OGH 12Os139/17h

OGH12Os139/17h14.12.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Dezember 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Schuber als Schriftführer in der Strafsache gegen Enes S***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 20 HR 14/15p des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die Grundrechtsbeschwerde des Nedzad B***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 26. September 2017, AZ 9 Bs 318/17h, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0120OS00139.17H.1214.000

 

Spruch:

Die Grundrechtsbeschwerde wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

In dem von der Staatsanwaltschaft Graz zu AZ 16 St 14/15y gegen Enes S***** und weitere Beschuldigte wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen geführten Ermittlungsverfahren wurde über Nedzad B***** am 28. Jänner 2017 die Untersuchungshaft verhängt. Diese wurde mehrfach, zuletzt mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 28. August 2017 aus den Haftgründen der Flucht‑ und Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a und lit b StPO fortgesetzt.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den letztgenannten Beschluss erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Graz mit dem nunmehr bekämpften Beschluss vom 26. September 2017, AZ 9 Bs 318/17h, nicht Folge und setzte die Untersuchungshaft aus den gleichen Haftgründen fort.

Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts ist der Beschuldigte dringend verdächtig,

1./ sich als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) an der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat, somit an einem auf längere Zeit angelegten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, der darauf ausgerichtet ist, dass von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Vereinigung eine oder mehrere terroristische Straftaten (§ 278c StGB), und zwar Morde (§ 75 StGB), Körperverletzungen nach §§ 84 bis 87 StGB, schwere Nötigungen (§ 106 StGB) und schwere Sachbeschädigungen (§ 126 StGB) begangen werden, wobei diese Taten geeignet sind, eine schwere oder längere Zeit anhaltende Störung des öffentlichen Lebens oder eine schwere Schädigung des Wirtschaftslebens herbeizuführen, und die mit dem Vorsatz begangen werden, die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern, öffentliche Stellen oder internationale Organisationen zu Handlungen, Duldungen oder zu Unterlassungen zu nötigen und die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Grundstrukturen eines Staates ernsthaft zu erschüttern oder zu zerstören, im Rahmen der kriminellen Ausrichtung dieser terroristischen Vereinigung mit dem Wissen beteiligt, dass er dadurch die Vereinigung oder deren strafbare Handlungen fördert (§ 278b Abs 2 iVm § 278 Abs 3 dritter Fall StGB), indem er im Zeitraum von zumindest Frühjahr 2014 bis 26. Jänner 2017 in G***** und W***** durch zahlreiche schriftliche und über Youtube verbreitete Publikationen salafistisch‑dschihadistischen Inhalts zur Lossagung und zur Unterwerfung von „muschrik“ (Juden und Christen), zur Feindschaft und zum Hass gegenüber Ungläubigen aufrief, die Ideologie des Takfirismus (Muslime anderer Glaubensrichtungen zu Ungläubigen zu erklären und zu vernichten) bewarb und durch die Verbreitung von salafistischem Gedankengut, wonach der Dschihad (heiliger Krieg) Pflicht jedes gläubigen Muslims sei, sich als Vordenker an der Radikalisierung unter anderem von Mitgliedern des Vereins „T*****“, insbesondere des Mermin S*****, welcher im August 2014 mit weiteren 18 Mitgliedern des Glaubensvereins T*****, nämlich den Familien S*****, Z*****, H***** und D***** nach Syrien ausreiste, damit sich diese dem Islamischen Staat anschließen, betätigte sowie nach deren Abreise nach Syrien die maßgeblichen Entscheidungsträger des Glaubensvereins Fuat I*****, Nihad J***** und Agim A***** in der ideologischen Auslegung von Glaubensfragen unterstützte,

und

2./ sich als Mitglied an der als Islamischer Staat bezeichneten kriminellen Organsiation, welche als eine auf längere Zeit angelegte unternehmensähnliche Verbindung einer größeren Zahl von Personen das Ziel verfolgt, in Syrien und im Irak einen radikal‑islamistischen Gottesstaat (Kalifat) zu errichten und zur Erreichung dieses Zieles terroristische Straftaten gemäß dem § 278c Abs 1 StGB zu begehen, somit wenn auch nicht ausschließlich auf die wiederkehrende geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, oder schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen, der Schlepperei oder des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln, Kernmaterial und radioaktiven Stoffen, gefährlichen Abfällen, Falschgeld oder Suchtmitteln ausgerichtet ist, die dadurch eine Bereicherung in großem Umfang anstrebt und die andere zu korrumpieren oder einzuschüchtern oder sich auf besondere Weise gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen versucht, durch die unter 1./ angeführten Taten im Rahmen der kriminellen Ausrichtung dieser terroristischen Organisation mit dem Wissen beteiligt, dass er dadurch die Vereinigung oder deren strafbare Handlungen fördert.

Diese Verdachtslage subsumierte das Oberlandesgericht den Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB (1./) und der kriminellen Organisation nach § 278a [ergänze: Z 1, Z 2 und Z 3] StGB (2./).

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Nedzad B*****.

 

 

Im Grundrechtsbeschwerdeverfahren kann die Begründung des dringenden Tatverdachts in sinngemäßer Anwendung des § 281 Abs 1 Z 5 und Z 5a StPO bekämpft werden. Die rechtliche Beurteilung, welche strafbare Handlung durch die als sehr wahrscheinlich angenommenen Tatsachen (mit anderen Worten durch die Sachverhaltsgrundlage des dringenden Tatverdachts) begründet wird, unterliegt der Nachprüfung gemäß Z 9 und Z 10 des § 281 Abs 1 StPO (RIS‑Justiz RS0110146, RS0114488; Kier in WK² GRBG § 2 Rz 26 ff, 30; Kirchbacher/Rami , WK‑StPO Vor §§ 170 bis 189 Rz 24b).

Mit den Beschwerdeausführungen, nach dem Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Dr. S***** (ON 679) würde „die zentrale Annahme des Tatverdachts gegen den Beschuldigten relativiert“, wird keine Anfechtungskategorie der Z 5 oder Z 5a des § 281 Abs 1 StPO angesprochen. Im Übrigen hat das Beschwerdegericht durchaus berücksichtigt (Z 5 zweiter Fall), dass der Sachverständige laut dem angesprochenen Ergänzungsgutachten zur Überzeugung gelangte, dass sich in den zur Begutachtung übersandten Materialien kein konkreter Beleg dafür fand, dass Nedzad B***** im Jahr 2014 offen oder verdeckt für eine Ausreise nach Syrien und einen Anschluss an den Islamischen Staat warb (BS 4; ON 679 S 4).

Das Vorbringen, die vom Oberlandesgericht „angenommene Rolle des Beschuldigten als religiöser Vordenker ist in keiner Weise mit konkludenten Aufrufen zur Unterstützung des Islamischen Staats gleichzusetzen“, lässt sich keiner der angeführten Anfechtungspunkte zuordnen und entzieht sich damit einer meritorischen Erwiderung. Im Übrigen orientiert sich die Beschwerde nicht an der Gesamtheit der Erwägungen des Beschwerdegerichts (BS 3 ff).

Inwiefern die vom Oberlandesgericht im Sinn einer dringenden Verdachtslage angenommenen Publikationen vom Recht auf Freiheit der Religionsausübung nach Art 9 MRK oder vom Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 MRK gedeckt sein sollten, legt der Beschwerdeführer nicht dar (vgl RIS‑Justiz RS0116565; RS0075407).

Im Grundrechtsbeschwerdeverfahren überprüft der Oberste Gerichtshof die rechtliche Annahme der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren (Prognoseentscheidung) darauf, ob sich diese angesichts der zugrunde gelegten bestimmten Tatsachen als willkürlich, mit anderen Worten nicht oder offenbar unzureichend begründet darstellt (RIS‑Justiz RS0117806).

Betreffend die Fluchtgefahr führte das Beschwerdegericht aus, dass trotz der beruflichen und familiären Integration in Österreich weiterhin davon auszugehen sei, dass die im Fall verdachtskonformer Verurteilung das Mindestmaß von einem Jahr Freiheitsstrafe voraussichtlich erheblich übersteigende zu erwartende Sanktion für den Beschuldigten einen erheblichen Anreiz darstellte, sich dem weiteren Strafverfahren durch Flucht oder Verborgenhalten zu entziehen. Diese Gefahr werde durch anzunehmende Kontakte in sein Heimatland Bosnien‑Herzegowina und nach Syrien intensiviert, zumal er nicht nur ein kurzes Studium an der islamischen Universität Medina absolviert habe, sondern laut zitierten Erhebungsergebnissen mit Verantwortlichen der heimischen Dschihadistenszene in engem Kontakt stehe (BS 7).

Indem die Grundrechtsbeschwerde lediglich ausführt, der Beschuldigte sei unbescholten, verfüge in Österreich über einen festen Wohnsitz und sei sozial in eine gefestigte Familienstruktur eingebunden, nimmt sie nicht Maß an den Erwägungen des Oberlandesgerichts.

Inwiefern die Fluchtgefahr durch gelindere Mittel in Form von Weisungen, „insbesondere sich jedweder Predigertätigkeit sowie sonstiger öffentlicher Befassung mit islambezogenen Thematiken“ zu enthalten, effektiv, substituiert werden könnte, macht die Beschwerde nicht klar.

Da bei gegebenem dringenden Tatverdacht bereits ein Haftgrund die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft rechtfertigt, erübrigt es sich, im Rahmen der Grundrechtsbeschwerde zu prüfen, ob noch weitere Haftgründe gegeben sind (RIS‑Justiz RS0061196).

Die Behauptung, die im angefochtenen Beschluss zur Unvermeidbarkeit der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus angeführten Gründe genügten den Kriterien des § 178 Abs 2 StPO nicht, lässt die Gesamtheit der Begründung unberücksichtigt, wonach sich nach der Übersetzung zahlreicher sichergestellter Bücher, Schriften und auf Datenträgern gesicherter Predigten und Vorträge die Einholung von zwei Gutachten eines Islamsachverständigen als unverzichtbar erwiesen habe und hinsichtlich zuletzt eingelangter Beweismittel neue Gutachtensaufträge der Staatsanwaltschaft an den Sachverständigen ergingen, wobei die Anklagebehörde die Sichtung der übersandten Unterlagen mit Blick auf das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen nach §§ 9 Abs 2, 177 Abs 1 StPO befristete (BS 8).

Die Beschwerde war daher ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) zurückzuweisen.

Stichworte