European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E119419
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die gefährdete Partei hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung vorläufig, die Gegnerin der gefährdeten Partei hat die Kosten ihres Revisionsrekurses endgültig selbst zu tragen.
Begründung:
Die Gefährdete ist Inhaberin des Patents EP 1 395 630 B1 „Fein verteilte Stabilisatorzusammensetzung für halogenhaltige Polymere“. Die Gegnerin entwickelt, produziert und vertreibt ebenfalls Stabilisatorzusammensetzungen.
Mit ihrem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zur Beweissicherung (§ 151b PatG) behauptet die Gefährdete, die Gegnerin nutze das Streitpatent aus.
Das Erstgericht erließ teils die beantragte einstweilige Verfügung (ohne Anhörung der Gegnerin), teils wies es das Mehrbegehren ab; die Sicherungsverfügung wurde in weiterer Folge vollzogen. Die Abweisung des Mehrbegehrens erwuchs in Rechtskraft. Den Widerspruch der Gegnerin gegen die Sicherungsverfügung wies das Erstgericht ebenso ab wie deren Antrag, dem Rekurs gegen die einstweilige Verfügung aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Das Rekursgericht gab mit dem angefochtenen Beschluss den Rekursen der Gegnerin gegen die einstweilige Verfügung und gegen die Abweisung ihres Widerspruchs nicht Folge und wies ihren Rekurs gegen die Abweisung des Aufschiebungsantrags zurück. Gegen die Sachentscheidungen ließ es den Revisionsrekurs mit der Begründung zu, dass Rechtsprechung zu § 151b PatG fehle und die Norm einer höchstgerichtlichen Klarstellung bedürfe.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen diese Entscheidung gerichtete und von der Gefährdeten beantwortete Revisionsrekurs der Gegnerin ist, ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulassungsausspruchs des Rekursgerichts in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen iSv § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
1. Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst eine klare, das heißt eindeutige Regelung trifft (RIS‑Justiz RS0042656). Zudem ist der Revisionsrekurs nur dann zulässig, wenn die Entscheidung auch konkret von der Beantwortung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt und diese vom Rechtsmittelwerber aufgezeigt wird (vgl RIS‑Justiz RS0102059). Dies ist hier unter keinem der von der Gegnerin angeführten Gesichtspunkte der Fall.
2.1. Die Gegnerin macht im Zusammenhang mit der Sicherungsverfügung die Verletzung von vertraulichen Informationen geltend. Ihre internen Bezeichnungen seien für das Beweissicherungsverfahren nicht relevant.
2.2. Vertrauliche Informationen iSd Art 7 Abs 1 der RL 2004/48/EG sind Geschäfts‑ und Betriebsgeheimnisse (Spindler/Weber, Der Geheimnisschutz nach Art 7 der Enforcement‑Richtlinie, MMR 2006, 711), mithin Tatsachen und Erkenntnisse kommerzieller oder technischer Art, die bloß einer bestimmten und begrenzten Zahl von Personen bekannt sind, nicht über diesen Kreis hinausdringen sollen und an deren Geheimhaltung ein wirtschaftliches Interesse besteht (RIS‑Justiz RS0079599; zu den Konsequenzen der RL 2016/943/EU ausführlich auch 4 Ob 165/16t, Ticketsysteme). Dies ist vom vermeintlich Verletzten geltend zu machen (Mes in Mes, Patentgesetz4, § 140c Rz 19). Warum es sich bei der internen Bezeichnung der Eingriffsgegenstände um derartige vertrauliche Informationen handeln soll, legt die Revisionsrekurswerberin jedoch nicht dar.
2.3. Im Übrigen ist die Konsequenz des Schutzes vertraulicher Informationen nicht die Verweigerung des Eingriffs; vielmehr sind die Geheimhaltungsinteressen der Gegnerin durch verfahrensrechtliche Mittel zu schützen (vgl Spindler/Weber, Der Geheimnisschutz nach Art 7 der Enforcement‑Richtlinie, MMR 2006, 711; Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien³, § 101a UrhG, Rz 5; Lieb/Hans, Der patentrechtliche Besichtigungsanspruch im Industriebetrieb – Zwischen Beweissicherung und Geheimhaltungsinteressen, GWR 2016, 349 [350]). Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht die Gefährdete – unbekämpft – ausdrücklich von der Einsichtnahme in bestimmte interne Bezeichnungen und die Bestimmung von Rezepturen ausgeschlossen. Über den Antrag der Gegnerin, die Gefährdete auch von der Einsicht in bestimmte Teile des Sachverständigengutachtens auszuschließen, wird ein gesondertes Verfahren geführt (vgl 4 Ob 9/17b).
3. Mit dem Vorbringen, die Gefährdete habe ohnedies bereits sichere Kenntnis von der behaupteten Patentverletzung, weicht die Gegnerin – wie bereits vom Rekursgericht erkannt – vom bescheinigten Sachverhalt ab. Nach der – wenngleich dislozierten, so doch beachtlichen (vgl RIS‑Justiz RS0043110 [T2]) – „Feststellung“ des Erstgerichts bezieht sich die von der Gegnerin zitierte Korrespondenz aus dem Jahr 2010 nämlich nicht auf das in Frage stehende Produkt.
4. Soweit die Gegnerin ausführt, eine einstweilige Verfügung zur Sicherung von Beweisen dürfe nach § 151b Abs 4 PatG nur dann erlassen werden wenn nachweislich die Gefahr bestehe, dass Beweise vernichtet werden, ist ihr zunächst der eindeutige Wortlaut der Bestimmung entgegenzuhalten, wonach die Gefahr einer Beweismittelvernichtung nicht Anspruchsgrundlage einer entsprechenden Sicherungsverfügung, sondern Voraussetzung für deren Erlassung ohne Anhörung des Gegners ist.
Aber auch in dieser Hinsicht zeigt die Gegnerin keine erhebliche Rechtsfrage auf; die Vorinstanzen haben ausdrücklich die Gefahr einer Beweismittelvernichtung als bescheinigt erachtet, weil „im Falle der vorherigen Verständigung eine Einstellung der Produktion respektive ein Wegschaffen der Eingriffsgegenstände aus den Betriebsräumen naheliegt“. Dem Einwand der Gegnerin, die von der Gefährdeten angebotenen Bescheinigungsmittel würden diese „Feststellung“ nicht tragen, ist entgegenzuhalten, dass der Oberste Gerichtshof auch im Provisorialverfahren nicht Tatsacheninstanz ist (RIS‑Justiz RS0002192). Entgegen der Revisionsrekursbehauptung hat das Rekursgericht auch den in diesem Zusammenhang gerügten Verfahrensmangel geprüft, jedoch für nicht gegeben erachtet. Eine neuerliche Geltendmachung im Revisionsrekursverfahren ist nicht möglich (vgl RIS‑Justiz RS0042963).
5. Ob im Patentrecht analog §§ 56 MSchG, 9 Abs 3 UWG (4 Ob 75/15f, unken.at III) das Institut der Verwirkung nach fünfjähriger widerspruchsloser Kenntnis von der Patentverletzung angenommen werden kann, bedarf hier keiner näheren Prüfung, denn auch die diesbezüglichen Ausführungen der Revisionsrekurswerberin beruhen auf der „feststellungs“widrigen Prämisse, die Gefährdete habe bereits 2010–2011 Kenntnis von der verfahrensgegenständlichen Patentverletzung erlangt.
6. Die behauptete Überschreitung des Sicherungsantrags durch das Erstgericht begründete gegebenenfalls einen Verfahrensmangel (vgl RIS‑Justiz RS0041089); das Vorliegen eines solchen wurde vom Rekursgericht geprüft und verneint und kann daher im Revisionsrekurs nicht neuerlich geltend gemacht werden (vgl RIS‑Justiz RS0041240 [T7]).
7. Soweit die Gegnerin neuerlich Vorbringen zur behaupteten Nichtigkeit des gefährdeten Patents erstattet, hält sich dieses im Wesentlichen auf der Tatsachenebene. Insoweit hat bereits das Rekursgericht die erfolgreiche Gegenbescheinigung der – insoweit beweis- bzw bescheinigungspflichtigen (vgl RIS‑Justiz RS0071369; RS00103412 [T1,T2]) – Gegnerin verneint. Das Rekursgericht hat auch zutreffend darauf hingewiesen, dass es im vorliegenden Fall nicht um die Frage eines Patenteingriffs geht, sondern um die Sicherstellung eventuell patentverletzenden Materials.
8. Der Revisionsrekurswerberin ist es somit zu den Spruchpunkten I. und II. der angefochtenen Entscheidung nicht gelungen, erhebliche Rechtsfragen in der Qualität des § 528 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Zu Spruchpunkt III. fehlt der Gegnerin die Rechtsmittelvoraussetzung der Beschwer. Denn der Überprüfung der Frage, ob einem Rechtsmittel aufschiebende Wirkung zuzuerkennen ist, kommt nach dessen rechtskräftiger Erledigung nur mehr theoretisch‑abstrakte Bedeutung zu, weshalb diesfalls dem Rechtsmittelwerber das stets erforderliche Rechtsschutzinteresse zum Zeitpunkt der Rechtsmittelentscheidung fehlt (vgl RIS‑Justiz RS0002495; 4 Ob 189/10p). Der Revisionsrekurs ist daher insgesamt als unberechtigt zurückzuweisen.
9. Der Kostenausspruch beruht für die Gefährdete auf § 393 Abs 1 EO, für die Gegnerin auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 40, 50 ZPO.
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