OGH 11Os84/17p

OGH11Os84/17p12.12.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Dezember 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pichler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Basem B***** wegen der Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Geschworenengericht vom 10. Mai 2017, GZ 28 Hv 87/16m‑128, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0110OS00084.17P.1212.000

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden der Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende Urteil, das im Ausspruch des Verfolgungsvorbehalts unberührt bleibt, aufgehoben und die Strafsache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden, auch einen Verfolgungsvorbehalt (§§ 263 Abs 2, 315 Abs 2 StPO) enthaltenden Urteil wurde Basem B***** der Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er „zu nicht genau feststellbaren Zeitpunkten im Zeitraum von cirka Anfang des Jahres 2013 bis Februar 2014 in A***** und H***** in Syrien die Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB begangen, indem er zumindest 20 verwundete und wehrlose Soldaten der staatlichen syrischen Armee durch gezielte Schüsse mit seinem Kalaschnikow-Gewehr in die Brust oder in den Kopf vorsätzlich tötete, wobei der im Inland betretene Basem B*****, der sich zur Zeit in Österreich aufhält, zu keinem Zeitpunkt österreichischer Staatsbürger war, die oben angeführten Taten auch nach den Gesetzen des Tatortes Syrien mit Strafe bedroht sind und zu deren Verfolgung Österreich, auch wenn sie im Ausland (Syrien) begangen worden sind, unabhängig von den Strafgesetzen des Tatorts Syrien verpflichtet ist, und Basem B***** aus einem anderen Grund als wegen der Art der Tat nicht an den Tatortstaat Syrien ausgeliefert werden kann“.

 

Die Geschworenen haben die anklagekonform (vgl ON 51) in Richtung der Verbrechen der terroristischen Straftaten nach § 278c Abs 1 Z 1 (§ 75) und Abs 2 StGB – als zulässige Kumulativfrage (vgl RIS-Justiz RS0100893, RS0118085) – gestellte Hauptfrage mit der Beschränkung (vgl § 330 Abs 2 StPO) bejaht, dass die Textpassagen „die Verbrechen der terroristischen Straftaten (§ 278c Abs 1 Z 1, Abs 2 StGB), und zwar“ sowie „diese Taten geeignet waren, eine schwere oder länger anhaltende Störung des öffentlichen Lebens und eine schwere Schädigung des Wirtschaftslebens in Syrien, zumindest in den Regionen A***** und H*****, herbeizuführen und mit dem Vorsatz begangen wurden, die dort lebende Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern, öffentliche Stellen, nämlich die staatliche syrische Armee, zu einer Handlung, nämlich zum Verlassen des umkämpften syrischen Gebietes zu nötigen und die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen des Staates Syrien ernsthaft zu erschüttern oder zu zerstören“, gestrichen werden (zur Zulässigkeit einer derartigen Einschränkung auf das Grunddelikt [§ 75 StGB] durch Streichen der die Annahme der Qualifikation des § 278c Abs 2 StGB [hiezu: Plöchl in WK² StGB § 278c Rz 25] tragenden Umstände vgl RIS‑Justiz RS0100662; Philipp, WK‑StPO § 330 Rz 11).

 

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 4, 5, 6, 8, 9, 10, 10a, 11 lit b, 12 und 13 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Schon der Verfahrensrüge (Z 5) kommt Berechtigung zu:

In der Hauptverhandlung am 10. Mai 2017 beantragte der Verteidiger die Ladung und Vernehmung der (in Österreich wohnhaften) Zeugen Saleh al T*****, Abdallah D***** und Saya Al H***** „zum Beweis dafür, dass der Angeklagte – so wie er in der Hauptverhandlung angegeben hat – bereits im Sommer 2013 Syrien in Richtung Türkei verlassen hat und dort auch angekommen ist und dass der Angeklagte im Zeitraum von Jänner 2013 bis zum Sommer 2013, also bis er Syrien verlassen hat, an keinen Kampfhandlungen teilgenommen und auch keine Menschen erschossen hat. Die Zeugen können dies deshalb sagen, weil sie sich bereits im Sommer 2013 gemeinsam mit dem Angeklagten in M*****/Türkei aufgehalten und gewohnt haben“. Zum selben Beweisthema wurde die Vernehmung der Mutter des Angeklagten Muyassar A***** sowie seiner Schwestern Fatmeh R***** und Wafa R***** beantragt (ON 127 S 50, 51).

Diese Anträge wurden mit der Begründung abgewiesen, dass „der angeklagte Tatzeitraum im Jänner 2013 beginnt und die Zeugen für den Tatzeitraum Jänner (richtig:) 2013 bis Februar 2014 jedenfalls nicht bestätigen können, dass der Angeklagte nicht an Kampfhandlungen teilgenommen hat, zumal sie nicht 24 Stunden pro Tag mit ihm zusammen waren, sohin diese Beweismittel nicht geeignet sind, entscheidungswesentliche Tatsachen zu beweisen und zudem negative Tatsachen nicht bewiesen werden können“ (ON 127 S 54).

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten bemängelt mit der Verfahrensrüge (§ 345 Abs 1 Z 5 StPO) zu Recht, dass durch die Ablehnung der Anträge auf Vernehmung der genannten Zeugen, die die Abreise des Angeklagten aus Syrien im Sommer 2013 und dessen weiteren Verbleib in der Türkei bestätigen sowie Angaben zu seinem Lebenswandel in H*****/Syrien vom Jänner bis zum Sommer 2013 machen könnten, Verteidigungsrechte in entscheidender Weise beeinträchtigt wurden.

In einem Verfahren, in dem neben der– widerrufenen – polizeilichen Aussage des Angeklagten (ON 8) weder Beweisergebnisse für das zentrale Beweisthema (mehrfache Tötungen) noch nähere Einschränkungen des Tatzeitraums (ON 8 S 77) vorliegen, bedarf es für ein fair trial auch der Aufnahme mittelbarer und die Glaubhaftigkeit der unterschiedlichen Aussagen des Angeklagten prüfender (Kontroll‑)Beweise, zumal dieser laut seiner polizeilichen Aussage „den letzten Kämpfer … im Februar 2014 getötet“ haben soll (ON 8 S 81; vgl RIS‑Justiz RS0098429, RS0028345, RS0096368 [T10–T17]).

Das weitere Beschwerdevorbringen bedarf infolgedessen keiner Erörterung.

 

Es war daher – im Ergebnis in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende Urteil (mit Ausnahme des Verfolgungsvorbehalts) bereits bei nichtöffentlicher Beratung aufzuheben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck zu verweisen (§§ 285e, 344 zweiter Satz StPO).

Hierauf war der Angeklagte mit seiner Berufung zu verweisen.

Mit Blick auf den zweiten Rechtsgang ist anzumerken:

1./ Beiderseitige Strafbarkeit im Sinn des § 65 Abs 1 StGB verlangt, dass die Tat nach den Gesetzen des Tatorts konkret strafbar ist. Demnach dürfen nach dem Recht des Tatortstaats weder Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgründe noch Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgründe vorliegen (vgl Salimi in WK² StGB § 65 Rz 5 f; Schwaighofer, SbgK § 65 Rz 8, 11).

Die Frage beiderseitiger Strafbarkeit ist (als Rechtsfrage) nicht Gegenstand der Fragestellung an die Geschworenen: Diese sind demnach nicht zu fragen, ob die Taten „durch die Gesetze des Tatorts mit Strafe bedroht“ sind oder ob dies konkret nach einer bestimmten gesetzlichen Norm der Fall ist. Vielmehr haben die an die Geschworenen gerichteten (zusammen mit deren Antworten den Wahrspruch bildenden) Fragen das erforderliche Tatsachensubstrat sowohl zu den Elementen der inländischen als auch der ausländischen Strafbestimmung zu enthalten (vgl RIS-Justiz RS0121837 [insbesondere T1]; Schwaighofer, SbgK § 65 Rz 10).

2./ Für im Ausland begangene Taten gilt § 75 StGB nur unter den Voraussetzungen des § 65 Abs 1 StGB, somit dann, wenn die Taten auch durch die Gesetze des Tatorts mit Strafe bedroht sind und – soweit hier von Relevanz – der Täter zur Zeit der Tat Ausländer war, im Inland betreten wird und aus einem anderen Grund als wegen der Art oder Eigenschaft seiner Tat nicht an das Ausland ausgeliefert werden kann (§ 65 Abs 1 Z 2 StGB).

Die stellvertretende Strafrechtspflege nach § 65 Abs 1 Z 2 StGB darf nur dann in Anspruch genommen werden, wenn die Auslieferung des im Tatzeitpunkt die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzenden (vgl Salimi in WK² StGB § 65 Rz 18), im Inland betretenen Täters an den Tatortstaat (vgl Salimi in WK² StGB § 65 Rz 20) aus Gründen scheitert, die nicht in der Art oder Eigenschaft seiner Tat liegen.

Eine Unzulässigkeit der Auslieferung wegen der Art der Tat liegt vor, wenn die Tat die in den Auslieferungsbestimmungen (hier: im ARHG) vorgesehene Mindestschwere nicht erreicht und kann daher im Gegenstand dahinstehen.

Unzulässigkeit der Auslieferung wegen der Eigenschaft der Tat besteht im Anwendungsbereich des ARHG, wenn es sich um eine militärische oder fiskalische Straftat (§ 15 ARHG) oder um eine (absolut oder relativ) politische Straftat im Sinn des § 14 ARHG handelt (Salimi in WK² StGB § 65 Rz 23). Während sich absolut politische Straftaten (§ 14 Z 1 ARHG) unmittelbar gegen den Staat und dessen Einrichtungen oder gegen politische Rechte der Staatsbürger richten bzw ihrer Natur nach nur aus politischen Beweggründen begangen werden können (vgl Göth-Flemmich in WK² ARHG § 14 Rz 7), handelt es sich bei relativ politischen Straftaten (§ 14 Z 2 ARHG) um gemeinrechtliche Straftaten, denen politische Ziele oder Beweggründe zu Grunde liegen, wobei im Einzelfall entsprechend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu entscheiden ist, ob der kriminelle oder der politische Charakter der Tat überwiegt (vgl Göth-Flemmich in WK² ARHG § 14 Rz 9 f).

Bei Vorliegen eines in der Art oder Eigenschaft der Tat liegenden Auslieferungshindernisses ist die Annahme der Geltung der österreichischen Strafgesetze nach § 65 Abs 1 Z 2 StGB verwehrt; alle davon verschiedenen Gründe, aus denen sich die Unzulässigkeit der Auslieferung ableitet, genügen hingegen den Anforderungen der zitierten Bestimmung für die Annahme inländischer Gerichtsbarkeit (vgl Salimi in WK² StGB § 65 Rz 20).

Sind im Beweisverfahren konkrete Umstände hervorgekommen oder behauptet worden, die einen (materiellen) Straufausschließungs‑, Strafaufhebungs‑ oder (sonstigen) Straflosigkeitsgrund (etwa das Fehlen der Zuständigkeit der österreichischen Gerichte; vgl 9 Os 96/79) begründen könnten (vgl RIS‑Justiz RS0100622 [T4]; RS0090365 [T1]), ist eine entsprechende Zusatzfrage (§ 313 StPO) zu stellen ( Lässig , WK‑StPO § 313 Rz 3).

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