European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:010OBS00143.17B.0314.000
Spruch:
I. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
II. Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Der Kläger erlitt am 20. 6. 2003 als selbständiger Unternehmer (Detektiv) beim Reinigen einer Schrotflinte eine Schussverletzung am linken Arm mit nachfolgender Amputation in der Mitte des Unterarms. Die Beklagte anerkannte diesen Unfall als Arbeitsunfall.
Der Kläger ist seit dem Jahr 2013 (Folgeversorgung) von der beklagten Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt mit einer sogenannten „Michelangelo‑Hand“ ausgestattet, die dem heutigen Stand der Technik in der Handprothetik entspricht und unstrittig ein erforderliches und angemessenes Hilfsmittel im Sinn des § 202 ASVG ist. Darüber hinaus hat die Beklagte dem Kläger zwei weitere Prothesen zur Verfügung gestellt, die ohne Funktion sind. Der Kläger ist mit der „Michelangelo‑Hand“ in der Lage, seinen Beruf als selbständiger Detektiv auszuüben.
Gegenstand des Rechtsstreits ist – neben einem im Verfahren vor dem Erstgericht erhobenen Feststellungsbegehren – der Antrag des Klägers auf Übernahme der Kosten für eine „Michelangelo‑Hand“ inklusive Handschuh als Ersatzhand im Sinn einer Zweitversorgung.
Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Kostenübernahme mit dem angefochtenen Bescheid vom 17. 2. 2016 ab, weil eine Zweitversorgung des Klägers mit einer (weiteren) „Michelangelo‑Hand“ nicht erforderlich sei.
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Übernahme der Kosten in Höhe von 38.153,92 EUR für eine „Michelangelo‑Hand“ inklusive Handschuh sowie weiters die Feststellung, dass die Beklagte ihm für sämtliche, insbesondere auch erst hinkünftig entstehenden, derzeit noch nicht vorhersehbare Schäden hafte, die ihm aus der Weigerung der Kostenübernahme entstehen.
Die Beklagte wandte dagegen ein, dass der Kläger mit der ihm zur Verfügung gestellten „Michelangelo‑Hand“ entsprechend dem Höchststand prothetischer Versorgung ausgestattet sei. Allfällige Wartung und Reparaturen der Prothese seien in kürzester Zeit und unter Bereitstellung eines Ersatzgeräts möglich. Der Versicherte habe keinen über das objektiv erforderliche und zweckmäßige Ausmaß hinausgehenden Versorgungsanspruch.
Das Erstgericht wies das Kostenübernahmebegehren ab. Das Feststellungsbegehren wies es mangels Zulässigkeit des Rechtswegs zurück.
Das Berufungsgericht gab der vom Kläger gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. Es wertete das Rechtsmittel des Klägers gegen die Zurückweisung seines Feststellungsbegehrens als Rekurs und gab diesem nicht Folge. Die dem Kläger von der Beklagten bereits beigestellte „Michelangelo‑Hand“ versetze ihn in die Lage, einen ihm angemessenen Platz im beruflichen und wirtschaftlichen Leben als österreichweit tätiger Detektiv einzunehmen. Auch ausgehend von der individuellen Situation des Klägers sei eine Versorgung mit der hier begehrten Zweitprothese nicht erforderlich, weil eine gleichwertige Leihprothese üblicherweise nach ein bis zwei Tagen geliefert werde. Dem Kläger sei es auch in der Vergangenheit nur einmal passiert, dass die Prothese versagt habe, sodass er sich nicht mehr in der Lage gesehen habe, ein Auto zu lenken. Nicht jeder Defekt der Prothese führe zwingend zu ihrer gänzlichen Unbrauchbarkeit bis zum Eintreffen einer Ersatzprothese. Auch unabhängig vom Defekt einer Prothese könnten Umstände eintreten (etwa Verletzungen oder eine Erkrankung), die eine Berufstätigkeit einschränken. Aus welchen Gründen die Wirtschaftsleistung und Integration des Klägers verloren gehen sollten, sei nicht nachvollziehbar. Da Defekte auch bei einer Zweitprothese – insbesondere bei längerer Nichtbenutzung – nicht ausgeschlossen werden könnten, lasse sich aus den Feststellungen die vom Kläger behauptete gewährleistete Sicherheit bei Vorhandensein einer „Zweithand“ nicht ableiten.
Für das Feststellungsbegehren fehle die Zulässigkeit des Rechtswegs, weil es sich dabei nicht um eine Sozialrechtssache im Sinn des § 65 ASGG handle. Auch sei darüber im angefochtenen Bescheid nicht abgesprochen worden.
Gegen diese Entscheidung richtet sich das insgesamt als außerordentliche Revision bezeichnete Rechtsmittel des Klägers. Soweit der Kläger damit inhaltlich den Beschluss des Berufungsgerichts bekämpft, ist sein Rechtsmittel ungeachtet der unrichtigen Bezeichnung als außerordentlicher Revisionsrekurs zu behandeln (RIS‑Justiz RS0036258).
Rechtliche Beurteilung
I. Zur außerordentlichen Revision:
1. Da die Versorgung mit Hilfsmitteln im Sinn des § 202 Abs 1 ASVG Teil der Unfallheilbehandlung ist, ist ein Hilfsmittel nur dann erforderlich im Sinn dieser Bestimmung, wenn es geeignet ist (§ 189 Abs 1 ASVG), den vom Gesetzgeber angestrebten Zweck (hier: die Erleichterung der Folgen des Arbeitsunfalls) zu erreichen. Dabei bildet in der Unfallversicherung die höchstmögliche Versorgungsqualität den Maßstab, insbesondere auch bei individuell anzupassenden Hilfsmitteln. Allerdings muss ein Hilfsmittel den persönlichen und beruflichen Verhältnissen des Versehrten angepasst sein, sodass insofern keine „Überversorgung“ stattfinden darf (10 ObS 56/16g ua). Ob ein Hilfsmittel geeignet ist, den Versehrten in die Lage zu versetzen, einen ihm angemessenen Platz im beruflichen und wirtschaftlichen Leben (§ 172 Abs 2 ASVG) sowie in der Gemeinschaft einzunehmen, kann jeweils nur nach den besonderen Umständen des Einzelfalls beurteilt werden und stellt im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage dar (RIS‑Justiz RS0131106 [T2]).
2.1 Der Revisionswerber wendet sich mit dem Argument gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts, dass dieses seine subjektive Situation, nämlich seine beruflichen und persönlichen Verhältnisse, zu wenig beachtet habe. Er sei als österreichweit tätiger Privatdetektiv darauf angewiesen, jederzeit und auch in dringenden Fällen einsatzbereit zu sein. Die vom Kläger begehrte Zweitprothese stelle sicher, dass er trotz Ausfalls seiner eigentlichen Prothese – wie es in der Vergangenheit vorgekommen sei –einen Auftrag erfüllen könne. Das Berufungsgericht habe es unterlassen, Feststellungen zu seinem Verdienstentgang aufgrund des Ausfalls der Prothese zu treffen: es sei mit einer Einbuße von etwa 70.000 EUR netto pro Jahr zu rechnen.
2.2 Der Revisionswerber weist selbst darauf hin, dass ein Hilfsmittel im Sinn des § 202 Abs 1 ASVG objektiv erforderlich sein muss. Die dem Kläger zur Verfügung gestellte „Michelangelo‑Hand“ stellt unstrittig eine den Anforderungen des § 202 Abs 1 ASVG genügende prothetische Versorgung dar. Die vom Kläger begehrte Zweitversorgung mit einer (weiteren) „Michelangelo‑Hand“ muss daher trotz der dem Kläger bereits zur Verfügung gestellten Prothese zunächst objektiv erforderlich im Sinn des § 202 Abs 1 ASVG sein, ehe sich die vom Revisionswerber allein angesprochene Frage stellt, ob die von ihm begehrte Zweitversorgung mit einer (weiteren) „Michelangelo‑Hand“ auch subjektiv – insbesondere aufgrund der in seinem konkreten Beruf bestehenden Anforderungen – seinen persönlichen und beruflichen Verhältnissen angepasst ist. Mit diesen in § 202 Abs 1 Satz 2 ASVG genannten Kriterien begrenzt der Gesetzgeber den in der Unfallversicherung sonst weit gefassten Anspruch auf erforderliche Hilfsmittel ( Hörmann , Hilfsmittel in der Unfallversicherung, DRdA 2017/26, 272 [275]).
2.3 Im konkreten Fall ergibt sich aber aus den den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen, dass der Kläger bereits mit Hilfe der ihm zur Verfügung gestellten und auf dem technisch modernsten Stand befindlichen „Michelangelo‑Hand“ in der Lage ist – und bisher trotz der festgestellten Reparaturen bzw eines Ausfalls beim Autofahren auch immer war –, eine vollwertige, österreichweite Arbeitstätigkeit in seinem Beruf auszuüben und damit einen Umsatz von 77.000 EUR netto jährlich zu erzielen.
2.4 Während der Zeit einer erforderlichen Reparatur oder Wartung der Prothese wird dem Kläger vom Hersteller eine gleichwertige Leihhand zur Verfügung gestellt. Die Lieferzeit der Ersatzprothese an den Orthopädietechniker, der allein vom Hersteller zum Bestellen und Tauschen eines Michelangelo‑Hand‑Prothesensystems befugt ist, beträgt üblicherweise 1 bis 2 Tage. An der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit und der Erzielung des genannten Umsatzes war der Kläger nach den Feststellungen auch nicht durch den Umstand gehindert, dass sich teilweise – bedingt etwa durch den Urlaub des Orthopädietechnikers – deutlich längere Wartezeiten für eine Ersatzprothese als 1 bis 2 Tage ergaben.
2.5 Der behauptete Feststellungsmangel liegt nicht vor, weil das Erstgericht Feststellungen über die vom Kläger ausgeübte berufliche Tätigkeit und die daraus erzielten Umsätze ohnedies getroffen hat. Darüber hinaus hat der Kläger nicht vorgebracht, dass er einen Verdienstentgang erlitten hätte, sondern dass der Verlust eines bestimmten Auftraggebers und damit ein Jahreseinkommensverlust von ca 70.000 EUR drohe, falls er einen Auftrag nicht zu Ende führen könne, wenn die Prothese ausfalle.
3. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass eine Zweitversorgung des Klägers mit einer (weiteren) „Michelangelo‑Hand“ nicht objektiv geeignet ist, die Folgen des Arbeitsunfalls vom 20. 6. 2003 im Sinn des § 202 Abs 1 ASVG (weiter) zu erleichtern, ist daher nach den maßgeblichen Umständen des Einzelfalls vertretbar. Einer Auseinandersetzung mit der vom Revisionswerber aufgeworfenen Frage, ob eine solche Zweitversorgung den persönlichen und beruflichen Verhältnissen des Klägers angepasst wäre, bedarf es daher nicht.
Die außerordentliche Revision war daher mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
II. Zum außerordentlichen Revisionsrekurs:
1. Sämtliche in einem einheitlichen Erkenntnis zusammengefassten Entscheidungen können innerhalb der jeweils zur Verfügung stehenden längeren Rechtsmittelfrist angefochten werden (RIS‑Justiz RS0041670). Der Revisionsrekurs ist daher fristgerecht eingebracht worden. Der Revisionsrekurs ist, weil der Ausnahmefall des § 528 Abs 2 Z 2 ZPO vorliegt, auch nicht jedenfalls unzulässig.
2. Das auf den Ersatz künftiger Schäden gerichtete Feststellungsbegehren ist keine Sozialrechtssache im Sinn des § 65 ASGG, weil weder eine der in dieser Bestimmung genannten Rechtsstreitigkeiten noch eine kraft gesetzlicher Verweisung ausdrücklich in das Sozialrechtsverfahren verwiesene (vgl § 100 ASGG) Rechtsstreitigkeit vorliegt. Liegt aber keine Sozialrechtssache vor, ist der Rechtsweg für die Geltendmachung eines solchen Anspruchs vor dem Arbeits‑ und Sozialgericht unzulässig (RIS‑Justiz RS0085474 [T1]; Neumayr in ZellKomm² § 65 ASGG Rz 1 mwH). Das Berufungsgericht hat diese Rechtsprechung beachtet. Mit seinen Ausführungen, dass das Feststellungsbegehren zum ehestmöglichen Zeitpunkt, nämlich nach Abweisung des Antrags des Klägers durch die Beklagte, erhoben worden und das Feststellungsinteresse im maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz gegeben gewesen sei, zeigt der Revisionsrekurswerber keine Korrekturbedürftigkeit der Entscheidung des Berufungsgerichts auf.
Der außerordentliche Revisionsrekurs war daher mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
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