OGH 7Ob1/07h

OGH7Ob1/07h31.1.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria B*****, vertreten durch Dr. Michael Subarsky, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei W*****, vertreten durch Dr. Herbert Laimböck, Rechtsanwalt in Wien, wegen (restlich) EUR 30.803,09 sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 25. September 2006, GZ 13 R 131/06i-44, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 30. März 2006, GZ 26 Cg 78/04p-40, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 1.566,36 (hierin enthalten EUR 261,06 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin ist Eigentümerin einer Wohnung in W***** und hat mit der beklagten Partei eine Haushaltsversicherung „Haushaltsystem plus" ohne Unterversicherung mit Neuwertersatz für diese Wohnung abgeschlossen. Diesem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für Haushaltsversicherung (ABH Fassung 1995) und die Besonderen Bedingungen für die Haushaltsversicherung System plus (75B) zugrunde.

Art 12 Abs 1 der ebenfalls geltenden Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung (ABS) lautet: „Wenn ... sich der Versicherungsnehmer bei der Ermittlung des Schadens oder der Entschädigung einer arglistigen Täuschung schuldig macht, ist der Versicherer dem Versicherungsnehmer gegenüber von jeder Verpflichtung zur Leistung aus diesem Schadenfall frei."

Am 17. 8. 2003 kam es in der Wohnung der Klägerin aufgrund eines geplatzten Heißwasserschlauches in der darüber gelegenen Wohnung zu einem erheblichen Wasserschaden.

Die Klägerin machte zunächst einen Gesamtschaden von EUR 61.359,13 sA geltend, welchen Betrag sie - dem im Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten Rechnung tragend - letztlich auf EUR 41.733,42 sA eingeschränkt hatte. Die beklagte Partei hafte ihr im Deckungsumfang der geschlossenen Haushaltsversicherung. Die beklagte Partei anerkannte zwar das Klagebegehren ausdrücklich dem Grunde nach, bestritt jedoch die Höhe und beantragte Klageabweisung, weil die Klägerin grob schuldhaft mehrfache Obliegenheitsverletzungen mit der Sanktionierung gänzlicher Leistungsfreiheit zu verantworten habe. Unter anderem habe sie nicht den gleichwertigen Ersatz für die Küchenmöbel gefordert, sondern den Ersatz für qualitativ bessere und teurere, weit höherwertige Möbel und Geräte. Durch die Vorlage eines zu teuren Kostenvoranschlages habe sich die Klägerin einer arglistigen Täuschung im Sinne des Art 12 der ABS schuldig gemacht und damit Obliegenheiten gemäß § 6 Abs 3 VersVG vorsätzlich verletzt, um von der beklagten Partei eine höhere Versicherungsleistung zu erlangen als ihr tatsächlich zugestanden sei.

Das Erstgericht sprach der Klägerin EUR 30.803,09 zu und wies das Mehrbegehren von EUR 10.930,33 ab. Zum im Revisionsverfahren allein noch strittigen Täuschungsvorwurf führte es aus, die Klägerin habe zwar objektiv Obliegenheitspflichten verletzt, indem sie ihrem Begehren einen Kostenvoranschlag über die Küche zugrunde gelegt habe, der nicht auf Ersatzbeschaffung gleicher Art und Güte ausgerichtet gewesen sei. Der Klägerin sei aber kein schweres Verschulden vorzuwerfen, sei sie doch davon ausgegangen, dass sie auch bei der Neuanschaffung Anspruch auf eine Markenküche (wie vor dem Schadensfall) habe. Ausstattungsunterschiede könnten bei Markenküchen aber nur annähernd festgestellt werden. Dabei sei auch die Änderung des Einrichtungsstils und der Technik im Laufe der Zeit zu berücksichtigen. Der zunächst eingeholte Kostenvoranschlag für eine Küche „wie die bestehende" sei der Klägerin daher nicht vorwerfbar als zu gering erschienen. Der danach erstellte Kostenvoranschlag (Firma Z*****) habe eine Küche, die im Hinblick auf die Größe und die Qualität der Elektrogeräte der alten Küche in Art und Güte entspreche, geboten. Die Ausstattung der Küchenmöbel sei zwar rund 20 % höherwertig, die Klägerin habe aber gemeint, das Recht zu haben, ihre Küche aus dem Jahre 1977 durch eine dem heutigen Standard entsprechende moderne Küche zu ersetzen, weshalb ihr Täuschungsabsicht nicht vorgeworfen werden könne. Art 12 ABS sei daher hier nicht anwendbar, weshalb die beklagte Partei zur Leistung verpflichtet bleibe.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Die von der beklagten Partei der Klägerin vorgeworfene Täuschungshandlung betreffe nicht Angaben über den Versicherungsfall oder die beim Schadensereignis beschädigten Sachen, sondern nur die - über Wunsch der Klägerin - in den Kostenvoranschlag eines Unternehmens aufgenommene Bewertung der angebotenen Küchenmöbel als mit dem Altbestand gleichwertig. Abgesehen davon, dass eine solche Meinungskundgabe über die Gleichwertigkeit der neuen mit den beschädigten Möbeln von der beklagten Partei grundsätzlich überprüfbar sei (zB durch die spätere Rechnung) und die Beweislage nicht zum Nachteil der beklagten Versicherung manipuliert worden sei, liege darin nur eine - von der Klägerin wohl veranlasste - unrichtig wertvergleichende Gestaltung eines Dritten im Kostenvoranschlag vor, welche die Abwicklung des Versicherungsfalles nicht im Sinne einer Fehlfeststellung über tatsächliche Umstände beeinflussen habe können. Die Höhe der von der beklagten Versicherung zu zahlenden Summe sei nämlich - auch ex ante betrachtet - nicht vom Angebot in einem Kostenvoranschlag abhängig gewesen. Von einer Obliegenheitsverletzung durch arglistige Täuschung sei daher nicht auszugehen. Den Ausspruch über die Zulässigkeit der ordentlichen Revision begründete das Berufungsgericht damit, dass der Oberste Gerichtshof zur Frage, „ob auch die bewusste Vorlage einer Urkunde (hier: Kostenvoranschlag) mit einer vom Versicherungsnehmer zu vertretenden unrichtigen wertvergleichenden Einschätzung des Errichters über die Gleichwertigkeit von die beschädigten Gegenstände ersetzenden Einrichtungsgegenständen" (zu ergänzen ist wohl: „... zur Leistungsfreiheit des Versicherers nach Art 12 Abs 1 ABS führt"), noch nicht Stellung genommen habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, in Stattgebung ihres Rechtsmittels das Klagebegehren vollinhaltlich abzuweisen; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung primär die Zurückweisung des gegnerischen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage, in eventu, diesem keine Folge zu geben. Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes nicht zulässig; gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kann sich der Oberste Gerichtshof bei der Zurückweisung einer unzulässigen Revision auf die Zurückweisungsgründe beschränken.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionswerberin führt selbst aus, dass der Ausspruch des Berufungsgerichtes über die Zulässigkeit der ordentlichen Revision unrichtig sei, weil zur formulierten und als erheblich bezeichneten Rechtsfrage bereits eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliege. Diese sei allerdings vom Berufungsgericht unrichtig zu ihren Lasten angewandt worden.

Der von der Revisionswerberin für ihre Leistungsverweigerung reklamierte „dolus coloratus" liegt nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (RIS-Justiz RS0109766) vor, wenn ein Versicherungsnehmer eine Obliegenheit mit dem Vorsatz verletzt, die Beweislage nach dem Versicherungsfall zu Lasten des Versicherers zu manipulieren, wodurch sein Anspruch verwirkt wird; zum nach § 6 Abs 3 VersVG den Kausalitätsgegenbeweis ausschließenden schlichten Vorsatz in dem Sinne, dass der Versicherungsnehmer die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens kennt und die Obliegenheitsverletzung bewusst und gewollt begeht, muss hinzu kommen, dass der Vorsatz sich auf die Verschlechterung der Beweislage zum Nachteil des Versicherers erstreckt. Nicht erforderlich ist hingegen, dass der Versicherungsnehmer dabei geradezu und ausschließlich mit dem Ziel handelt, den Versicherer zu täuschen (Betrugsabsicht); es genügt, wenn der Versicherungsnehmer die Möglichkeit erkennt, dass die von ihm dargelegten und unvollständig angegebenen Umstände, die für die Beurteilung der Leistungspflicht des Versicherers maßgeblich sind, Letzteren beeinträchtigen oder fehlleiten können und er sich damit abfindet. Täuschung liegt nicht nur dann vor, wenn der Versicherungsnehmer einen Vermögensvorteil anstrebt, sondern auch dann, wenn er durch die Angaben unrichtiger Tatsachen einen für berechtigt gehaltenen Anspruch durchsetzen oder einfach „Schwierigkeiten" bei der Schadensfeststellung verhindern will (7 Ob 17/01b). Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass davon hier nicht ausgegangen werden kann, lässt keine Missachtung dieser Rechtsprechungsgrundsätze im vorliegenden Einzelfall erkennen. Die beklagte Partei war schon vor der Rückkehr der Klägerin aus dem Urlaub vom Schadensfall durch die Hausverwaltung verständigt worden. Ihr „zuständiger Erhebungsbeamter" hat in rascher Abfolge die devastierte Wohnung besichtigt und fotografisch dokumentiert; bei zwei dieser Besuche waren auch die beschädigten Einrichtungsgegenstände noch in der Wohnung, ohne dass seitens der beklagten Partei je eine Aufforderung erfolgte, mit einer (dem Sanierungsbeginn zwingend vorangehenden) Entsorgung der beschädigten Möbel zuzuwarten. Der Beklagten war auch bekannt, dass die Wohnung unbewohnbar, speziell eine Reparatur der Küche wirtschaftlich nicht sinnvoll und die Klägerin wegen ihres dringenden Wohnbedürfnisses auf die Wiederherstellung der Wohnung angewiesen war. Aufforderungsgemäß holte die Klägerin auch mehrfach Kostenvoranschläge ein. Darunter versteht man - ausgehend von § 1170a ABGB - eine dem Besteller bekanntgegebene, nach technisch-kaufmännischen Gesichtspunkten und unter Zugrundelegung regelmäßig von Einheitssätzen kalkulierte Berechnung der voraussichtlichen (mutmaßlichen) Kosten eines Werks (Koch in KBB, ABGB Rz 1 zu § 1170a; Krejci in Rummel, ABGB³ Rz 3 zu § 1170a). Die Aufforderung zur Erstellung eines Kostenvoranschlags gilt als bloße Einladung zur Anbotstellung (Bollenberger in KBB, ABGB Rz 5 zu § 861). Die gänzliche Erneuerung des nach wirtschaftlichen Grundsätzen irreparablen Küchenmobiliars konnte der beklagten Partei (bzw ihrem kompetenten Sachbearbeiter vor Ort) schwerlich verborgen geblieben sein. Die letztlich bei der Beklagten eingereichten Kalkulationen entsprachen größenmäßig und nach der Qualität der ausgesuchten Einbaugeräte dem Altbestand, sie war nur wegen der L-Form und des (gegenüber der aus den 70er-Jahren stammenden Altküche) moderneren Designs höherwertiger als die alte Küche (Gesamtverbesserung rund 20 %). Insoweit war der Vermerk am Voranschlag „Küche wie Altbestand neu" unter diesen besonderen Gegebenheiten des hier konkret zur Beurteilung anstehenden Einzelfalls keineswegs von einer „geradezu und ausschließlich mit einer Täuschung des Versicherers" geprägten Betrugsvorsatz (dolus coloratus) geprägt. Dass die Klägerin über den (von ihr auch gar nicht beeinflussten) Versicherungsfall (Schadensereignis) oder über den Umfang der beschädigten Sachen Täuschungshandlungen gesetzt habe, wird ihr nicht einmal von der beklagten Partei zum Vorwurf gemacht. Es steht vielmehr unstrittig fest, dass die Klägerin „aufgrund der Unwirtschaftlichkeit und des Gesamtausmaßes der Wasserschäden" Anspruch auf eine Kompletterneuerung unter anderem ihrer Küche hatte. Dass sie hiebei Kostenersatz für die „Anschaffung neuer Sachen gleicher Art und Güte" für die (völlig) zerstörten Sachen verlangen konnte, ergibt sich aus Art 6 Z 1.2 der ABS. Der Umstand, dass die Klägerin erst nach Vorliegen des Sachverständigengutachtens aus dem Tischlergewerbe die entsprechende Einschränkung des Klagebegehrens vornahm, kann ihr damit wohl nicht als „besondere Kühnheit" (zur Untermauerung des Täuschungsvorsatzes) unterstellt, sondern muss als prozessordnungsgemäße Vorgangsweise qualifiziert werden. Die einzelfallgeprägte Verneinung eines Leistungsfreiheit bedingenden Täuschungsvorsatzes durch die Vorinstanzen begründet damit - insgesamt gesehen - keine einer Korrektur zuzuführende erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO, weshalb die dagegen ankämpfende Revision zurückzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Bemessungsgrundlage ist allerdings zufolge bereits in erster Instanz erfolgter Rechtskraft der Abweisung des Mehrbegehrens von EUR 10.930,33 nur mehr der restliche Zuspruchsbetrag von EUR 30.803,09 und nicht EUR 41.733,42.

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