European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00144.17Z.1220.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Nach § 183 Abs 1 ASVG hat der Träger der Unfallversicherung bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse, die für die Feststellung einer Rente maßgebend waren, auf Antrag oder von Amts wegen die Rente neu festzustellen. Als wesentlich gilt eine Änderung der Verhältnisse nur, wenn durch sie die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch mehr als drei Monate um mindestens 10 vH geändert wird, durch die Änderung ein Rentenanspruch entsteht oder wegfällt (§§ 203, 210 Abs 1 ASVG) oder die Schwerstversehrtheit entsteht oder wegfällt (§ 205 Abs 4 ASVG).
1.1. Mangels wesentlicher Änderung der Verhältnisse steht die Rechtskraft der Vorentscheidung (Bescheid, Urteil, Vergleich) einer Neubemessung im Weg (10 ObS 41/17b; 10 ObS 145/12i, SSV‑NF 26/75 mwN; RIS‑Justiz RS0110119). Eine frühere unrichtige Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit kann nicht über § 183 Abs 1 ASVG korrigiert werden (RIS‑Justiz RS0084151 [T2]; RS0084142). Dies gilt auch im Fall einer zu niedrigen Einschätzung (RIS‑Justiz RS0084142 [T1]). Nur bei einer Besserung oder Verschlechterung des Zustands könnte eine Fehleinschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit von Bedeutung sein (RIS‑Justiz RS0084151 [T1]).
1.2. Das nach rechtskräftiger Ablehnung der Gewährung einer Versehrtenrente mit Bescheid der beklagten Partei vom 21. 5. 2014 neuerlich erhobene Begehren der Klägerin auf Gewährung einer Versehrtenrente wegen des Arbeitsunfalls vom 29. 8. 2013 wurde vom Berufungsgericht abgewiesen. Dem Urteil liegt die Feststellung zugrunde, dass die unfallkausale Minderung der Erwerbsunfähigkeit seit 21. 5. 2014 durchgehend 30 vH beträgt und der Zustand der Klägerin seit der Erlassung des Bescheids der beklagten Partei unverändert blieb.
1.3. Die Klägerin behauptet im Rechtsmittelverfahren keine Verschlechterung ihres Gesundheitszustands, will aber § 183 Abs 1 ASVG nur auf Fälle der Neufeststellung einer bereits gewährten Rente, nicht hingegen auf deren erstmalige Festsetzung angewendet wissen. Die für diesen Standpunkt in der außerordentlichen Revision zitierte Entscheidung 10 ObS 171/97p betrifft allerdings nicht den Fall der Feststellung einer Rente, deren Gewährung zuvor rechtskräftig durch Bescheid oder Urteil abgewiesen wurde. Dass die Auffassung der Klägerin unzutreffend ist, ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 183 Abs 1 ASVG (behandelt doch diese Norm auch den Fall, dass durch eine wesentliche Änderung der Verhältnisse ein Rentenanspruch entsteht [§ 203 ASVG]) und im Übrigen aus der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (jüngst 10 ObS 41/17b mwN).
1.4. Unzutreffend ist die Ansicht der Klägerin, die erstmalige Ablehnung eines Rentenanspruchs (ohne nähere Bezeichnung als vorläufige Rente oder als Dauerrente) könne im Interesse des Versicherten nur als Absprechen über eine vorläufige Rente gewertet werden, wobei die spätere Feststellung einer Rente eine Änderung der Verhältnisse nicht voraussetze.
Sie widerspricht nicht nur § 183 Abs 1 ASVG (s oben 1.3.), sondern hat auch keine Grundlage in § 209 Abs 1 ASVG. Nach dieser Bestimmung hat der Versicherungsträger die Versehrtenrente als vorläufige Rente zu gewähren, wenn die Versehrtenrente während der ersten zwei Jahre nach dem Eintritt des Versicherungsfalls wegen der noch nicht absehbaren Entwicklung der Folgen des Arbeitsunfalls oder der Berufskrankheit ihrer Höhe nach noch nicht als Dauerrente festgestellt werden kann. Spätestens mit Ablauf des zweijährigen Zeitraums ist die Versehrtenrente als Dauerrente festzustellen; diese Feststellung setzt eine Änderung der Verhältnisse (§ 183 Abs 1 ASVG) nicht voraus und ist an die Grundlagen für die Berechnung der vorläufigen Rente nicht gebunden.
Diese Norm bezweckt, einem Versehrten rasch und ohne weitläufiges Verfahren eine Rente zukommen zu lassen, wenn der Anspruch dem Grunde nach berechtigt ist (10 ObS 239/89, SSV-NF 3/104). § 209 Abs 1 letzter Satz ASVG setzt – wie sich klar aus seinem Wortlaut ergibt – voraus, dass eine vorläufige Versehrtenrente zuerkannt wurde, sodass er keine Anwendung finden kann, wenn ein Rentenanspruch verneint wurde.
1.5. In ihrer Argumentation zur angeblich fehlenden Rechtskraftwirkung des Bescheids der beklagten Partei lässt die Klägerin außer Betracht, dass sich die materielle Rechtskraft eines Bescheids des Versicherungsträgers oder eines Urteils über eine Versehrtenrente nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in Sozialrechtssachen auf die Sachlage bezieht, wie sie im Zeitpunkt der Entscheidung objektiv vorliegt, und nicht auf jene, welche – auf einer allfälligen Fehleinschätzung der ärztlichen Sachverständigen beruhend – subjektiv angenommen wurde (10 ObS 145/12i, SSV‑NF 26/75; 10 ObS 163/09g, SSV‑NF 23/78; RIS‑Justiz RS0110119). Objektiv betrachtet ist der Gesundheitszustand der Klägerin unverändert. Eine Verschlechterung ist (unstrittig) nach wie vor nicht eingetreten. Wie der Oberste Gerichtshof bereits judiziert hat (10 ObS 145/12i; jüngst 10 ObS 41/17b), steht die materielle Rechtskraft eines Urteils (Bescheids), mit dem das Begehren auf Versehrtenrente abgewiesen wurde, einem erstmaligen Zuspruch entgegen, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse im Vergleich zu einer rechtskräftigen Vorentscheidung nicht geändert haben.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)