OGH 21Ds2/17g

OGH21Ds2/17g27.11.2017

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 27. November 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Pressl und Univ.‑Prof. Dr. Harrer sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes über die Beschwerde des Kammeranwalts gegen den Beschluss des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Salzburg vom 21. Juni 2017, GZ DISZ/2‑17‑13, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 60 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo. 2005 den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0210DS00002.17G.1127.000

 

Spruch:

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Beschluss sprach der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Salzburg aus, dass kein Grund zur Disziplinarbehandlung des Rechtsanwalts ***** wegen des Vorwurfs bestehe, er habe im Frühsommer 2016 im Rahmen eines Telefonats im Zusammenhang mit einer von ihm verfolgten Besitzstörung Hildegard S***** durch beleidigende, diskriminierende und spöttische Äußerungen in ihrer Persönlichkeit verletzt.

Die dagegen erhobene, die Fassung eines Einleitungsbeschlusses begehrende Beschwerde des Kammeranwalts ist nicht im Recht.

Dem Verfahren liegt eine schriftliche Anzeige der Hildegard S***** vom 19. Dezember 2016 zugrunde, mit der sie dem Beschuldigten im Zusammenhang mit einer gegen sie von diesem als Parteienvertreter verfolgten Besitzstörungshandlung vorwirft, sich anlässlich eines Telefonats, bei dem sich die Anzeigerin einerseits rechtfertigte und andererseits um eine Kostenreduktion und Ratenzahlung der Kosten seines Einschreitens ersuchte, durch ihr gegenüber beleidigende, diskriminierende und spöttische Bemerkungen standeswidrig verhalten zu haben.

Seitdem leide die Anzeigerin, die seit dem Jahr 2010 Panikattacken und Angstzustände habe, über einen „Behinderten‑Ausweis mit 50 %“ verfüge und seit drei Jahren „Reha‑Geld“ von der Pensionsversicherungsanstalt beziehe, an (nicht näher konkretisierten) Albträumen. Den verfahrensgegenständlichen Parkplatz hätte sie deshalb benützt, weil sie aufgrund ihres Reizdarmsyndroms eine Toilette aufsuchen hätte müssen.

Im Rahmen der durch den Untersuchungskommissär gepflogenen Erhebungen erstattete der Beschuldigte eine die ihm gegenüber erhobenen Vorwürfe bestreitende schriftliche Stellungnahme und wurden dieser sowie auch die Anzeigerin vernommen. Dabei verwies der Beschuldigte auf einen seitens der Anzeigerin sehr emotional geführten Gesprächsverlauf. Im Übrigen wurden Lichtbilder übermittelt, die zum Zeitpunkt der vorgeworfenen Besitzstörungshandlung nicht nur das Fahrzeug der Anzeigerin, sondern auch diese selbst mit ihrem Verlobten vor dem Hauptbahnhof in Salzburg Hand in Hand gehend abbilden.

Nach den Feststellungen des Disziplinarrats im angefochtenen Beschluss tätigte der Beschuldigte gegenüber der Anzeigerin folgende Äußerungen:

„Hören Sie auf, den sterbenden Schwan zu spielen.“

„Was Sie mir hier erzählen, glaubt Ihnen kein Richter.“

„Was haben Sie am Sonntag am Bahnhof zu suchen?“

„Ihre Krankheit ist ja nur im Darm und nicht im Hirn.“

„Das glaube ich auch, ich habe auch teilweise Durchfall, so geht man nicht, wenn man dringend auf die Toilette muss, die Geschichte können Sie jedem Richter erzählen, der glaubt Ihnen genauso wenig wie ich.“

„Wenn Sie jetzt noch weiter die arme Kranke, den sterbenden Schwan spielen, hat das keinen Sinn, da lege ich lieber auf, denn so kommen wir nicht weiter, verstehen Sie?“

„Und was Sie am Sonntag, dem 5. Juni, am Bahnhof verloren haben, verstehe ich erst recht nicht, wenn Sie auf die Toilette müssen.“

„Sehen Sie, jetzt provoziere ich Sie ein wenig und Sie sind gleich wieder besser aufgelegt und Sie werden gleich selber wieder aggressiv, ich spiele dieses Spiel schon so lange, Fr. S*****, Sie unterschreiben die Unterlassungserklärung und können mir vorspielen, was Sie wollen, das greift einfach nicht.“

Diese Äußerungen überschreiten nach Ansicht des Disziplinarrats die Grenze eines für einen Rechtsanwalt angemessenen Tons, wobei jedoch nach Lage des Falles sämtliche Voraussetzungen des § 3 DSt erfüllt seien.

Ein Einstellungsbeschluss (§ 28 Abs 3 DSt) hat zu erfolgen, wenn ein gegebener Sachverhalt rechtlich unter anderem – wie fallbezogen in Anwendung des § 3 DSt – als nicht disziplinär zu werten ist, mithin, wenn kein Verdacht einer disziplinären Handlung besteht. Vom eine Verfahrenseinstellung rechtfertigenden Fehlen eines solchen Verdachts ist – im Licht des § 212 Z 2 StPO (§ 77 Abs 3 DSt)   – dann auszugehen, wenn das vorliegende Tatsachensubstrat Grund zur Annahme bietet, dass seine Dringlichkeit und sein Gewicht nicht ausreichen, um eine Verurteilung des Beschuldigten auch nur für möglich zu halten, und von weiteren Ermittlungen eine Intensivierung des Verdachts nicht zu erwarten ist. Die Beurteilung der Dringlichkeit einer Verdachtslage ist Sache der Beweiswürdigung des Senats gemäß § 28 DSt, während dem erkennenden Senat gemäß § 30 DSt die Prüfung vorbehalten ist, ob sich der Verdacht zum Schuldbeweis verdichtet hat (RIS‑Justiz RS0123210, RS0057005, RS0056969, RS0056973; Engelhart/Hoffmann/ Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 9 § 3 DSt Rz 3, § 28 DSt Rz 9).

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 3 DSt ist ein Disziplinarvergehen vom Disziplinarrat nicht zu verfolgen, wenn das Verschulden des Rechtsanwalts geringfügig ist und sein Verhalten keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat.

Mit Blick auf die konkreten Umstände des Einzelfalls, insbesondere das von beiden Seiten emotional geführte Telefongespräch und die vorliegenden Lichtbilder, ist – auch unter Berücksichtigung der seitens des Kammeranwalts singulär relevierten Äußerung, wonach der Beschuldigte die Anzeigerin einmal (arg: „jetzt“; BS 3) bewusst provoziert hätte – noch von einem bloß geringfügigen Verschulden des Beschuldigten auszugehen und mangels darüber hinaus erkennbarer Folgen und Publizität seines Verhaltens der bekämpfte Einstellungsbeschluss nicht zu beanstanden (RIS‑Justiz RS0113533; vgl Feil/Wennig , AnwR 8 § 3 DSt, S 884).

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