einkommens unterbleiben, zumal der Vater seinen eigenen Angaben nach als unselbständiger Fotograf bis zu S 20.000 (monatlich) verdienen könne. Er sei daher imstande, den festgesetzten Unterhalt zu leisten.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach letztlich aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Vater "nicht auch in Ungarn tatsächlich ein entsprechendes Einkommen" erziele, zumal gefordert werden müsse, dass er seinem Beruf als Fotograf in Österreich nachgehe, weil er hier S 20.000 netto monatlich verdienen könnte. Die berufliche Niederlassung in Ungarn sei ihm als Umgehung seiner Unterhaltspflicht vorzuwerfen. In Anwendung des Anspannungsgrundsatzes könne der Unterhaltsbemessung ein erzielbares monatliches Durchschnittsnettoeinkommen des Vaters von S 20.000 zu Grunde gelegt werden. Damit erweise sich aber die Unterhaltsfestsetzung als korrekt.

Der Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Eine Anspannung auf tatsächlich nicht erzieltes Einkommen darf (nur) dann erfolgen, wenn den Unterhaltsschuldner ein Verschulden daran trifft, dass er keine oder keine die Unterhaltspflichten deckende Erwerbstätigkeit ausübt. Das Verschulden kann in vorsätzlicher Unterhaltsflucht bestehen, es genügt aber auch (leicht) fahrlässige Herbeiführung des Einkommensmangels durch Außerachtlassung pflichtgemäßer zumutbarer Einkommensbemühungen. Maßstab hiefür ist stets das Verhalten eines pflichtbewussten, rechtschaffenen Familienvaters (7 Ob 78/00x; vgl 4 Ob 181/98s; ÖA 1997, 158 uva).

Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass einem unterhaltspflichtigen Vater ausländischer Herkunft - wenngleich er die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen hat - nicht verwehrt werden könne, nach Scheidung der in Österreich geschlossenen Ehe wieder in sein Heimatland zurückzukehren, um dort eine Beschäftigung aufzunehmen (4 Ob 181/98s; ÖA 1998, 214). Dies muss naturgemäß auch für einen Vater gelten, der eine Lebensgemeinschaft oder gar nur eine lose Beziehung in Österreich beendet und in seine Heimat zurückkehrt. Die vom Unterhaltspflichtigen getroffenen Entscheidungen über die Wahl des Arbeitsplatzes sind grundsätzlich danach zu beurteilen, ob sie nach der subjektiven Kenntnis und Einsicht des Unterhaltspflichtigen im Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung zu billigen waren. Dabei ist nicht maßgeblich, ob sich die zu beurteilende Entscheidung des Unterhaltspflichtigen in rückblickender Betrachtung als bestmöglich erweist; maßgebend ist vielmehr, ob sie nach den jeweils gegebenen konkreten Umständen im Entscheidungszeitpunkt als vertretbar anzuerkennen ist (ÖA 2000, 265). Zieht der Unterhaltspflichtige aus berücksichtigungswürdigen Motiven - und nicht etwa zur Umgehung der Unterhaltspflicht - ins Ausland, so darf ihm ein solcher Entschluss nicht zum Nachteil gereichen; dann ist der Unterhaltsbemessung das vom Vater im Ausland erzielte oder erzielbare Einkommen zu Grunde zu legen (vgl ÖA 2000, 220; 4 Ob 181/98s; ÖA 1998, 112; ÖA 1998, 214; ZfRV 1993, 247). Schwierigkeiten bei der Tatsachenfeststellung dürfen keinesfalls durch Anwendung der Anspannungstheorie umgangen werden. Gerade bei der Erstbemessung - wie hier - sind daher die Lebens-, Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen genau zu erheben (ZfRV 1993, 247).

Im Lichte dieser Ausführungen ist das Verfahren ergänzungsbedürftig. Die Mutter hat selbst vorgebracht, der Vater betreibe bereits seit 1995 - also schon vor der Geburt des älteren Sohnes - ein Fotostudio in Budapest, weshalb ihm die Wahl seiner Arbeitsstätte nicht als Umgehung seiner Unterhaltspflichten vorzuwerfen ist. Für eine derartige Annahme fehlt es sowohl an entsprechenden Behauptungen wie auch an Tatsachensubstrat. Allein die Tatsache, dass er in Österreich einen höheren Monatsverdienst erzielen könnte, kann es nicht rechtfertigen, ihn auf eine solche Einkommensmöglichkeit zu verweisen. Die Vorinstanzen werden daher das tatsächliche Einkommen des Vaters aus seiner Berufstätigkeit in Budapest zu ermitteln und festzustellen haben, allenfalls wird er auf ein im Ausland erzielbares Einkommen anzuspannen sein.

In Stattgebung des vom Vater erhobenen Revisionsrekurses sind die vorinstanzlichen Entscheidungen im Umfang der Anfechtung aufzuheben.

Stichworte