European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0140OS00073.18V.0911.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde – soweit hier von Bedeutung – Evelyn G***** von der Anklage freigesprochen, sie habe im März 2015 in B***** als mit der Vollziehung von Bestimmungen des Vorarlberger Gemeindewahlgesetzes (Vbg GWG) betraute Bedienstete der Gemeinde B*****, mithin als Beamtin, mit dem Vorsatz, (zu ergänzen: dadurch) „die Bürger der Gemeinde B***** in ihrem Recht auf Einhaltung missbrauchsvorbeugender Bestimmungen des Vorarlberger Gemeindewahlgesetzes zur Sicherstellung einer ordnungsgemäß abgewickelten, gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Bürgermeisterwahl zu schädigen“, ihre Befugnis, im Namen „des Landes Vorarlberg“ (richtig: der Gemeinde B***** [vgl § 74 Vbg GWG]) in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, nämlich im Namen des Wahlleiters Wahlkarten für Wahlberechtigte auszustellen und auszufolgen, wissentlich missbraucht, indem sie entgegen der Bestimmung des § 5 Abs 4 Vbg GWG, wonach Wahlkarten für eine Briefwahl nur über persönlichen (mündlichen oder schriftlichen) Antrag des Wahlberechtigten und nur nach vorheriger Prüfung der Identität des Wahlberechtigten ausgestellt werden dürfen, in zahlreichen – in der Anklage einzeln angeführten Fällen – über Antrag dritter Personen Wahlkarten ausstellte und an diese ausgab und den ihr unterstellten Mitarbeiter Gunnar V***** anwies, in einer unbekannten Anzahl von Fällen Wahlkarten auf diese Weise auszustellen und auszugeben.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist nicht im Recht.
Das Erstgericht ging in objektiver Hinsicht von folgendem Sachverhalt aus:
Am 29. März 2015 fand eine Stichwahl für das Amt des Bürgermeisters in der Gemeinde B***** statt. G***** war im Auftrag des Bürgermeisters unter anderem mit der Ausgabe von Wahlkarten betraut. Im Bestreben, möglichst vielen Anhängern der Bl***** die Teilnahme an der Wahl zu ermöglichen, entwickelte Pierre M***** den Plan, ein „Wahlkartenservice“ in der Form anzubieten, dass Wahlhelfer dieser Partei Wahlkarten für Wahlberechtigte beim Gemeindeamt beantragen, abholen und nach der Stimmabgabe dem Gemeindeamt retournieren sollten. G***** sollte anhand des Melde- und Wählerverzeichnisses prüfen, ob es sich bei den per E-Mail übermittelten Namen tatsächlich um Wahlberechtigte der Gemeinde handelte und bei positivem Prüfungsergebnis die (von dritten Personen) beantragten Wahlkarten ausstellen und ausfolgen. Auf diese Weise stellte sie etwa 200 Wahlkarten ohne Prüfung eines Identitätsdokuments der Wahlberechtigten aus. Im Auftrag der G***** stellte V***** in einer unbekannten Zahl von Fällen Wahlkarten über Antrag naher Angehöriger von Wahlberechtigten aus, wenn ein Ausweisdokument derselben vorgelegt wurde.
Mit Erkenntnis vom 23. November 2015, WI3/2015 (VfSlg 20.019), hob der Verfassungsgerichtshof die Stichwahl in Stattgebung einer Anfechtung der unterlegenen Wählergruppe insbesondere wegen der auch hier im Strafverfahren gegenständlichen Vorgänge bei der Wahlkartenausstellung auf.
In subjektiver Hinsicht verneinten die Tatrichter Wissentlichkeit der Angeklagten G***** in Bezug auf die Rechtswidrigkeit der Wahlkartenausstellung. Sie habe zudem nicht mit Schädigungsvorsatz gehandelt.
Begründend stützte sich das Erstgericht zunächst auf die Verantwortung der Angeklagten, sie habe an die Rechtmäßigkeit ihrer Vorgangsweise geglaubt (US 33). Der Mängelrüge (Z 5 fünfter Fall) zuwider gibt das Urteil den Inhalt dieser Aussage (zusammengefasst) richtig wieder. Die Beschwerdeführerin führt dagegen eine Aussagepassage ins Treffen, derzufolge G***** eingestand, schon im Tatzeitpunkt vom Erfordernis der Identitätsprüfung gewusst zu haben. Sie erwähnt jedoch nicht, dass G***** im unmittelbaren Zusammenhang betonte, ihrer Ansicht nach eine Identitätsprüfung ohnehin „anhand der Wählerverzeichnisse und des Melderegisters gemacht“ zu haben (ON 166 S 5), weshalb sich die Rechtsmittelwerberin selbst dem Vorwurf der Aktenwidrigkeit (infolge erheblich unvollständiger Wiedergabe der Aussage [vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 467]) ausgesetzt sieht. Die vom Erstgericht aus dieser Verantwortung gezogenen Schlüsse sind im Übrigen nicht Gegenstand des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes (RIS‑Justiz RS0099431).
Gleiches gilt für den – unrichtige Wiedergabe des Inhalts von Beweismitteln gar nicht behauptenden – Einwand, die „richterlichen Erwägungen, wonach die aktive Mitarbeit der Angeklagten bei der Tataufklärung gegen ihre vorsätzliche Begehung sprechen“, seien aktenwidrig.
Die Tatrichter stützten die Negativfeststellung insbesondere auch auf den einschlägigen – ihrer Ansicht nach für die juristisch nicht gebildete Angeklagte nicht leicht auslegbaren – Gesetzestext (§ 5 Abs 4 Vbg GWG), den Umstand, dass schon bei früheren Wahlen Wahlkarten über Antrag von den Wahlberechtigten verschiedener Personen ausgestellt worden seien und die Offenheit, mit welcher das „Wahlkartenservice“ kommuniziert und praktiziert worden sei (US 32 ff). Dass diese Erwägungen gegen die Kriterien folgerichtigen Denkens oder grundlegende Erfahrungssätze verstoßen (vgl RIS‑Justiz RS0118317), vermag die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) nicht aufzuzeigen.
Mit eigenständiger Interpretation des Gesetzestextes, Kritik an einer dazu erstatteten – vom Erstgericht zulässigerweise berücksichtigten (US 35; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 459) – privaten Rechtsexpertise, Überlegungen zu den Angaben der Angeklagten und deren Kenntnisstand „als fachkundige Beamtin“ wird bloß die tatrichterliche Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung bekämpft.
Den Besuch von – die Durchführung von Gemeindewahlen betreffenden – Schulungen durch die Angeklagte, dort ausgehändigte Unterlagen und die Aussage des Leiters dieser Schulungen zu deren Inhalt hat das Erstgericht erörtert (US 51 f), weshalb der insoweit erhobene Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) ins Leere geht.
Die (rechtliche) Einschätzung von Zeugen über die (Un‑)Vertretbarkeit der inkriminierten Vorgangsweise stellt kein erörterungsbedürftiges Beweisergebnis dar (RIS‑Justiz RS0097545 [insb T1 und T14]).
Vom Unterbleiben einer (adäquaten) Identitätsprüfung in den inkriminierten Fällen sind die Tatrichter ohnehin ausgegangen (US 28 und 58), weshalb dies belegende Beweisergebnisse den Urteilsannahmen nicht entgegenstehen und daher nicht gesondert erörterungsbedürftig sind (RIS‑Justiz RS0098646 [insb T8]).
Die sachverhaltsmäßige Bejahung erheblicher Umstände, die erst in der Gesamtschau (jedoch nicht je für sich) zum Ausspruch über entscheidende Tatsachen führen, bildet keinen Gegenstand der Mängelrüge (RIS‑Justiz RS0116737). Dies betrifft hier die – im Rechtsmittel teils sinnwidrig wiedergegebenen (vgl US 33, 38 und 41) – Urteilsannahmen, die inkriminierte Vorgangsweise sei offen kommuniziert und praktiziert worden und schon bei früheren Wahlen seien in bestimmten Fällen nicht von Wahlberechtigten persönlich beantragte Wahlkarten ausgestellt worden. Im Übrigen hat sich das Erstgericht mit der in diesem Zusammenhang ins Treffen geführten Aussage des Zeugen V***** ohnehin auseinandergesetzt (US 45). Zu einer Erörterung sämtlicher Aussagedetails war es schon mit Blick auf das Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) nicht verhalten (RIS‑Justiz RS0106642).
Da somit bereits die Bekämpfung der Negativfeststellung zur entscheidenden Tatsache der Wissentlichkeit des Befugnismissbrauchs scheitert, erübrigt sich eine Erörterung des weiteren Beschwerdevorbringens (Z 5) zum Schädigungsvorsatz.
Bleibt in diesem Zusammenhang anzumerken, dass – der Beschwerdeansicht zuwider – ein „Anspruch der Wahlberechtigten auf ein gesetzmäßig abgeführtes und überprüfbares Wahlverfahren, an dessen Ende ein unzweifelhaftes Wahlergebnis stehen sollte“, als Bezugspunkt des Schädigungsvorsatzes nach ständiger Rechtsprechung nicht ausreicht, weil es sich (zirkulär) im Anspruch auf Einhaltung jener Vorschriften erschöpft, deren Verletzung vom Tatbestandsmerkmal des Befugnismissbrauchs erfasst ist (RIS‑Justiz RS0096270 [T10, T12, T14, T16, T18]). Dass den Wahlberechtigten ein subjektives Recht auf Befolgung der in Rede stehenden Vorschriften zukommt, ist aus dem Gesetz im Übrigen nicht abzuleiten (vgl zur – nicht die ziffernmäßige Ermittlung der Wahlergebnisse betreffenden [§§ 50 und 64 Vbg GWG] – Anfechtungslegitimation [die nicht einzelnen Wahlberechtigten zukommt] § 67 Abs 2 zweiter Satz VfGG; zum Ganzen Nordmeyer , Schädigungsvorsatz als strafbarkeitsbegrenzendes Tatbestandselement bei Missbrauch der Amtsgewalt, in Lewisch/Nordmeyer [Hrsg] Liber Amicorum Eckart Ratz, 71 [81 f]). Eine von der Angeklagten intendierte Vereitelung des Schutzzwecks der verletzten Vorschriften oder die Schädigung von sonstigen Rechten (etwa von Wählergruppen oder von Gemeindebürgern an ihrem [aktiven] Wahlrecht) behauptet die Staatsanwaltschaft nicht.
Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) legt mit ihrer Forderung nach weiteren Feststellungen zum „Vorliegen der Voraussetzungen des § 9 Abs 2 und 3 StGB“ nicht dar, weshalb der vom Erstgericht angenommene Irrtum der Angeklagten über den sozialen Bedeutungsgehalt des normativen Tatbestandsmerkmals „Befugnismissbrauch“ (also das Tatbild) den Kriterien des § 9 StGB unterliegen sollte (vgl RIS‑Justiz RS0088950 [T3]). Abgesehen davon begnügt sie sich mit dem Verweis auf den „erstgerichtlich festgestellten Sachverhalt“ und zeigt damit keine – die gewünschten Konstatierungen indizierenden – Beweisergebnisse auf (vgl RIS‑Justiz RS0118580).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
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