OGH 9Ob57/17y

OGH9Ob57/17y25.4.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj 1. J*, 2. E*, 3. V*, vertreten durch die Mutter N*, diese vertreten durch Peissl & Partner Rechtsanwälte OG in Köflach, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Antragstellers G*, vertreten durch Mag. Günther Kiegerl, Rechtsanwalt in Deutschlandsberg, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 18. Juli 2017, GZ 1 R 177/17g‑30, mit dem dem Rekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Voitsberg vom 7. Juni 2017, GZ 1 Pu 259/13h‑25, Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E121557

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Minderjährigen sind die ehelichen Kinder von G* und N*. Im Scheidungsvergleich vom 15. 10. 2013 verpflichtete sich der Vater zu einer monatlichen Unterhaltszahlung für die Minderjährigen, wobei der Unterhalt ausgehend vom Einkommen des Vaters unter Berücksichtigung eines Abschlags von 20 % für übermäßige Betreuung im Rahmen des vereinbarten Kontaktrechts berechnet wurde.

Der Vater begehrt mit Antrag vom 28. 3. 2017 eine Unterhaltsherabsetzung. Es sei nunmehr vom betreuungsrechtlichen Modell auszugehen. Dabei handle es sich um eine „neue Entscheidungsform“ und damit um eine Änderung der Umstände, die eine Neubemessung erlaubten.

Die Minderjährigen sprachen sich gegen eine Unterhaltsherabsetzung aus.

Das Erstgericht gab dem Antrag des Vaters ausgehend von einer annähernd gleichteiligen Betreuung statt.

Dem Rekurs der Kinder gegen diesen Beschluss gab das Rekursgericht Folge und änderte den Beschluss dahingehend ab, dass der Unterhaltsherabsetzungsantrag des Vaters abgewiesen wurde. Richtig sei, dass nach der neueren Judikatur bei gleichwertigen Betreuungs‑ und Naturalleistungen kein Geldunterhaltsanspruch des Kindes bestehe, wenn das Einkommen der Eltern etwa gleich hoch sei. Das Einkommen der Mutter betrage aber weniger als ein Sechstel der vom Vater bezogenen Einkünfte. Nach der im Scheidungsvergleich getroffenen Kontaktrechtsregelung sei nicht von einer gleichteiligen Betreuung auszugehen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Vaters ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden nachträglichen Zulässigkeitsausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.

1. Gemäß § 231 Abs 2 Satz 1 ABGB leistet der Elternteil, der den Haushalt führt, in dem er das Kind betreut, dadurch seinen Unterhaltsbeitrag, während der andere Elternteil, mit dem das Kind nicht im gemeinsamen Haushalt lebt, geldunterhaltspflichtig ist. Betreut und versorgt der geldunterhaltspflichtige Elternteil das Kind im Rahmen des üblichen Kontaktrechts in seinem Haushalt, hat dies keine Auswirkung auf seine Unterhaltspflicht. Aufwendungen während der Ausübung eines üblichen Kontaktrechts schmälern den Geldunterhalt grundsätzlich nicht (8 Ob 89/17x ua).

2. Übernimmt ein Elternteil die Betreuung in einem Ausmaß, das über den Rahmen des üblichen persönlichen Kontakts des Elternteils hinausgeht, bei dem sich das Kind nicht hauptsächlich aufhält, ist der zu leistende Geldunterhalt zu reduzieren, wenn der Geldunterhaltspflichtige – über ein übliches Kontaktrecht hinaus – Naturalunterhalt leistet (RIS‑Justiz RS0047452 [T6]). Unter Heranziehung des bei Unterhaltsentscheidungen grundsätzlich anzuwendenden Ermessens erfolgt die Berücksichtigung übermäßiger Betreuungsleistungen durch den geldunterhaltspflichtigen Elternteil allgemein in Form von prozentmäßigen Abschlägen. Die Rechtsprechung reduziert häufig den Unterhaltsanspruch altersunabhängig um 10 % pro wöchentlichen Betreuungstag, an dem sich das Kind über das übliche Ausmaß des Kontaktrechts hinaus beim geldunterhaltspflichtigen Elternteil befindet. Als üblich und damit unterhaltsneutral wird dabei ein Kontaktrechtstag pro Woche angesehen. Für jeden weiteren Tag wird eine Minderung von 10 % des Geldunterhalts als angemessen erachtet. Es wurde auch schon eine Reduktion der Geldunterhaltspflicht des Vaters um 20 % gebilligt, weil das Kind insgesamt in etwa einem Drittel der Zeit vom Vater betreut wurde. Auch wurde bereits in Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls judiziert, dass eine bloße Gegenüberstellung von Kontakt‑ oder Betreuungstag allein nicht abschließend maßgeblich sein könne. Der Abzug von 10 % von der Unterhaltsschuld pro zusätzlichen Besuchstag entspricht demnach lediglich einer generalisierenden Betrachtungsweise und daher umso weniger den wechselseitigen Leistungen, je mehr sich die Situation einer gemeinsamen gleichwertigen Betreuung des Kindes durch beide Elternteile annähert (1 Ob 151/16m mwN).

3. Richtig ist, dass bei gleichwertiger Betreuungs‑ und Naturalleistung nach neuerer Judikatur jedenfalls dann kein Geldunterhaltsanspruch besteht, wenn das Einkommen der Eltern etwa gleich hoch ist (RIS‑Justiz RS0047452 [T13]) oder den Eltern ein Einkommen zur Verfügung steht, das jeweils zu über der Luxusgrenze liegenden Unterhaltsansprüchen des Kindes führt (10 Ob 17/15w ua).

In allen anderen Fällen steht dem Kind aber weiterhin ein Restgeldunterhaltsanspruch gegen den leistungsfähigeren und/oder weniger betreuenden Elternteil zu, der das unterschiedliche Betreuungsverhältnis bzw den geringeren Lebensstandard, an dem das Kind beim andern Elternteil partizipieren kann, ausgleicht (8 Ob 69/15b; vgl auch RIS‑Justiz RS0131786).

Ab wann von gleichwertigen Betreuungsleistungen der Eltern die Rede sein kann, ist angesichts der Vielfalt familiärer Lebens‑ und Betreuungsmodelle gleichfalls nicht mit einem starren Prozentsatz festzulegen (8 Ob 69/15b).

4. Im vorliegenden Fall geht das Rekursgericht, wogegen sich der Revisionsrekurs nicht wendet, von 142 Tagen im Jahr Betreuung durch den Vater aus, also ca 39 %. Dieser Umfang der Betreuungsleistung befindet sich in dem Bereich, in dem von der Rechtsprechung sowohl prozentuelle Abschläge als auch die Zugrundelegung eines betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodells bejaht wurden (vgl 4 Ob 16/13a; 4 Ob 206/15w; 8 Ob 69/15b; 1 Ob 151/16m). Berücksichtigt man, dass auch im Revisionsrekurs nicht behauptet wird, dass die Kosten der bedarfsorientierten Naturalleistungen wie etwa Bekleidung oder Schule gleichteilig getragen werden, die Betreuungsleistung der Mutter, die weniger als ein Sechstel des Vaters verdient, nach wie vor deutlich über der des Vaters liegt und die über das übliche Kontaktrecht hinausgehende Betreuung bei Abschluss des Scheidungsvergleichs im Einvernehmen ohnehin mit einem Abzug von 20 % (nach dem Revisionsrekurs sogar mit einem Abzug von 35 %) berücksichtigt wurde, ist die Ansicht des Rekursgerichts, dass in den konkreten Umständen es beim prozentuellen Abschlag zu verbleiben hat und kein Wechsel zu einem betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodell zu erfolgen hat, nicht korrekturbedürftig.

Wenn der Revisionsrekurs demgegenüber darauf verweist, dass die Rechtsprechung nicht einheitlich ist, übersieht er, dass Unterhaltsentscheidungen Ermessensentscheidungen sind, die sich immer an den konkreten Umständen des Einzelfalls zu orientieren haben. So wie keine Festlegung auf einzelne Prozentsätze erfolgen kann, gilt dies auch für die Frage, ob aufgrund der besonderen Umstände von einer gleichteiligen Betreuung gesprochen werden kann.

Auf die Frage, ob überhaupt eine so weitgehende Änderung der Rechtsprechung vorliegt, dass ohne Hinzutreten weiterer Umstände eine Neubemessung des vergleichsweise festgelegten Unterhalts zulässig ist, muss daher nicht weiter eingegangen werden.

5. Mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung war der Revisionsrekurs zurückzuweisen.

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