OGH 13Os82/17h

OGH13Os82/17h11.10.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Oktober 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wetter als Schriftführer im Verfahren zur Unterbringung des Andrej I***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Schöffengericht vom 16. Mai 2017, GZ 35 Hv 5/17d‑43, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0130OS00082.17H.1011.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde gemäß § 21 Abs 1 StGB die Unterbringung des Andrej I***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

Danach hat er am 16. Februar 2016 in S***** unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad, nämlich einer akuten paranoiden Psychose im Rahmen einer paranoiden Schizophrenie, beruht, den Justizwachebeamten RevInsp Franz M***** durch Versetzen eines Faustschlags, sohin mit Gewalt, an einer Amtshandlung, nämlich seiner Absonderung und Visitierung nach Durchführung einer Verlegung, zu hindern versucht, wobei die Tatvollendung infolge einer Abwehrhandlung des Beamten unterblieb, und dadurch das Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB begangen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5, 5a, (richtig) 9 lit b und 11 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen geht fehl.

Entgegen der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall, der Sache nach Z 11 erster Fall iVm Z 5 zweiter Fall; RIS-Justiz RS0113980, RS0118581) ließ das Erstgericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse nicht unberücksichtigt (RIS-Justiz RS0118316): Vielmehr stützte es die Urteilskonstatierungen betreffend den auf geistiger oder seelischer Abartigkeit höheren Grades (US 2) beruhenden Zustand und dessen Einfluss auf die Anlasstat aktenkonform auf das Gutachten der Sachverständigen aus den Fachgebieten der Psychiatrie und der Neurologie sowie dessen Erörterung in der Hauptverhandlung (US 7). Sich mit jedem Detail der Gutachtenserörterung auseinanderzusetzen war das Erstgericht, dem Gebot der gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend, nicht gehalten (RIS-Justiz RS0106295 und RS0106642).

Soweit sich die Mängelrüge gegen die Annahme der Zurechnungsunfähigkeit im Tatzeitpunkt wendet, wird sie unzulässig (§ 433 Abs 1 StPO iVm § 282 StPO) zum Nachteil des Betroffenen ausgeführt (13 Os 148/08a, SSt 2008/88; RIS‑Justiz RS0124358 und RS0126727).

Hinsichtlich der im Rahmen der Mängel- und der Tatsachenrüge erhobenen Kritik an der Gefährlichkeitsprognose wird auf die Erledigung der Sanktionsrüge verwiesen.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit b) entwickelt ihre Argumentation aus der Prämisse einer aus ihrer Sicht vorliegenden unberechtigten Durchsuchung von Körperöffnungen des Betroffenen (§ 269 Abs 4 StGB, § 101 Abs 5 letzter Satz StVG). Sie lässt dabei die vom Erstgericht getroffenen gegenteiligen (aus Z 5 unbekämpft gebliebenen) Urteilskonstatierungen außer Acht, wonach eine solche Untersuchung von den Justizwachebeamten nicht vorgenommen wurde (US 3, 6). Damit entfernt sie sich vom Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0099810, RS0099853).

Nichtigkeit aus Z 11 zweiter Fall liegt vor, wenn die – wie hier – in Frage gestellte Gefährlichkeitsprognose zumindest eine der in § 21 Abs 1 StGB genannten Erkenntnisquellen (Person, Zustand des Rechtsbrechers und Art der Tat) vernachlässigt oder die aus den gesetzlich angeordneten Erkenntnisquellen gebildete Feststellungsgrundlage die Ableitung der Befürchtung, also die rechtliche Wertung einer hohen Wahrscheinlichkeit für die Sachverhaltsannahme, der Rechtsbrecher werde (zumindest) eine Handlung begehen, welche ihrerseits rechtlich als mit Strafe bedroht und entsprechend sozialschädlich (mit schweren Folgen) zu beurteilen wäre, als willkürlich erscheinen lässt (RIS-Justiz RS0113980, RS0118581; 13 Os 165/11f, 13 Os 107/16h; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 715 ff, Ratz in WK2 StGB Vorbem zu §§ 21–25 Rz 8 f).

Die Sanktionsrüge behauptet hinsichtlich der Prognoseentscheidung weder Willkür noch das Übergehen einer Erkenntnisquelle, sondern bestreitet die darin angestellte Gefährlichkeitsprognose. Damit verlässt sie den dargelegten Anfechtungsrahmen.

Eine Bekämpfung aus Z 5 oder 5a des § 281 Abs 1 StPO steht in Verbindung mit dem ersten Fall, nicht jedoch mit dem – hier angesprochenen – zweiten Fall des § 281 Abs 1 Z 11 StPO offen (RIS-Justiz RS0118581; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 669). Indem sich die Mängel- und die Tatsachenrüge auch gegen die Prognoseentscheidung wenden, verfehlen sie demnach den Bezugspunkt der Anfechtung.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Berufung kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

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