European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0060OB00118.18Y.0831.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Rechtsgrundlage für die Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen ist die Mutter‑Kind‑Pass‑Verordnung 2002 – MuKiPassV BGBl II 470/2011. § 1 MuKiPassV legt als Zielbestimmung die „Sicherstellung der medizinischen Grundbetreuung der Schwangeren und des Kindes“ fest. Gemäß § 10 MuKiPassV haben die Untersuchungen unter anderem die Erhebung von Beobachtungen der Mutter und eine Krankheitsanamnese, eine ärztliche Untersuchung des Kindes und die Beurteilung der Notwendigkeit weiterer Untersuchungen einzuschließen, wobei auf die in dem jeweiligen Alter erreichte Entwicklung Bedacht zu nehmen ist. Gemäß § 12 Abs 4 MuKiPassV sind in den Pass insbesondere die Untersuchungsergebnisse einzutragen. Die Klägerin vertritt die Auffassung, die Bestimmungen der MuKiPassV BGBl II 470/2011 seien als Schutzgesetz im Sinn des § 1311 ABGB anzusehen.
1.1. Schutzgesetz in diesem Sinne ist nicht nur ein Gesetz im formellen Sinn, sondern jede Rechtsvorschrift, die inhaltlich einen Schutzzweck verfolgt (RIS‑Justiz RS0027415). Damit können auch Verordnungen Schutzgesetze sein (vgl RIS‑Justiz RS0027415 [T6]). Allgemein sind Schutzgesetze abstrakte Gefährdungsverbote, die dazu bestimmt sind, die Mitglieder eines bestimmten Personenkreises gegen die Verletzung von Rechtsgütern zu schützen (RIS‑Justiz RS0027710). Dementsprechend verbietet sich die Annahme eines Schutzgesetzes, wenn allein das öffentliche Interesse gewahrt werden soll und ein Individualschutz nur als Nebenwirkung auftritt; verfolgt eine Vorschrift in der Hauptsache andere Zwecke, ist sie daneben aber auch zum Schutz von Individualinteressen erlassen worden, so genügt dies hingegen grundsätzlich für die Bejahung des Schutzgesetzcharakters (RIS‑Justiz RS0027710 [T2]). Schutzgesetze sind konkrete Verhaltensvorschriften, die einerseits durch die Gefahren, die vermieden werden sollen, und andererseits durch die Personen, die geschützt werden sollen, begrenzt sind (RIS‑Justiz RS0027710 [T20]). Sie bezwecken durch die Umschreibung konkreter Verhaltenspflichten, einem Schadenseintritt vorzubeugen (RIS‑Justiz RS0027710 [T22]).
Begrenzt wird die Haftung bei Übertretung eines Schutzgesetzes durch den Rechtswidrigkeitszusammenhang, also den Schutzzweck der Norm, der sich aus ihrem Inhalt ergibt: Das Gericht hat das anzuwendende Schutzgesetz teleologisch zu interpretieren, um herauszufinden, ob die jeweilige Vorschrift, die übertreten wurde, den in einem konkreten Fall eingetretenen Schaden verhüten wollte (RIS‑Justiz RS0008775). Dazu ist der Normzweck zu erfragen, der sich aus der wertenden Beurteilung des Sinns der Vorschrift ergibt (RIS‑Justiz RS0008775 [T6]). Dabei genügt es, dass die Verhinderung des Schadens bloß mitbezweckt ist (RIS‑Justiz RS0008775 [T2]), die Norm muss aber die Verhinderung eines Schadens wie des später eingetretenen intendiert haben (RIS‑Justiz RS0008775 [T4]).
1.2. Unabhängig davon, ob es sich bei den Bestimmungen der MuKiPassV um Schutzgesetze handelt, hat der Beklagte die Untersuchungen nach den Feststellungen der Vorinstanzen nicht fehlerhaft, sondern lege artis durchgeführt; er hätte daher auch kein Schutzgesetz übertreten; die Beweislast für die objektive Übertretung der Schutznorm trifft den Geschädigten (RIS‑Justiz RS0112234). Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass im vorliegenden Fall – so wie dies regelmäßig bei Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen der Fall sein wird – ohnehin ein Vertragsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten bestanden hat.
2. Dass der Beklagte im Mutter-Kind-Pass bei „fixiert“ (gemeint: die Augen) „ja“ ankreuzte und die Klägerin (auch insoweit) als „gesund“ diagnostizierte, in seiner Kartei jedoch vermerkte, dass die Klägerin „noch nicht sicher fixierte“, ist nach den Feststellungen der Vorinstanzen weder widersprüchlich noch zu beanstanden. Demnach war der Umstand des Noch-nicht-sicher-Fixierens nicht pathologisch, die Eintragung in der Kartei des Beklagten lediglich präziser.
3. Die Überlegungen der außerordentlichen Revision, der Beklagte hätte der Klägerin am 22. 9. 2011 keine Sechsfachimpfung mehr verabreichen dürfen, weil dadurch die notwendige Augenoperation der Klägerin verzögert worden sei, weichen von den Feststellungen der Vorinstanzen ab. Danach war trotz der Impfung eine dringende Operation (wie eben auch jene an der Klägerin) jederzeit durchführbar.
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