OGH 3Ob195/17y

OGH3Ob195/17y21.3.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Roch und Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P*, vertreten durch Thum Weinreich Schwarz Chyba Reiter, Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wider die beklagte Partei R*, vertreten durch Dr. Thomas Trixner, Rechtsanwalt in St. Pölten, wegen Unterlassung und Entfernung (Streitwert 5.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 28. Juni 2017, GZ 21 R 82/17t‑17, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 30. März 2017, GZ 7 C 197/16m‑12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E121340

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen über das Beseitigungsbegehren (Punkt II. 2. des Ersturteils) werden bestätigt.

Zum Unterlassungsbegehren (Punkt II. 1. des Ersturteils) werden sie dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:

Die Beklagte ist schuldig, es künftig zu unterlassen, mittels Videokamera das Haus und den Gartenbereich des Klägers in *, zu überwachen, zu filmen oder den Eindruck einer derartigen Tätigkeit zu erwecken.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger 149,50 EUR, 272 EUR und 357,50 EUR jeweils an anteiliger Pauschalgebühr für alle drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile sind Eigentümer benachbarter und bebauter Grundstücke.

Im Zugangsbereich zum Haus der Beklagten befindet sich ein Schild mit der Aufschrift „Dieses Objekt wird videoüberwacht“ und eine Kameraattrappe. Vier funktionierende Videokameras sind an der Fassade des Hauses der Beklagten unmittelbar unterhalb des Daches angebracht, und zwar zwei an der Nordseite und zwei an der Westfassade.

Zwischen dem Kläger und der Beklagten gibt es seit einigen Jahren Streitigkeiten. Die Beklagte, die Eigentümerin eines Hundes ist, fand in ihrem Garten wiederholt leere Glasflaschen, Tierknochen und einmal eine leere Plastikschale mit Resten von Gift vor. Die Beklagte machte gegenüber einer Dritten die Äußerung, dass der Kläger Müll auf ihr Grundstück werfe. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger tatsächlich Müll oder andere Gegenstände auf ihr Grundstück warf.

Um zu verhindern, dass solche Gegenstände wieder über ihren Zaun in ihren Garten geworfen werden, und um herauszufinden, von wem diese Gegenstände auf ihre Liegenschaft gebracht worden waren, ließ die Beklagte am 11. Mai 2016 die vier bereits erwähnten Videokameras durch einen Fachunternehmer für Alarmanlagen, Videoüberwachung und Zutrittskontrolle installieren, die ihr ermöglichen, ihr Grundstück permanent zu überwachen, indem die Kamerabilder auf das Fernsehgerät in ihr Wohnzimmer übertragen werden. Alle Kameras übertragen nur Bilder von der Liegenschaft der Beklagten. Jene Bildteile, die Nachbargrundstücke und auch das Grundstück des Klägers betreffen, sind verpixelt. (Laut ergänzender Feststellung des Berufungsgerichts sind auf den übertragenen Bildern der Überwachungskameras oberhalb des Zaunes der Beklagten geringfügige, nicht konkret zuzuordnende weitere Bildausschnitte erkennbar, die möglicherweise geringfügige Grundstücksteile des Klägers betreffen könnten.)

Die Beklagte selbst kann weder die Kameraeinstellungen noch den durch die Kamera sichtbar gemachten Bereich, also die Systemeinstellungen selbständig verändern; sie konnte das auch nie. Ihr „Benutzercode“ erlaubt ihr nur, die Aufnahmen zu sehen. Den „Administratorcode“, den man benötigt, um die Systemfunktionen einzustellen, nämlich die Verpixelung, die Aufnahmedauer sowie alle anderen systemrelevanten Einstellungen, kennt die Beklagte nicht und kannte ihn auch nie. Sie äußerte gegenüber dem Fachunternehmer schon bei der Beauftragung den ausdrücklichen Wunsch, keine Möglichkeit zu haben, die Systemeinstellungen zu verändern. Dies kann nur der Fachunternehmer mit Hilfe des „Administratorcode“. Selbst wenn der Beklagten der „Administratorcode“ bekannt wäre, hätte sie nicht die technischen Kenntnisse, um die Einstellungen verändern zu können.

Der Kläger bemerkte die im Auftrag der Beklagten montierten Videokameras unmittelbar nach der Montage und rief wenige Tage später deswegen auch die Polizei. Die Polizeibeamten verwiesen ihn auf den Zivilrechtsweg.

Er strengte wegen der Videokameras ein Verfahren bei der Datenschutzbehörde an, im Rahmen dessen er erstmals die von den Videokameras aufgenommenen Bilder einschließlich der Verpixelung jener Bereiche sah, die Teile seiner Liegenschaft zeigen würden. Mit Schreiben vom 8. August 2016 teilte die Datenschutzbehörde dem Kläger mit, dass das dortige Verfahren gegen die Beklagte eingestellt wurde, weil die Überwachung des eigenen Privatgrundstücks mit Einschränkungen zulässig sei.

Würde die Beklagte den ganzen Tag auf ihrem Balkon sitzen, von dem aus man den Garten des Klägers einsehen kann und in seinen Garten schauen, würde ihn das nicht stören.

Am 1. September 2016 beauftragte die Beklagte den Fachunternehmer mit einer Modifizierung der Videoüberwachungsanlage dahin, dass nach Ablauf einer Aufnahmedauer von 72 Stunden eine automatische Löschung erfolgt.

In einem Parallelverfahren (6 C 297/16k des Erstgerichts) wurde der Kläger gegenüber der Beklagten mit rechtskräftigem Urteil vom 16. Februar 2017 verpflichtet, es zu unterlassen, Laserpointer auf die Kameralinsen der hier strittigen Überwachungskameras zu richten bzw ähnliche Störungen zu unterlassen, wodurch die videomäßige Überwachung des Grundstücks der Beklagten unmöglich gemacht wird.

Soweit in dritter Instanz noch von Bedeutung, begehrt der Kläger mit Klage vom 18. Juli 2016,

a. die Beklagte habe es künftig zu unterlassen, mittels Videokamera das Haus und den Gartenbereich des Klägers zu überwachen bzw zu filmen bzw den Eindruck einer derartigen Tätigkeit mittels Attrappen von Videokameras zu erwecken, und

b. die Beklagte sei schuldig, die an ihrem Haus angebrachten Videokameras zu entfernen bzw ihre Einstellungswinkel derartig zu verändern, dass durch ihren Betrieb das Haus und der Garten des Klägers nicht überwacht bzw gefilmt werden kann bzw auch nicht den Eindruck des Überwachens bzw Filmens von Haus und Garten des Klägers erweckt werden könne.

Er brachte dazu im Wesentlichen vor, er sei durch die Ausrichtung der Kameras einem ständigen Überwachungsdruck ausgesetzt. Diese würden nämlich jedenfalls zum Teil sein Haus samt Garten (theoretisch) erfassen, was die Schwärzung (= Verpixelung) der dem Kläger gezeigten Lichtbilder belege. Er leide unter starker Schuppenflechte, sodass er ein erhebliches Interesse daran habe, ua bei seinen regelmäßigen Aufenthalten in seinem Salzwasserpool im Garten nicht überwacht zu werden bzw auch nicht dem Anschein einer Überwachung ausgesetzt zu sein. Die Schwärzung der Bilder reiche nicht aus, weil zu befürchten sei, dass der von den Kameras umfasste Bereich jederzeit mit geringem Aufwand und äußerlich nicht wahrnehmbar bereits durch ein geringes Verstellen so verändert werden könne, dass dennoch eine Identifizierung des Klägers bei Benützung seines Grundstücks nicht verhindern könne; es sei auch die Aufhebung der Schwärzung bei Kenntnis des Codes leicht möglich. Die vorgenommene Ausrichtung stelle nicht das schonendste Mittel zur Zweckerreichung dar.

Die Beklagte bestritt und wendete zusammengefasst ein, der Kläger habe in der Vergangenheit Abfall, Erde und Glasscherben auf ihr Grundstück geworfen; sie sei in Sorge, dass sich ihr Hund an den Scherben die Pfoten aufschneide. Daher habe sie eine Videoüberwachungsanlage installieren lassen, um verifizieren zu können, von welchem Grundstück diese Sachen geworfen werden. Durch die Verpixelung sei sichergestellt, dass ausschließlich Teile ihres Grundstücks von den Kameras erfasst würden. Die Beklagte habe von sich aus darauf gedrungen, dass ihr jene Codes, mit denen die Verpixelung aufgehoben werden könnte, nicht weitergegeben werden. Sie habe auch mangels entsprechender Kenntnisse keine Möglichkeit und auch keine Absicht, die Verpixelung aufzuheben.

Das Erstgericht wies die in dritter Instanz noch verfahrensgegenständlichen Begehren ab. Dem weiteren Klagebegehren, die Beklagte schuldig zu erkennen, die Verbreitung der Behauptung, der Kläger werfe Müll auf ihr Grundstück, zu unterlassen, gab es (rechtskräftig) statt, während es das weitere Unterlassungsbegehren betreffend die Verbreitung der Behauptung, der Kläger versuche den Hund der Beklagten zu vergiften, (ebenso rechtskräftig) abwies.

Dem Kläger sei schon im Laufe des Verfahrens vor Schluss der Verhandlung bekannt geworden, dass die Bilder der Videokameras nur die Liegenschaft der Beklagten zeigten und die Teile, die seine Liegenschaft zeigen würden, durch technische Einstellung verpixelt worden seien und die Beklagte mangels Kenntnis des Administratorcodes keine Möglichkeit habe, die Einstellungen zu verändern. Da die Beklagte dies bereits bei Auftragserteilung an die Fachfirma zur Installation der Videokameras ausdrücklich gewünscht habe, könne auch der Kläger davon ausgehen, dass sie gar kein Interesse daran habe, die Einstellungen zu verändern und Teile seiner Liegenschaft zu überwachen. Dadurch bestehe für ihn kein Anlass, sich ständig kontrolliert zu fühlen und er könne sich auch keinem subjektiven Überwachungsdruck ausgesetzt fühlen. Die Beklagte habe aufgrund der in ihren Garten geworfenen Gegenstände und der möglichen Gefährdung ihres Hundes ein berechtigtes Interesse an der erlaubten Überwachung ihres Grundstücks, sodass der Kläger auch keinen Anspruch auf Entfernung der Videokameras habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge, bewertete den Entscheidungsgegenstand betreffend die beiden Begehren zu den Überwachungskameras 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigend (Seite 12 der Berufungsentscheidung) und ließ die ordentliche Revision zu.

Es verwarf die wegen Unterbleibens eines Ortsaugenscheins erhobene Mängelrüge, ergänzte die erstgerichtlichen Feststellungen (wie oben angeführt) und übernahm diese im Übrigen. Rechtlich gelangte es zum Ergebnis, es habe kein Eingriff in die Privatsphäre des Klägers stattgefunden, weil die Überwachungskameras von Anfang an keine Bilder übermittelten, die der Beklagten eine Beobachtung des gegnerischen Grundstücks ermöglicht hätten. Auch die geringfügigen, nicht genau zuzuordnenden Bildausschnitte oberhalb des Zaunes ermöglichten der Beklagten keinen Einblick in das Grundstück des Klägers. Zum anderen sei es der Beklagten gelungen, das Erstgericht davon zu überzeugen, dass sie auch in Zukunft keinerlei Änderungen an den Kameras durchführen (lassen) werde; sie werde also auch weiterhin nicht in der Lage sein, den Kläger zu beobachten. Außerdem stehe fest, dass dem Kläger schon vor Schluss der mündlichen Verhandlung durch das von ihm selbst angestrengte Datenschutzverfahren bekannt war, dass die übermittelten Bilder der Kameras seine Grundstücksteile nur gepixelt darstellten. Mangels Anlasstat und konkreter Gefährdung sei – unabhängig davon, ob der Kläger subjektiv fürchte, die Beklagte könnte die Kameraeinstellungen ändern  – objektiv betrachtet sein Begehren nicht berechtigt. Auch wenn der Kläger selbst nicht kontrollieren könne, ob die Beklagte die Kameraeinstellungen ändern lasse oder nicht, sei es der Beklagten doch gelungen, das Erstgericht genau in diesem Punkt zu überzeugen. Ob die Beklagte andere Möglichkeiten gehabt habe, die Kameras zu installieren, könne daher dahingestellt bleiben. Für das Zivilverfahren sei auch ohne Belang, ob die Beklagte ihrer Meldepflicht nach dem DSG nachgekommen sei.

Die ordentliche Revision sei aus folgenden Gründen zulässig:

Sollte es allein darauf ankommen, dass zunächst einmal das Grundstück des Klägers gefilmt und nachfolgend das Pixeln erforderlich werde, dann wäre nach der Entscheidung 7 Ob 89/97g von einer „Anlasstat“, nämlich einem bereits erfolgten Eingriff auszugehen. In diesem Fall wäre das Berufungsgericht einerseits von der Rechtsprechung des Höchstgerichts abgewichen und andererseits wären zur Beurteilung der Interessenslage weitere Feststellungen erforderlich.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers, der die Abänderung durch Stattgebung der Klagebegehren zu a. und b. begehrt; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig und berechtigt, weil die Vorinstanzen die Judikatur zu Eingriffen in die Privatsphäre durch Videoüberwachung unrichtig anwendeten.

Die Revision macht im Wesentlichen geltend:

Das Verfahren sei mangelhaft geblieben, weil beide Vorinstanzen die Durchführung des zum Beweis dafür, wie die Kameras ausgerichtet seien, beantragten Lokalaugenscheins unterlassen hätten.

Es sei von einem Eingriff der Beklagten in die Privatsphäre des Klägers auszugehen, weil sie Kameras montieren habe lassen, die auch das Grundstück des Klägers erfassen würden, woran die nur deshalb vorgenommene Verpixelung nichts ändere. Es bestehe – auch wegen der stetigen Entwicklung der Technik – die theoretische Möglichkeit, dass diese jederzeit aufgehoben werden könne, während der Kläger keine Möglichkeit der Kontrolle habe, ob diese weiter aufrecht sei. Für ihn bestehe daher stets die konkrete Befürchtung, dass die Beklagte jederzeit die Verpixelung für ihn unbemerkt durch einfache und schnell durchführbare Systemeinstellungen aufheben könne, was den ständigen subjektiven Überwachungsdruck auf ihn verstärke.

Es wäre technisch möglich gewesen, die Kameras so anzubringen, dass ausschließlich das Grundstück der Beklagten gefilmt werde, wozu sie verpflichtet gewesen wäre. Die eingerichtete Videoüberwachung sei keinesfalls das schonendste Mittel zur Zweckerreichung.

Die Durchführung der somit gebotenen Interessenabwägung hätte ergeben, dass das Interesse des Klägers an der Entfernung oder zumindestens der Änderung der Ausrichtung der Kameras das Interesse der Beklagten an einer effizienten Überwachung ihres Grundstücks überwiege.

Dazu wurde erwogen:

1. Das Unterbleiben eines Ortsaugenscheins wurde bereits in der Berufung als Mangel des Verfahrens erster Instanz gerügt, ein solcher vom Berufungsgericht jedoch verneint. Der in der Revision erneut gerügte erstinstanzliche Verfahrensmangel ist daher nicht revisibel (RIS-Justiz RS0042963).

2. Gemäß § 16 ABGB hat jeder Mensch angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte und ist daher als Person zu betrachten. Die Bestimmung anerkennt die Persönlichkeit als Grundwert. Aus ihr wird– ebenso wie aus anderen durch die Rechtsordnung geschützten Grundwerten (Art 8 EMRK; § 1 DSG) – das jedermann angeborene Persönlichkeitsrecht auf Achtung seines Privatbereichs und seiner Geheimsphäre abgeleitet (stRsp, s 6 Ob 231/16p mwN).

2.1. Die Berechtigung der vom Kläger geltend gemachten Unterlassungs- und Beseitigungsbegehren setzt zunächst voraus, dass die Beklagte in das Recht des Klägers auf Achtung ihrer Privatsphäre (Geheimsphäre), das als absolutes Persönlichkeitsrecht Schutz gegen Eingriffe Dritter genießt, eingegriffen hat. Aus dem Charakter der Persönlichkeitsrechte als absolute Rechte bejaht die Rechtsprechung Unterlassungsansprüche bei Persönlichkeitsverletzungen auch dann, wenn sie gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehen sind. Bei bereits erfolgtem Verstoß stehen auch Beseitigungsansprüche zu. Das Recht auf Wahrung der Geheimsphäre schützt insbesondere gegen das Eindringen in die Privatsphäre der Person. Eine Verletzung der Geheimsphäre stellen geheime Bildaufnahmen im Privatbereich und fortdauernde unerwünschte Überwachungen dar (8 Ob 108/05y; 6 Ob 6/06k; 6 Ob 38/13a; 6 Ob 231/16p).

2.2. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bejaht auch dann, wenn die Überwachungskamera nicht an ein Betriebssystem angeschlossen und bislang auch nicht in Betrieb gewesen war, den Anspruch des klagenden Nachbarn auf Abwehr von Eingriffen in seine Privatsphäre. Ist dieser Anspruch doch nur dann effizient durchsetzbar, wenn die Kamera nicht mehr auf das Grundstück des Klägers gerichtet ist, und zwar unabhängig davon, ob sie sich im Betrieb befindet oder nicht, weil der Kläger insoweit keinerlei Kontrollmöglichkeit hat. Auch wenn die Kamera derzeit nicht betriebsbereit ist, liegt keine bloß abstrakte Befürchtung eines möglichen Missbrauchs, die für sich allein das Begehren nicht rechtfertigen würde, vor, wenn nach den Umständen des Falls die konkrete Befürchtung besteht, dass die Kamera jederzeit und vom klagenden Nachbarn unbemerkt angeschlossen und in Betrieb gesetzt werden könnte. Die Eingriffsgefahr ist somit zu bejahen, wenn die konkrete Befürchtung besteht, die Beobachtung mit der Kamera könnte einsetzen (7 Ob 89/97g; 6 Ob 6/06k; 6 Ob 231/16p).

2.3. Im Zusammenhang mit Videokameras bzw (nicht als solche erkennbaren) Videokameraattrappen wurde auch schon ausgesprochen, es sei entscheidend, dass Nachbarn/Hausbewohner durch vermeintliche Überwachungsmaßnahmen nicht gestört oder belästigt werden. Muss sich ein solcher immer kontrolliert fühlen, wenn er das Haus betritt oder verlässt oder sich in seinem Garten aufhält, bewirken Überwachungsmaßnahmen, selbst wenn das Gerät nur eine Attrappe einer Videokamera sein sollte, einen Eingriff in die Privatsphäre. Für Nachbarn/Hausbewohner darf also nicht der Eindruck des Überwachtwerdens im Sinn systematischer, identifizierender Überwachungsmaßnahmen entstehen. Können sie etwa durch den Standort oder die Ausrichtung einer Videokamera oder einer (nicht als solche erkennbaren) Videokameraattrappe die berechtigte Befürchtung haben, dass sie sich im Überwachungsbereich befinden und von den Aufnahmen bzw Aufzeichnungen erfasst sind, so ist ein Eingriff in die Privatsphäre grundsätzlich zu bejahen (8 Ob 47/14s; 8 Ob 125/11g). Es geht somit maßgeblich nicht darum, ob die Überwachung auch aufgezeichnet wird, weil es bereits eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Privatsphäre (Geheimsphäre) darstellt, wenn sich ein Betroffener durch die Art der Anbringung und den äußeren Anschein einem ständigen Überwachungsdruck ausgesetzt fühlt (5 Ob 69/13b).

2.4. Ob für einen unbefangenen, objektiven Betrachter eine begründete Befürchtung des Überwachtwerdens besteht, richtet sich nach den örtlichen Gegebenheiten und der Situierung und Ausrichtung der (vermeintlichen) Überwachungsanlage, somit nach den konkreten Umständen des Einzelfalls (8 Ob 47/14s).

3. Auch der Bundesgerichtshof (VI ZR 176/09, NJW 2010, 1533 mwN) judiziert, dass ein Unterlassungsanspruch bestehen kann, wenn Dritte eine Überwachung durch Überwachungskameras objektiv ernsthaft befürchten müssen („Überwachungsdruck"). In der Rechtsprechung werde allerdings ein Anspruch auf Unterlassung des Betriebs solcher Videokameras, die auf das Nachbargrundstück lediglich ausrichtbar sind, verneint, wenn der Nachbar die Anfertigung von Aufnahmen lediglich befürchte und die Kameras nur mit erheblichem und äußerlich wahrnehmbarem Aufwand, also nicht etwa nur durch das Betätigen einer Steuerungsanlage, auf sein Grundstück gerichtet werden könnten. Die nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilende Befürchtung, durch vorhandene Überwachungsgeräte überwacht zu werden, sei dann gerechtfertigt, wenn sie aufgrund konkreter Umstände als nachvollziehbar und verständlich erscheint, etwa im Hinblick auf einen eskalierenden Nachbarstreit oder aufgrund objektiv Verdacht erregender Umstände. Bei Vorliegen solcher Umstände könne das Persönlichkeitsrecht des (vermeintlich) Überwachten schon aufgrund der Verdachtssituation beeinträchtigt sein. Allein die hypothetische Möglichkeit einer Überwachung durch Videokameras und ähnliche Überwachungsgeräte beeinträchtige hingegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht derjenigen, die dadurch betroffen sein könnten, nicht. Deshalb sei die Installation einer Überwachungsanlage auf einem privaten Grundstück nicht rechtswidrig, wenn objektiv feststehe, dass dadurch öffentliche und fremde private Flächen nicht erfasst würden, wenn eine solche Erfassung nur durch eine äußerlich wahrnehmbare technische Veränderung der Anlage möglich sei und wenn auch sonst Rechte Dritter nicht beeinträchtigt würden.

4. Ob sich nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofs in dieser Konstellation nur die Frage stellt, ob für einen unbefangenen, objektiven Betrachter am Grundstück des Klägers die konkrete Befürchtung begründet ist, dass er sich beim Aufenthalt auf diesem Grundstück im Überwachungsbereich befindet, also von Aufzeichnungen der Videokameras erfasst wird, oder ob darüber hinaus auch eine konkrete Eingriffsgefahr zu bejahen sein muss, kann hier dahin gestellt bleiben:

4.1. Im Anlassfall ist zunächst davon auszugehen, dass die unterhalb des Daches des Hauses der Beklagten (somit einem erhöhten Standort) angebrachten Videokameras jedenfalls auch Teile des Grundstücks des Klägers erfassen, daher auch auf dieses hin ausgerichtet sind und identifizierende Aufnahmen ermöglichen (s auch die Lichtbildbeilage ./A), weil all das den einzigen Grund für die erforderliche Verpixelung darstellt. Außerdem ist – auch mangels gegenteiliger Behauptungen der Beklagten – als offenkundig zu unterstellen, dass diese Ausrichtung der Videokameras vom (Nachbar‑)Grundstück des Klägers aus erkennbar ist (der ja umgehend auf die Montage reagierte).

4.2. Die Verpixelung von Teilen der von den Videokameras erfassten Bereiche außerhalb des Grundstücks der Beklagten tritt hingegen nur am Bildschirm im Wohnzimmer der Beklagten in Erscheinung und ist daher für einen unbefangenen, objektiven Betrachter von außen nicht erkennbar.

4.3. Dem Kläger ist unter diesen Umständen die begründete konkrete Befürchtung zuzugestehen, dass er sich im Überwachungsbereich befindet und von den Aufnahmen bzw Aufzeichnungen erfasst wird. Demgemäß gesteht auch die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung zu, dass der Zweck der Verpixelung darin bestehe, die Privatsphäre des Nachbarn zu schützen; sie anerkennt damit, dass jedenfalls ohne diese (für den Kläger nicht beurteilbare) technische Maßnahme ein Eingriff in seine Privatspähre vorliegt.

4.4. Bei der gegebenen Sachlage, die wegen der wechselseitigen Vorwürfe und der daraus resultierenden behördlichen und gerichtlichen Streitigkeiten einen eskalierenden Nachbarschaftsstreit erkennen lässt, ist darüber hinaus auch eine konkrete Eingriffsgefahr zu bejahen. Es besteht die – nicht bloß abstrakte – Befürchtung, dass die Aufzeichnung jederzeit und vom klagenden Nachbarn unbemerkt durch Aufhebung der Verpixelung auch auf die erfassten Bereiche des klägerischen Grundstücks erweitert werden könnte. Deshalb ist auch ein Eingriff in seine Privatsphäre durch bestehenden Überwachungsdruck grundsätzlich gegeben.

4.5. Darauf, dass es der Beklagten gelungen sei, das Erstgericht davon zu überzeugen, dass sie auch in Zukunft keinerlei Änderungen an den Kameras durchführen (lassen) werde, sodass sie auch weiterhin nicht in der Lage sein werde, den Kläger zu beobachten (was das Berufungsgericht dem Ersturteil zu entnehmen glaubt), kommt es dabei nicht an. Zum einen ist eine solche innere Absicht der Beklagten für einen unbefangenen, objektiven Betrachter (und auch für den Kläger) mangels äußerer Erkennbarkeit der Beibehaltung der Verpixelung gar nicht beurteilbar; weshalb auch der während des Datenschutzverfahrens erlangten Kenntnis des Klägers von der damals gegebenen Verpixelung keine entscheidende Bedeutung zukommt. Zum anderen ist deren Aufhebung weder technisch ausgeschlossen noch kann ein solche künftige Veranlassung durch die Beklagte (angesichts der verfeindeten Haltung der Streitteile und des erkennbar von ihr verfolgten Zwecks, den Kläger als Verursacher der Verschmutzungen ihrer Liegenschaft zu überführen), als lebensfremd oder unwahrscheinlich abgetan werden, sondern ist als durchaus realistisch in Betracht zu ziehen.

4.6. Auch die Feststellung des Erstgerichts, den Kläger würde es nicht stören, sollte die Beklagte den ganzen Tag auf ihrem Balkon sitzen (von dem aus man den Garten des Klägers einsehen kann) und in seinen Garten schauen, kann an der Bejahung eines auf dem Kläger lastenden Überwachungsdrucks nichts ändern. Die systematische Videoüberwachung unterscheidet sich nämlich ganz wesentlich von der ohne Hinzutreten besonderer Umstände im Regelfall zulässigen Beobachtung mit dem bloßen Auge; und zwar dadurch, dass eine Videokamera im Unterschied zu einem menschlichen Beobachter in Bezug auf Wahrnehmungs- und Erinnerungsfähigkeit keinerlei Beeinträchtigung unterliegt und damit in der Lage ist, ein komplettes Gesamtbild der aufgenommenen Personen zu erstellen, das auch gespeichert wird (8 Ob 108/05y).

5. Ob der Eingriff in absolut geschützte Rechte rechtswidrig ist, kann nur aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung beurteilt werden (RIS-Justiz RS0008987). Steht ein Eingriff in die Privatsphäre – wie hier  – fest, trifft den Verletzer die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass er in Verfolgung eines berechtigten Interesses handelte und dass die gesetzte Maßnahme ihrer Art nach zur Zweckerreichung geeignet war. Entspricht er dieser Behauptungs- und Beweislast, kann der Beeinträchtigte behaupten, dass die Maßnahme nicht das schonendste Mittel zur Zweckerreichung darstellt. Stellt sich dabei heraus, dass die Maßnahme nicht das schonendste Mittel war, erübrigt sich die Vornahme einer Interessenabwägung (RIS-Justiz RS0120423).

5.1. Demnach kann die Prüfung eines berechtigten Interesses der Beklagten und der Eignung der Maßnahme zur Zweckerreichung schon deshalb unterbleiben, weil eine Videoüberwachung, die auch Teile des Grundstücks des Klägers erfasst, jedenfalls nicht das schonendste Mittel zur Erreichung des Zwecks der Überwachung des eigenen Grundstücks ist.

5.2. Der Kläger brachte dazu in der letzten Streitverhandlung ergänzend vor (ON 10 S 2), die Beklagte könne die Kameras jedenfalls so montieren, dass diese nicht auf das Grundstück des Klägers ausgerichtet seien, sodass auch eine Verpixelung nicht notwendig sei. Dieses Vorbringen blieb ohne substantiierte Bestreitung der Beklagten, obwohl die gegnerische Behauptung für die Auftraggeberin der Videoüberwachung leicht widerlegbar sein musste. Sie ist daher als zugestanden anzusehen (RIS-Justiz RS0039927). Der in der Revisionsbeantwortung erstmals vorgetragene Einwand, es sei gar nicht möglich, eine Videokamera so einzurichten, dass sie nur die Liegenschaft der Beklagten erfasse, weil der von einer Linse erfasste Bereich nie so eingerichtet werden könne, dass er exakt nur das eigene Grundstück kontrolliere, muss als unzulässige Neuerung unbeachtet bleiben.

5.3. Somit bedarf es gar keiner Interessenabwägung, um die von der Beklagten beauftragte Videoüberwachung (in der auf das Nachbargrundstück ausgerichteten Form) als rechtswidrigen Eingriff in die Privatsphäre des Klägers zu qualifizieren.

6. Rechtsfolgen für das Unterlassungs‑ und Beseitigungsbegehren:

6.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs setzt der Unterlassungsanspruch eine Unterlassungspflicht und die Gefahr, dass dieser zuwider gehandelt wird, voraus (RIS-Justiz RS0037660 [T7]). Hat die Beklagte – wie hier – bereits gegen diese Unterlassungspflicht verstoßen, ist sie für den Wegfall der Wiederholungsgefahr behauptungs- und beweispflichtig (RIS-Justiz RS0005402; RS0037661). Ein Vorbringen dazu wurde nicht erstattet. Vielmehr beharrt die Beklagte noch im Revisionsverfahren auf dem Standpunkt, dass die Videoüberwachung nicht rechtswidrig erfolgt sei. Die Wiederholungsgefahr und auch der Unterlassungsanspruch sind daher zu bejahen.

Da bei der Fassung des Urteilsspruchs auch das Klagevorbringen, auf das sich das Begehren stützt, zu beachten ist, musste das vom Kläger gestellte Begehren geringfügig – wie aus dem Spruch ersichtlich – modifiziert werden (RIS-Justiz RS0041254; RS0039357). Damit ist auch das weitere Begehren, den Einstellungswinkel (der Kameras) zu ändern, abgedeckt.

6.2. Das Beseitigungsbegehren ist verfehlt, weil der Beklagten die Überwachung oder die Schaffung des Eindrucks der Überwachung des eigenen Grundstücks erlaubt (6 Ob 6/06k) und unstrittig ist, dass die Beklagte die Kameras so einrichten kann, dass diese nicht auf das Grundstück des Klägers ausgerichtet sind.

7. Der Kläger ist jeweils mit der Hälfte seiner Begehren durchgedrungen, weshalb gemäß § 43 Abs 1 ZPO (iVm § 50 ZPO) in allen drei Instanzen mit Kostenaufhebung vorzugehen ist. Er hat daher nach § 43 Abs 1 letzter Satz ZPO jeweils Anspruch auf Ersatz der halben Pauschalgebühr.

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