OGH 15Os4/18d

OGH15Os4/18d14.2.2018

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Februar 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Albu als Schriftführer in der Strafsache gegen Pamela M***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 17. August 2017, GZ 8 Hv 46/17i‑387, sowie über deren Beschwerde gegen den zugleich gefassten Beschluss nach § 494a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0150OS00004.18D.0214.000

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im freisprechenden Teil unberührt bleibt, im Schuldspruch demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und im Ausspruch über den Verfall ebenso wie der Beschluss nach § 494a Abs 1 StPO aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Eisenstadt verwiesen.

Mit ihrer Berufung und ihrer Beschwerde wird die Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen auch einen rechtskräftigen Freispruch enthaltenden Urteil wurde Pamela M***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 und Abs 4 Z 3 SMG (A./II./6./) sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften „nach § 27 Abs 1 Z 1 erster, zweiter und vierter Fall, teils Abs 2 SMG“ (richtig: nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs 2 SMG [A./IV./5./a.] und nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter und vierter Fall SMG [A./IV./5./b./]) schuldig erkannt.

Danach hat sie in Wien und andernorts vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich den Wirkstoff Methamphetamin enthaltendes „Pico“ (alias Pervitin, Ice oder Crystal Meth)

A./II./6./ von Mitte August bis Ende November 2016 in einer das 25‑fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 3 StGB) anderen überlassen, nämlich zumindest 495 Gramm mit einer Reinsubstanz von zumindest 297 Gramm Methamphetamin, indem sie diese Menge um zumindest 80 Euro pro Gramm teils an im Urteil namentlich genannte und teils an unbekannte Abnehmer gewinnbringend verkaufte, wobei sie vom Landesgericht für Strafsachen Wien am 24. November 2014 zu AZ 62 Hv 86/14s schon einmal wegen einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG verurteilt worden war;

A./IV./5./a./ ab Mitte August bis 14. Dezember 2016 in zahlreichen Angriffen ausschließlich zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen;

A./IV./5./b./ am 16. September 2016 27,5 Gramm netto mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 3,59 %, die ihr Tuan N***** zur Aufbewahrung in ihrer Handtasche übergab, besessen und befördert.

Rechtliche Beurteilung

Der ausschließlich gegen den Schuldspruch A./II./6./ gerichteten und auf § 281 Abs 1 Z 5 und 8 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten kommt Berechtigung zu.

Zu Recht kritisiert die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall), dass das Schöffengericht die Feststellungen zur gewinnbringenden Überlassung von 495 Gramm Pico (auch) auf die (belastenden) Angaben der Zeugen Dilsad S*****, Cloyd A***** und Marvin C***** gestützt hat (US 7 f), obwohl diese in der Hauptverhandlung nicht vorgekommen sind (§ 12 Abs 2, § 258 Abs 1 StPO).

Nach dem Protokoll über die Hauptverhandlung sei am 17. August 2017 „das Wesentliche des Akteninhalts gemäß § 252 Abs 2a StPO“ (vgl zu dieser Protokollierung aber RIS‑Justiz RS0110681) „einverständlich vorgetragen“ worden (ON 386 S 26). Wie eine vom Obersten Gerichtshof durchgeführte tatsächliche

Aufklärung (§ 285f StPO) über den Umfang des protokollierten Vortrags ergab, wurde nach allseitiger Bejahung der Frage des Vorsitzenden, ob der Akteninhalt einverständlich vorgetragen werden kann, von diesem zwar „gesagt, dass gemäß § 252 Abs 2a StPO das Wesentliche des Akteninhalts vorgetragen wird“, ein tatsächlicher Vortrag desselben unterblieb jedoch (vgl die Stellungnahme des Vorsitzenden vom 16. Jänner 2018; zum „Vorhalt“ von Beweismitteln im Rahmen der Vernehmung des Angeklagten siehe RIS‑Justiz RS0113446 [T3]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 237, 459).

Zwar ist dann, wenn der Beschwerdeführer auf die tatsächliche Verlesung oder Vorführung von im § 252 Abs 1 oder Abs 2 StPO genannten Schriftstücken oder technischen Aufzeichnungen verzichtet hat, die Art, wie ein solches Beweismittel in der Hauptverhandlung vorgekommen ist (§ 258 Abs 1 erster Satz StPO), einer nachträglichen Kritik aus Z 5 entzogen; sind die in der Beschwerde genannten Beweismittel jedoch auf gar keine Art vorgekommen (vgl RIS‑Justiz RS0121833), so liegt Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO vor (RIS‑Justiz RS0111533 [T7]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 460). Da die drei Zeugenaussagen – wie die Beschwerde der Sache nach zu Recht behauptet – im Urteil nicht bloß illustrativ erwähnt wurden, ist letzteres offenbar unzureichend begründet (RIS‑Justiz RS0113209, RS0113210). Dieser Begründungsmangel – der entgegen der Beschwerde nicht auch in Betreff der im Urteil verwerteten (US 7 f) Aussagen des Richard K***** vorliegt, weil sich der (damals) Mitangeklagte in der Hauptverhandlung auf seine früheren Angaben berief und ihm diese auch vorgehalten wurden (ON 373a S 9, 41 und 46 f; RIS‑Justiz RS0126738; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 459) – erfordert (ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist) die Aufhebung des Urteils im Schuldspruch A./II./6./ bereits bei der nichtöffentlichen Beratung und die Verweisung der Sache an das Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung (§ 285e StPO). Daran anknüpfend (§ 289 StPO) ist mit Blick auf die Bestimmungen der §§ 35 und 37 SMG auch die Aufhebung der Schuldsprüche A./IV./5./a./ und b./ erforderlich (RIS‑Justiz RS0119278).

Mit ihrer Berufung und ihrer Beschwerde wird die Angeklagte auf die Kassation verwiesen.

Im zweiten Rechtsgang wird im Fall eines erneuten Schuldspruchs zu beachten sein, dass die in der Suchtgiftverordnung (oder der Psychotropenverordnung) erfassten Wirkstoffe tatverfangener Substanzen nicht nur im Referat der als erwiesen angenommenen entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) anzuführen, sondern auch zu diesen entsprechende Feststellungen zu treffen sind (RIS‑Justiz RS0114428, RS0114639).

Anzumerken ist weiters, dass bloße Teilakte von Suchtgifthandel nach § 28a Abs 1 SMG als Bezugspunkt für wiederkehrende Begehung (§ 70 Abs 1 Z 3 StGB) nicht genügen und der zur ständigen Rechtsprechung gewordene Ansatz, welcher auf exakter Abgrenzbarkeit einzelner Grenzmengen zueinander beruhte und durch den § 28a Abs 1 SMG auf diese Weise mehrfach begründet werden konnte (vgl RIS‑Justiz RS0112225 [T11, T14],

RS0124018), vom Obersten Gerichtshof aufgegeben wurde, weil Bezugspunkt des Suchtgifthandels eine die Grenzmenge (§ 28b) übersteigende Menge ist, somit eine gesetzliche (auf exakt eine Grenzmenge bezogene) Abtrennungsregel für ihrerseits und im Verhältnis zueinander sukzessiv begangene Taten nach § 28a Abs 1 SMG im geltenden Recht nicht aufzufinden ist (12 Os 21/17f [verstärkter Senat]). Lediglich der Vollständigkeit halber bleibt anzumerken, dass Suchgifthandel durch je für sich große Mengen Bezugspunkt für wiederkehrende Begehung (§ 70 StGB) sein kann und eine Zusammenfassung für sich allein die Grenzmenge nicht übersteigender Suchtgiftquanten zur Begründung von Suchtgifthandel nach § 28a Abs 1 SMG aufgrund von Additionsvorsatz (RIS‑Justiz RS0124018) weiterhin möglich ist (vgl neuerlich 12 Os 21/17f [verstärkter Senat]).

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