OGH 7Ob165/17s

OGH7Ob165/17s29.11.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** S*****, vertreten durch Dr. Michael Battlogg, Rechtsanwalt in Schruns, gegen die beklagte Partei A***** SE, *****, vertreten durch Mag. Martin Paar und Mag. Hermann Zwanzger, Rechtsanwälte in Wien, wegen „Leistung“ (richtig: Feststellung), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 28. Juni 2017, GZ 4 R 72/17w‑16, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0070OB00165.17S.1129.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Dem Rechtschutzversicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2003) und die Ergänzenden Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ERB 2005) zugrunde. Die ARB 2003 lauten auszugsweise:

„Artikel 8

Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten? (Obliegenheiten)

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet,

1.1. den Versicherer unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären und ihm alle erforderlichen Unterlagen auf Verlangen vorzulegen;

...“

Rechtliche Beurteilung

Die Vorinstanzen verneinten die von der Klägerin begehrte Deckungspflicht für eine Klage auf den Schenkungspflichtteil wegen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit des Art 8.1.1. ARB 2003. In ihrer dagegen erhobenen außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine erhebliche Rechtsfrage auf:

1. Richtig ist, dass nach höchstgerichtlicher Judikatur zur hier noch maßgeblichen Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015 (BGBl I 2015/87) ein den Nachlasspflichtteil übersteigender Vorempfang immer nur auf den Nachlasspflichtteil, nicht aber auf den Schenkungspflichtteil anzurechnen ist (RIS‑Justiz RS0127346). Deshalb ist zwischen Nachlasspflichtteil und dem Schenkungspflichtteil einerseits sowie zwischen Vorempfängen und Schenkungen andererseits zu unterscheiden (vgl 2 Ob 186/10g; 2 Ob 529/95). Letztgenannte Differenzierung erfordert die bisweilen schwierige Unterscheidung, ob erfolgte Zuwendungen nun tatsächlich als Vorempfang oder doch als Schenkung zu qualifizieren sind (vgl 2 Ob 219/12p).

2. Gerade unter diesem Gesichtspunkt hat der Fachsenat im Zusammenhang mit der aktiven Geltendmachung von Pflichtteilsergänzungsansprüchen bereits ausgesprochen, dass für die Leistungspflicht des Versicherers vollständige Angaben des Versicherungsnehmers über erhaltene Zuwendungen bedeutsam sind. Für den Umfang der Leistungspflicht ist es nämlich wesentlich, ob dem Begehren der Schenkungspflichtteilsklage bereits zu Lebzeiten erhaltene Zuwendungen entgegengehalten werden können. Derartige Zuwendungen wirken sich jedenfalls zumindest abstrakt auf die Erfolgsaussichten im Verfahren aus, weil wegen anrechenbarer Zuwendungen die Klage auf den Schenkungspflichtteil (gänzlich oder teilweise) aussichtslos sein kann (7 Ob 239/13t).

3. Genau diese Aufklärung hat die Klägerin aber nicht gegeben, weil sie in ihrer Mitteilung vom 3. 8. 2015 nicht etwa die Rechtsansicht formulierte, erfolgte Zuwendungen seien nicht anzurechnen, sondern erklärte, „es liegen keine Vorausempfänge vor“; dies war für den beklagten Versicherer als – allerdings nicht der Realität entsprechende – Tatsachenmitteilung dahin zu (misszu‑)verstehen, dass die Klägerin überhaupt keine Zuwendungen erhalten habe. Bei dieser Sachlage ist die Ansicht des Berufungsgerichts, die Klägerin habe die Aufklärungsobliegenheit nach Art 8.1.1. ARB 2003 verletzt, im Lichte der Entscheidung 7 Ob 239/13t jedenfalls vertretbar.

4. Ob der Versicherungsnehmer mit dolus coloratus gehandelt hat, ist eine Tatfrage (7 Ob 97/09d). Das Erstgericht hat – wenngleich teilweise disloziert – festgestellt, dass die Mitteilung der Klägerin vom 3. 8. 2015 („Es liegen keine Vorausempfänge vor.“) erfolgte, obwohl ihr bewusst war, dass sie „– anrechenbare oder nicht anrechenbare – Vorempfänge erhalten hatte“ und „unter Billigung des Umstands, dass die Beklagte dadurch in Irrtum geführt und die Schadensabwicklung schneller und problemloser durchgeführt wird“. Soweit den Revisionsausführungen der Klägerin entnommen werden könnte, dass sie diese Annahme bekämpft, führt sie eine in dritter Instanz unzulässige Beweisrüge aus, sind doch auch in der rechtlichen Beurteilung enthaltene, aber eindeutig dem Tatsachenbereich zuzuordnende Ausführungen (dislozierte Feststellungen) als Tatsachenfeststellungen zu behandeln (vgl RIS‑Justiz RS0043110 [T2]). Ob diese Feststellungen zur Annahme eines dolus coloratus ausreichen, ist dagegen eine Frage des Einzelfalls (vgl 7 Ob 1/07h) und deren Bejahung durch das Berufungsgericht hält sich im Rahmen vorliegender Rechtsprechung (vgl RIS-Justiz RS0109766 [insb T3]; RS0109767; RS0081253 [T5]). Infolge positiver Feststellung dieser Tatfrage ist auch das Vorliegen eines sekundären Feststellungsmangels zur Frage, wie die Klägerin die Anfrage der Beklagten zu Vorausempfängen und ihre eigene Mitteilung vom 3. 8. 2015 verstanden haben wollte, ausgeschlossen (RIS‑Justiz RS0053317 [T3]).

5. Liegt – wie vom Berufungsgericht betreffend die Aufklärung über von der Klägerin empfangene Zuwendungen vertretbar angenommen – eine Obliegenheitsverletzung und dolus coloratus vor, ist der Anspruch verwirkt und der Kausalitätsgegenbeweis ausgeschlossen (vgl RIS-Justiz RS0109766 [insb T9]). Damit können auch die von der Klägerin behaupteten sekundären Feststellungsmängel zum Kausalitätsgegenbeweis nicht vorliegen und Feststellungen über dem Haftpflichtprozess vorbehaltene Fragen gehören ohnehin nicht in den Deckungsprozess (RIS-Justiz RS0080336 [T1]; RS0124256). Schließlich kommt es bei dieser Sachlage auch nicht mehr darauf an, ob die Klägerin mit ihrer wahrheitswidrigen Mitteilung, das Verlassenschaftsverfahren sei bereits abgeschlossen, eine weitere Verletzung der Aufklärungsobliegenheit zu vertreten hat.

6. Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision unzulässig und daher zurückzuweisen. Einer weitergehenden Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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