OGH 2Ob119/18s

OGH2Ob119/18s24.9.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M* Z*, vertreten durch Dr. Karl Claus & Mag. Dieter Berthold Rechtsanwaltspartnerschaft KEG in Mistelbach, gegen die beklagte Partei Verlassenschaft nach dem am * 2015 verstorbenen J* F*, vertreten durch den Verlassenschaftskurator Mag. Bernhard Schuller, Rechtsanwalt in Mistelbach, und den Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei J* F*, vertreten durch Dr. Leopold Boyer, Rechtsanwalt in Zistersdorf, wegen 132.777,29 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 16. Dezember 2016, GZ 13 R 205/16m‑13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 16. September 2016, GZ 10 Cg 48/16t‑9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E123007

 

Spruch:

1. Der Antrag der klagenden Partei, die Revisionsbeantwortung des Nebenintervenienten zurück- bzw in eventu abzuweisen, wird zurückgewiesen.

2. Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Der am 29. 3. 2015 verstorbene Erblasser hatte drei Kinder, nämlich die Klägerin und J* F* sowie deren Schwester M* G*. Die Mutter der Kinder ist vorverstorben. Der Erblasser hinterließ ein Testament vom 1. 3. 2012, in welchem er seine Kinder zu gleichen Teilen zu Erben bestimmte, ihnen aber gleichzeitig Grundstücke aus seinem Liegenschaftsbesitz vermachte.

Im noch anhängigen Verlassenschaftsverfahren gaben die drei Erben die unbedingte Erbantrittserklärung ab.

Die Klägerin begehrt mit ihrer Pflichtteilsklage von der beklagten Verlassenschaft 132.777,29 EUR sA. Sie brachte vor, der von ihr – abweichend vom Gutachten des im Verlassenschaftsverfahren beauftragten Sachverständigen – ermittelte „reine Nachlass“ betrage 633.352,79 EUR. Sie begehre überdies die Anrechnung von (näher bezeichneten) Grundstücksschenkungen an J* F* im Gesamtwert von 645.437,20 EUR. Vom Gesamtbetrag von 1.278.789,99 EUR begehre sie ein Sechstel, das seien 213.131,67 EUR, von dem „aus dem gegebenen Legat sowie aus den Werten aufgrund meiner Erbenstellung“ ein – nicht weiter aufgeschlüsselter – Betrag von 80.354,38 EUR in Abzug zu bringen sei. Sämtliche Pflichtteilsansprüche fänden im „reinen Nachlass“ Deckung, weshalb die Passivlegitimation der Verlassenschaft gegeben sei.

Die zunächst nur von J* F* vertretene beklagte Partei wandte ein, die Klägerin sei zu einem Drittel Erbin des Nachlasses. Im Verlassenschaftsverfahren sei der reine Nachlass mit 393.316,34 EUR ermittelt worden, ein Sechstel davon seien 65.552 EUR. Der Wert des der Klägerin vermachten Grundstücks betrage 40.000 EUR, dazu erhalte sie aufgrund ihrer Erbberechtigung „ein Drittel am Haus im Wert von rund 30.000 EUR“. Aus diesem Grund stehe ihr kein weiterer Pflichtteilsanspruch zu. Die Klage sei unschlüssig.

In der mündlichen Verhandlung vom 12. 9. 2016 erörterte das Erstgericht, dass sich aus dem Vorbringen der Klägerin ein Erbteil von 211.117,60 EUR ergebe, während der Pflichtteilsanspruch unter Einrechnung der Geschenke nur 132.777,29 EUR ausmache. Die Klage sei deshalb unschlüssig. Aufgrund der ihr eingeräumten Möglichkeit, „Vorbringen zu erstatten“, beharrte die Klägerin im Wesentlichen auf ihrem Standpunkt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es vertrat die Ansicht, das Vorbringen der Klägerin reiche nicht aus, um daraus den geltend gemachten Anspruch ableiten zu können. Nach den Klagebehauptungen belaufe sich der Erbteil der Klägerin auf ein Drittel des von ihr mit 633.352,79 EUR bezifferten reinen Nachlasses, dies seien 211.117,60 EUR, während sie einen Pflichtteil von 132.777,29 EUR begehre. Daraus folge, dass der Nachlass durch anrechenbare Schenkungen nicht so vermindert worden sei, dass der Erbteil geringer sei, als es der Pflichtteil bei Unterbleiben der Schenkung gewesen wäre. Der Klage mangle es daher an der Schlüssigkeit.

Das Berufungsgericht wies die Nichtigkeitsberufung der Klägerin zurück und bestätigte im Übrigen das erstinstanzliche Urteil. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Es verneinte das Vorliegen des Nichtigkeitsgrundes nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO. Zu jenem nach § 477 Abs 1 Z 5 ZPO führte es aus, dass sich die Klägerin nicht darauf berufen könne, dass die beklagte Partei im Verfahren nicht gehörig vertreten gewesen und daher ihr rechtliches Gehör verletzt worden sei. Es verneinte ferner den in einer Vernachlässigung der Prozessleitungspflicht erblickten Verfahrensmangel und teilte in rechtlicher Hinsicht die Ansicht des Erstgerichts. Bei seiner vom Vorbringen der Klägerin ausgehenden Berechnung gelangte es zu einem Nachlasspflichtteil von (richtig) 105.558,79 EUR und zu einem Schenkungspflichtteil von (richtig) 107.572,87 EUR, von dem es „das Geschenk“ von 80.354,38 EUR in Abzug brachte. Die Summe aus Nachlasspflichtteil (105.558,79 EUR) und Schenkungspflichtteil nach Abzug „der Geschenke“ (27.218,49 EUR) ergebe den Klagsbetrag, der unter jenem Erbteil liege (211.117,60 EUR), den die Klägerin aus der Verlassenschaft erhalte. Selbst bei Richtigkeit der Tatsachenbehauptungen der Klägerin könne sie daher die Abweisung der Klage nicht vermeiden. Das Erstgericht habe die Klage zu Recht wegen Unschlüssigkeit abgewiesen.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Mit Beschluss vom 14. 12. 2017, 2 Ob 27/17k, stellte der Senat die Akten dem Erstgericht zur Sanierung des Vertretungsmangels der beklagten Partei zurück. Der in der Folge vom Verlassenschaftsgericht mit Beschluss vom 26. 3. 2018 (rechtskräftig) bestellte Verlassenschaftskurator genehmigte die bisherige Verfahrensführung der beklagten Partei und erklärte, dass er die Verlassenschaft nunmehr selbst vertritt.

Daraufhin erklärte der Miterbe J* F* mit Schriftsatz vom 17. 5. 2018, der den Parteien am 29. 6. 2018 zugestellt wurde, seinen Beitritt als Nebenintervenient auf Seiten der beklagten Partei.

Der Senat stellte der beklagten Partei und dem Nebenintervenienten die Beantwortung der Revision frei. Beide beantragen, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Die Klägerin beantragte mit Schriftsatz vom 1. 8. 2018 die Zurück- bzw in eventu Abweisung der Revisionsbeantwortung des Nebenintervenienten.

Rechtliche Beurteilung

I. Zum Zurück- bzw in eventu Abweisungsantrag der Klägerin:

1. Die Klägerin hat die Zurück- bzw in eventu Abweisung der Revisionsbeantwortung des Nebenintervenienten beantragt, er sei nicht Partei des Verfahrens. Ein solcher Schriftsatz ist im Gesetz nicht vorgesehen; er ist daher unzulässig und zurückzuweisen (vgl 2 Ob 63/12x).

2. Die Ansicht der Klägerin, ein Streitbeitritt sei nicht erfolgt, widerspricht im Übrigen der Aktenlage. Die funktionelle Zuständigkeit für die Behandlung der Beitrittserklärung des Nebenintervenienten mit Schriftsatz vom 17. 5. 2018 lag beim Obersten Gerichtshof (3 Ob 45/11f; Schneider in Fasching/Konecny 3 § 18 ZPO Rz 10), der diesen Schriftsatz den Parteien am 29. 6. 2018 nachweislich zugestellt hat (§ 18 Abs 1 ZPO). Ein Antrag auf Zurückweisung der Nebenintervention (§ 18 Abs 2 ZPO) wurde nicht gestellt.

II. Zur Revision:

Obwohl der Frage der Schlüssigkeit im Allgemeinen keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt, ist die außerordentliche Revision hier zulässig, weil eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung vorliegt (RIS-Justiz RS0116144).

Sie ist im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Die Klägerin bemängelt, die Vorinstanzen hätten ihr aktenwidrig die Behauptung unterstellt, dass sie einen Erbteil in Höhe von 211.117,60 EUR erhalten würde. Statt dessen habe sie vorgebracht, dass sie sich aufgrund ihrer Stellung als Legatarin und sonstiger Zuwendungen (unter Lebenden) bei der Berechnung ihres Pflichtteils einen – vom Berufungsgericht zu Unrecht als „Geschenk“ gewerteten – Betrag von 80.354,38 EUR in Abzug bringe. Entgegen der Meinung der Vorinstanzen sei die Klage schlüssig.

Hiezu wurde erwogen:

1. Ein Klagebegehren ist schlüssig, wenn das Sachbegehren des Klägers materiell‑rechtlich aus den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden kann (RIS-Justiz RS0037516). Die Schlüssigkeit eines Tatsachenvorbringens ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung (RIS-Justiz RS0037532), die aufgrund einer Rechtsrüge aufgegriffen werden kann. Eine solche liegt hier inhaltlich (auch) vor, obwohl die Fehlinterpretation des klägerischen Vorbringens durch beide Vorinstanzen mehrfach – rechtsirrig – als aktenwidrig gerügt wird (vgl 5 Ob 137/11z).

2. Aufgrund des Todeszeitpunkts des Erblassers ist noch die Rechtslage vor Inkrafttreten des ErbRÄG 2015 (BGBl I 2015/87) maßgeblich (§ 1503 Abs 7 Z 2 ABGB).

3. Auch der testamentarische Erbe kann einen Pflichtteilsanspruch erheben und die Anrechnung von Schenkungen gemäß § 785 ABGB begehren (RIS-Justiz RS0012882 [T4]).

4. Gemäß § 774 Satz 1 ABGB kann der Pflichtteil auch in Gestalt eines Erbteils oder Vermächtnisses hinterlassen werden. Nach § 787 Abs 1 ABGB wird alles, was die Noterben durch Legate oder andere Verfügungen des Erblassers wirklich aus der Verlassenschaft erhalten, bei Bestimmung des Pflichtteils in Rechnung gebracht.

4.1 Die Klägerin muss sich also anrechnen lassen, was sie aus der Verlassenschaft wirklich erhält (Welser in Rummel/Lukas 4 § 787 ABGB Rz 2). Obwohl sie zu einem Drittel des Nachlasses Erbin ist, könnte dies auch weniger als das rechnerische Drittel des „reinen Nachlasses“ (§ 784 ABGB) sein, den sie selbst mit 633.352,79 EUR beziffert hat. Denn dieser enthält auch alle Vermögenswerte, die den einzelnen Erben als Legate zugedacht worden sind (§ 786 Satz 1 ABGB). Handelt es sich dabei um echte Prälegate (Vorausvermächtnisse; § 648 ABGB), also solche, die den Miterben ohne Anrechnung auf den Erbteil zukommen sollen, wird der verteilbare Nachlass entsprechend vermindert. Auch bei unechten Prälegaten (Hineinvermächtnissen), die wie eine Teilungsanordnung zu behandeln sind, kann es zu „überquotalen Zuweisungen“ an einen Miterben – mit entsprechend geringeren Zuweisungen an die übrigen – kommen, wenn dies dem Willen des Erblassers entspricht (vgl 2 Ob 41/11k = SZ 2012/49).

4.2 Aus dem gegenständlichen Testament allein lässt sich nicht erschließen, wieviel die Klägerin neben dem ihr vermachten Grundstück aus der Verlassenschaft erhalten wird. Dies bleibt letztlich der Erbteilung vorbehalten, die ihrerseits zunächst eine Auslegung des Testaments erfordern wird. Keineswegs ist es daher selbstverständlich, wie die Vorinstanzen annahmen, dass die Klägerin insgesamt das rechnerische Drittel des reinen Nachlasses erhalten wird.

4.3 Dies hat die Klägerin aber ohnehin nicht behauptet, worauf sie in ihrem Rechtsmittel zutreffend verweist. Ihrem erstinstanzlichen Vorbringen nach erhält sie vielmehr an letztwilligen Zuwendungen (Legat und Erbteil) nur 80.354,38 EUR, die sie sich auf ihren Anspruch angerechnet hat. Solche letztwilligen Zuwendungen mindern im Übrigen nur den Geldanspruch auf den Nachlasspflichtteil, nicht aber den Schenkungspflichtteil. Von einem anzurechnenden „Geschenk“ iSd § 787 Abs 2 ABGB konnte nach dem Vorbringen der Klägerin somit keine Rede sein.

5. Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die Klage entgegen der Beurteilung der Vorinstanzen nicht unschlüssig ist. Da bisher noch kein Beweisverfahren durchgeführt wurde, ist eine Aufhebung und Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht unumgänglich.

6. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

Stichworte