OGH 10ObS16/18b

OGH10ObS16/18b20.2.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr.

 Neumayr als Vorsitzenden und die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Ing. Christian Stangl‑Brachnik, MA BA (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und KR Karl Frint (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei J*****, vertreten durch Dr. Helmut Graupner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15–19, wegen Kostenerstattung (25.650,32 EUR sA), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Dezember 2017, GZ 7 Rs 62/17i‑29, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:010OBS00016.18B.0220.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Mit Bescheid vom 21. 9. 2015 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers auf Gewährung eines höheren Kostenersatzes als 13.171,68 EUR für seinen stationären Aufenthalt in einer Klinik in Thailand im Zeitraum vom 17. 10. 2014 bis 13. 2. 2015 ab.

Mit der dagegen erhobenen Klage begehrt der Kläger, die beklagte Partei zum Ersatz der Gesamtkosten dieses stationären Aufenthalts, somit zur Zahlung von weiteren 25.650,32 EUR samt 4 % Zinsen ab 1. 3. 2015 zu verpflichten. Er brachte vor, im Rahmen seiner schon längere Zeit bestehenden psychischen Beeinträchtigungen sowie seines Alkohol- und Drogenkonsums sei im Herbst 2014 bei ihm eine schwere akute psychotisch/manische Episode aufgetreten. Als er um dringliche und sofortige stationäre Aufnahme in eine Einrichtung in Ybbs an der Donau oder in Spittal an der Drau ersucht habe, sei er jeweils auf eine Wartezeit von drei bis sechs Monaten verwiesen worden. Da er diese Wartezeit als unzumutbar empfunden habe, sei er nach Thailand gereist (wo er zuvor einige Jahre gelebt habe) und habe sich dort einem stationären Aufenthalt in einer Klinik unterzogen. Im weiteren Verfahren brachte der Kläger dann vor, er sei infolge seiner psychischen Behinderung nicht entsprechend diskretions- und dispositionsfähig gewesen, um inländische Behandlungsalternativen zu erkennen und/oder danach zu handeln.

Das Erstgericht sprach dem Kläger über den bereits geleisteten Betrag von 13.171,68 EUR hinaus einen weiteren Betrag von 4.624,92 EUR zu und wies das Mehrbegehren von 21.576,72 EUR sA ab.

Es stellte fest, dass beim Kläger ab Sommer 2014 bis 13. 2. 2015 eine bipolare Störung, eine generalisierte Angststörung, eine akzentuierte Persönlichkeit und eine psychische Störung und Verhaltensstörung durch Alkohol und durch multiplen Substanzmissbrauch bestand. Anstelle der Inanspruchnahme der Klinik in Thailand wären dem Kläger zur Behandlung seiner psychischen Störungen und der Erreichung des Alkohol- und Drogenentzugs diverse Einrichtungen in Österreich zur Verfügung gestanden, die Vertragspartner der beklagten Partei sind und zur Behandlung derartiger Leiden geeignet sind. Eine Wartezeit von drei bis sechs Monaten hätte nicht zu nachteiligen Folgen für die Gesundheit des Klägers oder für den zu erwartenden Behandlungserfolg geführt. Bei Auftreten einer suizidalen oder psychotischen Krise bzw einer akuten Gefährdung hätte der Kläger auch kurzfristig eine entsprechende akutpsychiatrische Behandlung in einer für solche Zwecke in Österreich vorhandenen Einrichtung in Anspruch nehmen können.

Die umfassende rechtliche Beurteilung des Erstgerichts lässt sich – soweit für das Revisionsverfahren noch relevant – dahin zusammenfassen, dass der den Pflegekostenzuschuss regelnde § 150 ASVG nicht nach der subjektiven Geschäfts- und Handlungsfähigkeit des Versicherten oder nach seinen subjektiven Beweggründen für die Inanspruchnahme einer nichtvertraglichen Krankenanstalt im Ausland differenziert, sondern rein auf objektive Kriterien (Anstaltsbedürftigkeit sowie mangelnde Sachleistungsbereitstellung oder Unterbringung ohne Einweisung durch den Versicherungsträger) abstellt. Ein über den Tagessatz nach § 150 Abs 2 ASVG hinausgehender Anspruch sei auch nicht aus der UN‑Behindertenrechtskonvention ableitbar, da zu dieser in Österreich ein Erfüllungsvorbehalt bestehe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts. Der Pflegekostenzuschuss für stationäre Behandlungen im Ausland werde in gleicher Weise für alle Versicherten geregelt. Auch der Kläger werde nicht schlechter behandelt, sondern gleich wie andere Versicherte.

In seiner außerordentlichen Revision hält der Kläger an seinem Standpunkt fest, infolge seiner psychischen Behinderung habe es ihm an der Diskretions- und Dispositionsfähigkeit gemangelt, sodass er nicht in der Lage gewesen sei, im Inland vorhandene Behandlungsalternativen zu erkennen oder nach einer solchen Erkenntnis zu handeln. Insofern liege ein rechtlicher Feststellungsmangel vor. § 150 ASVG sei im Einklang mit der UN‑Behindertenrechtskonvention zur Beseitigung von Diskriminierungen verfassungs- und völkerrechtskonform dahin auszulegen, dass bei behinderten Personen wie dem Kläger von Einschränkungen des Kostenersatzes abzusehen sei. Es fehlten geeignete Schritte des Vertragsstaats (Österreichs), um die Bereitstellung angemessener Vorkehrungen für die besondere Situation des Klägers zu gewährleisten (Art 5 Abs 3 der UN‑Behindertenrechtskonvention). Dadurch sei er unverhältnismäßig stärker als psychisch gesunde Menschen benachteiligt und werde indirekt diskriminiert.

Rechtliche Beurteilung

Mit diesem Vorbringen werden keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt.

1.1 Wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Ersatz der tatsächlichen Kosten einer medizinisch gleichwertigen, allenfalls auch aufwendigeren Krankenbehandlung im Ausland, solange der Krankenversicherungsträger im Inland eine zweckmäßige und ausreichende Krankenbehandlung zur Verfügung stellt und dadurch seiner Verpflichtung zur Sachleistungsvorsorge entsprochen hat. Es ist der Versichertengemeinschaft nicht zumutbar, die wesentlich höheren Kosten einer Behandlung im Ausland zu übernehmen, wenn eine solche Behandlung auch im Inland erfolgen könnte (RIS‑Justiz RS0106772).

1.2 Nach ständiger Rechtsprechung muss dieser Grundsatz auch gelten, wenn ein sachleistungsberechtigter Versicherter derartige Leistungen aus in seiner Sphäre gelegenen Gründen nicht in Anspruch nehmen kann, etwa weil er sich auf einer Urlaubsreise im Ausland aufhält (10 ObS 2296/96m, SSV‑NF 10/114), weil er von seinem Dienstgeber ins Ausland entsendet wurde (RIS‑Justiz RS0106772 [T2]) oder weil er subjektiv die Qualität der im Ausland vorgenommenen Behandlung oder Operation höher einschätzt als die einer solchen im Inland (10 ObS 20/12g, SSV‑NF 26/19). Es geht nicht um subjektive Gründe, aus denen der Versicherte trotz des vorhandenen (zweckmäßigen und ausreichenden) Behandlungsangebots im Inland eine Behandlung im Ausland in Anspruch genommen hat, sondern nur darum, ob die zur Behandlung der Krankheit erforderliche Behandlung in zumutbarer Weise in Österreich durchgeführt werden kann. Von dieser Rechtsprechung weichen die Entscheidungen der Vorinstanzen nicht ab.

2.1 Zutreffend sind die Vorinstanzen auch davon ausgegangen, dass der Kläger seine über den Pflegekostenzuschuss hinausgehende Forderung weder direkt – noch im Wege der geforderten völkerrechtskonformen Auslegung des § 150 ASVG – auf das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN‑Behindertenrechtskonvention, Convention on the Rights of Persons with Disabilities, CRPD, BGBl III 2008/155) stützen kann.

2.2 Gemäß Art 4 CRPD verpflichten sich die Vertragsstaaten, die volle Verwirklichung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen ohne jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung zu gewährleisten und zu fördern. Zu diesem Zweck verpflichten sich die Vertragsstaaten ua, alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Umsetzung der in der UN‑Behindertenrechtskonvention anerkannten Rechte zu treffen (Art 4 Abs 1 lit a CRPD). Der Nationalrat hat anlässlich der Ratifikation gemäß Art 50 Abs 2 Z 3 B‑VG (seit der Verwaltungsgerichts-Novelle 2012, BGBl I 2012/51: Art 50 Abs 2 Z 4 B‑VG) beschlossen, dass die UN‑Behindertenrechtskonvention durch die Erlassung von Gesetzen zu erfüllen ist. Es bedarf also der Erlassung von Transformationsnormen, um dem Übereinkommen auch innerstaatlich zur Wirksamkeit zu verhelfen. Staatsverträge, die durch die Erlassung von Gesetzen zu erfüllen sind, haben (zunächst) keine innerstaatlichen Rechtswirkungen; sie sind nicht unmittelbar anwendbar, begründen keine subjektiven Rechte und sind auch nicht Maßstab für die Rechtmäßigkeit eines anderen Rechtsakts (RIS‑Justiz RS0131279). Sie können daher auch nicht Prüfungsmaßstab für die Beurteilung etwa der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen sein (VfGH 28. 6. 2017, E 3297/2016). Die Ansicht des Berufungsgerichts, aus der UN‑Behindertenrechtskonvention sei eine Auslegung des § 150 ASVG dahin, dass für den Kläger eine Kostenerstattung im Ausmaß des vollen Ersatzes besteht, nicht ableitbar, stellt daher jedenfalls keine Fehlbeurteilung dar.

3. Soweit der Kläger seine Ansprüche auf Schadenersatz (§ 9 BGStG) wegen Diskriminierung aufgrund seiner psychischen Behinderung stützt, liegt keine Sozialrechtssache über eine Kostenerstattung für eine im Ausland notwendig gewordene Anstaltspflege im Sinn des § 65 Abs 1 Z 1 ASGG vor (RIS‑Justiz RS0115364). Ein Schadenersatz-oder Amtshaftungsanspruch kann im Leistungsstreitverfahren vor den Sozialgerichten nicht erfolgreich geltend gemacht werden (10 ObS 63/13g, SSV‑NF 27/51). Der vom Revisionswerber ins Treffen geführte Gerichtsstand des Zusammenhangs gilt nach § 8 Abs 1 ASGG nicht für

Sozialrechtssachen (RIS‑Justiz RS0114909; Neumayr in ZellKomm 2 § 8 ASGG Rz 2). Daran vermögen auch prozessökonomische Erwägungen nichts zu ändern (RIS-Justiz RS0114909 [T1]).

Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.

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